Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Alles, was nichts oder nur am Rande mit Film zu tun hat

Moderator: jogiwan

purgatorio
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von purgatorio »

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purgatorio hat geschrieben: Do 18. Jan 2024, 10:01
karlAbundzu hat geschrieben: Mi 15. Nov 2023, 15:54 Starker Film, den man durchaus kritisch sehen könnte.
Ich sollte mal die Henlein Vorlage lesen.
Genau das habe ich zwischen den Jahren getan!

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Robert A. Heinlein: Starship Troopers
Reine Neugier und etwas Zeit zwischen den Jahren führten zur Lektüre des Grundlagenwerkes von Heinlein, auf dem ja heute quasi ein Franchise basiert. Wobei der Einfluss von Verhoeven auf dieses wesentlich größer ist, als der von Heinlein (zumindest visuell - logisch).
Heinlein hat hier 1959 einen ordentlichen Klopper rausgehauen und damit diverse Maßstäbe gesetzt, an denen sich so ziemlich alle nachfolgende Science Fiction orientieren und messen musste. Und tatsächlich habe ich bei der Lektüre mehrmals gedacht, dass der Autor hier bemerkenswert weitsichtig war und Themen aufbaut, die mir heute noch aktuell erscheinen. Für Kenner des Films aber gleich das Wichtigste: Ja, die Bug-Kriege sind im Buch nur eine Randerscheinung (wenn auch mit sehr viel Bezügen, die im Film vorkommen). Im Buch geht es hier aber vorrangig um die Gegenüberstellung zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme (Föderation vs. Bienenstaat). Auch finden sich im Buch so ziemlich alle Charaktere, jedoch meist nur sehr kurz (häufig sterben die in einem Nebensatz einfach weg und sind nie wieder Thema). Im Zentrum steht Johnny Rico und sein weg durch den föderalen Militärapparat, dessen Strukturen, Strategien, Ziele und Ursprünge. Eine wirklich sehr interessante Lektüre! Aber heftig militärlastig - damit muss man umgehen können. Mir hat's gefallen, wobei zum Ende hin ruhig noch ein bisschen mehr Action gegangen wäre.

Bemerkenswert insgesamt, wie viele absolut wegweisende Sci-Fi-Literatur direkt nach dem Zweiten Weltkrieg kam. Die nahe Vergangenheit hatte offenbar einen immensen Einfluss auf die Idee der Zukunft.
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
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sergio petroni
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von sergio petroni »

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IMG_5983.JPG (2.46 MiB) 198 mal betrachtet
"Picknick am Valentinstag", das Original zum Film. Im Film wurde das erklärende letzte Kapitel
des Romans weggelassen. Eigentlich will ich das gar nicht lesen, aber ich MUß......
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IMG_6949.JPG (731.86 KiB) 198 mal betrachtet
Die Vorlage zu "Landhaus der toten Seelen", gerade einmal drei Jahre vor dem Film entstanden.
Bin gespannt auf den offenbar damals erfolgreichen Roman, der wohl auch Stephen King
zu "The Shining" anregte.....

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IMG_6475.JPG (654.45 KiB) 198 mal betrachtet
In "Hinterm Nackten Mann" plaudern viele Ehemalige des KSC aus den vergangenen Jahrzehnten
Interna aus. Könnte interessant sein, an alte Zeiten erinnert zu werden.....
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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buxtebrawler
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

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Chester Brown – Fuck

Die Graphic Novel „Fuck“ (im Original „I Never Liked You”) des kanadischen Comiczeichners Chester Brown erschien ursprünglich von 1991 bis 1993 als Fortsetzungsgeschichte in seiner Heftreihe „Yummy Fur“. Mir liegt die deutschsprachige Ausgabe aus dem Reprodukt-Verlag vor, die dort im Jahre 2008 als rund 200-seitiges, unkoloriertes Taschenbuch erschien.

„Fuck“ ist eine autobiographische Coming-of-age-Geschichte Browns, die sein Aufwachsen in einer kanadischen Kleinstadt zum Inhalt hat. Er ist der introvertierte Sohn einer gottesfürchtigen Mutter, die später körperlich schwer erkrankt. Sein Vater ist so gut wie nie zu sehen und sagt nie ein Wort – außer gegen Ende, bei den schrecklichen Krankenhausszenen. Über ihn erfährt man nichts. In bewusst reduziertem Stil mit karikierendem, jedoch nicht humorigem Strich und unter Gebrauch von Zeitsprüngen, Wiederaufnahmen und Parallelmontagen (denen sich aber stets gut folgen lässt) entwickelt Brown ein unvollständig bleibendes Familienporträt sowie eine Reflektion seiner selbst, insbesondere in seiner Unfähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen zuzulassen. So spielen – natürlich – Mädchen eine große Rolle, ihr unterschiedliches Verhalten ihm gegenüber, ebenso sein Versagen im Umgang mit ihnen.

