Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

The bloodsucker leads the dance (Alfredo Rizzo, 1975) 4/10

Lord Marnac lädt eine Gruppe Schauspieler auf sein, auf einer Insel gelegenes, Schloss ein. Die eine Schauspielerin, Evelyn, sieht seiner verschwundenen Frau ausgesprochen ähnlich, und da er von der Sohle bis zum Scheitel ein Gentleman ist, dürfen alle ihre Freundinnen sowie das Faktotum der Truppe ebenfalls mit. Zuerst vergnügt man sich, sehr zum Missfallen des reaktionären Personals, ein wenig, Mädels mit Jungens, Mädels mit Mädels, doch eines Morgens wird plötzlich der Kopf der nymphomanen Cora gefunden. Und dies war beileibe nicht der letzte Mord. Hat der Fluch der Marnacs wieder zugeschlagen, der immer die Frauen der männlichen Nachkommen als Opfer fordert? Ist der unheimliche Hausdiener Gregory vielleicht genau das Monster, für den ihn alle halten? Oder lebt am Ende der Butler Jeffrey seine puritanischen Rachegefühle aus? Fakt ist: Ein Mörder geht um, Frauen verlieren ihre Köpfe, und die Insel ist durch einen Sturm von der Außenwelt abgeschnitten …

Bild Bild

Fakt ist auch, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, wie ich diesen Film einordnen soll. Ein Softcore-Streifen ohne Erotik? Ein Krimi ohne Spannung? Ein Grusler ohne Grusel? Was zur Frage führt: Was hat dieser Film denn überhaupt?

BLOODSUCKER schafft es, nicht nur an jeglicher Erwartungshaltung fröhlich vorbeizuschrammen, sondern er weigert sich auch noch, diese dadurch entstandene Leere mit irgendwas zu füllen. Theoretisch könnte man, so wie Roberto Curti, den Film als Giallo ansehen. Allerdings finden alle Morde im Off statt, und die Eleganz eines italienischen Krimis selbst der Mitt-70er geht ihm vollkommen ab. Spannend ist in dem Zusammenhang, dass der Kommissar erstens auftaucht wie das Teufelchen aus der Kiste, zweitens Fragen stellt die nahe legen, dass er sich schon mindestens wochenlang mit dem mysteriösen Fall beschäftigt hat, und drittens so genau weiß wie er den Mörder entlarven kann, als ob er das Drehbuch gelesen hätte. Diese ganze Agatha Christie-artige Schlussentlarvung wirkt allerdings ziemlich deplatziert. Zu dem Rest Film irgendwie nicht ganz zugehörig …? Der weitaus größere Teil von BLOODSUCKER ist halt in erster Linie Ringelpiez mit Anfassen auf und um eine Burg herum, jede Menge Gespräche, und die paar herumliegenden Leichen sorgen zwar für stiere Blicke, fallen aber nicht wirklich ins Gewicht. Doch urplötzlich steht der Kommissar da, stellt Fragen und sucht einen Mörder? Der Fairness halber muss ich zugegeben, dass trotz des überschaubaren Casts eine gewisse Grundüberraschung bei der Mörderwahl durchaus gegeben ist, auch wenn das ganze in Bezug auf die Glaubwürdigkeit ein wenig an Cluedo erinnert: Wer ist der Mörder des Tages?

Man könnte das Teil auch als Gruselfilm ansehen. In dem Fall allerdings fehlen die meisten klassischen Gruselzutaten, und die Kombination aus Gewitter, Schloss und toter Frau reicht noch nicht so ganz. Fußspuren? Christlich-eifernder Butler? Nee, langt immer noch nicht. Ein armer Teufel, der durch den Regen schlurchen muss, und der als Unhold zu dienen hat alleine deswegen, weil ihn alle so bezeichnen? Könnte helfen, aber da hätte es durchaus etwas mehr Anstrengung in Bezug auf Stimmung und Narration gebraucht. Nein, Grusler ist das beim besten Willen keiner!

Aber vielleicht geht BLOODSUCKER als Erotikstreifen durch? Patrizia Webley, Femi Benussi, Krista Nell – Da kommt doch einiges an Kompetenz in Bezug auf die Darstellung nackter Tatsachen zusammen. Patrizia Webley, die mit diesem Film ihre Karriere so ziemlich begann, ist noch nicht so zeigefreudig wie später in Krachern wie MALABIMBA – KOMM UND MACH’S MIT MIR oder PLAY MOTEL. Jenseits der kurzen Oben ohne-Szenen gibt es nur noch die HC-Inserts der französischen Version, und das war’s. MALABIMBA geht da zum Beispiel erheblich deftiger zur Sache. Femi Benussi ist fast den gesamten Film über hochgeschlossen gekleidet, bis auf eine kurze Vergewaltigungsszene mit Luciano Pigozzi (Schauspielerinnen haben es wahrlich nicht immer leicht), und Krista Nell, die mit diesem Film ihre Karriere beendete und kurz nach den Dreharbeiten an Leukämie starb, steuert die Erotik in erster Linie über den Ausschnitt ihres Kleides und ihre tolle Ausstrahlung. Beides zugegeben verdammt sexy!

Bild Bild

Trotzdem, dreimal der Versuch den Film einzuordnen, dreimal daneben gegriffen. Vielleicht könnte man sich auf Erotik-Krimi einigen? Nun ja, jenseits von BASIC INSTINCT gibt es eine ungeheure Menge Filme, die diese Bezeichnung auch wirklich verdienen. BLOODSUCKER gehört definitiv nicht dazu. Was ja nicht weiter tragisch wäre, wenn BLOODSUCKER denn wenigstens aufregend wäre. Oder, wie der Titel suggeriert, etwas mit Vampiren zu tun hätte. “Der Blutsauger führt den Tanz an“, was hätte ein Sergio Bergonzelli aus diesem Titel alles herausholen können … Aber auch hier Fehlanzeige: Die Handlung ist eine klassische Krimihandlung ohne besondere Fisimatenten, und die Inszenierung ist ausgesprochen langweilig. Alfredo Rizzo mag ich als Schauspieler sehr gerne - Er gab irgendwie immer so den Knuffel vom Dienst, wie zum Beispiel den Manager der Bauchtanztruppe in DAS UNGEHEUER AUF SCHLOSS BANTRY, und wirkte in diesen Rollen sehr sympathisch. Aber als Regisseur scheint er nicht die Wucht gewesen zu sein. Vier Filme listet die OFDB von ihm, CARNALITÀ von 1974 habe ich mir mal organisiert, und werde zu gegebener Zeit Bericht erstatten.

A propos UNGEHEUER AUF SCHLOSS BANTRY: Welch hübscher Vergleich, geht es doch in beiden Filmen darum, dass eine Gruppe von (leichtlebigen) Künstlerinnen auf einem Schloss einkehrt und dort ihrer Nemesis begegnet. Renato Polsellis DIE GELIEBTE DES VAMPIRS geht auch so in diese Richtung. Aber während die beiden alten Schwarzweiß-Schinken mit Stimmung und Atmosphäre punkten, mit richtigen Charakteren und einer spannenden und abwechslungsreichen Handlung, ist bei BLOODSUCKER, man ahnt es wahrscheinlich bereits, nichts. Gedreht wurde unter anderem auf Schloss Balsorano, aber aus dieser tollen Location wurde sehr wenig herausgeholt. Die Szenen sind oft viel zu hell ausgeleuchtet, die Settings nicht aufeinander abgestimmt, die im Hintergrund trällernde Musik weist alles, was jemals in den 80ern in Pornos lief, auf die Ränge, und erzeugt insgesamt eine nüchtern-lustlose Stimmung, ähnlich wie in Bruno Gaburros DAS GASTHAUS ZUR WOLLUST. Wenn ich da an den bereits genannten MALABIMBA denke, oder an SEXORGIEN IM SATANSSCHLOSS, da geht mir doch das Herz in der Hose auf. Hier hingegen … Nun ja, die Worte spröde oder blutarm dürften es recht gut reffen.

