Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Alles, was nichts oder nur am Rande mit Film zu tun hat

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Dick Cockboner
Beiträge: 2566
Registriert: Sa 30. Mai 2015, 18:30
Wohnort: Downtown Uranus

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von Dick Cockboner »

Dietmar Wischmeyer Achtung Artgenosse - Auf der Suche nach menschlichem Leben
Wischmeyer schreibt genauso wie er redet, kann man mögen oder auch nicht. Ich mag's.
Jürgen von der Lippe hat das ganz gut erkannt: "Wischmeyer benutzt das Florett wie einen Vorschlaghammer - und umgekehrt."
Bild
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38712
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Maulwurf hat geschrieben: Do 20. Okt 2022, 17:59 Also da muss ich jetzt einfach einschreiten! Die ersten vier Schindelschwinger-Bände gehören zu den besten Comics die ich jemals gelesen habe (und als früherer Comic-Verkäufer waren das schon das ein oder andere). Seit der ersten Sichtung in den frühen 80ern bis heute sind diese vier Bände ein nie versiegender Quell unglaublicher Lachkrämpfe, und Schindelschwinger-Witze haben es schon lange in meinen täglichen Wortschatz geschafft. Was Schulz und Ryba damals auf die Beine gestellt haben war einfach pure und komische Anarchie, übertroffen höchstens vom Buch Ruth (so, und wer den Witz versteht, der kennt auch den Schindelschwinger). Den fünften Band möchte ich vielleicht, in Anbetracht der aktuellen Diskussion, mit HALLOWEEN KILLS vergleichen, im Gegensatz zum ersten Film von vor x Jahren. Damit kann vielleicht der Unterschied ein wenig klar gemacht werden.

Aber Du hast natürlich Recht, die Geschichte hinter dem unsäglichen fünften Band ist ein Kuriosum, und um Längen einfallsreicher als der Band selber. Die ersten vier Bände aber, sollte in meinem Sarg noch Platz sein möchte ich mit denen begraben werden ... :kicher:
Ich werde die Augen nach dem originalen Schindel-Schwinger offenhalten ;)
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
sid.vicious
Beiträge: 2029
Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
Wohnort: Bochum

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von sid.vicious »

Dorothy-M-Johnson+Der-Galgenbaum.jpg
Dorothy-M-Johnson+Der-Galgenbaum.jpg (491.88 KiB) 305 mal betrachtet
Dorothy M. Johnsons Buch ist weitestgehend konform mit der 1959er Verfilmung. Was beispielsweise abweicht: An die Stelle von Dr. George Grubb tritt bei Dorothy ein Hassprediger. Die versuchte Vergewaltigung wird im Buch nicht thematisiert. Die immer wiederkehrende Formel, Bücher sind eh besser als die daraus resultierenden Filme, geht hier - zumindest meines Erachtens - nicht auf. Ich mag das Buch, aber der Film konnte mich deutlich mehr fesseln, was freilich den gut agierenden Darstellern/innen geschuldet ist.
Bild
Benutzeravatar
sid.vicious
Beiträge: 2029
Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
Wohnort: Bochum

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von sid.vicious »

Heiko-R-Blum+Heyne-Filmbibliothek-Götz-George-Seine-Filme-sein-Leben.jpg
Heiko-R-Blum+Heyne-Filmbibliothek-Götz-George-Seine-Filme-sein-Leben.jpg (47.45 KiB) 282 mal betrachtet
Ich hatte das Buch in der Hoffnung erworben, um ein paar Anekdoten von den Dreharbeiten in den 1950ern und 1960ern zu erfahren, was nicht wirklich erfüllt wurde. Trotzdem haben mir die ersten 50 Seiten richtig gut gefallen. Dann geht es mit Schimanski und Götz George über (…) als auch (…) über Götz George los. Und nein, es wird in diesem Kontext nicht über Atze Brauner oder Harald Reinl gesprochen, sondern über Kotulla, Graf, Feik etc..

