Tödliche Entscheidung - Before the Devil Knows You're Dead - Sidney Lumet (2007)

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Tödliche Entscheidung - Before the Devil Knows You're Dead - Sidney Lumet (2007)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Before the Devil Knows You're Dead

Herstellungsland: USA / 2007

Regie: Sidney Lumet

Darsteller(innen): Ethan Hawke, Philip Seymour Hoffman, Albert Finney, Marisa Tomei, Rosemary Harris, Aleksa Palladino, Brían F. O'Byrne, Amy Ryan, Sakina Jaffrey, Arija Bareikis, Adrian Martinez, Leonardo Cimino, Meredith Patterson, Lee Wilkof, Jordan Gelber, Sarah Livingston, Edwin Freeman u. A.
Der gut verdienende Unternehmensberater Andy (Philip Seymour Hoffman) überredet seinen erfolglosen Bruder Hank (Ethan Hawke), der Probleme hat die Alimente für seine Ex-Frau und die gemeinsame Tochter zu bezahlen, zu einem scheinbar risikofreien gemeinsamen Überfall. Sein Ziel ist das Juweliergeschäft ihrer Eltern. Nach anfänglichem Zögern ist Hank überzeugt, heuert aber noch einen Dritten an. Doch der Überfall geht schief, es kommt zur Schießerei, bei der sowohl der Mittäter als auch die Mutter der beiden Brüder zu Tode kommen. Für die vorher schon verzweifelten Brüder gerät das Leben nun völlig aus den Fugen, ihre finanziellen Probleme haben sich nicht gelöst und zusätzlich haben sie den Tod der eigenen Mutter zu verantworten. Doch die Gewaltspirale ist noch längst nicht gestoppt denn die Angehörigen des toten Mittäters erpressen nun Hank und Andy hat immer größere Probleme seinen teueren Lebensstandard inklusive heimlicher Drogensucht zu finanzieren. Außerdem sinnt der Vater des Bruderpaares, Charles Hanson (Albert Finney) auf Rache für seinen Verlust, der ihn ausgerechnet an seinem Geburtstag ereilte…
Quelle: www.ofdb.de

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tödliche Entscheidung - Before the Devil Knows You're Dead - Sidney Lumet (2007)

Beitrag von buxtebrawler »

„Du hast nichts als Scheiße!“

Sidney Lumet, US-Regisseur und New-York-Film-Experte, der uns Filme wie „Die 12 Geschworenen“, „Serpico“, „Hundstage“ und „Network“ schenkte, trat im stolzen Alter von 83 Jahren mit dem im Jahre 2007 veröffentlichten, grimmigen Indie-Spätwerk „Tödliche Entscheidung – Before the Devil Knows You're Dead“ ab, einem beachtlichen Thriller-Familienmelodram nach dem Drehbuch der Debütantin Kelly Masterson.

„Es ist Moms und Dads Laden.“

Andy Hanson (Philip Seymour Hoffman, „Roter Drache“) verdient als Wirtschaftsprüfer ein stattliches Einkommen, das ihm einen luxuriösen Lebenswandel in Manhattan ermöglicht. Dennoch befindet er sich ständig in finanziellen Nöten, da er Glückspiel- und Heroin-abhängig ist. Zudem läuft es in seiner kinderlosen Ehe mit seiner attraktiven Frau Gina (Marisa Tomei, „Die Wutprobe“) nicht mehr so recht und von seinem Vater hat er nie wirkliche Liebe empfunden. Als seinem eigenen Unternehmen eine Wirtschaftsprüfung bevorsteht, durch die seine Unterschlagungen aufzufliegen drohen, entwickelt er den Plan, das Juweliergeschäft seiner Eltern Charles (Albert Finney, „Erin Brockovich – Eine wahre Geschichte“) und Nanette (Rosemary Harris, „Spider-Man“) in der Vorstadt zu überfallen. Diese arbeiten dort nicht mehr selbst, die Verkäuferin im Seniorinnenalter dürfte keine Probleme machen, die Versicherung würde den Verlust kompensieren und mit der Beute könnte er sich mit Gina nach Rio absetzen. Durchführen soll den Überfall sein jüngerer Bruder Hank (Ethan Hawke, „Voll das Leben – Reality Bites“), ein Verlierer, der von seiner Frau geschieden lebt und Probleme hat, den Unterhalt für die gemeinsame Tochter aufzubringen. Andy jedoch will nicht selbst zur Tat schreiten, sondern beauftragt den Kleinganoven Bobby (Brian F. O'Byrne, „Bug“). Das Unheil nimmt seinen Lauf, als überraschenderweise doch die Mutter der Brüder im Laden steht und sich als äußerst wehrhaft erweist. Sie erschießt Bobby, wird aber auch selbst von einer Kugel getroffen, woraufhin sie im Koma liegt. Ihr Mann – der Vater der Brüder – setzt alles daran, herauszufinden, wer für die Tat verantwortlich ist, und ihn oder sie zur Rechenschaft zu ziehen…