Herauslesen lässt sich mittels einfacher psychologischer Abstraktion eine gewisse seelische Verkümmerung eines Jungen, dessen Vater nie für ihn da war und dessen Verhältnis zu seiner Mutter derart gestört ist, dass sie ihn irgendwann auch auf der Gefühlsebene nicht mehr erreichte. In einer späteren Arbeit offenbarte Brown, dass seine Mutter schizophren gewesen sein. Seine Panelaufteilung gestaltet Brown sehr flexibel; die Kapitel lässt er meist mit nur einem Panel auf einer Seite beginnen und enden, wobei diese nicht die großformatige Funktion eines Establishing Shots übernehmen, sondern lediglich rund ein Sechstel der Seite einnehmen und dort beinahe verloren wirken. Inhaltlich betreibt Brown einen äußerst intimen Seelenstriptease, bei dem er aber wortkarg und reserviert bleibt, als werde er selbst noch nicht ganz aus sich schlau – oder als sei er eine Art „Gefühlsspastiker“. Sein Umfeld skizziert er dafür umso präziser.

Ein besonderer Independent-Comic, der in der Comicszene viel Zuspruch erhielt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

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Francisco Ibáñez – Clever & Smart – Fußball-WM-Comic-Sonderband Nr. 7: Den Ball gehetzt... und weggefetzt!

Die anarchischen, agentenparodistischen Slapstick-Funnys des Spaniers Francisco Ibáñez um die TIA-Agenten Fred Clever und Jeff Smart existieren seit 1958 und erschienen hierzulande ab 1972 im Condor-Verlag als Softcover-Alben und Taschenbücher, unter anderen Namen aber sporadisch auch bei anderen Verlagen. 2018 übernahm der Carlsen-Verlag die Reihe, 2023 verstarb Ibáñez leider. Als Kind habe ich sie geliebt, im Gegensatz zu anderen Comics habe ich sie aber als Erwachsener nicht „wiederentdeckt“. Als ich sah, dass ein Sonderband zu einer meiner Lieblings-Fußballweltmeisterschaften, der WM 1986 in Mexico, existiert, musste der aber her. Das Album bringt es auf 50 computergeletterte, vollfarbige Seiten mit dynamischer Panelanordnung (also alles wie gehabt).

Das gewohnte Konzept, dass Fred und Jeff von ihrem Vorgesetzten Mister L Aufträge erhalten, die sie versemmeln und ständig in tödliche Gefahren geraten, verprügelt, in die Luft gesprengt, überfahren etc. werden, ohne dass sie dadurch dauerhafte Schäden davontragen würden, kommt natürlich auch hier voll zum Zuge, ebenso Freds Verwandlungskünste. Die Fußball-WM ist nicht die einzige Bezugnahme auf reale Ereignisse und Phänomene, weitere sind beispielsweise der britische Ausschluss aus dem Europapokal wegen gewalttätiger Vorfälle, das rassistische südafrikanische Apartheitsregime, der Irak-Iran-Krieg, der Kalte Krieg und das militärische Wettrüsten.

Auffallend sind die Verwendung überzeichneter rassistischer Stereotype und das Fatshaming in Bezug auf die mitreisende Sekretärin Ophelia (die dieses aber stets schlagkräftig quittiert). Zumindest ersteres wirkt mittlerweile (glücklicherweise) arg überholt und, ja, zuweilen unangenehm. Spaßiger sind die als Skins gezeichneten englischen Fußball-Rowdys. Emotionen sind bei Clever & Smart stets am Anschlag oder darüber, ständig fährt jemand aus der Haut und eskaliert es. Ibáñez‘ Humor ist überaus laut. Wiederholt wird das König-Fußball-Lied zitiert, am Ende sogar DÖF – da wäre es interessant zu wissen, was da wohl im Original stand. Die inhaltlich mehr oder weniger zu vernachlässigende Handlung strotzt bewusst nur so vor Chaos und ist sehr pointenreich, was den Clever-&-Smart-Humor nun einmal ausmacht. Und so nostalgisch der Mexico-’86-Kontext und das Blättern in einem Clever-&-Smart-Comicalbum aus den ‘80ern auch stimmen mögen – ich merke, dass selbst ich alter Kindskopf diesem Humor tatsächlich entwachsen bin.