Ich fühle mich ab 1983 nicht wirklich wohl im bundesdeutschen Kino oder im bundesdeutschen TV, sodass ich nicht wirklich Feuer und Flamme für diese Buch wurde. Empfehlenswert ist das allerdings das Gespräch mit Renan Demirkan, die mir mittels ihrer offenen Art (z.B. zur TV-Programmgestaltung in den 1980ern) aus der Seele sprach.

Filmanalysen gibt es keine, muss auch nicht sein, da ich über KIRMES und AUS EINEM DEUTSCHEN LEBEN bereits alles Erdenklich gelesen habe.
Bild
Benutzeravatar
sid.vicious
Beiträge: 2029
Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
Wohnort: Bochum

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von sid.vicious »

index.jpg
index.jpg (15.07 KiB) 265 mal betrachtet
Das Buch wurde 1971 erstmals veröffentlicht. Eine Zeit in der von den heutigen Möglichkeiten (Heimkino, Internet) vermutlich nicht einmal zu träumen war. Der Autor John Baxter hat viele Filme im Kino geschaut und sich ganz viele Notizen gemacht, um diese letztendlich in seine Arbeit einfließen zu lassen. Seine verwendete Literatur begrenzt sich - sofern ich mich nicht verzählt habe - auf drei Bücher über John Ford, sechs Drehbücher und fünf Zeitschriften. Neben Fords Leben und seinem Filmschaffen sowie den einhergehenden ausführlichen Filmanalysen setzt sich Baxter immerzu mit den symbolischen Bedeutungen (z.B. Natursymbole) in Fords Filmen auseinander. Ferner sucht und findet Baxter die Verbindungen von Fords Filmen zur damaligen Gesellschaft, womit er zwar keine Pioniersarbeit leistete, aber die Betrachtungen seiner Vorschreiber in seinem Buch sammelte und um eigene Eindrücke erweiterte. Einziges Manko: Baxters Filmanalysen wirken phasenweise ein wenig leblos. Ansonsten gibt es nach meinem Dafürhalten nichts zu meckern.
Bild
Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 8960
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von karlAbundzu »

Lisa Taddeo: Animal
Eine Erzählerin spricht zu einer unbekannten Person. Sie berichtet von ihrem Leben. Von ihrem Zug ins Valley in der Nähe von LA. Von ihrer Vergangenheit zwischen zwei verheirateten Männern. Von traumatischen Ereignissen in ihrer Kindheit.
Dabei bleibt sie mir leider fern, kommt mir emotional nicht nah. Ich blieb dran, um endlich zu wissen, wann sie wen umbringt ( schon wieder ein Buch um eine mordende Frau, was bin ich nur für ein Mensch) , die anderen Möhren, die einem vor die Nase gehängt werden ( who the fuck is Alice und an wen wendet sich die Erzählerin) sind allzu durchschaubar.
Letztendlich scheinen die heftigen Ereignisse als aufgesetzte Provokation und insgesamt geht es um eine Frau, die sich immer wieder in Abhängigkeit von Männern begibt, und schlussendlich sich in die konservativste Rolle begibt.
Leider nichts.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38712
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 9: 1967 – 1968

Weiter geht’s mit den Jahren 1967 und 1968 im neunten Band der Peanuts-Werkausgabe des Hamburger Carlsen-Verlags: Auf rund 330 gebundenen Seiten werden alle jeweils vier Panels umfassenden Zeitungsstrips und großformatigen Sonntagsseiten jenes Zeitraums aus der Feder Charles M. Schulz‘ in chronologischer Reihenfolge unkoloriert in deutscher Übersetzung präsentiert. Für das Vorwort gewann man diesmal den provokativen US-amerikanischen Regisseur John Waters, der seine Liebe zu Lucy gesteht und seine Begründungen dafür mit genauestens Panel-Angaben als Quellen belegt. Auf ähnliche Weise lobt er Schulz‘ Zeichenstil, bringt eine Reihe von Strips mit damals zeitgenössischen Themen in Verbindung und, für Cineastinnen und Cineasten besonders interessant: zählt auf, welche Einflüsse welche Peanuts-Figuren oder -Topoi auf seine Filme hatten. Nicht minder aufschlussreich ist wie üblich das Glossar, das aus heutiger mitteleuropäischer Sicht erklärungsbedürftige Strips erläutert und auf möglicherweise sinnverändernde deutsche Übersetzungen hinweist. Gary Groths bekanntes Nachwort und der Stichwortindex runden auch diesen Band ab.

Los geht’s mit Snoopy in seiner Paraderolle als Flieger-Ass auf der Jagd nach dem Roten Baron, eine Rolle, in die er in diesen zwei Jahren so oft wie nie zuvor schlüpfen wird. Kurioser- und beschämenderweise erscheint Linus‘ Angst vor der Masernimpfung vom 2. bis 7. Januar 1967 aktueller denn je. Am Valentinstag sind die zahlreichen Karten, die Snoopy erhält, auch ein Indiz für die überbordende Beliebtheit speziell dieser Peanuts-Figur. Der Running Gag um Charlie Browns Unfähigkeit, einen Papierdrachen in der Luft zu halten, wird um den „drachenfressenden Baum“ erweitert, wofür am 2. März 1967 sogar das Vier-Panel-Prinzip aufgebrochen wird. Mit José Peterson wird am 20. März ’67 eine neue Figur eingeführt, der jedoch keine allzu lange Existenz im Ensemble vergönnt sein sollte. Snoopy erfreut sich weiterhin an den Imitationen anderer Tiere und mimt im März ’67 gar einen Piranha, seine bevorzugte Inspiration bleiben aber Geier. Ein Woodstock verdammt ähnlich sehender, aber noch namenloser Vogel landet Anfang April auf Snoopys Hütte. Eine „Alice im Wunderland“-Hommage, genauer: an die Grinsekatze findet sich am 18. April ’67, wenn Linus die Geschichte liest und Snoopy in die Katzenrolle schlüpft.

Eben jener Beagle verliebt sich am 5. Juni ’67 in Twiggy, jenes reale, damals angesagte Fotomodell, und Charlie Brown bekommt wieder Frühlingsgefühle wegen des, na klar, kleinen rothaarigen Mädchens – im Gegensatz zu Snoopys kurzer Schwärmerei ein nahezu traumatischer Dauerzustand Charlies. Im Ferienlager treffen Charlie und Snoopy wieder auf Peppermint Patty, die zwei Jahre zuvor eingeführt worden war. Doch auch dort sind zu Charlies Verdruss Leistungsdruck, Hohn und Spott an der Tagesordnung. Ganz wie beim Baseball also, bei dem Charlie weiterhin an seiner Mannschaft verzweifelt. Weitere wiederkehrende Späße sind der obligatorische Football-Tritt Charlies, der große Kürbis, auf den Linus jedes Halloween vergeblich wartet, und natürlich Lucys Psychoberatungen und ihre einseitige Liebe zu Schroeder, der übrigens 1967 glatt Beethovens Geburtstag vergisst! Am 12. Juli 1967 greift Schulz erstmals das Hippie-Phänomen auf, jedoch ohne es zu vertiefen. Snoopy tanzt ab Herbst ’67 mit Vorliebe und trainiert im Winter Eiskunstlauf für die Olympiade in Grenoble. Im November tauscht Charlie seinen Hund doch tatsächlich bei Peppermint Patty gegen fünf gute Baseballspieler ein, eine sich über mehrere Strips ziehende Handlung, die leider schon am 20. November ’67 endet – daraus hätte man weitaus mehr machen können.

Wie eine Art Retourkutsche dafür, löst Snoopy im Frühjahr 1968 Charlie kurzzeitig als Kapitän des Baseball-Teams ab. Linus sorgt sich, dass seine Lieblingslehrerin Fräulein Othmar ihn nicht mehr mögen könnte, während Snoopy die Sportart wechselt: Statt Eiskunstlauf trainiert er nun für die Weltmeisterschaft im Armdrücken, die in Petaluma stattfinden soll. Das ist alles unterhaltsam und komisch, andere Ereignisse dieses Jahres sind jedoch von größerer Bedeutung: Am 18. Juni 1968 betritt Peppermint Pattys Freundin Marcie erstmals die Bildfläche, damals leider noch unter anderem Namen. Eine sehr pointierte Figur, die perfekt bestimmte Charaktereigenschaften karikiert und wie zuletzt auch Patty zeigt, wie gut Schulz das Entwerfen spannender, memorabler neuer Figuren inzwischen gelang. Noch bedeutender ist es, dass sich Schulz am 6. Juli erstmals eindeutig politisch positioniert, indem er Snoopy hinter einem an die Ikonografie der Black-Power-Bewegung angelehnten Plakat unterstützend herlaufen lässt. Und wer das noch nicht verstanden hatte oder nicht verstehen wollte, durfte sich am 31. Juli 1968 über eine neue Figur namens Franklin freuen respektive ärgern, einen schwarzen Jungen, mit dem sich Charlie Brown anfreundet. Das sorgte in den rassistischen USA für Unruhe, einige Zeitungen verweigerten den Abdruck dieser Comic-Strips.

Am 10. August 1968 wird Snoopys Geburtstag gefeiert und immer mal wieder wird eine Ex-Was-auch-immer Snoopys namens Lila erwähnt, deren Kontakt er fürchtet und sich verbittet wie ein gebrannter Mann. Doch am 24. August besucht er sie im Krankenhaus, sie entpuppt sich als blondes Mädchen. Zu Charlies Entsetzen stellt sich heraus, dass es sich bei Lila um Snoopys Vorbesitzerin handelt! Strips voller Melancholie, aber auch Herzenswärme – wunderbar. Snoopys Vermenschlichung führt unterdessen so weit, dass er im Herbst ’68 sogar die Schule besuchen möchte – keine Hundeschule, wohlgemerkt. Nach Eiskunstlauf und Armdrücken entdeckt er auch das Eishockeyspiel für sich, was jedoch zu erhöhter Aggression führt, unter der andere leiden müssen – obwohl er allein spielt…

Nachdem Schulz in den Jahren 1965/’66 entscheidende Weichen für die weitere Entwicklung seiner Reihe gestellt hatte, kamen insbesondere 1968 die letzten Puzzlestücke hinzu, die zukünftig viele weitere Jahrzehnte lang das Bild der Peanuts prägen sollte. Das macht diesen neunten Band der bis hierhin geradezu perfekten Werkausgabe zum sich bisher am komplettesten anfühlenden. Charlie Brown ist mit seinen Versagensängsten und den daraus resultierenden tatsächlichen Unzulänglichkeiten und depressiven Verstimmungen weiterhin der neben Snoopy dominanteste Charakter, der jedoch nur Teil eines Mikrokosmos voller zu ausdrucksstarken Charakteren gereiften Figuren ist, die zahlreiche weitere menschliche Emotionen und Facetten abdecken und entscheidend zum unverwechselbaren „Peanuts“-Humor, -Lebensgefühl und -Lesespaß beitragen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38712
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Frank Schäfer – Metal Störies

Wer diese Rubrik hier mehr oder weniger regelmäßig verfolgt, wird wissen, dass ich viel von Frank Schäfer lese, jenem Braunschweiger Dr. phil., der regelmäßig Bücher über seine Hardrock- und Metal-Leidenschaft veröffentlicht, für Musikmagazine schreibt und zudem ein ausgewiesener Literaturexperte ist, der auch gern autobiographische Romane verfasst und einst bei Salem’s Law Gitarre spielte. Der Ursprung meines Interesses liegt in seinen „Metal Störies“ begründet, die im Jahre 2013 im Berliner Metrolit-Verlag erschienen. Ich war seinerzeit über eine Kurzkritik im Rock Hard gestolpert, hatte mir das rund 150 Seiten umfassende Buch im festen Einband schenken lassen und war nach der Lektüre derart angetan, dass ich mir zahlreiche seiner vorausgegangenen Werke zu Gemüte führte. Chronologisch bin ich jetzt quasi wieder im Jahre 2013 angelangt. Da ich seinerzeit noch kein Lesetagebuch führte, las ich die „Metal Störies“ einfach noch mal, um nun endlich auch zu ihnen etwas schreiben zu können.

Schäfer verknüpft hier in 24 Kapiteln plus „Bonustrack“ Anekdoten aus seiner Jugend in der niedersächsischen Provinz mit, nun ja, Hardrock und Heavy Metal eben, und das in sehr eloquenter, zugleich sympathisch geschriebener Form, für die er viel mehr mit dem Herzen denn verkopft analytisch bei der Sache ist. Gut, mittlerweile weiß ich, dass das zweite Kapitel über seinen Besuch des „Monsters of Rock“-Festivals bereits 13 Jahre zuvor im von ihm herausgegebenen „The Boys Are Back In Town. Mein erstes Rockkonzert“ abgedruckt worden war – dass er inmitten des Iron-Maiden-Sets einfach abhaute, ist indes nach wie vor unfassbar. Weiter geht’s mit seiner eigenen Band und deren Auftritt auf dem Helmstedter Festival zu unmöglichen Bedingungen: Pay to play für 2.000 Kracher! Neben Kritik am Verhalten der Kollegen von Sinner erhält man hier aufschlussreiche Blicke hinter die Kulissen, nicht nur des Festivals, sondern auch der Tele5-Ausstrahlug von Teilen des Festivals. Das zu lesen, diese Zeitreise in die Metal-Parallelwelt der 1980er in der deutschen Provinz, kombiniert mit dem frühen deutschen Privatfernsehen, ist purer Genuss, immerhin war Tele5 mein damaliger Leib-und-Magen-Sender: Als musikbegeisterter Grundschüler und Metal-Fan ohne Kabelanschluss erlebte ich dort nicht nur die Abenteuer der Masters of the Universe und zahlreicher weiterer Zeichentrick-Heldinnen und -Helden, Tele5 wurde auch zu einer Art MTV-Ersatz: Man teilte sich den Sendeplatz mit RTL plus und zeigte nicht nur unzählige Musikvideos, sondern hatte mit „Hard’n’Heavy“ auch eine eigene Metal-Sendung im Programm, die ich ebenso fasziniert wie begeistert verfolgte und dadurch auf etliche Bands stieß, die ich bis heute höre. Der trashige Charme der Moderationen Annette Hopfenmüllers, vor allem aber der häufig ohne Budget hastig von Tele5 selbst gedrehten Videoclips (welche kleinere Metal-Band hatte damals schon eigene, professionelle Clips im Gepäck?) erschloss sich mir erst später, was es aber irgendwie noch schöner machte.



Weiter erinnert sich Schäfer zurück an den Erwerb seiner erste Hifi-Anlage und E-Gitarre, daran, wie er in der Musiksammlung seines großen Bruders stöberte und schließlich Thin Lizzy entdeckte, die er sich erst „erarbeiten“ musste (zuvor, so meine ich mich zu erinnern, bereits in Schäfers 2010 erschienener Essay-Sammlung „Alte Autos und Rock’n’Roll“ veröffentlicht). „An einem dieser Nachmittage wurde mir euphorisch bewusst, dass ich nie wieder Langeweile haben würde“, heißt es da, was die persönliche Gemütslage nach dem Aufstoßen eines Tors in eine ganz eigene, faszinierende musikalische und subkulturelle Welt schön zusammenfasst. Und da ich ohnehin schon zitiere, gleich noch ein Beispiel für Schäfers Wortgewandtheit, sein Talent, Leidenschaft in Worte zu fassen:

„Eine Platte existierte in unserem Hörerkreis exakt einmal. Und wir behandelten sie wie einen Heilsspender, wie ein Palliativ. […] Wir wiesen diesem einen Album einen bestimmten Platz zu in unserem Leben, und dort lud es sich mit Bedeutung auf. Stimmungen, Erinnerungen, Affekte gingen eine haltbare Verbindung mit ihm ein, blieben jederzeit abrufbar. Und wir gaben dem tausendfach vervielfältigten Kunstwerk seine Einmaligkeit zurück.“

Wunderbar auf den Punkt gebracht ist die Polemik gegen Akustik-Sets von Metal-Songs, die Danksagung an Schäfers Vater ist rührend und der Bericht vom Besuch des Ozzfests als Journalist, der anschließend ein Type-0-Negative-Interview durchführen durfte, humorgespickt und launig. Das sind auch die angenehm vielen Geschichten über Salem’s Law, stets selbstironisch als „ihrer Zeit um Jahrzehnte vorauseilende Prog-Metal-Band“ bezeichnet. Eine Hommage an die dänische Band D.A.D. verbindet Schäfer mit klugen Worten zur damaligen Aufsplitterung des Hardrock- und Metal-Bereichs in zahlreiche, sich mitunter spinnefeind gegenüberstehende Subgenres und zur Tonträger-Veröffentlichungsflut, die bis heute nie geahnte Ausmaße angenommen hat. Leider ist dieses Kapitel auch mit der Auflösung seiner Band verbunden.

Der Autor schreibt über einen Hellacopters-Gig, dem er im Hamburger Molotow (nicht Molotov, Herr Schäver!) beiwohnte, um kurz darauf zu sehr Persönlichem zurückzufinden, indem er eine Braunschweiger Beziehungskiste mit der Fahrt zum Thin-Lizzy-Reunion-Konzert kombiniert. In diesem Kontext nimmt er erneut kleinteilige Liebeserklärungen an die Band vor – wunderschön melancholisch erzählt. Ein Kumpel crowdsurft bei Rose Tattoo, auf Wacken wird im Regen gegrillt und Rage werden gefeiert, jeweils garniert mit Schmunzelanekdoten. Und nachdem ich ja nun zum zweiten Mal die Abhandlung über Van Halen gelesen habe, die Schäfer mit einer Rezension des David-Lee-Roth-Comeback-Albums verbindet, muss ich mir das – Memo an mich – wohl auch endlich einmal anhören. Wenn ich schon mal dabei bin, sollte ich mir offenbar auch die Van-Halen/Lee-Roth-Reunion bei MTV 1996 angucken…

Das Gedächtnisprotokoll einer Lesung in Thüringen ist herrlich ironisch-süffisant, die Abi-Fetengeschichte hat aber nun wiederum so gut wie gar nichts mit Metal oder Artverwandtem zu tun (es sei denn, man zählt saufen dazu). Sei’s drum, denn Schäfer schließt versöhnlich mit ehrlicher Freude über die Wiederentdeckung seiner Band unter Metal-Archäologen und übt, last but not least, im Bonuskapitel gerechtfertigte Wacken-Kritik.

„Metal Störies“ vereint in seinen prosaischen Anekdoten persönliche Erinnerungen zwischen Witz und Melancholie, Bandbiographie(n), Konzertberichte, Kommentare und Hintergründe zur Pop- und Rockkultur sowie Plattenkritiken auf scheinbar leichtfüßige Weise und liest sich dank Schäfers Hingabe derart geschmeidig, dass man – einen entsprechenden Bezug zur genannten Themenwelt vorausgesetzt – schnell mehr will. Im Bereich „Sachbuch Musik“ (was viel zu spröde klingt und diesem Buch nicht gerecht wird) war „Metal Störies“ vielleicht Schäfers bis dahin rundestes Stück Literatur, das in mir einen dankbaren und inspirierten Abnehmer fand. Sobald es Zeit und Prioritäten erlauben, greife ich mir das nächste.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
sid.vicious
Beiträge: 2029
Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
Wohnort: Bochum

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von sid.vicious »

heyne-filmbibliothek-und-fernsehbibliothek-nr-85-audrey-hepburn.jpg
heyne-filmbibliothek-und-fernsehbibliothek-nr-85-audrey-hepburn.jpg (13.43 KiB) 191 mal betrachtet
Audrey Hepburns Kindheit war nicht wirklich einfach. Ihr Vater und ihr Vetter wurden von den Nazis erschossen. Sie selbst verschanzte sich 25 Tage (nahezu ohne Nahrung) im Keller, um den Brauen Horden zu entgehen. Die Kapitel, welche sich mit ihrer Kindheit auseinandersetzen, sind fesselnd wie erschreckend zugleich. Das Leben bescherte Audrey Hepburn eh viel Leid, was im weiteren Verlauf des Buchs auch angesprochen wird.

Dem Autor gelingt es, die Entwicklung von der Leinwandkindfrau bis hin zur Leinwand-Lady Marian auf spannende Weise zu vermitteln. Ihre Beziehung mit Mel Ferrer, zahlreiche Fehlgeburten, das Mädchen mit dem süßen Blick hatte es - wie bereits mehrfach gesagt - nicht einfach in ihrem Leben.

Audreys Filme werden nicht analysiert. Es gibt zwar Inhaltsangaben und zeitgenössische Kritiken, aber der Autor verzichtet darauf, die Filme auf Herz und Nieren zu untersuchen. Da keine eigene Meinung propagiert wird, herrscht eine fortwährende Objektivität.

Wer ein wenig über Audrey Hepburn erfahren will, der kann getrost zugreifen, denn das Buch ließt sich flüssig und man ist in ca. 6 Stunden auf der letzten Seite angelangt.
Bild
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38712
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Guido Sieber – Aus lauter Liebe

Der Berliner Illustrator, Comiczeichner und Maler Guido Sieber debütierte mit seinem ersten Comicalbum „Aus lauter Liebe“ innerhalb der Thurner „Edition Kunst der Comics“, wo es im Jahre 1991 als großformatiger, rund 60-seitiger Hardcover-Band erschien.

Obschon Sieber seine Figuren als Karikaturen zeichnet, verbietet sich im Prinzip die Genrebezeichnung Funny. In seinen von einzelnen Parodien und Persiflagen, vor allem auf Werbung und populäre Comicfiguren, flankierten, anarcho-misanthropischen Kurzgeschichten setzt er durch die Überbetonung äußerlicher wie innerlicher menschlicher Makel stark auf den Ekeleffekt. Seine Figuren sehen allesamt wie unförmige Zombies aus, sind stumpfsinnig und roh, triebgesteuert und verkommen. Ihre Zwischenmenschlichkeit ist verloren und egoistisch, ihre Sexualität pervers und abtörnend. Positiv konnotierte Begriffe wie Geselligkeit oder Liebe führt Sieber in seinen Zeichnungen ad absurdum, Moral und Selbstlosigkeit sind genauso abwesend wie klassische Heldinnen oder Helden. Diese wären zwischen all den Ausscheidungen und verwarzten Geschlechtsorganen auch fehl am Platze.

Selbstironisch rechtfertigt sich Sieber, der sich, um anonym zu bleiben, mit über den Kopf gezogener Papiertüte selbst zeichnet, eingangs dafür, kommt aber zur Konklusion: „[Meine Comics] sind nicht häßlicher oder perverser als das Leben selbst!“ Die Panel-Grids folgen nur selten festen Strukturen, scheinen sich vielmehr in einem übergeordneten Chaos ihren Platz zu suchen. Die Handletterung erfolgt in große Versalien, auf Seitenzahlen wurde verzichtet. Dafür sind die Seiten sehr farbenfroh gestaltet, fassen sich auf ihrem matten Qualitätspapier gut an und riechen auch nach 30 Jahren noch gut.

„Aus lauter Liebe“ ist eine fiese Kombination in die Magengrube, ohne auf Melodramatik oder Betroffenheit zu setzen. Vielmehr regieren zu Papier gebrachte Abscheu vor der Gesellschaft, schwarzer Humor und eine nicht ungefähre Aggressivität, mit der sich Sieber zu wehren scheint, sodass sein Comic wie das Ventil eines letztlich an der Realität verzweifelnden, sensiblen Künstlers mit zu guter Beobachtungsgabe wirkt.

Bevor er sich hauptsächlich der Malerei verschrieb, erschienen in den 1990ern offenbar sieben Comicbände Siebers. Selbstredend müssen die nach und nach alle her – so abstoßend sie auch sein mögen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten