Was vom Tage übrigblieb ...

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Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Die Haut des Anderen (Jacques Deray, 1966) 7/10

Die Haut des Anderen.jpg
Die Haut des Anderen.jpg (16.27 KiB) 115 mal betrachtet

Es ist ein Spiel mit der Haut anderer Menschen. Fabre kommt nach Wien weil es heißt, dass sein Freund und Kollege Margeri zur Gegenseite übergelaufen sei. Fabre soll das klären, und dabei stößt er in ein Wespennest. Zuerst weigert sich Margeri mit ihm zu sprechen, dann wird Margeris Geliebte Anna entführt, und über Anna kommt Fabre auf Chalieff, den dortigen Leiter des östlichen Geheimdienstes, sowie Weigelt, einen Anwalt, der mit Chalieff in Verbindung zu stehen scheint. Jeder will das Geheimnis, das Margeri offensichtlich zu verkaufen sucht, für sich haben. Und die Haut der anderen ist dabei vollkommen unerheblich, nur der eigene Erfolg zählt.

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1966, das war, in James Bond-Zeitrechnung, zwischen FEUERBALL und MAN LEBT NUR ZWEIMAL. Sean Connery als rüpelhaft-erotischer Chauvinist, der in schicken Interieurs und überall auf der Welt die Gangster und die Frauen gleich reihenweise aufs Kreuz legt, rockte die Kinosäle der Welt und prägte mit seinem Verhalten ein Filmgenre und eine ganze Generation Kinogänger. Eine ganze Generation? Nein, denn irgendwo in einem Vorstadtkino wird als kleine und eher unauffällige Produktion DIE HAUT DER ANDEREN dagegen gehalten. Ein Agentenfilm, der kaum weiter weg sein könnte von der glamourösen und actiongeladenen Welt des britischen Meisteragenten. DIE HAUT DER ANDEREN spielt ausschließlich in Wien, Lino Ventura behält immer seinen Regenmantel an, sein Freund Margeri schaut aus wie ein Bürokrat 10 Tage nach dem letzten Gießen, und der einzige Hinweis auf Sex sind ein paar Fotos, die in Margeris Fotostudio im Hintergrund durchs Bild huschen.

Und genau damit punktet DIE HAUT DES ANDEREN. Mit Realismus, mit genauer Untersuchungsarbeit seitens des Hauptdarstellers, und mit einer langsamen und betulichen Gehweise, die in der ersten Stunde zugegeben nicht wirklich fesselt. Zumindest nicht im Sinne eines James Bond. Doch irgendwann nimmt der Film Fahrt auf, Ventura lässt die Maske des jovialen und sorgenden Geheimdienstkollegen fallen und mutiert zum eiskalten Killer, und auch Chalieff ist irgendwann nicht mehr der freundliche KGB-Mann von Nebenan, sondern ein rücksichtloser Folterer und Manipulator, dessen hauptsächliches Ziel es zu sein scheint, möglichst viel Schmerz zu verbreiten. Zwar ist etwa die Folter Margeris dem Herstellungsjahr des Films bedingt nur im Off zu vermuten, was aber die Bilder im Kopf nicht harmloser macht.

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DIE HAUT DES ANDEREN ist, wenn er denn erst einmal in Fahrt gekommen ist, knüppelhartes und rücksichtloses Agentenkino genau derjenigen Art, die man als Liebhaber älterer Filme so mag. Das Wien des Jahres 1966 ist aus heutiger Sicht hemmungslos nostalgisch, die Handlung erlaubt sich einige Schlenker die dem Verlieren der Übersicht recht dienlich sind, und doch läuft alles merkwürdigerweise sehr zügig zu einer Frage: Hat Margeri einen Verrat begangen, oder hat er nicht? Dabei werden die üblichen Wege des Euro-Spy geschickt umgangen, ohne dabei aber gleich in allzu überzogenen Realismus abzugleiten. Ein wenig Kintopp darf ruhig sein, und diese sorgfältig erzählte Mischung aus viel Realismus und der richtigen Dosis altmodischem Agentenkino geht unwiderstehlich nach vorne los. Große Empfehlung für alle, die Filme wie DAS QUILLER MEMORANDUM schätzen.
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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Das Quiller Memorandum: Gefahr aus dem Dunkel (Michael Anderson, 1966) 6/10