Bild

Ein Wort noch zu den vorhandenen Fassungen: Bei der Erstveröffentlichung 1975 in Italien wurden die freizügigen Szenen beanstandet, insbesondere die Lesbelei zwischen Caterina Chiani und Lidia Olizzi, sowie die Liebesszene zwischen Evelyn und Lord Marnac. Ob die Szenen daraufhin entfernt wurden entzieht sich meiner Kenntnis, in der französischen Erstaufführung 1977 waren sie aber auf jeden Fall dabei. Zusätzlich wurden dort noch HC-Inserts dazugepackt, die so aussehen, wie HC-Inserts der damaligen Zeit halt so aussahen: Haarig, großformatig, weitenteils unerotisch. Ein wenig mehr Mühe als bei so manch anderem Flick war wohl sichtlich dabei, aber nicht wirklich viel. Die Laufzeit dieser Inserts beträgt so ungefähr 8 bis 9 Minuten, was dann zu einer in Fan-Kreisen kursierenden “Integralfassung“ von 94 Minuten führt. Die offiziell erhältliche DVD hat 89 Minuten inklusive einer Einführung, dürfte also die Version ohne HC-Anteil sein.
Zuletzt geändert von Maulwurf am So 8. Nov 2020, 06:59, insgesamt 1-mal geändert.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Black Magic Rites: The Reincarnation of Isabel (Renato Polselli, 1973) 6/10

Joseph Roth und Franz Kafka haben es vorgemacht, und ich nehme mir dieses Recht jetzt auch heraus: Der folgende Text wird ein Fragment bleiben! Zu überwältigend und verwirrend die Eindrücke, zu schwer zu beschreiben die Empfindungen bei der Sichtung, und diese liegt dann auch noch mehrere Monate zurück. Was bei einem 08/15-Film von der Stange noch funktionieren würde, nämlich eine längst vergangene Sichtung zu beschreiben, kann bei einem Film von Renato Polselli nicht funktionieren. Und bei BLACK MAGIC RITES schon gleich zweimal nicht …
Im Folgenden also dasjenige, was mir direkt nach dem Filmerlebnis durch den Kopf gegangen ist. Wie gesagt, der Text ist nicht zu Ende gebracht worden, und ob er das jemals wird steht in den Sternen. Aber wer den Film noch nicht kennt kann nach der Lektüre vielleicht verstehen, woran ich letzten Endes gescheitert bin. Und wer ihn schon kennt bekommt hoffentlich Lust, sich dieses unfassbare Spektakel mal wieder anzutun …

-----------------------------------------

Jack Nelson kauft sich die Hälfte eines alten Schlosses, und feiert den Erwerb der Immobilie praktischerweise gleichzeitig mit der Verlobung seiner Bekannten Laureen mit Richard Brenton. Jack weiß aber nicht, dass vor 500 Jahren auf diesem Schloss die angebliche Hexe Isabel verbrannt wurde, und dass jetzt die Zeit gekommen ist, mittels Blutopfern die Wiederauferstehung Isabels einzuleiten. Denn Lauren ist die Reinkarnation der Hexe Isabel, und Jack war in diesem früheren Leben ihr Liebhaber. Jeder der heutigen Gäste auf dem Schloss hat auch vor 500 Jahren bereits eine Rolle gespielt, und in einer Person kommen sie alle zusammen: In dem Besitzer der anderen Schlosshälfte, einem Okkultisten, der seit Jahren das Grab von Jack Nelson sucht.


Bild Bild


Es ist schwer zu verstehen. Bekanntes und Unbekanntes liegen nah bei einander.

Drogenrausch. Brennende Kreuze. Eine Hexe, der das Herz entnommen wurde. Goldfischgläser, in denen sich nackte, angekettete Frauen spiegeln. Endloses Starren in den leeren Raum. Der schnellste Monolog der Filmgeschichte (nämlich wenn Stefania Fassio sich dafür rechtfertigt, die Treppe hinuntergefallen zu sein, indem sie unserklärtdassdaseinMonsterwarmitgrünenAugenweiljaalleMonstergrüneAugenhabenundeskamvonhintenundsiekonntesichnichtwehren …). Ein Okkultist mit einem etwas heruntergekommenen Schiffsmodell auf dem Schreibtisch. Die drei Supermänner in ihren roten Strampelanzügen, die flüssige Götterspeise mit Waldmeistergeschmack in aufgerissene Frauenschlunde schütten. Psychedelische Rockmusik der härteren Gangart. Ein Grab aus vertrockneten Holzästen.

Filme von Renato Polselli sind ja bekanntlich immer etwas anders. Weder ist DAS GRAUEN KOMMT NACHTS ein Giallo wie man ihn sich vorstellt, noch ist LUST ein Erotikstreifen klassischer Provenienz. BLACK MAGIC RITES läuft offiziell als Horrorfilm – ein Hoch auf das Schubladisieren, dem unsere Erwartungshaltungen entspringen und uns dann so oft enttäuschen.

Denn auch BLACK MAGIC RITES ist anders. Grundlegend anders. Zwar geht es schon irgendwo um die Wiederauferweckung einer toten Hexe und ihrer Rache, durchgeführt von ein paar Satansjüngern in den Kostümen der drei Supermänner. Aber das ist nur der vordergründige Teil des Films, der oberflächliche Part, der unter dem Begriff Horror das Publikum anlocken soll.

Der restliche Teil des Films, also alles, was unter dem Begriff “filmisch“ zusammenfasst: Schnitt, Musik, Schauspieler, Drehbuch, Kamera, all diese Dinge sind beileibe nicht filmisch, sondern hochgradig psychedelisch! Schauen wir da doch mal im Einzelnen drüber (was ja eigentlich Quatsch ist, weil Polselli-Filme eigentlich immer in ihrer Gesamtheit betrachtet werden sollten):

Der Schnitt ist oft schnell und zuweilen auch interessant. Soll heißen, dass die Reihenfolge der schauspielerischen Aktionen nicht immer korreliert mit dem, was uns der Schnitt eigentlich zeigen möchte. Tag. Nacht. Innen. Tag. Außen. Nacht … Ihr wisst was ich meine. Und das soll heißen, dass vor allem gegen Ende die Bettszenen mit Stefania Fassio, der blonden unbekannten Darstellerin und dem ebenfalls unbekannten Pinscher sowas von deplatziert hineingeschnitten wurden, dass der Verdacht nahe liegt, dass hier eine andere Fassung vorliegt. In seiner Recherche zum LUSTHAUS DER TEUFLISCHEN BEGIERDEN belegt Richie Pistilli ja bereits das Vorhandensein mehrerer, komplett unterschiedlich geschnittener und inhaltlich gravierend anderer Fassungen. Wie gesagt, diese Bettszenen haben mit dem eigentlichen Film eigentlich nichts zu tun. Darauf deutet auch die verwandte Musik hin, die eher an Slapstick-Komödien erinnert.

Überhaupt die Musik. Beginnt der Film noch spannend, mit einer musikalischen Hommage an Der FLUCH DER SCHWARZEN SCHWESTERN (nämlich Trommeln), über denen dann ein Chor wertvolles Wissen spricht: “Gestern wie heute, heute wie gestern. Alles ist dasselbe! Warum?“ Irgendwann allerdings hat es sich dann mit dem Chor, es kommt eine Bontempi-Orgel zum Einsatz, genauso wie das bereits erwähnte Slapstick-Orchester, und dann Peng Knall Bumm Psychedelic Rock der härteren Gangart! Einfach mal eben so. Ich habe jetzt bestimmt was vergessen, aber das macht nichts, ich kann den Film ja jederzeit wieder rauchen …

Die Schauspieler. Oder so. Ich meine, wir sind uns alle einige, dass Mickey Hargitay sicher ein sympathischer Kerl, aber als Schauspieler nicht unbedingt die oscarreife Nummer 1 war. Und jetzt kommt die Überraschung: Zusammen mi Rita Calderoni rockt er hier den Film wie nichts Gutes.

