bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Große Freiheit Nr. 7

„Paduaaa...!“

Inmitten des Zweiten Weltkriegs sollte Filmemacher Helmut Käutner („Unter den Brücken“) einen heroischen, leichtverdaulichen Unterhaltungsfilm drehen, der die deutsche Handelsmarine feiert – so hatte es das Propagandaministerium der Nazis gefordert. Und Käutner drehte, jedoch etwas ganz anderes: „Große Freiheit Nr. 7“, der, wäre es nach Käutner gegangen, doppeldeutig schlicht „Große Freiheit“ geheißen hätte, wurde nach seiner Premiere im Dezember 1944 einkassiert und erst nach Kriegsende von den Alliierten freigegeben.

„Nun segeln sie mal bischn sinniger!“

Der ehemalige Seefahrer Hannes Kröger (Hans Albers, „Münchhausen“) verdient sich seinen Lebensunterhalt als „singender Seemann“ im Hippodrom, einer Erlebnisbar in der Großen Freiheit im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Als er erfährt, dass sein Bruder, mit der er sich eins überworfen hatte, im Sterben liegt, erfüllt Hannes ihm den Wunsch, sich des Mädchens anzunehmen, das sein Bruder einst hatte sitzenlassen: Gisa (Ilse Werner, „Wir machen Musik“), die zurzeit auf dem Land lebt – auch, um den Ruf der Krögers wiederherzustellen. Er nimmt die attraktive junge Frau mit in seine Wohnung auf St. Pauli, wo er gut mit ihr auskommt und sich bald in sie verguckt. Doch während diese mit einem aufdringlichen Verehrer konfrontiert wird, hadert der zu Schwermut neigende und diesen in Alkoholika ertränkende Hannes mit seiner Existenz als „besser Animierfritze“ und Landratte…

„Ich bin 'n Wrack!“

Käutner drehte auf Agfa-Farbfilm und lässt zunächst „La Paloma“ erklingen, das auf einem Schiff auf einer Mundharmonika intoniert wird, während man sich über Hannes unterhält, der nach Hamburg gegangen ist. Dorthin verschlägt es dann auch den Film: Landgang auf dem Kiez, Straßenschilder werden eingeblendet und Albers‘ Evergreen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ erklingt in einer Instrumentalversion. In Verbindung mit dem Gewusel in der berüchtigten Straße Große Freiheit erzeugt Käutner eine anheimelnde Atmosphäre. Hannes begegnen wir erstmals, als er im Hippodrom besagte Weise schmettert, sich selbst auf dem Schifferklavier begleitend. Überhaupt, das Hippodrom: Ein riesiges Lokal mit Pferdemanege, eine Mischung aus Zirkus (was da los ist, würde man heute zurecht als Tierquälerei missbilligen), Trinkhalle und Konzertort, das Trinker, Reisende und Damen des horizontalen Gewerbes beherbergt, sie sich amüsieren oder vergessen lässt. Hannes bekommt Besuch von seinen ehemaligen Kameraden und erfährt, dass sein Bruder im Sterben liegt. Dessen Schulden begleicht Hannes bei Gisa auf dem Lande, die er mit nach Hamburg nimmt, womit die für Hannes unglücklich verlaufende Romanze ihren Lauf nimmt.

„Wir Krögers sind bestimmt kein Gesindel nich‘!“

Eine Hafenrundfahrt inklusive kommentierter Sehenswürdigkeiten und typisches Hamburger Schietwetter sorgen für weiteres Lokalkolorit, das bereits reichlich in Krögers wunderbarer Hamburger Mundart widerhallt. Es ist nicht so, als interessiere sich kein weibliches Geschöpf für ihn: Die Hippodrom-Leiterin Anita (Hilde Hildebrand, „Bel Ami“) ist so etwas wie seine Geliebte, die durchaus auch Interesse an Verbindlicherem signalisiert, während Hannes‘ Herz jedoch längst Gisa gehört. Als er erfährt, dass Gisa sich inzwischen in den Werftarbeiter Georg (Hans Söhnker, „Der Engel mit dem Saitenspiel“) verliebt hat und sie in Blankenese stellt, schlägt das Wetter in ein Unwetter um und Hannes, ganz in schwarz und streng guckend, sieht aus wie der Henker. Ein geplanter Showdown zwischen beiden Männern gerät zur Massenschlägerei, bis die Polente anrückt. Die Kamera zaubert Einstellungen hervor, in denen ein Lichtstreifen genau über Hannes' Augenpartie zu sehen ist, und visualisiert einen Alptraum Hannes' in schrägen Perspektiven sowie entsättigten Farben – inklusive „La Paloma“ als Flamenco-Nummer. Hierbei spielt man also überraschend mit dem Surrealismus und mit Gruselelementen.

