Winchester ‘73
Winchester ‘73
USA 1950
Regie: Anthony Mann
James Stewart, Shelley Winters, Dan Duryea, Stephen McNally, Millard Mitchell, Charles Drake, John McIntire, Will Geer, Jay C. Flippen, Rock Hudson, Robert Anderson, John Alexander, Steve Brodie, James Millican, Abner Biberman, Tony Curtis, James Best

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OFDB
Ein Mann auf der Suche nach etwas, das er selber nicht so genau definieren kann. Eigentlich jagt Lin McAdam den Mörder seines Vaters, und als er ihn gefunden hat duelliert er sich mit ihm. Ein Klischee über das Ende eines Westerns? Nein, denn das Duell findet statt in Form eines Wettschießens bei einem Wettbewerb, und ist tatsächlich Beginn wie auch Ende des Films. McAdam gewinnt das eröffnende Schießen, und der Preis ist die legendäre Winchester aus dem Jahr 1873, eine von Tausend, wie es immer heißt – Eine Waffe, für deren Herstellung die Firma Winchester ganz besonders viel Liebe und Sorgfalt aufbrachte. Jeder Mann erliegt sofort der Schönheit und der Ausstrahlung dieser Waffe, so wie es 100 Jahre später etwa ein Ford Mustang tun wird. Die Winchester ist also letzten Endes nichts anderes als ein MacGuffin; ein Requisit, das die Handlung eines Films in Gang setzt. Denn so stolz McAdam auf die Waffe auch sein mag, die Rache an dem Mörder ist wichtiger, was dazu führt, dass dieser ihm die Waffe stehlen kann. Nun jagt McAdam also nicht nur besagten Mörder, sondern auch sein frisch gewonnenes Gewehr. Die Jagd führt ihn quer durch Texas, quer durch verschiedene Handlungsstränge, und das wirklich bemerkenswerte an WINCHESTER ‘73 ist vor allem, dass James Stewart als McAdams strenggenommen nur eine Nebenrolle spielt. Die Hauptrolle, das sind die verschiedenen Episoden, die hier miteinander verknüpft werden und das idealisierte Bild einer Zeit vorspielen, die als grandios und heldenhaft in die Geschichtsbücher eingegangen ist, während die Bilder dieses Ideal gleichzeitig demontieren. McAdam stößt zu Soldaten und kämpft mit ihnen gegen Indianer. McAdam begegnet Banditen und muss gegen sie antreten. MacAdam reitet mit einem rauen Westmann, er trifft eine Saloonsängerin (Huren gab es 1950 noch nicht) und einen anständigen Wirt genauso wie pflichtbewusste Sheriffs und feige Möchtegern-Cowboys, und bestreitet am Ende dann doch das Showdown so, wie es die Gesetze des Wildwestfilms (zumindest damals noch) verlangen: Mann gegen Mann in der Wildnis, die Gefahren der Natur und der menschlichen Niedertracht im Verbund gegen den aufrechten Helden.
Doch findet der ach so heroische Kampf gegen die Indianer nicht Mann gegen Mann statt, die Banditen nehmen Frauen und Kinder als Geiseln, und die Soldaten sind halbe Kinder, unerfahren im Kampf und völlig überfordert, während der eigentliche Held der Geschichte an seinem Gewehr mehrere Mal ahnungslos vorbeireitet. So richtig glücklich, im Sinne einer klassischen Hollywood’schen Dramaturgie, wird hier niemand. Mit diesen narrativen Strukturen im Gepäck werden die Western der 50er-Jahre vorbereitet. Filme wie Manns DER MANN AUS DEM WESTEN oder Boettichers RANOWN-Zyklus, und eine heile Welt wird im Lauf der Jahre in schmutzige Scherben fallen, um einige Zeit später dann den Italo-Western zu gebären, und aus dem Schmutz und der Niederträchtigkeit eine eigene Kunstform zu generieren. Aber soweit sind wir hier noch nicht.