Mehr Worte hat es einfach nicht ...

Bild Bild

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

The Cold Light of Day (Mabrouk El Mechri, 2012) 3/10

Will besucht seine Eltern in Spanien, gemeinsam will man einen Segeltörn unternehmen. Als Will nach einem Landausflug zurück kommt auf das Boot ist niemand mehr da. Die Schränke durchwühlt, die Matratzen aufgeschlitzt, alle Menschen verschwunden. Die Polizei geht auf Will direkt los und scheint ihn in einem Waldstück offensichtlich liquidieren zu wollen, da taucht Wills Vater Martin wieder auf und rettet ihn. Es zeigt sich, dass Martin für die CIA arbeitet, und in deren Auftrag einen Aktenkoffer organisiert hat, den die Gegenseite wieder zurückhaben will. Und zwar mit allen Mitteln! Die CIA wiederum, in Gestalt der eiskalten Jean Carrack, weigert sich den Koffer zurückzugeben und lässt Martin erschießen. Nun geht die Jagd auf Will los: Die einen Bösewichter geben seine Familie wieder frei, wenn er in spätestens 20 Stunden den Aktenkoffer zurückgibt. Die anderen Bösewichter jagen ihn weil er der erfolgreichen Aktion im Weg steht. Und die Polizei jagt ihn wegen des Angriffs auf die Polizisten im Wäldchen. (Oder warum auch immer.) Ein Teufelskreis …

Bild Bild

Was an THE COLD LIGHT OF DAY zu allererst auffällt ist diese Atemlosigkeit. Nicht zu verwechseln mit Ausweglosigkeit! Eine schier ausweglose Situation kann man nämlich auch ohne Dauerfeuer aus allen Rohren darstellen. Nein, Atemlosigkeit. Nach einer kurzen Exposition fängt der junge und gutaussehende Held an zu rennen, und hört fast bis zum Ende nicht mehr auf. Es gibt keine Ruhepausen in diesem ununterbrochenen Beschuss, was wahrscheinlich auch ganz gut ist, denn so merkt man nicht, was für ein elendiger Scheiß dieser Film ist. Null Inhalt, Null Substanz, ein paar zugkräftige Schauspieler für das zahlende Publikum, und fertig ist das Massenprodukt vom Reißbrett. Die Musik klingt wie übelste Librarymusik, macht aber das was sie machen soll, nämlich Druck aufbauen auch in den Szenen, in denen außer kurzen Gesprächen nichts “passiert“, und einzig die Kameraführung hat einige ganz großartige Momente. Der abschließende Crash nach einer öden Verfolgungsjagd etwa ist inszenatorisch erstklassig gemacht, aber nur wegen eines Unfalls schaue ich mir keinen Film an. Die tollen Ideen, die Mabroul El Mechri in dem unkonventionellen und herrlich absurden JCVD entwickelt hat, fehlen hier jedenfalls samt und sonders. Ein deutliches Zeichen, dass bei der Produktion nicht der Regisseur das Sagen hatte, sondern der Produzent.

Bild

THE COLD LIGHT OF DAY ist schlicht und ergreifend leer, nichtssagend und langweilig. Ein 08/15-Actioner, der absolut nichts Neues an Bord hat. Und der selbst die alten Dinge einfach nur dumm und ideenlos aneinanderreiht. Für alle, die 60 Minuten Nonstop Verfolgungsjagden und Schießereien für eine Geschichte halten.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Leichen pflastern seinen Weg (Sergio Corbucci, 1968) 10/10

Was für ein Film! Ein Klassiker der pessimistischen Weltsicht. Ein Meisterwerk des Realismus, bei dem der Böse am Ende alle tötet und zufrieden in den Sonnenaufgang reitet. Fast wie in der Wirklichkeit. LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG habe ich unzählige Male im Kino gesehen, und ich habe eigentlich jedes Mal darauf gewartet, dass der Held diesmal die Kurve kriegt. Erst seitdem ich mir das Teil vorwiegend auf dem Bildschirm gebe hat sich das ein wenig geändert. Filme sind halt doch fürs Kino gemacht …

Auf jeden Fall hat meine Frau nach 4 Jahren Beziehung endlich mal den Film sehen wollen, den ich seit 35 Jahren oder länger als meinen Lieblingsfilm bezeichne. Ergebnis: Sie fand ihn nicht schlecht, und die 16-jährige Tochter ist sich vorgekommen wie in DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL. Wegen der Musik und des Schnees …

Mehr kann ich zu diesem Film nicht sagen. Nach so vielen Sichtungen in so vielen Jahren plättet er mich immer noch, und ich brauche immer noch lange, um das Gesehene zu verdauen. Nicht mehr so lange wie beim ersten Mal, aber immer noch einige Stunden. Was für ein Film …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Nackt und zerfleischt (Ruggero Deodato, 1980) 9/10

Ein Film, der im Zeitalter der Fake News merkwürdig aktuell scheint. Die Geschichte von einer Gruppe Reporter, die mangels aufregender Erlebnisse ihre Sensationen selber erfinden, erinnert heutzutage nicht von ungefähr an Gestalten wie Gerd Heidemann (den “Entdecker“ von Hitlers Tagebüchern) oder Claas Relotius, den Journalisten, von dem 2018 bekannt wurde, dass ein guter Teil seiner Reportagen erfunden ist. Klar, weder Heidemann noch Relotius haben Menschen getötet oder ihnen geschadet, aber es stellt sich halt schon die Frage, wo denn die Grenze ist. Im September 2001 sind Kameraaufnahmen von palästinensischen Kindern um die Welt gegangen, die sich über den Einsturz des World Trade Centers gefreut haben. Erst später wurde bekannt, dass die Reporter den Kindern Bonbons gaben, die Freude der Kinder aufnahmen, und mit einem schrecklichen Hintergrund beluden. Wie weit ist da der Weg zum inszenierten Angriff eines Stammes sogenannter Wilder auf ein Dorf von sogenannten friedlichen Ureinwohnern?

Wie gesagt, im Zeitalter der Fake News ist ein solches Aufladen von Bildern nichts Ungewöhnliches mehr. Wie oft sehen wir schreckliche Bilder aktueller Ereignisse, nur um hinterher zu erfahren, dass diese Bilder mitnichten aktuell sondern bereits mehrere Jahre alt sind, und an ganz anderen Stellen der Welt aufgenommen wurden? Und wenn morgen ein mutiges Reporterteam kommt, und uns die grausamen Bilder einer gepfählten Indianerin als schreckliche Geschichte einer Stammesfehde verkauft, dann möge derjenige vortreten, der an dieser Geschichte zweifelt …

Zwei Dinge kann man Ruggero Deodato vorwerfen: Zum einen den Tiersnuff, der völlig überflüssig und unnötig grausam ist. Film ist bekanntlich die Kunst der Illusion (auch wenn ich mit dieser Aussage im Grunde genommen den ersten Absatz ad absurdum führe), und es wäre sicherlich problemlos möglich gewesen, diese Szenen zu stellen oder so zu inszenieren, dass sie im Kopf des Zuschauers ablaufen anstatt vor seinen Augen, ohne die Charakterisierung der skrupellosen Reporter zu verfälschen. Ein Vorwurf, dem Deodato immer zu begegnen hat, und der aus heutiger Sicht, mit dem Wissen um die leidende Natur, noch viel schwerer wiegt.
Und zum anderen kann man ihm vorwerfen, dass er seine inhaltlich erstklassige und starke Geschichte mit so viel brutalen und bestialischen Bildern garniert, dass der „normale“ Zuschauer dieses Films sich entweder angewidert abwendet, oder von vornherein gar nicht erst zuschaut. Diejenigen Menschen, die dieser Film auf inhaltlicher Ebene erreichen sollte, also alle die, die an die Unbestechlichkeit der medialen Meldung und der Social Medias glauben, diejenigen werden so leider nicht erreicht. Dabei wäre es heute noch viel wichtiger als damals zu zeigen, wie Nachrichten entstehen (können). Wie Bilder entstehen (können). Wie Meinungen gemacht werden. Und wie wichtig es ist, das Gesehene und Gehörte zu hinterfragen. Um Alan Yates und seinen Leuten irgendwann einmal den Garaus zu machen, denn diese sogenannten Reporter gibt es auch heute noch. Sie liefern ihre Neuigkeiten bei Breitbart ab, bei FFD und bei Info-Direkt. Und die Resultate dieser Neuigkeiten sind dann unter Umständen genauso grauenhaft wie das, was wir in diesem aufwühlenden Film sehen.