„Kenn' wir ihr?“

Musik spielt eine große Rolle: Käutner und Co. integrierten mehrere Gesangseinlagen und eine beinahe permanente Musikbegleitung, die mitunter sehr dominant die jeweilige Stimmung vorgibt. Das Lied „La Paloma“ zieht sich in etlichen Variationen durch den ganzen Film. Der tragischen Entwicklung der Handlung zum Trotz arbeitete man zudem mit einigen schönen, komödiantischen Dialogen sowie einem Running Gag um einen Matrosen, der nicht müde zu behaupten wird, in Köln sei alles besser. Vor allem aber vermittelt „Große Freiheit Nr. 7“ ein sehr reales Kiezbild: Bereits betrunken geht es nachts noch in die Kneipe, um gemeinsam mit den letzten Schnapsleichen weiterzutrinken, zu melancholieren oder zu vergessen. Zudem bringt Käutner das Lebensgefühl der Seefahrer auf den Punkt, die die Seefahrt eben auch als Flucht vor dem Alltag betrachten und nutzen, vor dessen Zwängen und Herausforderungen wie dem Eingehen fester Bindungen. Prostitution aber wird höchstens angedeutet.

Kein Wunder, denn ganz so, wie er vielleicht gewollt hätte, konnte Käutner damals natürlich nicht. Dennoch gelang es ihm, seinen Film weitestgehend vom Dritten Reich und dessen Insignien freizuhalten. Weder Hannes noch sein Umfeld entsprechen einem von Goebbels und Konsorten erhofften Idealbild, als NS-Propagandafilm ist er somit völlig unbrauchbar. Das urbane Hamburg erscheint trotz aller Probleme Hannes‘ als wesentlich spannender, aufregender und verlockender als das von den Nazis eigentlich bevorzugte Dorfidyll, dem Gisa entrissen wird. Hans Albers brilliert als alternder, unzufriedener ehemaliger Draufgänger, der schwermütig seinen Lebensentwurf infragestellt und alles andere als ein strahlender Held ist. Vielmehr könnte man ihn sich mühelos in ein paar Jahren als frustrierten Dauergast in den Hafenkaschemmen vorstellen, wo er alten Zeiten nachhängt und allen, die es nicht wissen wollen, damit in den Ohren liegt.

Somit fällt „Große Freiheit Nr. 7“ in jeglicher Hinsicht aus dem Rahmen des NS-Kinos, wurde folgerichtig von den Nazis unterschlagen und ist zurecht als einer der großen Klassiker des deutschen Films zu betrachten.

Bewertung: 8,5 von 10 Palomas
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Auslaufmodell Supermarkt?

Einzelhandel ist Krieg

Rémi Delescluses („Papa ist nicht mein Vater“) rund eineinhalbstündiger Dokumentarfilm aus dem Jahre 2021 wirft einen kritischen Blick auf große Supermarktketten, den Druck, den sie auf Lieferanten und Erzeuger ausüben, aber auch jenen, dem sie sich durchs Vordringen von Online-Händlern in den stationären lokalen Einzelhandel selbst ausgesetzt sehen. Da es sich um eine deutsch-französische Arte-Produktion handelt, werden beide Länder thematisiert.

Der Schwerpunkt liegt aber zunächst auf dem französischen Supermarktkonzern Carrefour, der mit harten Bandagen mit seinen Lieferanten kämpft. Dabei geht es nicht immer nach Recht und Gesetz zu und die Methoden sind extrem. Den Lieferanten möchte man zurufen: Organisiert und wehrt euch, ihr seid doch Franzosen!?

Delescluse geht es ins Detail, gewährt Einblicke in die Preisgestaltung und Gewinnmargen der Supermärkte, erläutert, auch anhand konkreter zahlen (sehr gut!), wie Carrefour seine Franchise-Nehmer für kleinere Dependancen in Innenstädten systematisch mittels Knebelverträgen und Wuchereinkaufspreisen ausbeutet. Einiges hat man vorher schon gehört oder mitbekommen, hier wird's aber vernünftig eingeordnet und werden die wahren Hintergründe genannt – z.B. wenn die Produkte eines Herstellers komplett aus den Regalen genommen werden und sich die Handelsketten damit brüsten, wie unlängst auch in Deutschland geschehen.

Doch der Film, durch den ein Off-Sprecher führt, zeigt auch die Bildung von Oligopolen auf beiden Seiten und deren unerbittliche Machtkämpfe, die an die Mafia erinnern. Mit Grafiken werden intereuropäische Zusammenhänge veranschaulicht. Ein Lehrstück in Sachen Kapitalismus – und darin, wie fatal eine unkontrollierte, ungesteuerte Marktwirtschaft wäre.

In der zweiten Hälfte wird's global: Die Krake Amazon breitet sich im Lebensmitteleinzelhandel aus, was Delescluse am Beispiel der USA zeigt. Hochmoderne Technik ist nur ein vermeintlicher Fortschritt für die Massen, da Kundinnen und Kunden durch sie völlig gläsern werden. Auch in China geht's per zahlreicher Automatisierungen und Optimierungen effizienzsteigernd zu, wobei auch dort nicht jeder Fortschritt wirklich sinnvoll erscheint.