Noch sind wir bei etwas, was sich in der Inhaltsangabe zwar wie eine zelluloidgewordene Aneinanderreihung von Klischees klingt, im Film aber gerade durch die episodenhafte Struktur geschickt als spannendes Drama gelöst ist. So stereotyp viele der Figuren auch auf den ersten Blick sein mögen, und so schablonenhaft manche der erzählten Geschichten auf den ersten Blick wirken, so vielfältig ist die Narration aufgesetzt. Vor allem das hohe Tempo des Films lässt es nicht zu, sich Gedanken zu machen über den Weg des Lin McAdam, der wie ein Besessener nach einem Phantom jagt, und dafür bereit scheint seine zivilisatorische Tünche aufzugeben. Tatsächlich ist es wohl eher dem Entstehungszeitraum zu verdanken, dass Stewart hier noch nicht so misanthrop rüberkommt wie drei Jahre später in NACKTE GEWALT, wo er als Kopfgeldjäger jegliche Umgangsformen längst verlernt hat, und sich vorwiegend der konsequenten Anwendung von Gewalt widmet. Aber das ist hypothetisch, in WINCHESTER ’73 darf Stewart noch romantische Gefühle zeigen, und sein Zynismus und die abwehrende Behandlung anderer Menschen hält sich durchaus noch im Rahmen. Aber es ist deutlich zu spüren, dass dieser Mann auf dem Weg nach unten ist. In einer Zeit, in der das Faustrecht das geschriebene Recht oft überlagerte, ist der gewalttätige Weg des Lin McAdam kein ungewöhnlicher Weg. Sheriff Wyatt Earp zum Beispiel respektiert beim Wettschießen die Rache McAdams völlig problemlos, solange sie nicht in seinem Ort durchgeführt wird. Ein Mann muss tun was ein Mann tun muss, und das Recht auf Rache darf jederzeit vollendet werden. Wenn James Stewart als McAdam und Dan Duryea als soziopathisch-sympathischer Gesetzloser Waco Johnny Dean die Charaktere tauschen würden, dann würde sich der Zuschauer urplötzlich in einem späteren Italo-Western wiederfinden, wo die „Guten“ manches Mal fast rücksichtsloser agieren als die „Bösen“. Dan Duryea schaut gut aus, lächelt nett, und schießt Giftpfeile aus seinem Mund und Patronen aus seinem Colt in fast der gleichen Geschwindigkeit ab. Wenn der Mann Kinder gezeugt hätte, Richard Widmarks Tommy Judo aus DER TODESKUSS wäre einer seiner Nachkommen. Und als McAdam in der Kneipe Wacos Kopf auf den Tisch schlägt um Informationen über den Aufenthalt des Mörders zu bekommen, da ist tatsächlich eine Zeitenwende im Western zu sehen: Der „Held“, der einen Bösewicht in aller Öffentlichkeit und vor dem Auge der Kamera misshandelt um zum Ziel seiner eigenen Rache zu kommen – Ein großer Schritt auf dem Weg zu Django und Dirty Harry, und im Jahre 1950 dürfte dieser Moment im Kino für einen ernsthaften Schock gesorgt haben. Oder hatten die Noirs und Gangsterfilme der 40er, genauso wie die Erlebnisse des Krieges in der Realität, längst den Weg für solche Szenen bereitet? Der edle und hilfreiche Westmann hatte in diesem Augenblick jedenfalls ein für alle Mal ausgedient …
WINCHESTER ’73 ist ein wilder und schneller Ritt durch die Welt des Westerns, und er scheut auch nicht davor zurück, dunkle Untertöne anzustimmen, sich ein wenig in die Richtung eines Film Noir zu bewegen, ohne allerdings dessen psychologische Komplexität wirklich zu erreichen. Das muss er aber auch gar nicht, denn durch die Erzählstruktur ist der Film interessant und abwechslungsreich, durch sein hohes Tempo spannend, und die erstklassigen Schauspieler ergeben dann in Summe ein Bild eines großartigen Films, über den es sich lohnt nachzudenken, um seine Tiefen ausloten zu können. Auf der Oberfläche ein packender Western, darunter ein gut gemachtes Drama, und ganz unten die Charakterstudie eines Mannes auf dem Weg in die Hölle. Warum bitte schön habe ich mich so lange gegen die älteren US-amerikanischen Western gewehrt …?
8/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)