40 Jahre ist der Film zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Texts alt, und er scheint um keinen Tag gealtert. CANNIBAL HOLOCAUST ist immer noch genauso schockierend und genauso wahr wie damals. Und er gibt auch immer noch Grund zum Fürchten …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Emanuelle and the last cannibals (Joe D‘Amato, 1977) 6/10

In einer New Yorker Irrenanstalt kommt es zu einer kannibalistischen Attacke einer jungen Frau mit einer Tätowierung, die eindeutig einem ausgestorbenen Indianerstamm aus dem südamerikanischen Regenwald zugeordnet werden kann. Dadurch wittert die mehr oder weniger zufällig anwesende Blitzreporterin Emanuelle ihre Chance auf eine Reise nach Amazonien. Gemeinsam mit dem Museumsdirektor Mark geht es zuerst in die Kiste, dann auf Reisen, und dann beides zusammen. Im Dschungel trifft man dann auf das Pärchen Donald und Maggie, ihres Zeichens Jäger. Dass die beiden allerdings keine Tiere jagen sondern Diamanten aus einem abgestürzten Flugzeug stibitzen wollen, dass wissen Emanuelle und Mark nicht. Ist für die Handlung allerdings auch nicht relevant …
Ach ja, und irgendwann finden die Abenteurer dann auch den Stamm der Mampfomampfos. Oder richtiger: Die Mampfomampfos finden die Abenteurer. Sie finden sie vor allem recht appetitlich. Eine unerbittliche Jagd auf die weißen Eindringlinge beginnt.

Bild Bild

So einen Film wie NACKT UNTER KANNIBALEN zu erschaffen, das konnten glaube ich nur die italienischen Filmemacher. Ein unglaublicher Hybrid aus Erotik und Kannibalen-Horror, aus professionell gedrehten und wunderbar aussehenden Traumaufnahmen und unglaublich miesem Gegurke. Gecastet mit erstklassigen Schauspielern mit bekannten Namen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Kleidung vom Leib reißen und poppen, unabhängig von Sinn oder Unsinn der Popperei. Der Trieb muss befriedigt werden, da müssen die tödlichen Kannibalen einen Strauch weiter halt einfach mal zurückstehen. Gifttiere oder gar Schlangen? Pff, die einzige interessante Schlange ist die zwischen den Beinen des nächsten Mannes. Basta!

Da haben wir also auf der einen Seite einige wirklich erotische Momente: Emanuelle und ihr Lover am Ufer des Hudson River, und Emanuelle ist anzusehen wie sehr sie die körperliche Nähe während ihrer letzten Reportage vermisst hat. Emanuelle und Isabelle am Wasserfall, sich gegenseitig entdeckend. Wunderbare poetische Momente voller Zärtlichkeit.
Und dann auf der anderen Seite das Martyrium von Schwester Angela. Das Leiden von Maggie. Hier hat es blutige und schreckliche Augenblicke, die definitiv unter die Haut gehen (das Wortspiel ist jetzt nicht beabsichtigt), und sehr gut und eindringlich gefilmt sind. Doch dann kommt der Tod von Donald, und der Zuschauer fragt sich ernsthaft, was D’Amato geritten hat, etwas so Lächerliches tatsächlich in Szene zu setzen …

Trotzdem, dieses direkte Nebeneinander von Herz und Schmerz, das hat schon was. Dieses Lavieren zwischen Lust und Leid, zwischen Leben und Tod, zwischen Genialität und Hände-über-dem-Kopf-zusammenschlagen, das erzeugt eine unnachahmliche und ganz eigene Stimmung. Und wenn dann am Ende des Films Laura Gemser wie die Venus aus den Fluten auftaucht um ihr Opfer entgegenzunehmen, mit dem sie dann Hand in Hand gen Wasser und Freiheit enteilt, dann weiß ich, dass ich mit der Sichtung dieses Films definitiv alles richtig gemacht habe. Diese Szenen gehören zum gleichzeitig Spannendsten und Erotischsten, was ich seit langer Zeit gesehen habe, und in dieser Kombination sogar als einzigartig erachte.

► Text zeigen
Bild

Darum sollte man über NACKT UNTER KANNIBALEN ob seines Titels, seiner Thematik und der vielen nackten Haut nicht gleich den Stab brechen, sondern sich lieber über eine Wundertüte voller Überraschungen freuen. Und über die Einfallslosigkeit der moderneren Filme kann man den Kopf dann noch viel mehr schütteln …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Bordertown (Gregory Nava, 2006) 7/10

Die mexikanische Stadt Ciudad Juárez galt lange Zeit als die Stadt mit der höchsten Mordrate der Welt. Vor allem die sogenannten Frauenmorde von Ciudad Juárez mit mehreren hundert Opfern haben das Leben in der Stadt und der Region nachhaltig geprägt. Die amerikanische Journalistin Lauren (Jennifer Lopez) bekommt den Auftrag diese Thematik zu recherchieren, und greift dabei auf einen alten Freund und Kollegen, Diaz (Antonio Banderas), zurück, der selber eine örtliche Zeitung herausgibt. Die beiden haben das große Glück, dass die junge Eva (Maya Zapata) gerade einen Mordversuch überlebt hat und die Mörder jetzt identifizieren kann. Klar, dass das den Mördern nicht so recht in den Kram passt. Vor allem nicht, wenn besagte Mörder zu den höhergestellten Persönlichkeiten der Stadt gehören. Zu den höhergestellten Persönlichkeiten der Region. Und sogar ein US-amerikanischer Senator in die Sache verwickelt scheint. Nein, das nun ausgerechnet nicht. Der ist vor Ort um dafür zu sorgen, dass die Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiterinnen sich gefälligst nicht verbessern können.

Denn entlang der Grenze haben die großen Konzerne eine Reihe von Fabriken angesiedelt, um zu mexikanischen Niedriglöhnen Produkte herzustellen, die sich in Amerika für viel Geld verkaufen lassen. Freihandelsabkommen nennt man das dann. Die Arbeitsbedingungen in diesen Fabriken, den sogenannten Maquilas, sind sehr hart, und die verschwundenen Frauen sind zu einem guten Teil Arbeiterinnen auf dem Nachhauseweg gewesen. Die Polizei wiederum sieht keine spezielle Mordserie, sondern verortet die Morde im häuslichen Umfeld, im Organhandel und als Folge der zunehmenden Banden- bzw. Drogenkriminalität. Ein Ägypter wird verhaftet, und der war es dann. Punkt. Die Nachforschungen einer Journalistin kann da niemand wirklich brauchen. Die Polizei nicht, die Behörden nicht, die Wirtschaftsbosse nicht, die mächtigen Familien nicht. Und die Politiker noch viel weniger.