Auch wenn er im Prinzip nur eine Momentaufnahme ist: „Auslaufmodell Supermarkt?“ ist ein hochinteressanter, ansprechend gemachter, sich Zeit nehmender Dokumentarfilm, dessen Team überall vor Ort war, um die Realität einzufangen und zu belegen. Unterstützung erhält man von mehreren Expertinnen und Experten – und fürs Herz gibt’s ein paar historische Supermarktbilder. Unschön ist lediglich, dass beim Arte-üblichen teilsynchronisierten, teiluntertitelten Mischmasch die Untertitel offenbar aufgrund eines Fehler in der Mediathek auf der Strecke blieben und ich bei nichtsynchronisierten französischsprachigen Aussagen somit kein Wort verstehe.

Der Erzähler jedenfalls zeigt sich am Ende vorsichtig optimistisch: „In Zukunft werden vielleicht diejenigen erfolgreich sein, die es schaffen, Technologie und menschliche Dienstleistung auf positive Weise zu verbinden.“ Nun ja. Ein Anfang wäre zumindest, wenn Technologie der breiten Masse statt in erster Linie dem Kapital zugutekäme. Derzeit läuft man Gefahr, von einem US-Tech-Giganten-Oligopol immer weiter ausgebeutet und versklavt zu werden – nicht nur im Supermarkt…
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Schimanski: Rattennest

„Verliebt, hm? Das ist ‘ne Krankheit...“

Wie bereits die zweite und dritte inszenierte Schimanski-Intimus Hajo Gies auch die fünfte Episode des „Tatort“-Spin-offs. Geschrieben wurde „Rattennest“, eine Mischung aus Actionkrimi und Jugenddrama, von Horst Vocks, die Erstausstrahlung erfolgte am 15. November 1998. Trivium: Bereits Georges zweiter „Tatort“-Auftritt in Prä-Schimanski-Zeiten trug diesen Titel.

„Den Dreck, den du hier in einer Stunde anfasst, den kannst du in einer Woche nicht abwaschen!“

In Duisburg werden zwei Straßenjungen getötet aufgefunden. Am Tatort wurde neben den Leichen Schimanskis Hundemarke zurückgelassen, woraufhin man ihn aus Belgien zurück an die Ruhr beordert. Als sich unweit der Toten auch noch sein alter Sessel mit Geld darin anfindet, gerät er selbst in den Kreis Verdächtiger. Dennoch ermittelt der Kripo-Beamte Schrader (Steffen Wink) zusammen mit Schimanski unter Straßenkindern, zu denen auch Janni (Tobias Schenke, „Knockin' on Heaven's Door“) gehört, Sohn einer Ex-Freundin Schimanskis, dessen er sich zu Duisburger Zeiten angenommen hatte – und findet eine Spur, die zur Drogenmafia und zu einem Stahlkonzern führt.

„Wo ist die Revolution?“ – „Ich bin die Revolution!“

Es beginnt feierlich: Schimmi feiert seinen Geburtstag in Belgien feuchtfröhlich zusammen mit einer Rockerbande. Parallel gehen in Deutschland Deals und Erpressungen um Heroin und Fotos über die Bühne, die Todesopfer fordern. Schimanski, der kurz vor seiner Abreise nach Duisburg von seiner Freundin (Denise Virieux) erfährt, dass sie schwanger sei, trifft neben Schrader auf Staatsanwältin Schäfer (Suzanne von Borsody) und deren Männer Krieger (Matthias Redlhammer) und Scholl (Robert Viktor Minich), womit die wichtigsten Personalstandards dieser Reihe abgehakt wären. Eine weitere Personalie wird eigens für diesen Fall konstruiert: Janni, eine Art Ziehsohn Schimanskis, der auf die schiefe Bahn geraten ist. Janni hat es auch zu verantworten, dass sich in Schimmis alter Wohnung obdachlose Jugendliche eingenistet und die Bude in einen Schweinestall verwandelt haben.

„Seid ihr eigentlich noch irgendwie Menschen?!“ – „Nein, Bullen.“

Schrader und Schimmi tun sich also auch für diesen Fall zusammen und trinken Hansa und Diebels aus Dosen. Schrader etabliert sich damit weiter als Partner Schimanskis, wobei Schrader – im Gegensatz zu Thanner zu „Tatort“-Zeiten – Schimanski immer ähnlicher wird. Die gemeinsamen Ermittlungen sind äußerst rabiat; auch miteinander springen die beiden sehr grob um, wobei Schrader immer härter wird. Hart ist auch dieser Fall, das Straßenkinder-Milieu wird ungeschönt dargestellt. Jannis Freundin, die zusammen mit ihm zu Beginn der Episode eingeführt wurde, muss bald ebenfalls ihr Leben lassen. Prügelei, Schießereien, sogar Granaten. Es rummst ordentlich.

