Der Nachtportier - Liliana Cavani (1974)

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Moderator: jogiwan

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FarfallaInsanguinata
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Re: Der Nachtportier - Liliana Cavani (1974)

Beitrag von FarfallaInsanguinata »

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auch als Bildplatte erschienen ! :wink:
Diktatur der Toleranz
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Maulwurf
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Re: Der Nachtportier - Liliana Cavani (1974)

Beitrag von Maulwurf »

 
Der Nachtportier
Il portiere di notte
Italien 1974
Regie: Liliana Cavani
Dirk Bogarde, Charlotte Rampling, Philippe Leroy, Gabriele Ferzetti, Giuseppe Addobbati, Isa Miranda, Nino Bignamini, Marino Masé, Amedeo Amodio, Piero Vida, Geoffrey Copleston, Manfred Freyberger, Ugo Cardea, Hilda Gunther, Nora Ricci, Piero Mazzinghi, Kai S. Seefeld


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Italo-Cinema (Gerald Kuklinski)

DER NACHTPORTIER ist einer dieser Filme, von denen man nur Gutes und Großes liest. Eine nachdrückliche Geschichte, eine bestechende Geschichte, großartige Schauspieler, so diese Dinge halt. Ein Klassiker im Filmkanon, der gleichermaßen die hochgestochenen Filmkritiker wie die niederen Genrefans anspricht. Im Kern geht es darum, dass eine Frau, die vor rund 15 Jahren in einem Konzentrationslager gefangen war und dort eine Liebes(?)affäre mit einem hohen SS-Offizier hatte, dass diese Frau jetzt, im Wien des Jahres 1957, diesen Offizier wiedertrifft und ihre Beziehung wieder auflebt. Beide verfallen einander mit Haut und Haaren, und ihre Liebe und ihr Begehren, das Hand in Hand geht mit dem Wunsch nach Schmerz, ist stärker als alles andere, und die vergangenen 15 Jahre wirken wie ausgelöscht. Was die ewiggestrigen Partner des Offiziers, der jetzt als Nachtportier in einem Hotel arbeitet, nicht gutheißen können, denn diese Frau ist eine Zeugin der Vergangenheit. Und Zeugen müssen eliminiert werden.

So weit, so schön. Ich gebe auch gerne zu, dass vor allem die Beziehung zwischen dem Offizier Max und der Frau Lucia in fiebrigen Tönen gemalt wird, dass sie den Zuschauer mit irritierend-hypnotischen Bildern und Aktionen in sich saugt und seine Sinne vernebelt. Auch die Handlung um die Gruppe Alt-Nazis, die sich unter Leitung des strengen Anwalts Klaus (wie immer alles überragend: Philippe Leroy) und des Kommandanten Hans (eher schwach dieses Mal: Gabriele Ferzetti) untereinander mit simulierten Prozessen quälen, um herauszufinden, ob ihre ach so ruhmreiche Vergangenheit irgendwann mal aufgerollt und sie mit Strafen belegt werden könnten, diese Handlung ist nicht unspannend und gut gemacht. Aber der Zusammenhang zwischen diesen beiden Handlungssträngen, der wirkt so dermaßen konstruiert und mühsam, dass es zumindest bei mir für ein gerüttelt Maß an Langeweile gereicht hat. Regisseurin Liliana Cavani zeichnet ein Bild eines Konzentrationslagers, in dem in einer grellen und industrialisierten Umgebung melancholisch der Kunst und der Erotik gefrönt wird, und wo Nazioffiziere ihr verderbtes Kunstempfinden rücksichtslos und jederzeit ausleben können. Da wird gefilmt, da wird Ballett getanzt, und die vermutlich zentrale Szene ist, wenn das jüdische(?) Mädchen Lucia, angetan mit SS-Schirmmütze, oben ohne und mit Hosenträgern, einen melancholischen alten Schlager singt, und dabei lasziv durch den Saal tänzelt. Diese Szene wird so zentral platziert, dass das dazugehörige Bild den Film seit mittlerweile 50 Jahren ikonisch begleitet, und ohne dieses Bild, Charlotte Rampling eben nackt mit Mütze und Hosenträgern, der Film kaum noch vorstellbar ist. Kennst Du den NACHTPORTIER? Das ist der Film mit der Rampling mit Mütze und Hosenträgern. Ah ja, der. Aber noch nicht gesehen …

Denn wirklich Sinn ergibt diese Szene nicht, wie auch so manches anderes in diesem Film kryptisch bleibt. Dass ein jüdisches(?) Mädchen sich in ihren Peiniger verliebt? Und nach 15 Jahren sich zwar noch einige Zeit zurückhalten kann, schockiert über das plötzliche Wiedersehen, aber nach ein paar saftigen Ohrfeigen und Schlägen erwacht auch ihre alte Liebe wieder und sie fällt ihm um den Hals. Ja klar, wenn Fred Olen Ray sowas gedreht hätte würde alle Sexismus schimpfen, aber wenn eine Frau das dreht ist das Feminismus, oder was?