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Zwei britische Agenten wurden in Berlin ermordet. Beide hatten den Auftrag, eine Gruppe alter Neo-Nazis zu infiltrieren. Jetzt geht der Auftrag an Quiller, und der gibt gleich mächtig Gas: Erstmal wirbelt er eine Menge Staub auf indem er die richtigen Leute befragt und Unruhe verbreitet, dann verführt er Senta Berger, und zu guter Letzt hängt er seinen Überwacher vom (eigenen) Geheimdienst ab und wird anschließend von den Gegenspielern gefangen genommen. Mit Drogen wird er übel gefoltert, doch als alles nichts fruchtet gibt es den letzten Befehl: Bringt Quiller irgendwohin und tötet ihn …

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Der Erste Quiller-Roman war zumindest für den Schriftsteller Elleston Trevor so erfolgreich, das er unter dem Pseudonym Adam Hall noch weitere Romane um den Agenten ohne Schusswaffen schrieb. Einige davon habe ich gelesen und kann sie nur wärmstens empfehlen. Angenehm realistische Agentenromane, die mit einer gesunden Härte aufwarten und einen Helden haben, der Schusswaffen verabscheut und stattdessen das Nachdenken als Mittel zum Zweck benutzt. Außerdem macht Quiller auch mal Fehler, was ihn auf eine Stufe mit dem Leser hebt, und damit eine ganz enorme Identifikationsmöglichkeit bietet. Dass die Romane so ganz nebenher auch noch sauspannend sind möchte ich nur der Vollständigkeit halber erwähnen …

Diese Verfilmung des ersten Romans lässt den Helden zwar noch ein wenig als Gegenspieler von James Bond erscheinen, gibt ihm aber auch hier bereits angenehm menschliche Züge. Er verliebt sich in die göttinnengleich ins Bild gesetzte Senta Berger, und er lässt sich wie ein Anfänger von den Bösen gefangen nehmen. Was natürlich auch Kalkül gewesen sein könnte, denn Quiller ist auch in den Romanen ziemlich hart im Einstecken. Nichtsdestotrotz sollte er wohl in diesem Film bewusst als Gegenstück zu dem Superagenten 007 aufgebaut werden – Mit menschlichen Zügen, mit Schwächen, und ohne Gadgets. Ersteres hat nichts ganz so gut hingehauen, sein Hang zum Einzelgängertum, der in den Romanen auch immer wieder hervorgehoben wird, beschert George Segal im Film einige unsympathische und fast clowneske Züge. Aber insgesamt wirkt Segal angenehm unauffällig, und eben – menschlich. Fast bieder. Seine Enttäuschung bei der letzten Verabschiedung ist deutlich zu spüren und auch nachzuempfinden – Er kennt den Hintergrund, er weiß warum er überlebt hat, aber er wird es nie beweisen können. Für ihn geht das Leben weiter, und vielleicht ist es ein Leben, das ein klein wenig trauriger ist als zuvor.
Denn QUILLER ist kein Supermann der die Welt vom Übel befreit, und ist der Film aus, ist auch die Gefahr beseitigt. QUILLER spielt in einer realen Welt, mit zwielichtigen Gestalten in einer kaputten Umgebung, wo nicht einmal der eigene Auftraggeber über jeden Zweifel erhaben ist, und wo zum Ende des Films die Bedrohung mitnichten verschwunden ist. Sie ist einfach nur woanders, und der arme Depp, dessen Job es ist die Gefahr zu beseitigen, weiß genau, dass er wieder und wieder losziehen muss. Seine Haut zu Markte tragen muss, um etwas zu bekämpfen, was ihm eigentlich am Arsch vorbeigehen würde, wenn es nicht auf eine direkte und persönliche Art diesen Arsch perforieren würde …

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Durch die Originalschauplätze in Berlin und die Verwendung deutschsprachiger Schauspieler (Peter Carsten, Günter Meisner, Herbert Fux und einige mehr) wird diese Art Realität noch einmal stärker, und so treffen beispielsweise die Folterszenen den Zuschauer mit einiger Härte. Auch hier wird schnell klar, dass Quiller dies nicht zwingend ohne Blessuren überstehen wird, dass er kein Superagent aus dem Kintopp ist, sondern eigentlich nur ein ganz normaler Mann mit einem sonderbaren Beruf.

QUILLER ist spannend, wenn man weiß worauf man sich einlässt. Kein 08/15-Eurospy, sondern anspruchsvolle und stellenweise relativ harte Unterhaltung aus dem Agentenmilieu. Ausgesprochen sehenswert!