„Du musst deine Träume nur oft genug behaupten, bis sie Wirklichkeit werden.“

Doch dabei belässt es „Rattennest“ glücklicherweise nicht. Am Rande werden reißerische Medien parodiert, zudem vermengt man den Fall mit Kritik an gewissenlosen Unternehmern und Arbeitskampf, besinnt sich also auch auf die Schimanski-typischen sozialen und gesellschaftlichen Aspekte. Dennoch ist diese Episode zuweilen völlig drüber: Machismo noch und nöcher, wenn auch nicht gänzlich unreflektiert. Gegenüber seiner Freundin bereitet er (der Machismo) Schimanski beispielsweise durchaus Probleme. So sehr ich manch Härte in Schimanskis Auftreten üblicherweise schätze, so kann ich es hier nicht einfach so durchwinken, wenn auf minderjährige Straßenkinder eingeschlagen wird. Der ‘90er-Jahre-Frust- und -Nihilismus beginnt, sich auch staatlicherseits gegen die Schwächsten zu richten, ohne dass dies entsprechend kritisch gewürdigt würde. Aus der zu Beginn angedeuteten Außenseiterromanze wird hingegen nichts gemacht. Dass sich herausstellt, dass Schimanskis Freundin dann doch gar nicht schwanger ist, verkommt da beinahe zur Randnotiz, passt aber zur unangenehmen Kälte, die „Rattennest“ ausstrahlt.

Schwierig – zumal ich eine solche Inszenierung von Hajo Gies nicht erwartet hätte. Ich bin dennoch gespannt, wie die Reihe weitergeführt wird.
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Trintignant über Trintignant

Wenn einem ein Schauspieler im Laufe der Zeit immer mal wieder in verschiedenen Spielfilmen begegnet, kommt eine Arte-Doku wie die von der Französin Lucie Cariès („Nein! Doch! Oh! – Die Louis-de-Funẽs-Story“) im Jahre 2021 zusammengestellte, 52-minütige Collage „Trintignant über Trintignant“ gerade recht, um ihn einem ein bisschen näherzubringen. Der 1930 im französischen Piolenc geborene und 2022 verstorbene Jean-Louis Trintignant drehte unter andrem unter der Regie Bernardo Bertoluccis („Der große Irrtum“), Sergio Corbuccis („Leichen pflastern seinen Weg“) und Costa-Gavras‘ („Z“); international bekannt war er durch „Und immer lockt das Weib“ mit Brigitte Bardot geworden.

Ein sehr zurückhaltender, nur spärlich eingesetzter Sprecher führt durch die Doku, die munter in der Zeit spring und Trintignant anhand zahlreicher, zum Teil noch in Schwarzweiß gedrehter Interview-Auszüge porträtiert. Aufgelockert werden die Statements und Gespräche von Filmausschnitten, Aufnahmen aus Privatarchiven und, besonders schön, Szenen von Dreharbeiten und Festivalpremieren. Wir lernen Trintignant mal als sehr bescheidenen, mal als nach dem Motto „Eigenlob stimmt“ erzählenden, sehr selbstbewussten Mann kennen, der Verweisen auf eigene negative Eigenschaften gern sein schelmisches Grinsen folgen lässt. Ein Mann, den seine Mutter als Kind in Mädchenkleider gesteckt hatte – sie hätte lieber eine Tochter gehabt. Ein Mann, der mit 40 Jahren urplötzlich Rennfahrer wurde. Und ein Mann, der tragischerweise schließlich seine Tochter verlor.

Mit der Regisseurin Nadine Marquand hatte er drei Kinder und stand auch für sie vor der Kamera, semiautobiographisch, vielleicht gar ein Stück weit exhibitionistisch? Ich müsste mir die Filme anschauen. Vieles wird in diesen gut 50 Minuten angerissen und lädt, sofern neugierig machend, zu eigener Recherche bzw. schlicht zum Ansehen seiner Filme ein. Arte-typisch erweist es sich als wenig komfortabel, dass mal synchronisiert, mal nur untertitelt wird, wobei letzteres leider dominiert. Aber dafür können weder Lucie Cariès noch Jean-Louis Trintignant etwas.
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Schimanski: Geschwister

„Dafür wird er bezahlen...“

Mark Schlichter, der bereits die vierte Episode des „Tatort“-Spin-offs „Schimanski“ inszeniert hatte, übernahm auch für die sechste, von Horst Vocks geschriebene Folge die Regie. „Geschwister“ wurde am 6. Dezember 1998 erstausgestrahlt. Wie 14 Jahre zuvor in Carl Schenkels „Abwärts“ treffen Götz George und Hannes Jaenicke aufeinander – jedoch in gänzlich anderen Rollen.

„Lange nicht gesehen, alte Schweinebacke!“

Der Kripo-Polizist Andy Bergmann (Roman Knizka, „Die Halbstarken“) sucht verzweifelt nach seiner Schwester Laura (Sandra Speichert, „Der Campus“), die, was er nicht weiß, mit dem kriminellen, aber einflussreichen Bauunternehmer Ewers (Hannes Jaenicke, „Die Sieger“) liiert ist. Ewers versucht mit allen Mitteln, Andy von Laura fernzuhalten, bekommt es aber bald mit Schimanski (Götz George) zu tun, der mit seiner Freundin Marie-Claire (Denise Virieux) schlussgemacht hat und nach Duisburg zurückgekehrt ist, wo Andy ihn schon erwartet – denn Schimmi schuldet ihm noch einen Gefallen…

„Du bist so gottverdammt stur!“

Dieser Fall ist im Prinzip eine etwas seltsame Verquickung mehrerer Fälle. Mit einer Parallelität arbeitet Schlichter bereits für den Auftakt: Andy sucht im Bordell „Pascha“ nach Laura und fliegt dort hinaus, während Marie-Claire mit jemand anderem im Bett liegt. Schimmi schleudert seinen Nebenbuhler ins Schnapsregal und wird festgenommen. Es wird suggeriert, Andy suche seine (Ex-)Freundin – umso überraschender die Erkenntnis, dass es sich um seine Schwester handelt. Laura sucht Andy zwecks Aussprache auf, wird aber von zwei Schlägern Ewers‘ übel zugerichtet. Doch Andy beherrscht Kampfsport und versteht es, sich entsprechend zur Wehr zu setzen. Schimanski kommt mit modischem Kurzhaarschnitt aus dem Knast und trifft in Duisburg auf Andy, der ihm erzählt, was passiert ist, und damit die Erzählstränge zusammenführt.

„Korrekter Dienstweg.“

Per Rückblende erfährt man, wie Andy einst Schimanski das Leben rettete und sich dabei selbst Kugeln einfing. Schimanski ist sich seiner Schuld bewusst, beginnt seine Ermittlungen im „Pascha“ und lädt sich spontan bei Schrader (Steffen Wink) zum Frühstück ein, um ihm die Spiegeleier wegzufressen. Der zweite – und eigentliche – Fall bringt dann auch wieder Oberstaatsanwältin Julia Schäfer ins Spiel. Diese muss einen Freispruch Ewers‘ hinnehmen, weil ihr Zeuge Schiller nicht vor Gericht erscheint. Und dann ist da noch Marie-Claire, die Schimmi nach Duisburg nachreist und ihn zurückwill. Den beiden gönnt Schlichter sogar eine Rückblende, die zeigt, wie sie sich kennenlernten.

So richtig kurios wird’s, als Schäfer neben einer Leiche im Bett aufwacht und derart verstört darauf reagiert, dass sie ihrem Beruf zunächst nicht mehr nachgehen kann. Schimmi und Schrader finden jedoch gar keine Leiche bei ihr, dafür aber ein Pilzgericht, von dem beide essen… Die Folge: Ein visualisierter Horrortrip Schimanskis, für den Schlichter & Co. mit damals angesagten Morphing-Spezialeffekten arbeiten und sogar Thanner aus alten „Tatort“-Episoden hineinschneiden. Die Splitscreen-Szene, in der Schimmi mit Schrader telefoniert, um zu erfahren, ob es ihm ähnlich erging, erinnert dann wiederum an alte Krimi- und Thriller-Kost.

„Merkt ihr nicht langsam selber, dass ihr mich immer erst dann holt, wenn die Leiche schon anfängt zu stinken?“

Nun reaktiviert die Kripo mehr oder weniger offiziell Schimanski, um ihn auf Ewers anzusetzen, womit sich der Kriminalfall langsam konkretisiert: Schiller war Ewers ein Dorn im Auge, weil er ein Kulturzentrum bauen wollte. Im weiteren Verlauf sorgen die beiden Semi-Comic-Relief-Männer (Matthias Redlhammer und Robert Viktor Minich) der Staatsanwältin für Zeitkolorit, indem sie „Tomb Raider“ spielen, flirtet die Staatsanwältin mit Schimmi (köstlich: dessen völlig verunsicherte Reaktion, die sein Macho-Image konterkariert), wird Schimmi böse von absoluten Klischee-Gangstern gefoltert und kristallisiert sich heraus, dass Andy und Laura eine inzestuöse Beziehung zueinander pflegten, was in einer Tragödie enden wird.

„…‘ne typische Schimanski-Scheißidee!“

So wird eine Vielzahl an Themen miteinander vermischt und mehr schlecht als recht miteinander verbunden. Nichts von alldem wird richtig auserzählt. Das Drehbuch schlägt Kapriolen, George spielt wacker dagegen an. Weniger wäre mehr gewesen, auch in Bezug auf die stets überschminkte und overdresste Speichert. Die Handlung erscheint übertrieben und unglaubwürdig, der Action-Anteil ist niedriger als in manch anderer Episode und wäre da nicht der gewohnt rüpelige, schnoddrige, zugleich herzliche und nicht auf den Mund gefallene Schimanski, wäre das hier nun wirklich kein sehenswerter Fernsehkrimi – aller (eher leiser) Kritik an skrupellosen Immobilienfuzzies zum Trotz, die hier zum Klischee verkommt.

Bewertung: 5 von 10 Pilzrisottos
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Garfield unterm Lichterbaum

„Du bist verweichlicht, mein Junge!“

Im Jahre 1987 erschienen ausnahmsweise gleich zwei Zeichentrick-Kurzfilme um den dicken orangenen Stubentiger: Nach „Garfield im Showgeschäft“ folgte mit dem erneut von Phil Roman inszenierten „Garfield unterm Lichterbaum“ alias „Alle Jahre wieder“ ein Weihnachts-Special, das sich mit seinen 24 Minuten Laufzeit perfekt in die lose, vom Fernsehsender CBS produzierte Reihe einfügt. Garfield-Erfinder Jim Davis‘ Drehbuch fiel, so liest man, beinahe autobiographisch aus.

„Wer den Weihnachtsbaum erfunden hat, den sollte man auf die Straße werfen und erschießen...“

Jon schenkt Garfield im Prolog neben Unmengen Lasagne eine Maschine, die alle Geschenke erzeugt, an die man denkt. Nach dem Vorspann stellt sich heraus, dass es sich lediglich um einen Traum Garfields handelte. Die eigentliche Handlung: Jon fährt mit Garfield und Odie über Weihnachten zu seiner Familie auf die alte Farm und freut sich in seiner Positivität über alles, während Garfield zunächst grantelt und wenig Lust auf den Landausflug verspürt. Erst einmal angekommen, lebt er sich aber schnell ein und freundet sich mit Jons Großmutter an. Der Film gerät zum Plädoyer für Familienweihnachten mit Humor und etwas herzerwärmender Melancholie, als Großmutter über ihren verstorbenen Mann erzählt. Es wird gesungen, Vater liest eine Geschichte vor und Odie bastelt heimlich ein Geschenk für Garfield. Der wiederum findet durch Zufall uralte Briefe und schenkt sie Großmutter – es handelt sich um Liebesbriefe Großvaters an sie. Jon und sein Bruder hingegen verfallen augenblicklich in kindliches Verhalten zurück, sobald die weihnachtliche Atmosphäre im Elternhaus sie übermannt.

Durch seine cartooneske, karikierende Überzeichnung und einige Gags ist das kurzweilig unterhaltsam anzusehen, die Songs und Gesangseinlagen sind zudem wieder sehr charmant. Ich mag solche Specials, wenngleich dieses hier sehr auf heile Welt macht. In Kombination mit der Gemütlichkeit, die es ausstrahlt, ist das in der kalten Jahreszeit aber auch einfach mal erlaubt.
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DELIRIA ÖVER DÜSSELDÖRF
Pt. II: Sonne, Sand und schwarzes Leder

buxtebrawler hat geschrieben: Di 7. Feb 2012, 20:34 Bild
Sonne, Sand und heiße Schenkel

Um es gleich vorwegzunehmen: Der Film „Sonne, Sand und heiße Schenkel“ des italienischen Regisseurs Silvio Amadio („Amuck“) aus dem Jahre 1975 ist ebensowenig eine seichte Sleazeklamotte wie Fernando Di Leos „Oben ohne, unten Jeans“, dem bei der deutschen Titelgebung ein ähnliches Schicksal widerfuhr. Der englische Titel „So Young, So Lovely, So Vicious…“ trifft es da wesentlich besser, handelt es sich schließlich um ein Erotikdrama, das es durchaus in sich hat.

Backfisch Angela (Gloria Guida, „Oben ohne, unten Jeans“) sieht ihr sorgloses Lotterloben bedroht, denn ihr Vater hat Irene (Dagmar Lassander, „Das Haus an der Friedhofmauer“) kennengelernt. Angela hat aber so gar keinen Bock auf eine Stiefmutter und beginnt, Intrigen gegen sie auszuhecken…

Mit Gloria Guido konnte man auf eines der schönsten Kinder des italienischen Kinos zurückgreifen, die sehr zeigefreudig das verwöhnte Gör Angela – nach außen hin ein blondes Engelchen – mimt, welches verschlagen und hinterlistig ihrer Egozentrik freien Lauf lässt und stets gute Miene zum bösen Spiel macht. Die weniger kindliche, aber ebenso attraktive Dagmar Lassander verkörpert die souveräne Irene, die so viel über sich ergehen lassen muss, bis ihre Fassade durchbricht und ein sensibler, verletzlicher Mensch zum Vorschein kommt. Das Psycho-Duell, das sich diese beiden Hauptrollen liefern, ist insofern einseitiger Natur, als der Zuschauer im Laufe der Handlung erfahren muss, dass Angela vollkommen zu Unrecht Irene von selbiger unbemerkt attackiert, da sich diese als charakterlich überaus integer heraus- und sich gar nichtsahnend schützend vor Angela stellt.

Der von Angela ausgehende rasende Terror, von ihr aber erschreckend professionell und vollkommen gefühlskalt in ein bösartiges Intrigenspiel verpackt, für das sie ihr entwaffnendes Lächeln, ihre Schutzbedürftigkeit, ihren Charme und ihre Eloquenz, am Ende gar ihre Sexualität, gezielt und berechnend einsetzt, steht im Kontrast zu den Sorglosigkeit und Glück suggerierenden, sonnendurchfluteten Bildern, die trügerische Urlaubsstimmung atmen. Angela kämpft mit den Waffen einer Frau und ist falscher als die Rolex auf dem Marktplatz von Sardinien, an dessen Strand der Film spielt. Die Übergänge von harmlosen infantilen Eifersüchteleien und jugendlichen Spielchen beim Austesten von Grenzen zur kaltschnäuzigen Inkaufnahme der Zerstörung des Gegenübers sind dabei fließend, wobei die Konsequenzen nicht im vollen Ausmaß bewusst zu sein scheinen, da Lebenserfahrung und Verantwortungsgefühl fehlen.