Den Sonderband zur Fußball-WM 1990 in Italien würde ich mir trotzdem greifen, sollte er mir auf einem Flohmarkt für ‘nen schmalen Taler unterkommen…

P.S.: In der Auflistung aller Bände in der deutschen Wikipedia steht zu diesem Album (sowie zu einigen anderen) „Band ist nicht von Ibáñez.“ Bedeutet dies womöglich, es handelt sich um eine Art Lizenzarbeit seinen Stil nachahmender Zeichner/Autoren?
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von karlAbundzu »

Mir fielen ja neulich auch wieder zwei Bände in die Hände. Tatsächlich schlecht gealtert, obwohl der anarchische Geist spürbar ist.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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buxtebrawler
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

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Wolfgang Sperzel – Kabelbrand im Herzschrittmacher

Wie bereits erwähnt, war ich nach Flohmarktfund und Lektüre von Funny-Comiczeichner Wolfgang Sperzels zweitem Album „Rast(h)aus“ derart angetan, dass ich mir auch sein Debüt, das im Jahre 1989 im Semmel-Verlach erschienene, rund 50-seitige Softcover-Album „Kabelbrand im Herzschrittmacher“ besorgte.

Auf schwarzweiß und farbig gestalteten, leider seitenzahlenlosen Seiten geht es auf zeichnerischem hohem Funny-Niveau schwarzhumorig bis satirisch und provokant zu, häufig ohne Text – die Bilder sind selbsterklärend. Im Gegensatz zu „Rast(h)aus“ handelt es sich um keine durchgehende Geschichte, sondern um eine von einpaneligen/-seitigen Gags bis mehrseitigen Kurzgeschichten reichende Sammlung. Das jeweilige Panelkonzept variiert, bleibt aber stets klar strukturiert, bietet dem slapstickreichen Treiben einen festen Rahmen. Abgefahrene Kettenreaktionen scheinen Sperzels Spe(r)zialität gewesen zu sein; sie treten in gleich drei Geschichten auf und nehmen damit vorweg, was zu einem Merkmal von „Rast(h)aus“ werden sollte – am Rande taucht sogar schon die Rüsselzwergsau auf.

So geht es unter anderem um den Straßenverkehr, olympische Winterspiele und Freiluft-Musikveranstaltungen, inhaltlich weniger gelungen aber auch um einen „Gewaltvideos“ glotzenden Jungen. Leider ist die mir vorliegende Erstauflage fehlerhaft, circa die Hälfte des Inhalts ist doppelt, anderes dürfte dafür fehlen. Hrmpf. In der Zweitauflage soll dieses Problem behoben worden sein. Auf der Albumrückseite adelte Sebastian Krüger übrigens den Zeichner mit einer seiner unnachahmlichen Karikaturen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von Dick Cockboner »

buxtebrawler hat geschrieben: Do 25. Jan 2024, 19:30 Bild
Francisco Ibáñez – Clever & Smart – Fußball-WM-Comic-Sonderband Nr. 7: Den Ball gehetzt... und weggefetzt!
Den Band hab ich auch zu Hause und ihn mir gestern Abend mal reingezogen.
Ich kann Deine Punkte absolut nachvollziehen und würde fast sagen, das Du recht hast...fast. :D
Ich persönlich kann auch 2024 noch darüber lachen, zumeist allerdings ein Vergnügen cringiger Art. Jugendliche Comic-Freunde wird man in 2024 damit nicht erreichen. Der Zeichenstil ist grandios und der Output enorm gewesen. Alles Vergangenheit. Ibáñez ist tot, C & S haben sich überlebt und sind heute schlicht irrelevant.
(Ich habe noch ca. 100 Bände und hoffe, so als alter Sack, mich da vielleicht wieder reinlesen zu können.)
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Dick Cockboner hat geschrieben: Mi 31. Jan 2024, 17:07 Ich persönlich kann auch 2024 noch darüber lachen, zumeist allerdings ein Vergnügen cringiger Art.
Früher lachte man sich kringelig, heute nur noch cringig :kicher:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

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Klassiker der Comic-Literatur: Volker Reiche – Strizz

Die F.A.Z. – liest man nicht, aber kennt man: Politisch reaktionäres Käseblatt mit jedoch einem ambitionierten Feuilleton, dessen Redakteure Patrick Bahners und Andreas Platthaus erklärte Freunde der neunten Kunst und sogar Donaldisten sind, sodass Comics, einst Alptraum des deutschen Spießers, dort einen guten Leumund genießen. Dies ging so weit, dass der F.A.Z.-Verlag in den Jahren 2005 und 2006 eine 20-bändige Reihe ausgewählter Comic-Klassiker kompilierte und mit anspruchsvollen Vorworten versehen als preisgünstige Taschenbücher veröffentlichte. Bei für mich interessanten Titeln – und das waren gar nicht so wenige – griff auch ich seinerzeit zu, verfasste aber leider noch keine Besprechungen für Blog oder Forum.

Mit Band 6 hatte man sich einen schlanken Fuß gemacht, denn für diesen griff man auf rund 260 mal unkolorierten, mal farbigen Seiten elf Themenkomplexe mit Geschichten aus den Jahren 2002 bis 2004 lang auf das Eigengewächs „Strizz“ zurück, das Volker Reiche exklusiv für die F.A.Z. zeichnete. Andreas Platthaus‘ vorangestelltes Vorwort umfasst zehn Seiten und vermittelt den Eindruck, er sei selbst der größte Fan seines Angestellten. Auf diesen „Strizz“-Band glaubte ich seinerzeit verzichten zu können, doch die Ausgabe 93 des Comicfachmagazins „Comixene“, die ich, soweit ich mich erinnere, aus einem ganz anderen Grunde erworben hatte, widmete sich in ihrer Titelgeschichte ganz dem Œuvre Volker Reiches – und machte mich neugierig, sodass ich mir antiquarisch auch diesen Band zulegte.

Reiche, eigentlich ein alter ‘68er, hatte einst den traditionellen „Mecki“-Comic in der Fernsehzeitung „Hörzu“ übernommen und lange gezeichnet, bis ein neuer Chefredakteur ihn herauswarf (typischer Springer-Arschloch-Move) und er Schwierigkeiten hatte, sich finanziell über Wasser zu halten. Also bewarb er sich mit einem Konzept für im Alleingang gezeichnete und getextete, inhaltlich tagesaktuelle (!) Comics bei der F.A.Z., wo man ihn mit Kusshand anstellte. „Strizz“, die Comicreihe um den titelgebenden lebenslustigen, aber naiven Büroangestellten aus Frankfurt am Main war geboren und erschien von 2002 bis 2010 täglich in der F.A.Z. (und seit 2015 einmal wöchentlich). Kurioserweise wurde Reiche zeitlich für „Mecki“ zurückgeholt und machte seinerzeit kurzerhand beides.

Trotz vorgegebener politischer Ausrichtung der F.A.Z. beteuert Reiche, völlig freie Hand zu haben. Tatsächlich beginnt diese Zusammenstellung arbeiternehmerfreundlich, wird jedoch rasch arbeitgeberfreundlich, dabei leider trotzdem witzig. Dies scheint in der Natur des Kapitels „Strizz und sein Chef“ zu liegen, denn Strizz versteht es, seinem Vorgesetzten Leo auf die Nerven zu fallen. Die zwischenmenschliche Komponente mit seiner Freundin Irmi wiederum ist vorbehaltlos klasse; wie so oft handelt es sich bei ihr um die wesentlich bessere Hälfte der Beziehung. Das Kind Rafael ist Strizz‘ Neffe und bereits ein großer Philosoph, zudem ein neunmalkluger, sehr belesener und doch kindlicher Junge, der an Politik und Zeitgeschehen interessiert und um keine Ausrede verlegen ist, wenn es gilt, sich vor „niederer Arbeit“ zu drücken. Die enthaltene Fortsetzungsgeschichte klärt, wer eigentlich Rafaels Eltern sind.

Irmis schlicht Omi genannte Mutter hingegen ist konservativ und wirkt in ihrer hier enthaltenen Einführung wie eine Erbschleicherin, evtl. gar Mörderin mehrerer vermögender Ehemänner – inwieweit dieser Effekt von Reiche beabsichtigt war, sei einmal dahingestellt. Besondere und ganz individuelle Rollen nehmen jedoch die Vertreter der Haustierwelt ein: Tassilo ist eine tiefenentspannte Bulldogge mit Nietenhalsband, die damit wesentlich gefährlicher aussieht, als sie ist. Der Kater Herr Paul gehört Strizz‘ Chef Leo, trägt den gleichen Bart wie dieser und ist ein ausgemachter Fiesling und Kapitalist, sogar reaktionärer Hurra-Patriot – weil es unter den Menschen niemand sein durfte? Der Sinnspruch „Wie der Herr, so's G’scherr“ liegt hier nahe – ein genialer Schachzug Reiches! Vielleicht lässt sich Gesellschaftspolitisches und Weltanschauliches im Funny-Comic einfach besser durch Tiere verkörpern und diskutieren.

Sonderlich provokant wird Reiche in seinen „Strizz“-Comics jedoch nicht, manches spielt sich innerhalb des zeitgemäßen und sympathischen Humors eher subtil ab. Die aufs politische Tagesgeschehen bezugnehmenden Comics sind jedoch in dieser Zusammenstellung auch eher rar gesät, verständlicherweise lag der Fokus auf zeitloseren Geschichten. Panel-Anordnung und Zeichenstrich sind Zeitungscomic-typisch übersichtlich und klar – und das Blättern in gewissermaßen urdeutschen Zeitungscomics, die den ganz normalen bürgerlichen Alltag humorig aufarbeiten und dabei inhaltlich immer mal wieder (beinahe – was sind schon 20 Jahre Abstand?) aktuelle Themen aufgreifen, hat sich derart anheimelnd angefühlt, dass ich mich an jene Zeiten erinnerte, in denen ich Comicseiten und -streifen aus den Zeitungen der Erwachsenen ausschnitt und mich an den bunten Bildchen und lustigen Geschichten innerhalb der ach so seriösen Bleiwüsten erfreute.

Ich glaube, „Strizz“ ist in Ordnung.
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Bill Watterson – Calvin und Hobbes: Was sabbert da unterm Bett?

Als ich den Band „Irre Viecher aus dem All“ seinerzeit in die Hände bekommen hatte, schrieb ich hier: „Von 2005 bis 2008 veröffentlichte der Hamburger Carlsen-Verlag ausgewählte Comic-Strips der „Calvin und Hobbes“-Funny-Reihe des US-Amerikaners Bill Watterson in einer achtbändigen Softcover-Albenreihe im Querformat, jeweils 130 Schwarzweiß-Seiten umfassend.“ Mittlerweile weiß ich, dass das nicht ganz korrekt war: Die Reihe ist nicht acht-, sondern elfbändig, wobei die Bände 1 bis 7 im beinahe quadratischen Albumformat erschienen, die Bände 8 bis 11 hingegen im dann jeweils 180 bzw., im Falle des letzten Bands, 170 Seiten umfassenden Querformat.

Nun nahm in den zweiten Band der Reihe, „Was sabbert da unterm Bett?“, zur Hand, der ursprünglich im Jahre 1988 überm Teich erschien. Diese deutsche Bearbeitung stammt aus 2005 und enthält wie gewohnt die meist aus vier Panels bestehenden Strips, die ursprünglich in einer Vielzahl Tageszeitungen erschienen sind, sowie die Sonntags-Onepager. Vorangestellt wurde ein Vorwort des politischen Karikaturisten Pat Oliphant.

Die Abenteuer des behütet aufwachsenden, aufgeweckten sechsjährigen Jungen Calvin spielen sich zumeist in seiner Fantasie ab, in der auch sein Stofftiger Hobbes zum Leben erwacht und die Rolle eines Spielkameraden oder großen Bruders einnimmt. Übertreibt es Calvin mit seinen Flausen, gerät Hobbes zum Skeptiker und Kritiker Calvins. Was ich in meiner „Irre Viecher aus dem All“-Kritik schrieb, trifft auch auf „Was sabbert da unterm Bett?“ zu: Calvins kindlich-naive Sicht auf die Welt der Erwachsenen ist ebenso komisch wie herzerwärmend und frech zugleich. Zugleich erzeugt die kindliche Perspektive einige karikierende, aber nie böse oder allzu spöttische Seitenhiebe auf die Realität, wie wir sie als Erwachsene kennen. Da würde man es mitunter am liebsten Calvin gleichtun und in die Rolle eines Raumfahrers schlüpfen, der tief im All nach intelligentem Leben sucht…

Wattersons humor- und liebevolle Abbildung kindlicher und kindischer Verhaltensmuster inklusive ihrer ausufernden Fantastereien sind ein sehr sympathisches, klassisches Comicvergnügen.
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