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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Piège (Jacques Baratier, 1968) 7/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 75 mal betrachtet

Dekonstruktion. Auflösung. Zerstörung. Vernichtung. Untergang. Zwei Frauen dringen in eine Villa ein. Ziellos gehen sie durch die Räume, stehen und zerstören. In der Küche flackert ein Reigen gezeichneter SM-Illustrationen über die Wand, während die beiden Frauen die Lebensmittel auf der Einrichtung und über ihren Körpern verreiben. Der Bewohner der Villa hat das ganze Haus mit Fallen gespickt. Im Garten liegt eine Bärenfalle, Türen schließen sich und scheinen die Eindringlinge fast zu zerquetschen. Hinter Schwellen sind abgrundtiefe Schächte im Dunklen verborgen. Die Frauen erfahren die Fallen voller Schmerz und kommen doch immer wieder unbeschadet heraus. Fast wie Zeichentrickfiguren erforschen sie die Villa in ihren verschiedenen Aspekten. Lebenserhalt. Sexualität. Zerstörung. Und doch sie sind sie nur in einer großen, einer übergeordneten Falle. Der Falle des Lebens. Der sie sich durch gewaltsamen Ausbruch versuchen zu entziehen

Zumindest könnte man PIÈGE so interpretieren. Es gibt sich aber sicher auch andere Denkmuster, um diese Mischung aus gotischem Grusel, interessierter Sexualität und dekonstruktivem Arthaus zu überdenken. Da ist die Tonspur, die in erster Linie aus Geräuschen besteht, und bei der man jede Sekunde darauf wartet, dass irgendein archaisch-industrieller Rhythmus Struktur in die Kakophonie bringt. Da ist die Narration, die wie ein Möbiusband kein Ende und keinen Anfang hat. Die sich überkreuzt, im Kreis dreht, und dabei, ganz im Sinne des Surrealismus und je nach Stimmung des Betrachters, neue Sichtweisen hervorbringt. Da sind die Bilder, welche die Narration untermalen indem sie sich überlagern, aufeinander verweisen, Trugbilder zeigen, und den Zuschauer glauben machen dass sie ein Abbild der Wahrheit sind, wo sie doch nur irgendeine zufällige Realität vorgaukeln. Der Mann, der Fallen kauft und zwei Freundinnen einlädt ihn in seiner Villa zu besuchen. Die beiden Freundinnen, die lieber in die Villa einbrechen als durch die Vordertür zu kommen, und alles was sie sehen zerstören wollen, dabei aber immer heimlich von dem jungen Mann beäugt werden. Szenerien wie aus einem Gruselfilm der Universal, unterlegt von einem Soundtrack der auch von Throbbing Gristle stammen könnte. Sexuelle Phantasien wie von John Willie gezeichnet und dargereicht in einem Szenario wie aus dem Dungeon. Der Weg von PIÈGE bis zu Nikos Nikolaidis' SINGAPORE SLING ist nicht weit, und auch wenn sich in letzterem die Bildsprache an den amerikanischen Klassikern der 40er-Jahre orientiert, PIÈGE hingegen klassisches bilderstürmendes Autorenkino der ausgehenden 60er ist, so sind die Ähnlichkeiten doch verblüffend. Hier wie da eine filmische Sprache die dazu dient, den Zuschauer in die Irre zu führen und gewohnte Denkschemata aufzubrechen. Dekonstruktion in seiner reinsten Form.

PIÈGE ist auf keinen Fall etwas für den Gelegenheitszuschauer, und selbst gestandene Cineasten dürften sich oft schwer tun. Aber die vielen Ideen, die in dem Film stecken (sei es eine Verfolgungsjagd im slapstick-artigen Zeitraffer, sei es ein kameraorientierter Monolog des Regisseurs Fernando Arrabal über das Gemüt von Menschen die Tierfallen kaufen), nehmen die Popkultur der kommenden Zeit oftmals vorweg. Ich sehe Jean Rollin, ich sehe Just Jaeckin, und ich sehe generell viele Ideen, die in den nachfolgenden Jahrzehnten immer wieder durch den filmischen Fundus geistern werden. PIÈGE zu sehen ist wie Miles Davis, der mit dem Rücken zum Publikum spielt – Der Zugang wird verwehrt, und das Ergebnis ist verwirrend und anders. Aber überzeugend!
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What happened to Monday? (Tommy Wirkola, 2017) 7/10

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Jede der sieben Schwestern Settman hat einen Wochentag als Namen, und jede der sieben Schwestern darf nur und ausschließlich an ihrem persönlichen Wochentag das Haus verlassen. Denn in der Welt des Jahres 2076 (Huch, das ist ja gar nicht mehr so lange hin) ist pro Familie nur noch ein Kind erlaubt, und die anderen Geschwister werden in den Kryoschlaf versetzt. Die sieben Settmans haben sich 30 Jahren so mehr oder weniger damit arrangiert dass sie nach außen hin mit all ihren unterschiedlichen Charakteren doch immer die gleiche Person darstellen, auch wenn es einige von ihnen ziemlich ankotzt, dass es keine Geheimnisse gibt, und dass etwas, was einer passiert, allen anderen auch passieren muss. Und wenn es der Verlust einer Fingerkuppe ist …
Doch an diesem Montagabend kommt Monday nicht mehr nach Hause. Sind sie aufgeflogen? Kaum vorstellbar, dann würde die Wohnung von Agenten nur so wimmeln. Also müssen sie raus, nachforschen wo Monday geblieben ist. Was sich in einer perfekt überwachten Welt gar nicht so einfach gestaltet.

Wenn man Fan von Noomi Rapace ist, dann ist dieses der definitive Film, trotz einiger kleinerer Drehbuch- und Logikschwächen. Siebenmal Noomi Rapace, darunter als männeraufreißendes Luder, als Kämpferin mit Rocky Balboa-Attitüde und als Computerexpertin, da kann einem das Herz schon ein wenig lodern. Umso erstaunlicher ist es, was sich die Drehbuchautoren alles haben einfallen lassen, um der Familie Settman ans Leder zu gehen, und die entsprechenden Szenen sind nicht nur extrem gut und mit erstklassiger und überzeugender Action inszeniert, sondern sprechen auch das Gemüt an. Zwischen dem Geballer und dem Gekloppe ist die Story etwas wirr und nicht immer ganz wasserdicht, was aber eigentlich nichts macht, da Frau Rapace ihre Sache wie immer extrem gut macht und in sieben Rollen absolut überzeugt. Daneben hat es dann noch Glenn Close als eine gewisse Nicolette Cayman, die Verhalten und Blick eines hungrigen Kaimans an den Tag legt, und einen Mix aus verschiedenen SF-Filmen der Filmgeschichte, vom BLADE RUNNER bis MATRIX, was zwar merklich, aber auch passend in die überzeugenden Bildern eingebaut wurde.

Nein, da kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Einige Wendungen sind absolut unvorhersehbar, das Ende ist relativ klar abzusehen, und in Summe bleibt ein SF-Rumpler mit hohem Popcorn-Niveau, der einfach zwei Stunden richtig ernsthaft Spaß macht.
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Blow Out – Der Tod löscht alle Spuren (Brian De Palma, 1981) 7/10

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Wie klingt Tod? Diese Frage stellt sich der Toningenieur Jack, der eines Nachts beim Sound-Hunting in einem Waldstück plötzlich Reifen quietschen hört und mit ansehen muss, wie ein Auto in voller Fahrt in einen See brettert. Jack taucht und kann in letzter Sekunde ein junges Mädchen retten, doch für den anderen Passagier kommt jede Hilfe zu spät: Der Gouverneur des Staates Pennsylvania und angehende US-Präsident ist tot. Unter Jack rollt sich ein Minenfeld aus: Das gerettete Mädchen darf nicht existieren, da niemand erfahren soll, dass der angehende Präsident mit der Hand unter dem Rock einer fremden Frau gestorben ist. Das geht ja noch, schlimmer für Jack ist aber das Wissen, dass er vor dem platzenden Reifen noch etwas gehört hat. Einen Schuss. Und dies hat niemanden zu interessieren, vor allem ihn als zufälligen Zeugen nicht.

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Formal gesehen macht De Palma hier alles ziemlich richtig. Formal gesehen kann man als Filmfan mit Schwerpunkt Italien hier so dermaßen ins Schwärmen geraten, dass es fast peinlich werden könnte. Die Farbspiele scheinen direkt aus dem Labor des Dr. Bava übernommen zu sein. Die Kamera gefällt sich darin, mittels Tiefenschärfe und grafischer Spielereien den Bildschirm immer wieder mal in zwei Ebenen aufzuteilen, einen Splitscreen also nur mit kameratechnischen Finessen zu erzeugen, kleine Dinge in den Vordergrund und große Dinge in den Hintergrund zu stellen, zeigt aber auch gerne mal ungewöhnliche Perspektiven, um andere Sichtweisen auf das Thema darzustellen. Voller Inbrunst werden Dario Argento und Alfred Hitchcock zitiert, Antonionis BLOW UP bekommt eine gründliche Hommage, werden J&B gleich ganze Szenen gewidmet, und der Aufbau der Story selber orientiert sich glasklar an der Hochzeit der Gialli aus der ersten Hälfte der 70er.Während im Vordergrund fremde Personen sich unterhalten, sitzen die Protagonisten auch mal im hinteren Teil der Szenerie, und eine ausgiebige Rückblende taucht an einer Stelle auf, an der außer Quentin Tarantino sie niemand erwartet hätte. Die Musik schmeichelt dem Zuschauer mal verführerisch und süßlich ins Ohr, um dann aber auch mal rockig daherzukommen, und meistens wird sehr wohl der richtige Ton getroffen. Und zu guter Letzt werden dem geneigten Filmfan in Form von Filmplakaten gleich reihenweise Referenzen auf Genrefilme, sowie durch den Beruf Jacks ein tiefer Einblick in die Entstehung von Filmen um die Ohren gehauen. Nein, formal gesehen ist BLOW OUT ein einziges Fest für die Sinne. Sicher auch ein Grund, warum ich dem Film bei der Erstsichtung vor sehr vielen Jahren 9 von 10 Richtmikrofonen gegeben habe.

Nach der Sichtung von vielen und noch mehr Gialli muss ich allerdings konstatieren, dass De Palma für die Handlung sicher keinen Innovationspreis gewinnen wird, vor allem nicht im Jahre 1981. Ein Künstler, der einen Mord beobachtet und sich auf ein kleines Detail konzentriert welches den Mord beweisen soll, und mit solcher Vorgehensweise den Mörder auf sich aufmerksam macht – Diese Story ist sicher nicht neu, und umso mehr sicher ist der Stil- und Gestaltungswille De Palmas zu bewundern, mit dem er dem Plot Leben einhaucht. Amerikanische Lässigkeit, gepaart mit italienischer Raffinesse, das ist schon eine überzeugende Mischung.

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Was aber für mein Empfinden nicht so recht passen mag ist der Storyverlauf. Die Handlung entwickelt sich schnell in Richtung eines Polit-Thrillers, der mit Verschwörung und Geheimnis zu tun hat, aber irgendwie schien De Palma seinem eigenen Plot nicht zu trauen. Aus der angedeuteten Verschwörung wird schnell ein handelsüblicher Krimi, in dessen Verlauf der Killer den Jäger jagt, was zwar dank der überragenden Darstellung von John Lithgow als Killer sehr sehenswert ist, dafür aber auch eine Ecke gewöhnlicher daherkommt. Die Möglichkeiten, die sich durch einen politischen Hintergrund ergeben hätten, werden vollkommen verschenkt zugunsten einer eher durchschnittlichen Mörderhatz, was ich als ausgesprochen bedauerlich empfinde. Wahrscheinlich ist dies nur die persönliche Vorliebe, aber ich denke, mit dem politischen Hintergrund hätte der Film noch mal ein paar Briketts drauflegen können, wäre er nochmal spannender geworden. So aber suhlt sich BLOW OUT niveauvoll in einem ordentlich erzählten Krimiplot, ohne sich um die wirklich extravaganten Ideen zu kümmern, welche die Story vor allem im ersten Drittel mühelos generiert. Schade, aber wieder einmal hat mir De Palma gezeigt, warum ich mit ihm nie wirklich warm werde. Zu viel verschenkte Möglichkeiten in einem technisch perfekten Umfeld – BLOW OUT hätte das Zeug gehabt zu einem echten Klassiker …

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Die geschändete Rose (Claude Mulot, 1970) 7/10

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Der Maler Frédéric Lansac, seines Zeichens Abkömmling einer alten Adelsfamilie und darum selbstverständlich im Besitz eines romantischen Schlosses, verliebt sich unsterblich in die wunderschöne Anne. Und Anne verliebt sich in Frederic. Die beiden wollen heiraten, doch durch einen schrecklichen Unfall bei den Hochzeitsvorbereitungen gerät Anne in ein Feuer und wird grauenhaft entstellt. Ihre Schönheit ist dahin, sie sitzt im Rollstuhl, und ihre Seele verfinstert sich zunehmend. Durch seine Arbeit in einem Institut, in dem an Pflanzen geforscht wird um Frauen Schönheit zu kredenzen, lernt Lansac den einstigen Chirurgen Römer kennen, der gesuchten Kriminellen ein neues Gesicht operiert. Lansac erpresst Römer, Anne ein neues Gesicht zu geben, doch für die „Spenderin“ des Gesichts wäre diese Operation tödlich. Römer gerät in einen Gewissenkonflikt, aber Lansac realisiert schnell, dass er durch die Arbeit im Institut Zugang hat zu den schönsten Frauen Frankreichs …

Bei den Beschreibungen des Films hört man allenthalben den Namen Jean Rollin. Obwohl DIE GESCHÄNDETE ROSE von Claude Mulot stammt, wird immer wieder die Poesie Rollins beschworen, die Stimmung eines Rollin-Films genauso wie das Rollin-typische Miteinander aus Erotik und Horror.

Ist das wirklich so? Ich möchte mal behaupten, dass mir vor allem in der ersten Hälfte weniger der Name Jean Rollin in den Kopf kam als vielmehr Harald Reinl. Vor allem DIE SCHLANGENGRUBE UND DAS PENDEL schoss mir in den Sinn – Diese billige Story, der viele Nebel, die schnell vorangetriebene Handlung zusammen mit einigen vorsichtig exploitativen Momenten …
Aber zum einen schafft Mulot es, nicht in die Augen ohne Gesicht-Falle zu tappen, sondern seinem Film eine gänzlich andere Richtung zu geben, und er schafft es ebenfalls, sich von dem pulpigen Stoff zu lösen und sich in der zweiten Hälfte des Film tatsächlich an später oder zumindest zeitgleich entstandene Arbeiten Rollins anzunähern. Gerade DIE NACKTEN VAMPIRE und SEXUAL-TERROR DER ENTFESSELTEN VAMPIRE fallen mir hier ein, Rollins überragende Filme aus den Jahren 1970 und 1971. DIE GESCHÄNDETE ROSE passt perfekt zu diesen beiden; hier ist, in der zweiten Hälfte wie gesagt, die gleiche dunkel-poetische Stimmung zu spüren, die gleiche Sehnsucht nach Liebe und nach zärtlicher Gemeinschaft, aber auch nach Tod. In wallende und halbdurchsichtige Gewänder gehüllte Frauen schweben mit einem Kerzenleuchter durch ein altes Gemäuer, während der Nebel wogt und die furchtbaren Schrecken der Nacht immer näher kommen. Ein Schlossherr, immer im Samtjackett und scheinbar kurz vor dem Wahnsinn stehend ob der Umstände seines Lebens. Zwei zwergwüchsige Bedienstete, Igor und Olaf, die in Felle gehüllt niedere Arbeiten erledigen (O-Ton) und dabei auch vor Mord nicht zurückschrecken. Figuren, die nicht aus dem exploitativen Kino des Italiens jener Jahre stammen, wenngleich Casapintas DER SATAN OHNE GESICHT oft zu spüren ist, sondern eine ganz eigene Bild- und Formensprache haben, die tatsächlich bei Jean Rollin wiederzufinden sein wird. Und, mit großen Abstrichen, durchaus auch bei Jess Franco, wenngleich dort dann in einer anderen, billigeren, Darbietung.

Somit könnte man DIE GESCHÄNDETE ROSE als gotisches Pulp-Kino mit poetischem Anspruch definieren – In diesem Satz ist dann alles drin was den Film ausmacht, und jeder der glaubt, das Horror nur mit Strömen von Blut und Jump-Cuts funktioniert, darf darum von vornherein einen Bogen um den Film schlagen. DIE GESCHÄNDETE ROSE ist angenehm altmodische Gruselunterhaltung zum Staunen und Träumen …
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Douces pénétrations (Jean Rollin, 1976) 5/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 16 mal betrachtet

Martine versucht einen erotischen Roman zu schreiben. Um sich in Stimmung zu bringen bezieht sie ein Haus auf dem Lande und erklärt anreisenden Touristen per Schild, dass das eigentliche Hotel des Ortes zurzeit geschlossen ist, eine Filiale aber 500 Meter in Pfeilrichtung zur Verfügung steht. Die Gäste, die dann auch in Scharen eintrudeln, werden von Martine beobachtet, gezeichnet, und im Kopf entsteht nach und nach die zu erzählende Geschichte, während im tatsächlichen Hotel der Empfangschef und der Koch (Regisseur Jean Rollin selber) verzweifeln, weil kein einziger Gast mehr kommt.

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So in etwa jedenfalls geht die Storyline, mit freundlicher Unterstützung der EGAFD-Datenbank. Die Texte, die im Kopf Marines entstehen, sind zusammen mit den Bildern von vögelnden Pärchen dabei sicher das Element, das dem Film seine Würze gibt. Dummerweise bin ich des Französischen nicht mächtig, somit bleiben mir die Inhalte dieser Texte und ihre Wirkung auf die dabei gezeigten Bilder wahrscheinlich auf ewig verborgen.

DOUCES PÉNÉTRATIONS hat ausgesprochen wenig Handlung: Die ersten Gäste kommen, werden von Martine zum Ausziehen überredet, vögeln, und die nächsten Gäste werden sofort inspiriert ebenfalls in die Kiste zu hüpfen. Der Partner hat keine Lust mehr? Wurscht, da laufen gerade auch noch genügend andere herum, und alle alle haben unendlich Lust und Spaß am Sex. Auffällig ist dabei, dass es zu keinerlei Erniedrigungen kommt, keine schmerzhaften Praktiken ausgeübt werden (Das mit dem Mais ist merkwürdig, aber sexy!), kein einziger Tropfen Sperma vergossen wird, und auf haarige Inserts wartet man hier ebenfalls vergebens. Im Gegenteil wirken die Szenen lange Zeit fast wie aus einem Softcore-Film - Sex wird hier entschieden als etwas Schönes und Angenehmes empfunden, weswegen dann am Ende des Films auch alle Beteiligten in die Kamera winken und sich ganz arg freuen.

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Eine bourgeoise Sex-Fantasie mit gialloesker Musik? Der Traum eines untervögelten Mannes in der Post-Hippie-Kultur der 70er? Vielleicht, mag sein, aber DOUCES PÉNÉTRATIONS erzeugt dabei vor allem einen ungeheuren Charme, der die ausgesprochen ärmlich ausgestatteten Bilder und die oft fehlende Erotik neben der gelungenen Musik mit etwas ausfüllt, das ich mal „Zuneigung zu einer bestimmten Stimmung“ nennen möchte. Genauso wie in Klaus Lemkes LIEBE, SO SCHÖN WIE LIEBE am Ende alle einfach zusammen leben und eine gleichwertige Gemeinschaft bilden, genauso ist es auch hier. Man isst, man trinkt, man hat Sex, und mehr als nur eine Brise Gleichheit und Brüderlichkeit ziehen durch die Geschichte und lassen erahnen, was damals, in den Zeiten der sogenannten Freien Liebe, ursprünglich mal angedacht war (und damit meine ich nicht das was daraus geworden ist, sondern wirklich die Grundidee, die dem Besitzdenken eine Abfuhr erteilen wollte!). Rollin huldigt Idealen, die zur Zeit der Entstehung des Films, also 1975/76, schon lange vergessen und überholt waren zugunsten eines immer stärker werdenden Ich-Hungers. Und so bleibt man hinterher alleine vor dem Bildschirm zurück, möchte am liebsten zurückwinken, noch viel lieber einer der winkenden Menschen sein, zurückgehen in das kleine Haus, sich ausziehen und einfach weitermachen. Sorgen? Probleme? Krieg? Hunger? Gibt es hier alles nicht. Es geht darum, gemeinsam eine richtig gute Zeit zu haben. Selbst die Castel-Zwillinge schaffen das irgendwann, wenngleich es auch einige Zeit mit drolligen Szenen braucht.

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DOUCES PÉNÉTRATIONS hat trotz der oft etwas mangelnden Erotik (oder vielleicht gerade deswegen?) eine sehr starke Wohlfühlstimmung in die man sich hervorragend hineinfallen lassen kann, und eine Veröffentlichung mit verständlichen Untertiteln und einem guten Bild dürfte ihn nochmal ein gutes Stück aufwerten. Ein Mittelding aus einem verhindertem Rammelfilm und Rollin-Poesie mit einem guten Stück Freiheitsträumerei.

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