„Ganz simpel, du Gimpel!“

Lumet beginnt seinen Film mit einer relativ freizügigen Sexszene zwischen Gina und Andy und erzählt ihn im weiteren Verlauf antichronologisch und multiperspektivisch. Wir sehen den missglückten Raubüberfall und erfahren erst im Nachhinein, wie es dazu kam, wer die verschiedenen Figuren sind, in welchem Verhältnis sie jeweils zueinanderstehen – und warum sie sind, wie sie sind.

„Diese Sache ist unsere Zukunft!“

Lumet arbeitet mit Rückblenden und Vorausgriffen und wechselt in den einzelnen Sequenzen die jeweilige Hauptfigur. Kurz vorm Überfall geht es noch leicht komödiantisch zu, anschließend zeigt man uns jedoch Charles‘ tiefe Trauer um seine Frau. Die Zeitsprünge finden in hoher Frequenz statt, bleiben, eine Mindestkonzentration vorausgesetzt, aber immer nachvollziehbar. Dadurch wirkt der Film angesichts des Alters seines Regisseurs überraschend modern, jedoch – und das unterschied Lumet von manch jüngeren Kollegen – nie selbstzweckhaft. Kameraperspektiven, (Un-)Schärfen und Ausleuchtungen verwendet Lumet auf ungewöhnliche, zum frei von klassischen Sympathieträgern zusammengestellten Ensemble gebrochener und aggressiver Figuren aber passende Weise, worin sich seine Erfahrung widerspiegelt.

Auf der Handlungsebene rollt der Film bisher unausgesprochen gewesene Vater-Sohn-Konflikte auf und inszeniert die dysfunktionale Familie als Ursprung des Schreckens. So viel Wahres, hier zwecks Veranschaulichung Übertriebenes da auch drinsteckt, mir wird’s mit der Zeit etwas zu schwer, rührselig und melodramatisch – auch durch mehrere unvorhergesehene Wendungen, die die Abwärtsspirale beschleunigen. Doch gerade als der Film sein Tempo und seinen Thriller-Anteil zu verlieren droht, geht’s wieder rund, was die Figuren aber nur weiter in eine einzige Abwärtsspirale und Aneinanderreihung von Verzweiflungstaten stößt. Am Schluss ist alles eine Riesentragödie, wenn auch in Bezug auf Hank das Ende offenbleibt.

Verglichen mit anderen in New York spielenden Geschichten ist die Stadt hier so austauschbar wie die Geschichte universell ist. Es geht weniger um urbane Phänomene als um scheiternde Lebensentwürfe, fehlenden familiären Rückhalt sowie die Unfähigkeit, miteinander zu kommunizieren und positive Emotionen zu entwickeln, die einem durch den Alltag helfen und zu ausreichend Selbstvertrauen verhelfen würden, Statussymbolen, der Betäubung durch Drogen und negativen Verführungen zu widerstehen.

All das gibt es in der Realität natürlich zigfach, ohne dass es derart eskalative und tragische Folgen ungeheuren Ausmaßes hätte. Aus diesen Zuspitzungen bezieht „Tödliche Entscheidung” seinen Reiz, seinen Unterhaltungsfaktor und sein Verstörungspotenzial. Er trägt dick auf, manchmal zu dick, vermeidet dabei aber manche Konvention klassischen Erzählkinos. Dazu gibt’s dramatische Klaviermusik für die Ohren, Nacktszenen und eine sexy Marisa Tomei für die Augen. Bestimmt nicht mein Lieblingsfilm Lumets, aber ein beeindruckendes Alterswerk und gelungener Schlusspunkt einer langen Karriere.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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