Bei BORDERTOWN bin ich eigentlich, trotz des grundsätzlich düsteren Themas, erstmal von einem familienkompatiblen Weichspüldrama ausgegangen. Antonio Banderas, Jennifer Lopez, eine Altersfreigabe ab 12 - Irgendwie klingt diese Kombination eher abschreckend. JLo und der Antonio verlieben sich und machen keusch-heißen Sex unter südlicher Sonne, die Bösen machen halt was Böse so machen (finster schauen, gemein sein, Befehle erteilen …), und am Ende reiten Held und Heldin nach vollbrachter Befreiung Mexikos frisch verliebt gen Sonnenuntergang.

Bild Bild

Selten so “enttäuscht“ worden! Stattdessen werden wir in ein finsteres Kaleidoskop aus Hitze und Gewalt, aus Verkommenheit und Verzweiflung geworfen. Wir begleiten die junge Eva auf einem Alptraum durch die Nacht von Juárez, aus dem sie in ihrem eigenen Grab aufwacht. Lauren, die das ganze prinzipiell geschäftsmäßig als “Story“ auffasst und entsprechend erstmal eher distanziert ist, beginnt irgendwann, spätestens nach ihrer Schicht in einer Maquila, zu begreifen, dass sie nicht mit einem kriminalistischen Problem konfrontiert ist, sondern mit einem systemischen. Die Melange aus amerikanischen Unternehmen und mexikanischen Familien einerseits, aus mexikanischen Löhnen und Arbeitsbedingungen und amerikanischen Verkaufspreisen andererseits, diese Mischung ist für Profitgeier aller Art so attraktiv wie ein Haufen Scheiße für Fliegen. Die Frauen in den Fabriken werden ausgebeutet, und auf dem Heimweg von Psychopathen entführt und ermordet, welche mutmaßlich den Schutz der großen Familien genießen. Und damit das alles nicht so hoch kocht, werden Polizei und Behörden ordentlich geschmiert, und auf Journalisten wie Diaz wird möglichst viel Druck ausgeübt.

Als Lauren dies begreift weiß sie auch, dass ihr Leben an einem seidenen Faden hängt. Noch denkt sie, dass sie als Amerikanerin ja per Definition moralisch einwandfrei ist, aber auch diese Einstellung muss sie irgendwann revidieren, nämlich wenn ihr Chef sich weigert die “Story“ zu drucken, und sie ihn kurz darauf mit genau dem Senator im Büro überrascht, den sie vorher auf einer Familienfeier in Juárez als zugehörig zu dem ganzen System entlarvt hat. Sicher eine platte und vorhersehbare Szene, aber eine, die das Prinzip moderner Wirtschaftssysteme doch auf den Punkt bringt: Gibst Du mir in meiner Stadt günstige Produktionsbedingungen, geb ich Dir was immer Du haben willst: Macht, Frauen, …

Nicht platt und vorhersehbar hingegen ist die Inszenierung von BORDERTOWN. Den permanenten Gelbfilter hätte es vielleicht nicht gebraucht, aber der dadurch entstandene Effekt erzeugt genau das was er erzeugen soll: Ein ständiges Gefühl von Kälte, von Einsamkeit, von Bedrohung. Es wird eine Distanz erzeugt, die merkwürdig entgegengesetzt ist zu der Schwüle und Gedrängtheit der Stadt Juárez. Eine wahrhaft alptraumartige Sequenz ist Regisseur Nava im Vergnügungsviertel gelungen, wenn Musik, der Lärm der Autos und die Gespräche der Freier und der Huren sich mit den flickenartig überlagernden Bildern von Vergnügungssuchenden, Clubs, Autos, herumliegendem Müll und einer zunehmend verzweifelteren Lauren verbinden. Zutiefst verstörende Bilder einer Gesellschaft, die am unteren Ende des sozialen Verhaltens angekommen ist, denen man sich aber in ihrer Intensität auch nur schwer entziehen kann.

Bild Bild

Ebenso intensiv ist es, wenn Lauren in den Sekunden vor ihrem Tod ihr Leben an sich vorüberziehen sieht. Schnelle Bilder eines jungen Mädchens, zusammengeschnitten mit ihrem Todeskampf und dem im Hintergrund brennenden Slum. Solchen Anschlägen auf das Nervenkostüm des Zuschauers stellt Nava dann gerne auch ruhige Momente gegenüber: Die Wüste im Morgenlicht, oder Sonnenuntergang in der Wüste. Einfachheit und Stille werden bewusst und effektiv gegen die Kakophonie der Stadt gehalten, die nur aus Schmutz, Chaos und Gewalt zu bestehen scheint. Einzig die Kindheitsgeschichte von Lauren ist billig und überflüssig, und die würde für die Geschichte auch nicht wirklich benötigt werden, ist aber wohl als Reminiszenz an den gängigen Publikumsgeschmack zu verstehen, dem alles und jedes genauestens vorgekaut und erklärt werden muss.

Irritierenderweise ganz anders dann aber wieder der Bösewicht. Der heißt mit Vornamen Ares, ist also der personifizierte Gott des Krieges. Ares spricht nicht, Ares wird auch nicht erklärt. Ares ist einfach. Er ist da, und er ist böse. Eine schwarze Figur, die man aus älteren europäischen Filmen oder dem asiatischen Kino kennt, die aber für moderne US-Filme eher untypisch ist. Er taucht aus dem Nichts auf und er verschwindet auch ins Nichts. Ein dunkler Schatten, ein Nachtmahr. Einer, der Menschen um ihre Träume und um ihr Leben bringt. Trotz seiner kurzen Auftritte definitiv ein Charakter, der nachhallt.

Bild

Überhaupt hallt der Film auch in seiner Gesamtheit nach. Was wohl an seiner grundlegenden Ausrichtung liegen dürfte: BORDERTOWN erzählt nicht davon, Träume zu haben oder sie umzusetzen. BORDERTOWN erzählt vom Ende der Träume. Von ihrer Zerstörung und dem was danach kommt. BORDERLAND entsagt sich weitgehend einer sozialromantischen Ader und zeichnet ein Bild, in dem Korruption, Armut und Verbrechen eine Symbiose eingehen, und in der diejenigen, die an der Spitze der Nahrungskette sitzen, niemals etwas zu befürchten haben, während alle anderen als gebrandmarkte Opfer gelten, und daran auch nichts ändern können. In der Realität wurde der wegen Vergewaltigung und Beihilfe zum Mord verurteilte Busfahrer jedenfalls zwei Jahre nach dem Dreh des Films in einem Revisionsverfahren freigelassen …

Die Frauenmorde von Ciduad Juárez

7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Black Book (Paul Verhoeven, 2006) 7/10

Im Frühjahr 1944 wird das Versteck der untergetauchten holländischen Jüdin Rachel Stein durch eine Fliegerbombe zerstört. Nachdem auch noch ihre Familie auf der Flucht bei einem Massaker der SS umgekommen ist, nennt sie sich fortan Ellis de Vries und schließt sich dem Widerstand an. Sie lernt den Arzt Hans Akkermans kennen, der sowas wie die Leitfigur der Partisanen ist. Sie trifft Gerben Kuijpers, dessen Sohn Tim ebenfalls aktiv gegen die Nazis kämpft. Und sie lernt Ludwig Müntze kennen, den Leiter des deutschen Sicherheitsdienstes in Holland – und verliebt sich in ihn. So hat sie zwar ungehinderten Zugang zu allen möglichen Geheimnissen der Besatzer, und kann sogar ein Mikrofon im Hauptquartier des SD verstecken. Aber dadurch wird sie auch mit der Tatsache konfrontiert, dass der Mörder ihrer Familie im nächsten Zimmer sitzt. Und quasi ein Stockwerk unter ihr die Freunde grausam gefoltert werden. Doch der Schock kommt erst noch: Der Überfall auf einen, mit den Nazi kollaborierenden, Fluchthelfer geht furchtbar schief. Könnte es sein, dass einer aus der Widerstandszelle ein Verräter ist?

Bild Bild

Der Mann auf dem Regiestuhl hat auf jeden Fall Mut! Ein Drama mit untergetauchten Juden, hingeschlachteten Rettungssuchenden und gefolterten Partisanen als actionlastiges Kriegsspektakel mit vielen nackten Busen zu drehen, das erfordert auf jeden Fall eine Menge Chuzpe. Zu schnell ist der Vorwurf da, sich der tatsächlichen Geschehnisse nur zu bedienen, um nackte Haut in bedrängter Situation zu zeigen, und die Grenze zwischen Exploitation und Mainstream geschickt zu verwischen. Oder ist das nur eine deutsche Befindlichkeit? Und wenn die Filmbewertungsstelle Wiesbaden den Film als “Besonders wertvoll“ bewertet und ihn als “spannend, tiefgründig, gehaltvoll" sowie als „Intelligentes Unterhaltungskino mit einer sensationellen Hauptdarstellerin“ einstuft (den letzten Punkt unterschriebe ich allerdings jederzeit! Genauso wie für alle anderen Darsteller!!), sitzt dann das Problem nicht vielleicht auf dieser Seite des Fernsehers?

Denn tatsächlich ist mir vor allem die erste Stunde von BLACK BOOK ein zu flippiges Widerstandsabenteuer für große Jungs und Mädels. Die Lockerheit, mit der die jungen Leute da ihre Haut zu Markte tragen, die geht mir doch einigermaßen gegen den Strich. Ich bin beim Ansehen nicht umhin gekommen, Melvilles großartigen ARMEE IM SCHATTEN als Vergleich heranzuziehen, der Lino Ventura als Kämpfer der Resistance zeigt, und da stinkt BLACK BOOK auf den ersten Eindruck schon gewaltig ab. Wo der Schatten des Todes, vor allem eines langsamen und grausamen Todes durch deutsche Folterschergen, in ARMEE DER SCHATTEN ständig zu spüren ist, sogar gänzlich ohne die Darstellung von Brutalitäten, da pfeift sich BLACK BOOK fröhlich eins und zeigt lustig pfeifende, entwurzelte junge Menschen, die in einer Atmosphäre heiterer Entspannung ohne Zögern in den Tod gehen. Die Möglichkeit, das eigene Leben wochenlang zu verlieren ist zwar gegeben, und wird auch in einigen drastischen Bildern gezeigt (wobei man der Fairness halber zugeben muss, dass viel von diesem Gezeigten nur im Kopf des Zuschauers stattfindet), aber die Gefahr, die Drohung, die ständige Angst, solche Dinge werden zumindest in der ersten Hälfte vollständig ausgeblendet.

Wie gesagt, ich bin mir nicht sicher ob das nun ganz allgemein eine deutsche Sichtweise ist, oder mein persönliches Empfinden. Naziploitation ist halt nun mal nichts, was ich von einem Paul Verhoeven erwarte. Vor allem dann nicht, wenn das ganze mit einigem Ernst und mit Anspruch rüberkommt. Aber zeigt mir Carice van Houten für Ernst und Anspruch nicht vielleicht ein paar mal zu oft ihre schönen Brüste? Ist die Full Frontal Nudity des überragend aufspielenden Waldemar Kobus schon reichlich exploitativ (wie die ganze Szene auf der Toilette schon ziemlich sleazig rüberkommt)? Ist die Entlarvung von Ellis in Müntzes Bett gar zu sexploitativ? Paul Verhoeven macht seinem Ruf als Skandalfilmer in diesem Augenblick alle Ehre, und das Anstandsempfinden des, durch jahrelange Schuldbekenntnisse geübten, Deutschen schlägt Purzelbäume: Titten und Judenverfolgung, das geht doch nicht gleichzeitig!?

Bild Bild

Geht es eben doch, und zwar sogar abseits von Filmen wie KZ 09 oder SS HELL CAMP. Verhoeven schafft äußerst gekonnt den Spagat zwischen Anspruch, Spannung und Unterhaltung, indem er ganz einfach auf alle Konventionen pfeift und reines Kino inszeniert. Das bedeutet das Erzeugen von Emotionen beim Zuschauer, das bedeutet die unter Umständen auch mal drastische Darstellung von Sex und Gewalt (denn beides kommt in der Wirklichkeit gehäuft vor, auch wenn Hollywood-Filme diesen Umstand des Öfteren gerne ausblenden), und das bedeutet die Darstellung von Tod. Alle diese Dinge stecken in BLACK BOOK, was in Summe ein ziemlich packendes und spannendes Drama ergibt, das sich vor den großen und epischen Machwerken wie dem vollkommen überschätzten SCHINDLERS LISTE in keinster Weise verstecken braucht. Denn wo ein Steven Spielberg tief in den Eimer mit dem Pathos greift und zur Betroffenheit aufruft, da inszeniert ein Paul Verhoeven mit lockerer Hand eine Realität, die man so auch in der Wirklichkeit wiederfinden kann.

Ist das wirklich so? Ein paar Dinge haben mich schon sehr gestört: Dass der Leiter des SD in Holland seine neue Geliebte nicht routinemäßig überprüfen lässt? Vor allem, wenn er schon weiß, dass sie eine Jüdin ist? Und seine Unbedarftheit gegenüber seinen Kollegen lässt darauf schließen, dass er seine Position nicht mit Kompetenz, sondern durch Beziehungen bekommen hat, sonst hätte er die aufgestellten Fallen schon viel früher ahnen müssen. Dass der Untergrundzelle so gar nicht auffällt, dass einer von ihnen ein Verräter sein muss? Dass Ellis ihren Ekel vor Franken so dermaßen gut zurückstellen kann, dass sie sogar mit ihm singen und tanzen kann? Dass Ronnie scheinbar völlig unbeschadet durch alle Wirrnisse der Zeit durchkommt? Na gut, da hat sie halt Glück gehabt. Diejenigen, die nicht so viel Glück hatten werden auch gezeigt, mit dem Schild Moffenhoer (Deutschenhure) um den Hals und geschorenen Haaren (das Teeren erspart uns Verhoeven dankenswerterweise), und das Los der Kollaborateure wird uns genauso brutal entgegengeschleudert wie das Schicksal der Partisanen.
Aber da sind wir eben schon wieder bei der zweiten Hälfte des Films, und die ist eben erheblich düsterer und drängender als die erste Hälfte, die, ich erwähnte es, diesen Abenteuertouch hat. Dieses “Zwei Himmelhunde auf dem Weg in den Widerstand“- das ist nichts, mit dem ich etwas anfangen kann. Ich weiß aber sehr wohl, dass dies ein rein persönlicher Eindruck ist, meine Familie war auch von dieser ersten Hälfte sehr beeindruckt. Die zweite Hälfte hingegen, wenn die Ereignisse sich zuspitzen, Holland irgendwann befreit wird (und Ellis nur trocken kommentiert, dass sie nie gedacht hätte, das sie Angst haben müsse vor der Befreiung), und die wahre Hölle erst dann ausbricht, wenn keiner mehr damit gerechnet hat, nämlich mit dem Einmarsch der Befreier, diese zweite Hälfte ist düsteres und druckvolles Spannungskino par Excellence, das auch Anspruch und Ernsthaftigkeit an den Tag legt, ohne auch nur an einer einzigen Stelle in Pathos oder Melancholie abzudriften. Der Tod des Verräters könnte noch am ehesten mit dieser Melancholie beschrieben werden, ist aber dafür viel zu abgründig, und in seiner Konsequenz auch zu grausam, um nur und ausschließlich melancholisch daherzukommen.

Bild Bild

Und hier zeigt sich auch die Stärke dieses Films: Die differenzierte Darstellung einzelner Charaktere wie Müntze oder Kuijpers entfernt jeden Gedanken an eine eindimensional-geschönte Darstellung historischer Ereignisse, und da dies ein Film ist, funktionieren gerade Antagonisten wie Franken oder der Verräter eben durch diese Eindimensionalität. Müntze und Kuijpers sind gut und böse zugleich, genauso wie die Widerständler in ihrem Wunsch, Holland von den Nazis zu befreien, gar nicht merken, wie ähnlich sie ihren Feindbildern werden. Die Diskussion innerhalb der Gruppe, für welche Personen es denn wichtiger sei eine Aktion durchzuführen, für die gefangenen Mitglieder der Zelle oder für flüchtende Juden die in eine Falle laufen und umgebracht werden, diese Diskussion ist hochdramatisch und legt den Finger in eine schmerzende Wunde der Nachkriegszeit, die in vielen Ländern bis heute nicht geschlossen sein dürfte. Wenn die guten, braven und frisch befreiten Holländer es den Kollaborateuren mal so richtig zeigen können (eine zutiefst erschütternde und verstörende Szene) werden sie von einem britischen Soldaten mit den Nazis auf eine Stufe gestellt, und tatsächlich ist das Martyrium Ellis‘ in diesem Augenblick sehr ähnlich der Folter eines der Widerstandskämpfer zu Beginn. Auf jeden Fall eine Szene von der ich mir vorstellen kann, dass sie im Mutterland des Regisseurs für Diskussionen gesorgt hat.

Und wieder die Stärke des Films: Solche Gedankengänge anzustoßen, das Leid der Menschen auf beiden Seiten des Zauns zu zeigen, und das als packenden Unterhaltungsfilm, garniert mit Blut und Sex, das ist wahre Kunst. Das einzige was man Verhoeven an dieser Stelle wirklich vorwerfen muss ist, dass er die Haupthandlung als Rückblende anlegt, und somit das Überleben von Ellis immer gewiss ist. Ohne diese Rückblende hätten einige Szenen ein paar kräftige Umdrehungen an der Spannungsschraube mehr gehabt. Dafür versöhnt das Ende mit einem gemeinen und zugleich philosophischen Ausblick auf den zukünftigen Krieg: Feinde werden immer da sei, und der nächste Krieg lauert immer gleich um die Ecke. Was geht es uns in dieser langen aktuellen Friedensphase in Mitteleuropa doch gut, dass wir die Möglichkeit haben, uns ausgiebig mit den Fehlern der Vergangenheit zu beschäftigen …

Das historische Vorbild der Ellis de Vries: Esmée van Eeghen
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Hunde, wollt ihr ewig leben? (Frank Wisbar, 1959) 7/10

Die Front ist weit weg, die Karriere geht voran, und überhaupt können der deutschen Wehrmacht und dem Charme des attraktiven Offiziers nichts und niemand widerstehen: Das Leben des jungen Oberleutnants Wisse im Charkow dieses Spätherbstes 1942 ist angenehm. Die Versetzung nach Osten, als Verbindungsoffizier zu den rumänischen Unterstützungstruppen, könnte als Sprungbrett für den nächsten Karriereschritt fungieren – Dumm nur, dass in der Nacht nach Wisses Ankunft die russische Offensive beginnt und die deutschen Soldaten in den Kessel von Stalingrad treibt. Es beginnt das langsame und grauenhafte Sterben. Der Kampf gegen die Kälte und den Hunger. Das verzweifelte Ringen gegen wintergewohnte Russen und ignorante Vorgesetzte. Alle 7 Sekunden stirbt ein deutscher Soldat. Stalingrad – Massengrab …

Bild Bild

Einem Film wie HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? kann man sich von zwei Seiten nähern. Man kann ihn aus der heutigen Sicht sehen, mit dem Wissen um die historischen Vorgänge einerseits, und dem Kopf voller (US-amerikanischer) Kriegsfilme andererseits. In diesem Fall stellt man relativ schnell fest, dass eine tiefe und kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ausfällt, dass die Zeichnung vor allem der Offiziere der mittleren Ränge oft sehr wohlwollend und freundlich ist, und dass dem Grauen und den Schlachten genauso viel Platz eingeräumt wird wie der zwischenmenschlichen Komponente. Physis und Psyche stehen sich gleich gegenüber. Das Ergebnis ist dann schnell ein Abwinken: Für einen Anti-Kriegsfilm zu brav, und für einen Hurra-Kriegsfilm zu kritisch und zu wenig Action. Bernhard Wickis DIE BRÜCKE aus dem gleichen Jahr ist wesentlich brutaler in der Darstellung und anklagender in seiner Aussage, was soll das also?

Aber kann man einen Kriegsfilm aus dem Jahr 1959 wirklich mit heutigen Augen beurteilen? Ich behaupte nein! Im Publikum saßen damals bestimmt einige, die das Gezeigte persönlich miterlebt haben, und denen man weder irgendein sinnloses Heldenzeugs noch eine düstere Anklage hätte vorsetzen können. Und gleichzeitig war, der gesamten Wiederbewaffnungskampage zum Trotz, die Mehrheit des Volkes definitiv der Überzeugung, dass die deutsche Wehrmacht so schlecht nicht war, und letzten Endes nur Befehle ausgeführt hat: Die Befehle waren böse, nicht die Ausführenden. An den Reaktionen zur Wehrmachtsausstellung kann man ablesen, dass sich diese Vorstellung mindestens bis in die zweite Hälfte der 90er-Jahre hinein weitgehend erhalten hat. Doch 1959 war diese Haltung Allgemeingut, schon aus Gründen des Selbstschutzes, und ein Film, der etwas anderes gezeigt hätte, wäre innert Tagen von der Bildfläche verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Das Schicksal von Wolfgang Staudtes KIRMES, der einen anderen Blick auf die sogenannten einfachen Menschen wagt, zeigt dies deutlich, und in dieser Diskussion darf auch nie vergessen werden, warum Filme eigentlich gedreht werden: Um Geld zu verdienen …

Bild Bild

HUNDE, WOLLT IHR EWIG LEBEN? ist nichts anderes als ein vorsichtiger Versuch, die Tragödie von Stalingrad aufzuarbeiten, ohne dabei Kitsch und falsches Pathos zu verbreiten, aber auch ohne Defätismus und etwas, was man damals Nestbeschmutzung genannt hätte. Und dieser Versuch ist in einen Film gebettet, der, mit Verlaub, verdammt gutes Kino darstellt. Klar, die Personenzeichnungen sind schlicht gehalten: Es gibt die Guten und es gibt die Bösen. Die Guten sind die Mannschaftsgrade und die Unteroffiziere, einfache und gradlinig-gute Menschen. Die Bösen sind der ganze Rest, vor allem die höheren Offiziersgrade und die Bürokraten, die “unsere Jungs damals feige im Stich gelassen haben“ (Zitat der gängigen Volksmeinung). Klar, es wurde eine minimale und vollkommen überflüssige Liebesgeschichte eingebaut, weil das damals der Stil der Zeit war, und weil der Name Sonja Ziemann zusätzlich ein paar Menschen ins Kino lockt. Klar hat es zu Herzen gehende Momente, wenn nämlich während einer Feuerpause ein Landser ein Klavier entdeckt und beginnt zu spielen, was gleich zu einer viel entspannteren Stimmung unter Russen und Deutschen sorgt. Verbrüderung liegt in der Luft. Aber gerade diese (historisch verbürgte) Szene zeigt, was der Krieg aus Menschen macht. Sie zeigt, was für eine gequirlte Scheiße so ein Krieg ist, und dass es viel schöner wäre gemeinsam Musik zu machen und zusammen zu lachen, anstatt sofort nach dem Ende der Waffenruhe wieder aufeinander zu ballern. Umso erschütternder ist dann auch später der Tod des Klavierspielers, der nicht einmal mehr realisiert dass er keine Hände mehr hat, aber davon phantasiert wieder Konzerte zu geben …