Wahrscheinlich bin ich einfach nur zu unempfindlich für die feinen Abstufungen dieser künstlerisch hochsensiblen Studie, aber mich hat DER NACHTPORTIER kaum berührt. Ich mochte die Stimmung dieses längst untergegangenen Wiens, die Schauspieler waren wirklich großartig, und ich habe Lust bekommen, Zulawskis POSSESSION einmal zu sehen, den ich in seiner Beschreibung als wilde und hochgradig erotisierte Variante zu lesen meine (Keine Ahnung ob das so ist, man möge mir mein gesundes Halbwissen verzeihen …). Aber DER NACHTPORTIER hat mich tatsächlich nicht abgeholt, und an den allermeisten Stellen ratlos, nein richtiger: desinteressiert zurückgelassen.

5/10
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sid.vicious
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Re: Der Nachtportier - Liliana Cavani (1974)

Beitrag von sid.vicious »

Maulwurf hat geschrieben: So 28. Mai 2023, 06:20  
Da wird gefilmt, da wird Ballett getanzt, und die vermutlich zentrale Szene ist, wenn das jüdische(?) Mädchen Lucia, angetan mit SS-Schirmmütze, oben ohne und mit Hosenträgern, einen melancholischen alten Schlager singt, und dabei lasziv durch den Saal tänzelt. Diese Szene wird so zentral platziert, dass das dazugehörige Bild den Film seit mittlerweile 50 Jahren ikonisch begleitet, und ohne dieses Bild, Charlotte Rampling eben nackt mit Mütze und Hosenträgern, der Film kaum noch vorstellbar ist. Kennst Du den NACHTPORTIER? Das ist der Film mit der Rampling mit Mütze und Hosenträgern. Ah ja, der. Aber noch nicht gesehen …
Ja, der Film wird vornehmlich mit dieser Szene verbunden. In rechtsoffenen Kreisen erfreut sich d(ies)er Tanz (der Salome) großer Beliebtheit.

Schade, dass DER NACHTPORTIER bei Dir nicht zünden konnte. Das konnte der Film bei meiner Erstsichtung, Anfang der 1990er, ebenfalls nicht. Die viele Jahre später erfolgte Zweitsichtung schlug bei mir allerdings ein, wie die oft zitierte Bombe.

Lucia ist definitiv nicht jüdischer Herkunft! Ich meine, dass Stigl den Grund der Inhaftierung irgendwo (bestimmt im SadicoNazista-Buch und vermutlich auch in einem Video-Essay?) erläutert.

Ich habe eine paar alte Aufzeichnung gefunden, die ich beim Nachforschen (Wer wurde in die Konzentrationslager deportiert?) in der Stadtbücherei entdeckte. Leider habe ich dereinst keine Notiz zur Buchquelle hinterlassen:

Im September 1937 konnte sich – trotz Pressezensur – eine große deutsche Zeitung eine Glosse über die ungeklärte Frage leisten, wer denn eigentlich „asozial“ sei. Die Frage war berechtigt. Noch Mitte 1942, als schon bald zwei Drittel der nichtjüdischen Deutschen, in den KZ mit dem schwarzen Asozialen-Winkel markiert waren, suchte die Parteikanzlei vertraulich zu klären. „Wer sind die Asozialen?“ Irgendwann wurde nicht mehr gefragt.
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Maulwurf
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Re: Der Nachtportier - Liliana Cavani (1974)

Beitrag von Maulwurf »

Ich weiss dass Du den Film sehr magst, und hatte schon bei der Sichtung viel an Dich gedacht. Aber wahrscheinlich hat der mich, wie so oft tatsächlich "nur" auf dem falschen Fuß erwischt ...
sid.vicious hat geschrieben: So 28. Mai 2023, 12:30 Ich habe eine paar alte Aufzeichnung gefunden, die ich beim Nachforschen (Wer wurde in die Konzentrationslager deportiert?) in der Stadtbücherei entdeckte. Leider habe ich dereinst keine Notiz zur Buchquelle hinterlassen:

Im September 1937 konnte sich – trotz Pressezensur – eine große deutsche Zeitung eine Glosse über die ungeklärte Frage leisten, wer denn eigentlich „asozial“ sei. Die Frage war berechtigt. Noch Mitte 1942, als schon bald zwei Drittel der nichtjüdischen Deutschen, in den KZ mit dem schwarzen Asozialen-Winkel markiert waren, suchte die Parteikanzlei vertraulich zu klären. „Wer sind die Asozialen?“ Irgendwann wurde nicht mehr gefragt.
Gerade das Buch Le petit mort von Jörn Ranisch gelesen, die Autobiographie eines Gothics. Ich zitiere:
hat geschrieben:Den krassesten Höhepunkt, jedenfalls in der Verfolgung Anderslebender, haben die Nazis erreicht. Sie hatten nicht nur Juden oder Kommunisten, Sozialdemokraten, oppositionelle Christen oder Homosexuelle in KZs ermordet, es gab auch Menschen, die unter dem sogrnannten schwarzen Winkel n den Lagern bis zum Tode gequält wurden. Ihre Mordmaschine war durchorganisiert. Menschen wurden nicht nur einfach so liquidiert, man hat sie vorher "schön" nach farbigen Zeichen sortiert, um alles fein säuberlich aufschreiben zu können. Gelb für die Juden, Rot natürlich für Kommunisten, da war klar, dass Rosa an die Schwulen ging, und so genannten Asozialen wurde eben ein schwarzer Winkel an die Häftlingsuniform genäht. - Wer die eigentlich Asozialen waren und sind, steht außer Frage!
[..] Nur die mit dem schwarzen Winkel, um die schert sich niemand, Menschen ohne festen Wohnsitz, haben keine Lobby, auch Straßenmusikanten, Prostituierte, Spieler, entartete Künstler oder von zu Hause entflohene Kids sind ohne gesellschaftliche Achtung auf sich alleine gestellt. Am Ende sagt der Bürger dann, die wären doch selbst schuld, wer nicht arbeiten will, gehört ins Arbeitslager ... so einfach ist das, auch heute noch.
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sid.vicious
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Re: Der Nachtportier - Liliana Cavani (1974)

Beitrag von sid.vicious »

"Am Ende sagt der Bürger dann, die wären doch selbst schuld, wer nicht arbeiten will, gehört ins Arbeitslager ... so einfach ist das, auch heute noch."

Ein Klassiker. Tatsächlich auch heute noch sehr beliebt. Vornehmlich bei den Nacheiferern der Wirtschaftswunder-Faschisten. Häufiges Zitat: Ich bin kein Nazi...- aber: Wenn es nach mir ginge, dann...
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karlAbundzu
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Re: Der Nachtportier - Liliana Cavani (1974)

Beitrag von karlAbundzu »

Eine melancholische Liebesgeschichte, eine Liebe gegen jede Chance.
Für mich tatsächlich eine Erstsichtung, war lange unsicher, da ich Szenen, in denen jemand durch Macht und Gewalt gezwungen wird, und es sich dann zu Verlangen beim Opfer selbst wandelt, kaum noch ertragen kann.
Hier wird aber die Liebesgeschichte so anders erzählt, differenziert, mit wechselnden Machtverhältnissen, überhaupt nicht exploitativ in den Sexszenen, auch wunderbar gespielt von Rampling und Bogarde, daß ich mit ging. Auch schön die Entwicklung: erst nach abwechselnden bestimmenden Rollen der beiden im Leben und vor allem beim Sex mit meist unzufriedenem Ende kommt es zum schönsten Erlebnis bei der Erfahrung auf Augenhöhe, und konsequent danach zu Freiheit und Tod.
Gespiegelt wird dies, bzw. es spiegelt die ehemalige SS Szenerie, die aus unterschiedlichsten Gründen ihre Vergangenheit auslöschen wollen, vom weiteren Glauben der eigenen Überlegenheit bis zur Sicherung der Rente. Da hat Cavani wahrscheinlich Erkenntnisse aus ihren Dokus für die RAI zum Faschismus einfließen lassen.
Und auch diese sind emotional unterschiedlich gefärbt, sogar leicht versteckter Humor, zB das Gesicht Bogardes, als seine Nazischergen seinen Hitlergruß missverstanden.
Und Wien wird auch schön inszeniert, da hätte ich mal ein Vergleich vor Ort machen sollen.
Zur Tanzszene nur kurz so viel, da ich sie gar nicht so raus gestellt fand. Das Lied ist nicht nur vom Text her interessant, da aber klar und oberflächlich, sondern vielleicht auch durch die Biographie der Leute dahinter: Komposition Burt Bacharach , Text Friedrich Holländer, erste Interpretin Marlene Dietrich.
Also insgesamt ein durchweg gelungener Film, bei dem ich tatsächlich andere Erwartungen hatte.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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