Mit seiner in luxuriösen, gutsituierten Kreisen angesiedelten Handlung hat „So Young, So Lovely, So Vicious…“ eindeutig etwas gialloeskes an sich, bleibt in seiner Ausrichtung aber dramatisch und der tragischen Entwicklung der Beziehung Irenes zu Angela verpflichtet. Dabei spielt Angelas Vater interessanterweise keine Rolle, tritt kaum in Erscheinung und auch ihr Freund Sandro (der Norweger Fred Robsahm, „Barbarella“, „Django und die Bande der Bluthunde“) scheint in erster Linie nützliches Mittel zum Zweck zu sein, das von Angela eindeutig dominiert wird und von ihrem Wohlwollen abhängig ist. Um finanziell über die Runden zu kommen, ist er das wiederum von einer reiferen Hausbesitzerin, die ihn sich als eine Art Prostituierten hält. Die Feststellung, Amadio zeige hier eine von Frauen dominierte Welt der Oberflächlichkeit, des Egoismus und des Status, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen.

Inwieweit dies beabsichtigte Kritik an der Dekadenz Vermögender oder an (vermeintlich?) weiblichen Verhaltensmustern oder schlicht dem Umstand geschuldet ist, sich auf die beiden Schönheiten zu konzentrieren, möchte ich nicht beurteilen. Bei der Integration und Fotographie der erotischen Szenen wurde allerdings darauf geachtet, nicht in allzu billige Sleaze-Gefilde abzugleiten und die schauspielerischen Leistungen sind sicherlich nicht preisverdächtig, aber ordentlich und ohne gröbere Aussetzer – einmal abgesehen von den unvermeidlichen Discopop-Tanzszenen, die wie so oft auch hier unbeholfen, hölzern und unfreiwillig komisch wirken. So viel diabolischen Argwohn das Drehbuch Jugendlichen wie Angela auch zugetraut hat, so wenig Ahnung hatte man anscheinend von Teenager-Partys.

Um beim Thema Musik zu bleiben, möchte ich den durchwachsenen Soundtrack nicht unerwähnt lassen, der in einigen Szenen mit unpassenden Komödienklängen entweder versucht, sein Publikum ebenso auf eine falsche Fährte zu locken wie der deutsche Verleih oder eine Unschuld Angelas zu suggerieren, an die der Zuschauer bereits von Beginn an nicht glaubt. Überwiegend weiß die musikalische Untermalung dann aber doch zu gefallen, gesungene Stücke tragen die sanfte Melancholie eines schicksalhaften Sommerurlaubs in sich und transportieren die passende Stimmung aufs heimische Sofa. Und so sollte „So Young, So Lovely, So Vicious…“ auch genossen werden: Wie ein Stück ernstzunehmender Anti-Kitsch in kitschiger Idylle, die begleitet von Guidas blankem Traumkörper demontiert wird. Der Teufel ist ein Eichhörnchen...
So schrieb ich seinerzeit. In meiner trüben Erinnerung liefen Guida und Lassander die meiste Zeit über nackt herum oder räkelten sich ebenso, was die Kinosichtung korrigierte - ganz so ist es dann nämlich doch nicht. Die Inszenierung erschien mir hier und da dann auch etwas plumper als damals (nicht nur in Bezug auf die oberdreisten J&B-Platzierungen), was den Film aber nicht abwertete. Das tat die Musik, denn wenngleich ich mich damals noch überwiegend positiv zu ihr äußerte, entwickelte die immer gleiche Melodie im Kino einen nicht ungefähren Nervfaktor. Ansonsten aber nach wie vor ein meines Erachtens gelungener, sehenswerter Film!
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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DELIRIA ÖVER DÜSSELDÖRF
Pt. II: Sonne, Sand und schwarzes Leder

buxtebrawler hat geschrieben: Mo 22. Jul 2013, 19:45 Bild
Asphaltkannibalen

„Vietnam-Veteran auf Urlaub aus der Klapsmühle!“

Mit „Asphaltkannibalen“ sprang der italienische Regisseur und Genre-Tausendsassa Antonio Margheriti („Satan der Rache“) im Jahre 1980 auf den Zug kruden, blutigen Italo-Horrors auf, holte die Kannibalen aus dem Dschungel in die Stadt und verband Kriegs-, Action, Kannibalen- und Zombiefilm zu einer bis heutige einzigartigen Melange.

Zwei GIs fallen im Vietnam-Krieg in einer Extremsituation durch kannibalistische Anwandlungen auf und befinden sich, zurück in der Heimat, in psychiatrischer Behandlung. Als sie aus der Anstalt entkommen, suchen sie den Kontakt zu ihrem ehemaligen Vorgesetzten Norman Hooper (John Saxon, „Tenebrae“), der davon zunächst wenig begeistert ist. Es stellt sich heraus, dass ein aggressives Virus für den Kannibalismus verantwortlich ist. Sie terrorisieren die Stadt und finden ein Opfer nach dem anderen. Als die Krankheit auch bei Hooper ausbricht, schließt er sich den beiden an. Die alten Vietnam-Recken sind wieder vereint und finden sich nun selbst in der Rolle der gejagten Guerilla-Kämpfer wieder...

„Keine verdammte falsche Menschlichkeit!“

Im Prolog sieht man US-Soldaten im verbrecherischen Vietnam-Krieg wüten. Wüste Baller-, Flammenwerfer- und Explosionsorgien werden begleitet von einem funkigen ’70s-Italo-Soundtrack Alexander Blonksteiners, den böse Zungen als unpassend bezeichnen mögen. All das entpuppt sich als böser kriegstraumatischer Alptraum Normans, der just zur geträumten Kannibalenattacke auf sich aus dem Schlaf hochschreckt. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt fällt eine sehr dynamische Kameraführung auf, die Kriegsopfer regelrecht auf den Zuschauer zustürzen lässt und mit den typischen unvermittelten Italo-Zooms arbeitet. In der urbanen Atmosphäre der US-amerikanischen Stadt angekommen, wird uns einer der GIs als Charles Bukowski (Giovanni Lombardo Radice, „Ein Zombie hing am Glockenseil“) vorgestellt. Radice steht seine Rolle ausgezeichnet, er wirkt verwegen, unberechenbar, wie eine tickende Zeitbombe und verfügt über einen unnachahmlichen irren Blick. Die Bezeichnung seiner Psychoklinik scheint derweil durchs Bild zu wandern; ein schön gefilmtes, subtil eingeflochtenes, bedeutendes Detail. Im Gegensatz zu Bukowski führt Hopper ein scheinbar normales Leben, doch hat er ein außergewöhnliches Interesse an der frühreifen Mary von nebenan – weniger in sexueller Hinsicht, wie sich herausstellen soll, sondern als Bissopfer. Ein Vorbote der kannibalischen Apokalypse, die auf die Stadt zurollt – und schon verwickelt sich Bukowski in eine Verfolgungsjagd mit actionreichen Motorradstunts, um sich anschließend in einem Supermarkt zu verschanzen und Krieg zu spielen. Parallelen zu Romeros „Dawn of the Dead“ sind sicherlich kein Zufall. Mit Tom Thompson (Tony King, „Jäger der Apokalypse“) stößt Charlies alter Kamerad hinzu und das Unheil nimmt seinen Lauf; spannend und brutal inszeniert Margheriti die sich immer weiter zuspitzende Situation und flechtet einige gelungene, blutig-derbe Spezialeffekte Giannetto De Rossis ein.

„Asche zu Asche und Scheiße zu Scheiße!“

Den weit entfernten Vietnam-Krieg nach Hause in die USA zu holen, sollte ein beliebtes Motiv für Filme werden, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Wahnsinn des Kriegs und seinen Folgen auseinandersetzen. Wie später in „Rambo“ gibt es auch in „Asphaltkannibalen“ Veteranen, die in ihrer Heimat, im Alltag, nicht mehr zurechtkommen, die traumatisiert sind von den erlebten Schrecken und womöglich begangenen Taten, die sich von der normalen Gesellschaft entfremdet fühlen und die Gesellschaft von ihnen. In diese Kerbe schlagen Margheritis „Asphaltkannibalen“, wenn auch in exploitativer Umsetzung. Als Symbol für die Traumatisierung durch den Krieg und die Spirale der Gewalt muss hier ein Virus herhalten, das die Infizierten mal mehr, mal weniger schnell zombieartig neue Opfer suchen und attackieren lässt. Das ist relativ leicht zu erkennen, krankt jedoch an seiner unbefriedigenden, plumpen Konstruktion. Hintergrundinformationen zum Virus bekommt man keine, obwohl sich beispielsweise – möchte man bei einem Krankheitserreger als Ursache für den Kannibalismus bleiben – eine eigens für den Kampf konzipierte biologische Waffe als Erklärung angeboten hätte. Herausfordernder für Margheriti und Drehbuchautor Dardano Sacchetti wäre gewesen, auf eine profane biologische Ursache ganz zu verzichten und ausschließlich auf psychologische Abgründe zu setzen. In dieser Form jedenfalls wirken die Erklärungsversuche halbherzig und aufgesetzt. Das möchte ich jedoch fast als einziges wirkliches Manko des Films bezeichnen, der verglichen mit anderen Werken Margheritis so gut wie keine Längen aufzuweisen hat, über eine böse, schmutzige Atmosphäre, zwar nicht immer 100%ig passend eingesetzte, nichtsdestotrotz tolle Musik und eine eindrucksvolle visuelle Umsetzung mit einer recht aktiven, oftmals leicht von unten filmenden Kamera verfügt – ganz zu schweigen vom immer gern gesehenen US-Schauspieler John Saxon, der eine tolle Leistung als zwischen bürgerlicher Zivilisation mit unterdrücktem Kannibalismus-Trieb und wahnsinnigem Untergrund-Kampf an der Seite mehrerer Soziopathen hin- und hergerissener Veteran mit Führungspersönlichkeit abliefert. Mit Giovanni Lombardo Radice hat man zudem eines der charismatischsten Gesichter des Italo-Kinos zu bieten. Meines Erachtens einer der besten Filme Margheritis, der von seinem dreckigen Charme bis heute nichts eingebüßt hat.
Das schrieb ich damals und halte diese Meinung inkl. der Kritkpunkte, jedoch gewann der Film für mich im Kino - weshalb ich von 7 auf 8/10 erhöhe!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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