Bild

Der Film hat definitiv seine Schwächen, aber der betriebene Aufwand (2 Jahre Vorbereitung, die vor allem in die gelungenen, historisch oft abgesicherten Dialoge geflossen sind) und die schauspielerischen Leistungen wiegen diese Schwächen mehr als auf. HUNDE ist der Anfang vom Ende einer Zeit, in der die Schuld für den Krieg auf die Herrschenden geschoben wurde, und dafür ganz ganz vorsichtig begonnen wurde, die Schuld auch einmal an anderer Stelle zu suchen. Die Hauptfigur Wisse ist ein typischer Angehöriger dieser Generation, die nämlich mit den Versprechungen und Gaukeleien der Nazis groß geworden sind, und gar keine andere Chance hatten als daran zu glauben und begeistert mitzumachen. Wisse ist der archetypische Mitläufer, der gläubig ist und nichts hinterfragt, und der im Schlamm Stalingrads lernen muss, dass die Realität hinter dem schönen Schein anders aussieht als gedacht. So wie es 330.000 deutsche Soldaten mit ihm lernen mussten, und 50 bis 60 Millionen anderer Menschen ebenfalls. Das Bewusstsein Wisses, diesen Irrsinn unterstützt zu haben, ist in den letzten Bildern deutlich zu sehen. Und das ist es was ich damit meine, dass die Anklage hier, wenn auch noch ausgesprochen vorsichtig, fortgeht von der reinen Schuld der Elite, und die Ausführenden ebenfalls beginnt kritisch anzuschauen.
Trotzdem ist eine der Szenen mit dem höchsten Gänsehautfaktor diejenige Szene, die in einem Lazarett spielt, in dem fast nur noch an Leib und Seele beschädigte Menschen zu sehen sind, während eine fanatisch-begeisterte Ansprache Görings zum 10. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers aus dem Radio kommt. Das hohle Gegeifere des Kriegstreibers in Zusammenhang mit den Bildern seiner Opfer, das ist eine grauenerregende Kombination, die wirklich unter die Haut geht.

Bild

Vor allem ist der Film aber auch ein Versuch, ein kollektives Trauma darzustellen, ohne im falschen Kitsch unterzugehen: Kein Vorspann, kein Abspann, kaum Musik, dafür eine große Menge Realismus, vor allem in Bezug auf den Dreck und den allgegenwärtigen Tod. In der Konsequenz gibt HUNDE somit keine Antwort auf das Warum des Krieges oder des Kämpfens, aber eine Antwort auf das Warum des Sterbens: Nämlich weil andere es so wollen.

Spannend, dass der Originaltrailer den Weg des Films, als klassischer Abenteuerfilm für große Jungs zu beginnen, und als deprimierende Studie einer Massenvernichtung zu enden, genau nachzeichnet:


7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2728
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Das letzte Gewehr (Sergio Bergonzelli, 1964) 5/10

Banditen reiten in das beschauliche Sanderson ein: Dort kommt demnächst ein Goldtransport durch, und den wollen sie überfallen. Bis dahin treten sie Tische um, tanzen mit den Barmädchen, lachen dreckig und prügeln sich mit Bill, dem örtlichen Krämer. Der somnambul durch die Gegend schlurchende Sheriff ist machtlos, sein Fuzzy-artiger Deputy noch viel mehr (dem seinen Tisch haben die Schufte nämlich als erstes umgetreten), und überhaupt zittern alle vor den Rabauken. Vor allem die Frauen. Das heißt eine, die wilde Dolores, Tochter der Saloonbesitzerin, die verliebt sich in den mysteriösen Gitarre, so genannt, weil er so schön singen und Gitarre spielen kann. Gitarre ist anders. Der geht auch mal dazwischen wenn es zu heftig wird und beschützt die braven Bürger. Vor allem zu Krämer Bill scheint er eine besondere Beziehung zu haben.
Und noch einer läuft rum und gibt Schutz: Ein maskierter Mann, der angeblich der gefürchtete Pistolen-Jim sein soll. Aber Jim hat doch eigentlich seine Waffen an den Nagel gehängt? Und während die Banditen immer nervöser werden weil Jim ihnen ständig in die Suppe spuckt, und die Frauen immer nervöser werden weil ihre Männer nichts gegen die Wüstlinge unternehmen, hat einer den Überblick: Gitarre! Der hat nämlich die schönste Frau und das breiteste Grinsen …

Bild Bild

Das Zorro-Prinzip, dass jeder Zuschauer weiß wer sich hinter der Maske verbirgt, nur die Freundin des Helden nicht, dieses Prinzip muss man hier schon ertragen können. Wenn man Zorro für altmodisch hält, dann ist man bei JIM IL PRIMO entschieden fehl am Platze. Tatsächlich aber habe ich mich keine Sekunde gelangweilt! Der Film treibt unaufhörlich nach vorne, und bietet selbst in seinen peinlicheren Momenten (“Lass sofort meine Mami los!“) genügend Schmackes um Spaß zu machen. Dazu kommen Synchronsprecher aus dem Hause Brunnemann, die jedem Nostalgieohr schmeicheln: Gert Günther Hoffmann auf Cameron Mitchell und Rainer Brandt auf Carl Möhner – das rockt jeden noch so traurigen Saloon …

Und so richtig bewerten kann man den Flick eigentlich sowieso nicht. Das bisschen Handlung ist selbst für diese Zeit lächerlich, Carl Möhner grimassiert sich eins, Célina Cély scheint den Film allein mit ihren Brüsten und ihrem Ausschnitt retten zu wollen, Livio Lorenzon ist als Antagonist richtiggehend erträglich, und Cameron Mitchell spielt die gleiche tragische Hauptrolle, die er in so vielen seiner Filme dieser Zeit hatte. Was auch verständlich ist, da DAS LETZTE GEWEHR mutmaßlich back to back mit Sergio Corbuccis MINNESOTA CLAY gedreht wurde. Aber wenn man genauer hinschaut, dann schimmert ab und an etwas anderes durch. Eigenartige und fast abgehobene Momente, die den Film dann doch zu etwas Besonderem machen. Etwa nachdem die Barmädchen die Treppe hinuntergestürmt sind um eine Prügelei zu verhindern, dann spielt das Pianola für einen Moment einen langsamen Boogie, und die Mädels machen die Banditen mit ihrem Tanz so richtig heftig an. Kein 08/15-Saloon-Can Can, sondern ein verführerischer und erotischer Tanz. Showgirls im Wilden Westen. Oder der Deputy auf seinem Esel, und beide Beine schleifen auf dem Boden: Kinderstunde für erwachsene Cowboys. Der Höhepunkt ist natürlich der Sheriff, der immer am Ende seines Textes in Schockstarre verfällt, und auf den Boden oder in die Luft starrt, bis er wieder an der Reihe ist etwas zu sagen. Wie der Mann sich ohne Stützräder von seinem Büro bis zum Saloon bewegen kann wird ein ewiges Rätsel der Filmgeschichte bleiben. Aber auch der Cowboy, der zum Vorspann mit der Gitarre im Arm durch eine steinige Landschaft reitet und sichtlich Mühe hat, das Instrument überhaupt auch nur festzuhalten, ist ein ernsthafter Schmunzler vor dem Herrn …

Bild Bild

Sicher kein Highlight in der Euro-Western-Sammlung, aber vergnüglich und unterhaltsam ist DAS LETZTE GEWEHR allemal. Und sei es nur wegen Célina Célys Busen und Carl Möhners Grinsen, welche beide in etwa den gleichen Umfang haben dürfte …

5/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten