Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Alles, was nichts oder nur am Rande mit Film zu tun hat

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

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Gaby Falk / Hans-Joachim Schneider (Hrsg.) – Kindheit in der DDR

Das im Jahre 2013 im Kölner Komet-Verlag veröffentlichte Buch „Kindheit in der DDR“ lässt 160 großformatige Seiten auf hochwertigem Glanzpapier im festen Einband lang und mit über 200 Fotos gespickt mehrere Autorinnen und Autoren ihre Kindheitserinnerungen an die DDR Revue passieren – subjektiv, aus kindlicher Perspektive, anekdotisch.

Auf ein knappes Vorwort folgen 32 kurze Kapitel, die einen Zeitraum von Kinderwunsch und Geburt über Kindergarte, Pionierzeit und Schule bis zur Jugendweihe behandeln. Welche oder Welcher der acht mitunter weitestgehend anonym bleibenden Autorinnen („Ina C., Köln“) und Autoren jeweils welchen Abschnitt verfasst hat, wird dabei nicht genannt. Nun gibt es bekanntlich eine Menge Gründe, weshalb die DDR untergegangen ist, und nicht alle, aber doch einige davon waren systemimmanent. Und dass die Vormachtstellung der SED, zu Beginn stalinistisch geprägt, später unter der Knute einer altersstarrsinnigen Führungselite stehend, nur ebenso schwer mit einem allgemeinen Demokratieverständnis zu vereinbaren ist wie die mangelnde Gewaltenteilung, ist ebenfalls hinlänglich bekannt.

Stellt sich also die Frage, inwieweit ein Buch wie dieses einen kritischen Blick auf die DDR wagt. Um es kurz zu machen: So gut wie gar nicht. Eine andere Frage wäre aber auch, inwieweit dies für Texte, die die damalige kindliche Perspektive zu reproduzieren versuchen, angemessen wäre. Denn zur Wahrheit über die DDR gehört auch, dass, wer nicht gerade einer Familie angehörte, die aus welchen Gründen auch immer unter verschärfter Beobachtung der DDR-Behörden stand oder gegängelt wurde, eine relativ sorgenfreie Kindheit ohne Konsumdruck und Werbeterror, bei den Eltern beobachtete Existenzängste oder religiöse Indoktrination verleben konnte und meist eine respektable frühkindliche Förderung genoss. An die Grenzen des Systems stieß man am ehesten, empfing man das BRD-Werbefernsehen oder hatte man BRD-Verwandt- oder Bekanntschaft, die man gern einmal besucht hätte, meist aber erst in der Jugend, wenn sich ein eigenes politisches Bewusstsein herausbildete und man die Zwänge des Staats und die eingeschränkten Möglichkeiten zur Einflussnahme realisierte.

So mag einem dieses Buch eventuell absurd unpolitisch erscheinen, doch spiegelt es bei genauerer Überlegung im Prinzip wider, dass die Politik im DDR-Alltag für viele schlicht eine untergeordnete Rolle spielte. In lockerer, allgemeinverständlicher, bisweilen aber auch etwas erzwungen naiver Schreibe wird also in der 1. Person Singular oder Plural mit Anspruch auf Authentizität aus der eigenen Kindheit und von der eigenen Familie sowie dem persönlichen Umfeld berichtet, wobei die Erinnerungen sowohl mit ein wenig Humor als auch mit Hintergrundwissen ergänzt werden. Letzteres besorgen auch einige Infokästen, die in das sehr ansehnliche, aber auch sehr großzügige Layout integriert wurden. Dass zwar das Schulessen kritisiert wird, die Personenkult-Indoktrination, für die bereits im Kindergarten vermittelt und abgefragt wurde, wer gerade der ach so großartige SED-Obermufti ist, jedoch unerwähnt bleibt, irritiert mich dann aber doch – wobei das von Region zu Region oder auch Kindergarten zu Kindergarten unterschiedlich ausgeprägt gewesen sein kann. Auf S. 59 findet sich dann aber zumindest auch ein Kommentar zum „Kommunikations-Dualismus“ und zum latenten Misstrauen, was meint, dass aus Sorge vor der Stasi in den eigenen vier Wänden privat über politische und staatliche Belange anders miteinander geredet wurde als in der Öffentlichkeit.

Ein eingeflochtener Bericht zur DDR-Wohnungsnot bleibt derweil komplett unkommentiert, wodurch dieses Thema unvollständig, wenn nicht gar fehlplatziert erscheint. Reisen und ähnliche Unternehmungen werden dagegen durchaus realistisch und mit einem Hauch Selbstironie geschildert. Kurioserweise widerspricht die Bildunterschrift auf S. 125, gemäß derer man in den sozialistischen Bruderländern „immer nur auf freundliche Menschen“ getroffen sei, dem Text daneben. Dass sich die Erinnerungen der Autorinnen und Autoren ähneln, liegt nahe, dass dadurch jedoch gleich zwei weitestgehend identische Ferienlagergeschichten im Buch gelandet sind, erscheint mir redundant. In einem der letzten Kapitel, jenem zum Wehrunterricht an den Schulen, geht es inhaltlich passend bereits ziemlich erwachsen zu, wenn die Grenzen der politischen Indoktrination beim mittlerweile jugendlichen Nachwuchs aufgezeigt werden, was wiederum für ein durchaus vorhandenes politisches Bewusstsein der Autorin oder des Autors spricht.

Viele Erinnerungen, die in dieses Buch fanden, sind gar nicht unbedingt DDR-spezifisch, was die vorhandenen Parallelen zur Kindheit in der BRD oder auch in anderen Nationen verdeutlicht. Dass interessierten Leserinnen und Lesern, die mit der DDR-Kultur weniger vertraut sind, Bummi und Pittiplatsch nicht erklärt werden, ist etwas schade, auch wären ein paar Auszüge aus den lesenswerten Printerzeugnissen für Kinder wie der Frösi, der ABC-Zeitung und Konsorten oder auch Standbilder aus den liebevoll gestalteten Kindersendungen im Fernsehen schön gewesen. So oder so dürfte sich „Kindheit in der DDR“ in erster Linie an diejenigen richten, die ihre eigene Kindheit selbst dort verbracht oder ihre Kinder in der DDR zur Welt gebracht haben. Dieses Publikum wird zum Schmökern, Schwelgen in eigenen Erinnerungen und natürlich zu (n)ostalgischen Gefühlen eingeladen, vielleicht auch zu Vergleichen mit der jetzigen Situation in Bezug auf Soziales, Kinder und Familie. Aber auch, wer sich ohne eigene DDR-Vita dafür interessiert, wie es „dort drüben“ aus Kindersicht zuging, findet niedrigschwellige Ansätze in einem bewusst unpolitisch, aber auch ideologiefrei konzipierten Buch, das sich aufgrund seiner vielen großen Abbildungen und dem im Verhältnis dazu eher geringen Textanteil an einem Abend bewältigen lässt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Maulwurf
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von Maulwurf »

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Stefan Lorant: Wir vom Film

50 Stars erzählen von ihrem Leben, und wie sie zum Film gekommen sind. Ursprünglich ist das Buch 1928 erschienen, gelesen wurde die Neuauflage von 1986. Somit ist klar, dass es sich hier fast ausschließlich um Stars der Stummfilmzeit handelt. Von Emil Jannings über Pola Negri bis zu Paul Wegener sind genauso die größten deutschen Stars dabei, wie mit Gloria Swanson, Harold Lloyd oder Buster Keaton die Superstars des US-amerikanischen Kinos. Längst vergessene Mimen wie Ellen Richter, Lya de Putti oder Werner Krauß stehen neben auch heute noch bekannten Namen wie Olga Tschechowa oder Adolphe Menjou.

Jeder darf in einem unterschiedlichen Stil seinen Lebensweg beschreiben, und natürlich wie er oder sie zum Film gekommen ist. Unterschiedlicher Stil bedeutet, dass zum Beispiel der Kinderstuhl von Grete Mosheim beschreibt, was aus seiner „Herrin“ wurde. Conrad Veidt gibt einen kurzen Abriss im Telegrammstil ab, Paul Wegener schreibt als einziger deutlich mehr als drei Seiten mit viel spannendem Background, Elisabeth Bergner schildert alles sehr amüsant in Form einer Gerichtsverhandlung („Geboren?Ja“ „Nähere Umstände?“ „Ich hatte Vater und Mutter.“), und Henny Porten liefert gar nur Fotos ab. Camilla von Hollay beschreibt ihr Leben in Filmeinstellungen mit Zwischentiteln, Erna Morena schreibt an einen unbekannten Freund aus einer Kleinstadt einen Brief, und Paul Morgan, typisch für ihn, bringt einen gereimten Lebenslauf zum Besten.

Dabei sind die Texte selten auf Goldene Post-Niveau, im Gegenteil: Fritz Rasp beschreibt beispielsweise sehr anschaulich, wie elend es ihm viele Jahre lang ging, bis er endlich als ernsthafter Schauspieler wahrgenommen wurde und ein wenig mehr Geld verdienen konnte. Ein Lamento, dass selbst der berühmte Emil Jannings anstimmt, von den kleineren und bereits damals nicht so berühmten Darstellern ganz zu schweigen. Doch was WIR VOM FILM vor allem auszeichnet ist das umfangreiche Bildmaterial, welches bei der Erstveröffentlichung für überschwängliche Kritiken gesorgt hat. Viele viele kleine und größere Bilder, alle sorgfältig beschriftet, bringen auch dem Leser von heute die Stars und Sternchen schnell näher.
Ebenfalls interessant ist die häufige Nennung der immergleichen Namen. An Max Reinhardt habe ich mich, nach der Lektüre einiger Bücher über die damaligen Theater- und Filmschauspieler längst gewöhnt, aber vor allem die Namen Ernst Lubitsch oder Fritz Lang sind hier häufig als Förderer und Entdecker junger Talente zu lesen. Wilhelm Dieterle, der ebenfalls einen Text beisteuern durfte, war in der Zeit der ursprünglichen Buchveröffentlichung sogar noch vorwiegend als Schauspieler unterwegs; seine Regiekarriere hatte zwar bereits begonnen, die großen Erfolge lagen aber noch ein wenig in der Zukunft.

WIR VOM FILM wirkt beim Lesen tatsächlich so, als ob die Stars persönlich angeschrieben wurden und auch geantwortet hätten. Dem ist nicht so, im Vorwort des ursprünglichen Verfassers für den Reprint von 1986, in dem er auf die damaligen Zeiten zurückblickt und seinen eigenen Werdegang beim Film schildert, erzählt er auch, wie er auf die Idee zu diesem Buch kam, und bei seinen eigenen Freunden begann. So interviewte er u.a. Willy Fritsch, Asta Nielsen und Henny Porten, bekam auch Familienbilder von ihnen, und hat diese Interviews dann in Lebensläufe umgebaut, die von den Freunden so unterschreiben wurden. Weiter erzählt er, dass die Lebensläufe der US-Filmstars mit Hilfe der Berliner Büros der amerikanischen Filmgesellschaften entstanden. „Einige Jahre später, als ich Chaplin in Berlin kennenlernte, sagte er mir lachend, er habe den von mir geschriebenen Lebenslauf als seine offizielle Biographie verwendet“.
Dieser persönliche Stil sorgt beim Lesen für viel Abwechslung und, trotz einiger tragischer Momente, auch für große Heiterkeit. Wer etwas übrig hat für die Stars der Stummfilmzeit, sollte, wenn er WIR VOM FILM einmal irgendwo sieht, nicht vorbeigehen. Das Buch ist eine gut zu lesende und hübsche Ergänzung zu den offiziellen Nachschlagewerken mit erstklassigem Bildmaterial.
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buxtebrawler
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Maulwurf hat geschrieben: Mo 18. Okt 2021, 20:15 Stefan Lorant: Wir vom Film
Tolle Buchbesprechung, Maulwurf! :thup:
Hätte eigentlich einen separaten Thread verdient.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Maulwurf
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von Maulwurf »

buxtebrawler hat geschrieben: Mi 20. Okt 2021, 08:30
Maulwurf hat geschrieben: Mo 18. Okt 2021, 20:15 Stefan Lorant: Wir vom Film
Tolle Buchbesprechung, Maulwurf! :thup:
Hätte eigentlich einen separaten Thread verdient.
Vielen Dank für die Blumen! War mein erster Versuch mit einem Buch, und ich sehe da sehr wohl noch Verbesserungspotential. Aber das Feedback macht Mut, sowas öfter mal zu wagen :D
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Beitrag von buxtebrawler »

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Jari Banas – Das Kapital. In Farbe

Karl Marx‘ „Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie.“ erschien im Jahre 1867 und besitzt noch immer Gültigkeit, wird jedoch kaum noch von jemandem gelesen. Um Marx‘ Ergebnisse seiner Forschungen in Bezug auf Wirtschaft und Politik allgemeinverständlich zu abstrahieren, erschien 1974 mit „Geschichten vom Doppelcharakter. Der erste Band des ‚Kapital‘, gezeichnet & kommentiert von K. Plöckinger & G. Wolfram“ im Hamburger VSA-Verlag eine erste Comic-Adaption. Diese nahm der finnischstämmige, in Goch aufgewachsene Zeichner und Autor Jari Banas als Grundlage für seine 1980 ebendort veröffentlichte Comic-Version, die mehrere Neuauflagen erfuhr und 2018 anlässlich Marx‘ 200. Geburtstags als aktualisierte und vollkolorierte Fassung in einer rund 170-seitigen Softcover-Ausgabe erschien.

Enthalten sind die 25 ursprünglichen Kapitel sowie ein knapper vorangestellter Prolog, der zur Bewältigung der Finanzkrise 2008 die Lektüre des „Kapitals“ empfiehlt, und die beiden Ergänzungen „30 Jahre später“ sowie „Marx kommt wieder“. Im anarchischen Funny-Stil der Politcomics der ‘70er und ‘80er, grob à la Seyfried und Konsorten inklusive deren heutzutage mitunter ein wenig überholt erscheinenden urwüchsigen Simplizität und etwas groben Lagereinteilung der politischen und gesellschaftlichen Großwetterlage, gelingt es Banas, mittels vielen einfachen Beispielen und Allegorien den Einstieg in Marx‘ Werk zu erleichtern, die Grundlagen zu vermitteln und nach und nach in etwas komplexere Bereiche vorzudringen. In der konkreten Umsetzung heißt das, dass ein rauschebärtiger Marx zwei unbedarften Kindern – und damit den Leserinnen und Lesern – seine Erkenntnisse vermittelt, wobei es häufig durchaus frech, provokant oder auch emotional zur Sache geht. Der Humor – Marx mit Stinkefüßen und ähnliche Albernheiten – ist dabei mitunter etwas schräg und gewöhnungsbedürftig.

Das ergänzte Kurzkapitel „30 Jahre später“ greift den Siegeszug des Internets auf, während die wesentlich längere Aktualisierung „Marx kommt wieder“ konkreten Bezug auf aktuelle politische Ereignisse und Verwerfungen nimmt und eine inhaltlich anknüpfende Brücke zur Erstausgabe aus dem Jahre 1980 schlägt. Bei allen Versuchen, die Zeitlosigkeit des „Kapitals“ hervorzuheben und dessen Inhalt auf die Gegenwart zu übertragen, bleiben dennoch einige Fragen offen. Als ein Beispiel sei genannt, was eigentlich mit Menschen ist, die nicht selbst produzieren, aber trotzdem weder über Kapitel noch Produktionsmittel verfügen – diese finden hier schlicht nicht statt. Ebenso wenig übrigens der real existierende Sozialismus, von den Gründen seines Scheiterns ganz zu schweigen. Darauf wird mit keiner Silbe eingegangen, allen Bemühungen, jüngere zeitgeschichtliche Entwicklungen zu berücksichtigen, zum Trotz.

Das ist etwas schade, soll aber niemanden von der Lektüre abhalten, der sich gern einmal auf vergnügliche, unterhaltsame Weise an „Das Kapital“ heranwagen möchte, weil er sich aus nachvollziehbaren Gründen vor dem Originaltext scheut – denn prinzipiell empfinde ich es als ein sehr ehrenwertes Unterfangen, die Comicform zwecks Vermittlung komplexer Sachverhalte zu wählen. Ein niedrigschwelliger Einstieg dürfte hiermit möglich sein.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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sergio petroni
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Beitrag von sergio petroni »

buxtebrawler hat geschrieben: Mi 20. Okt 2021, 08:30
Maulwurf hat geschrieben: Mo 18. Okt 2021, 20:15 Stefan Lorant: Wir vom Film
Tolle Buchbesprechung, Maulwurf! :thup:
Hätte eigentlich einen separaten Thread verdient.
Da schließe ich mich an!
Gibts ja zum Glück noch für recht schmales Geld!!
Danke Maulwurf!!!
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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Maulwurf
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von Maulwurf »

sergio petroni hat geschrieben: Sa 23. Okt 2021, 19:40
buxtebrawler hat geschrieben: Mi 20. Okt 2021, 08:30
Maulwurf hat geschrieben: Mo 18. Okt 2021, 20:15 Stefan Lorant: Wir vom Film
Tolle Buchbesprechung, Maulwurf! :thup:
Hätte eigentlich einen separaten Thread verdient.
Da schließe ich mich an!
Gibts ja zum Glück noch für recht schmales Geld!!
Danke Maulwurf!!!
Gerne :verbeug:
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Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 8: 1965 – 1966

Einmal mehr versammelt der Hamburger Carlsen-Verlag auf rund 330 Seiten sämtliche je vierpaneligen Zeitungsstrips und großformatigen Sonntagsseiten der „Peanuts“-Comicreihe aus der Feder des US-Amerikaners Charles M. Schulz. Die gebundene Werkausgabe Nr. 8 fasst in chronologischer Reihenfolge die unkolorierten deutschen Übersetzungen der Jahre 1965 und ’66 zusammen und bietet diesmal dem Literaturkritiker Denis Scheck die Vorwortbühne, die er nutzt, um zu erklären, weshalb er die „Peanuts“ gruselig findet und welche Comics er (nicht) mag. Gary Groths Nachwort ist inzwischen ebenso hinlänglich bekannt wie der Stichwortindex und vor allem das Glossar hilfreich sind, erläutert letzteres doch die Inhalte einiger für heutige Mitteleuropäer nicht mehr unbedingt selbsterklärenden Gags und weist es zudem auf Unterschiede zwischen Original und deutscher Übersetzung hin.

Und es war wieder einiges los im „Peanuts“-Kinder-Mikrokosmos: Linus’ bedauernswerte Lehrerin Fräulein Othmar erleidet einen Nervenzusammenbruch, Charlie Brown lernt die Tücken der Prokrastination kennen – und Snoopy die erste Liebe! Leider bereitet die Beagle-Hündin, die man – Parallele zum kleinen rothaarigen Mädchen? – nie zu Gesicht bekommt, ihm tierischen Liebeskummer. Eigentlich eine Winterbekanntschaft, trifft Snoopy sie im Sommer noch einmal wieder. Charlies Drachen steigen genauso schlecht wie im Vorjahr und die neue Baseball-Saison geht genauso kläglich verloren, natürlich fällt er auch wieder auf Lucy herein, die ihm einen Football hinhält, dafür tauchen aber erstmals Skateboards (1965!) auf. Und im Frühjahr (genauer: am 2. Mai 1965) beginnt Charlie wieder über das kleine rothaarige Mädchen zu sinnieren, während Schröder sich mittlerweile Lucys Anwesenheit beim Klavierüben verbittet. Wer hier verliebt ist, ist’s in den oder die Falsche(n).

Snoopy arrangiert ein Familientreffen seines Wurfs und kehrt konsterniert zurück, verlässt gar seine Hütte für ein Vogelpaar, zieht aber bald wieder ein und etabliert mit seinen schriftstellerischen Ambitionen (stets beginnend mit „Es war eine dunkle und stürmische Nacht.“) einen neuen Running Gag. Die Vogelküken auf Seite 65 sehen übrigens erstmals aus wie Woodstock, doch bis zu dessen Debüt muss man noch ein paar Jährchen warten. Am 10. Oktober 1965 beginnt Snoopys Jagd auf den Roten Baron und damit einer der tollsten Standards der „Peanuts“-Historie: Ein Hund mit Helm und Fliegerbrille, der sich auf seiner Hundehütte sitzend in Weltkriegsabenteuer fantasiert. Im Frühjahr 1966 spielt er gar Fremdenlegionär Beau Geste aus dem gleichnamigen Film bzw. Roman nach, wie es – vermutlich später – auch sein „Kollege“ Droopy einst tun sollte. Sogar zum Surfer avanciert der Tausendsassa zwischenzeitlich.

Kein „Peanuts“-Halloween ohne den „Großen Kürbis“, an den Linus nach wie vor unbeirrt glaubt. Sally macht das durch, was früher viele Kinder ertragen mussten, heutzutage aber gänzlich verschwunden scheint: Sie muss eine Zeitlang eine Augenklappe tragen. Als wiederkehrende Figur wird Roy eingeführt, den erst Charlie und später Linus im Ferienlager kennenlernt. Bedeutender ist jedoch Roys Freundin, die am 22. August 1965 auf den Plan tritt und seither aus den „Peanuts“ nicht mehr wegzudenken ist: Peppermint Patty, eine der liebenswürdigsten Figuren des Ensembles! Die Snoopy-Strips ab dem 19. September 1965 haben einen traurigen Hintergrund: So, wie Snoopys Hundehütte ein Raub der Flammen wird, wurden es kurz zuvor Schulz’ Keller und Atelier – einer der vielen interessanten Hintergründe, die das Glossar vermittelt.

Dass ausgerechnet Charlie Brown Schülerlotse wird, ist eine weitere überraschende Entwicklung, die diese zwei Jahre abrundet. Zwei Jahre, in denen entscheidende Weichen auch für die weitere Entwicklung der Reihe gestellt wurden, was sich vor allem im „Roten Baron“ und Peppermint Patty, jener neuen, enorm charismatischen weiblichen Figur, widerspiegelt. Hand in Hand gehend mit Schulz’ angenehmem, oft hintergründigem oder nachdenklichem bis melancholischem Humor bieten all die kleinen und großen Geschichten dieses Bands eine ebenso aufschluss- und erkenntnisreiche wie vergnügliche Comic-Zeitreise, wie gewohnt in optimaler Form von Carlsen dargereicht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von Arkadin »

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Asterix und der Greif – Nach dem Tode von Rene Goscinny im Jahre 1977 übernahm Zeichner Uderzo auch das Texten der nächsten Asterix-Bände. Dass Uderzo in erster Linie Zeichner und kein großer Geschichtenerzähler ist, merkte man seinen insgesamt acht im Alleingang gestalteten Asterix-Bänden leider immer mehr an. „Der große Grabe“ war noch ganz gut, bei danach ging es langsam bergab. Dazu beigetragen haben sicherlich auch die deutschen Übersetzungen. War bis inklusive Band 29 noch die wunderbare Gudrun Penndorf für die Übersetzung verantwortlich, so empfand ich die Übersetzung durch Marcel F. Walz bei Band 30 und 31 als reichlich misslungen. Ab 33 übernahm Klaus Jöken, mit dem auch die Qualität zurückkehrte. Zumindest in der Übersetzung. Tatsächlich ist „Gallien in Gefahr“ - der letzte von Uderzo getextete Band – der einzige seit „Die Odyssee“, den ich mir nicht mehr bei der Veröffentlichung gekauft habe und den ich – nachdem ich ihn mal in der Bahnhofsbuchhandlung angelesen habe – bis heute habe stehen lassen. Bei den beiden Neuen Jean-Yves Ferri (Text) und Didier Conrad (Zeichnungen) war ich auch erst skeptisch. Und tatsächlich ist „Bei den Pikten“ eine Steigerung gegenüber den letzten Uderzos gewesen, aber noch kein echter Kracher. Aber die beiden steigert sich kontinuierlich und mit starker Kurve nach oben. „Die Tochter des Vercingetorix“ würde ich locker als besten Asterix-Band seit Goscinnys Tod bezeichnen. Großartig. Jetzt ist vor einigen Tagen „Asterix und der Greif“ erschienen, auf den ich mich endlich wieder richtig gefreut habe. Und das zurecht. Zwar gefiel mir der direkte Vorgänger etwas besser, aber das ist mittlerweile dann Heulen auf hohem Niveau. Ferri/Conrad machen alles richtig. Die Story hat einen schönen Drive, wird nicht langweilig und ist manchmal sogar recht spannend. Der Witz der frühen Alben wird nicht wirklich erreicht, aber das macht nichts. Ich habe einige Male geschmunzelt, aber nicht laut lachend auf die Schenkel geklopft. Was Ferri/Conrad sehr gut machen: Sie entwickeln die seit über 50 Jahren bekannten Figuren weiter. Subtil, aber man merkt es schon. Sie bekommen mehr Ecken und Kanten. Und sie stehen nicht so absolut im Vordergrund. Andere Figuren bekommen da auch viel Raum zum Atmen. In „Greif“ jetzt nicht so stark wie in „Die Tochter...“, aber unsere beiden Helden sind nicht die absolut Überlegenen. Was sich im „Greif“ schon dadurch bemerkbar macht, dass der Zaubertrank hier wirkungslos ist und Asterix dadurch ein „normaler“ Held ist, der sich mehr auf Raffinesse verlassen muss. Ferri/Conrad nehmen sich hier viele Freiheiten ohne die Figuren jetzt neu zu erfinden. Sie passen sie nur behutsam an. Das gefällt mir. Sie haben sich ganz offensichtlich vom Ballast der Goscinny und vor allem dem Uderzo-Zeit freigeschwommen. Conrads Zeichnungen sind auch fantastisch. Stimmungsvoll und sehr detailreich. Wie hier das eisige Sarmatien (ein Land welches es wohl wirklich gab, von dem aber heute sehr wenig bekannt ist) in Szene gesetzt wird, lässt einen tatsächlich ab und zu frösteln. Was auch neu ist... die Römer sind in diesem Band nicht nur die lustige Prügelknaben und Steh-auf-Männchen. Wenn man die Geschichte mal mit etwas Abstand Revue passieren lässt, dann
► Text zeigen
. Das ist schon etwas finsterer als sonst. Es gibt auch viele Anspielungen auf die momentane Zeitgeschichte, die aber nicht plump wirken, sondern sich gut in die Geschichte einfügen. So geht es um Verschwörungstheorien, Feminismus, moderne Formen des Zusammenlebens usw. Nur das Ende fand ich etwas unspektakulär. Aber okay. Sehr gutes Comic. Ich freue mich auf Band 40.
Früher war mehr Lametta
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karlAbundzu
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von karlAbundzu »

Ich war auch positiv bewegt. Eine verlängerte Pause in Hannover brachte mich zum Kauf und ließ mich anschließend ein paar mal auflachen. Die Geschichte ist gut durchdacht und hervorragend gezeichnet. Einerseits viele Details, andererseits viel Platz für Atmosphäre, so sind sowohl Dorf als auch die Weite Landschaft gut eingefangen.
Und die Gallier insbesondere Asterix steht kaum im Mittelpunkt, mehr Raum und Charakteristika nehmen die Sarmatier ein.
Guter Band.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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