Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Alles, was nichts oder nur am Rande mit Film zu tun hat

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38715
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

ugo-piazza hat geschrieben: Mo 21. Dez 2020, 18:23Herrlich! Danke Bux!

:mrgreen:
Argh... korrigiert.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 8962
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von karlAbundzu »

Dank des Wichtelns kam mir ja das Comic-Magazin FERAL in seiner Ausgabe Nummer 2 zu.
Das Cover war dann schon sehr interessant, eine barbusige Vampir-Nonne mit Vampirzähnen.
feral.jpg
feral.jpg (63.36 KiB) 674 mal betrachtet
Im Heft dann 4 schwarz - weiß Comics und ein kleiner redaktioneller Teil. Dazu ein Pin-Up und ein tolles Poster von Rockin' Jelly BEan.
Das alles erinnert an undergroundige Horrormagazine, die es so gar nicht mehr gibt. Also anders als das, was Weissblech beackert (was ich allerdings auch mag). Hier mehr Ecken und Kanten und auch viel Sex.
Und: Man merkt die Lust, den Spaß und den Eifer, den die Macher bei diesem Projekt haben, und das überträgt sich.
Zu den Comics: Das Blut des Teufels (Zeichnungen ein Formbekannter Monk***) die Geschichte eines Nonnenklosters, die sich vor der Rettung von Templern dem Satan zuwenden. Geburt der Figur Shazzula.
SUKKUBUS ist ein prima gezeichneter kurzer Sex-Comic, allerdings stiess mir hier die beinahe Gleichsetzung von weiblicher Homosexualität und Besessenheit ein wenig auf.
VATER UNSER ist ein schöner Horrorcomic im nebligen alten London de die Atmosphäre schön trifft.
FLESH CITY dann ein Heavy Metal mäßiger Sex-Sci-Fi Comic. Wie früher, Nostalgie.
Empfehlung für Freunde des kantigen sexbetonten Horrorcomics. Vampirella und Co standen Pate.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38715
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Frank Schäfer – Hühnergötter

Für seinen im Jahre 2017 im Innsbrucker Limbus-Verlag in gebundener Form veröffentlichten Roman „Hühnergötter“ schlüpft der freie Braunschweiger Journalist, Autor und Literaturkritiker sowie Ex-Heavy-Metal-Gitarrist Frank Schäfer rund 200 Seiten und 25 Kapitel lang erneut in die Rolle seines Alter Ego Friedrich „Fritz“ Pfäfflin – zehn Jahre nach „Kleinstadtblues“, dem dritten in sich abgeschlossenen Roman dieser losen Reihe.

Die mutmaßlich erneut stark autobiographisch geprägte Handlung dreht sich um eine Erbschaft – und was sie mit sich bringt: Friedrich, verheirateter Schriftsteller, ein Sohn, erbt das Haus seines verstorbenen Onkels Adolf, einen Klinkerbau in seinem alten Heimatdorf in der niedersächsischen Einöde, irgendwo zwischen Braunschweig und Wolfsburg. Die kleine Familie ist sich unschlüssig, was sie mit der Erbschaft anstellen soll. Während seine Frau Antonia mit Sohn Ansgar auf einer Mutter-Kind-Kur auf der Ostsee-Halbinsel Fischland-Darß-Zingst weilt, bezieht Friedrich für vier Wochen das alte Gemäuer, um es zu renovieren und sich über die weitere Verwendung klarzuwerden – verkaufen, vermieten? Oder doch… einziehen? Schnell holt ihn die Vergangenheit in Form zahlreicher Erinnerungen an seine Dorfkindheit und -jugend sowie an seinen alkoholkranken Onkel ein.

„Hühnergötter“ ist mit seinen vielen eingewobenen Anekdoten aus der Vergangenheit eine Zeitreise in Friedrichs Sozialisation mit seinen alten Freunden, der gemeinsamen Band, mit Partys und zarten Liebschaften, und zugleich eine Aufarbeitung seiner Familiengeschichte. Die Erzählform der Ich-Perspektive erlaubt einen sehr intimen Zugang zu dieser Figur, die durch das anstehende Klassenjahrgangstreffen mit ihren ehemaligen Mitschülerinnen und Mitschülern ein weiteres Mal mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wird und sich plötzlich zwischen zwei Frauen stehend wiederfindet. Die Rückblicke sind von viel Melancholie, aber auch juvenilem Humor geprägt, geprägt, während sich vor dem geistigen Auge des Rezipierenden das verschlafene Dorf mit seiner ganz eigenen Dynamik aufrichtet und einen ebenso gefangenen nimmt wie den Protagonisten – und ein authentisch anmutendes Bild nicht nur vom Dorfleben, sondern auch von Onkel Adolf entsteht, den Schäfer angenehm differenziert als ambivalente Figur zeichnet und ihm seinem Alkoholismus zum Trotz die Ehre erweist.

Friedrich hat sich zudem auf sympathische Weise die kindliche Begeisterung für Bücher bewahrt und eine emotionale Bindung zu ihnen aufgebaut. Schäfer fasst diese in wunderschöne Worte und bildet damit einen Kontrast zur unwirtlichen Familienrealität, die die Kehrseite seiner Erinnerungen darstellt. Bücher als kindlicher Rückzugsort – wunderbar. Überhaupt ist man sofort wieder in Schäfers im Laufe der Jahre und Veröffentlichungen so angenehm gewordenem Schreibstil drin und fühlt sich schnell heimisch. Wenn nur nicht wieder dieses Recycling wäre: Die Führerschein- und Autounfall-Anekdote aus Schäfers „Was Männer niemals sagen würden“ findet sich hier ebenso wieder wie die bereits bekannte Geschichte um seine autofahrende Mutter. Eine Weile wirkt „Hühnergötter“ dann auch wie eine eher behelfsmäßig von einer Rahmenhandlung zusammengehaltene Anekdotensammlung, doch Schäfer bekommt bald wieder die Kurve.

So liest es sich durchaus spannend, mit Friedrich auf Sinnsuche zu gehen, an seinen ein bisschen nach Midlife Crisis klingenden Zweifeln an seiner Ehe teilzuhaben und sich mit ihm in ein gefährliches Abenteuer zu stürzen, das seine Integrität als Familienvater infragestellt. Hier und da werden einem Einblicke in die Arbeit als Schriftsteller gewährt, mittels einiger fallengelassener Band- und Songnamen kokettiert Schäfer etwas mit seinem Wissen um die härtere Gitarrenmusik und geht es um die Band seiner Jugend, erahnen Kenner, dass von Salem’s Law die Rede ist, auch wenn dieser Name nie fällt. Die Beschreibungen der Zusammenkunft im alten Proberaum und des Klassentreffens sind echte Gänsehautmomente, sie transportieren die zwiegespaltene emotionale Ebene nahezu perfekt. Nett auch die Erwähnung des Musikmagazins „Rock Hard“, für das Schäfer mittlerweile selbst als Rezensent, Kolumnist und Redakteur tätig ist. Da fand zusammen, was zusammengehört.

Einer der tragikomischen Höhepunkte ist das Kapitel 23, das ganz von Onkel Adolfs seinerzeit neuentdeckter Leidenschaft für die Rolling Stones handelt, jedoch losgelöst vom Rest der Handlung ebenfalls bereits in einer Schäfer’schen Textsammlung veröffentlicht worden war. Dennoch: Wer sich auch nur halbwegs von den genannten Themen angesprochen fühlt und eventuell ohnehin weniger zu nostalgisch verklärten als vielmehr widersprüchlichen, melancholischen, etwas weh- oder schwermütigen Rückblicken in die eigene Vergangenheit neigt, dürfte sich in „Hühnergötter“ wiederfinden – einem Buch, das ich übrigens stilecht im Sommerurlaub in Prerow auf eben jener eingangs erwähnten Halbinsel las, während ein Hühnergott von meiner Halskette baumelte.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38715
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Mad-Taschenbuch Nr. 28: Sergio Aragones – Mad-süchtig!

Mad-Urgestein Sergio Aragones‘ fünfter Band innerhalb der Mad-Taschenbuchreihe erschien im US-amerikanischen Original bereits im Jahre 1977, drei Jahre später folgte die deutsche Ausgabe. Aragones blieb seinem Stil treu und füllte die rund 160 Schwarzweißseiten mit ein- bis dreiseitigen gezeichneten Gags ohne jede Sprech- oder Denkblase oder sonstigen Text. Seine karikierenden Strichzeichnungen sind unverkennbar und enthalten einfache, aber auch etwas hintergründige Witze, die diesmal besonders gern diverse Klischees aufs Korn nehmen. Mitunter tummeln sich in einzelnen Bildern fast schon wimmelbildartig solch viele Details, dass man genauer hingucken muss, um alles zu erfassen oder auch, um die Pointe nicht zu verpassen. Dieser Umstand führt dazu, dass der Lesefluss immer mal wieder etwas gebremst wird, wodurch man das recht großzügig mit seinen Platzverhältnissen umgehende Büchlein nicht ganz so schnell durchgeblättert hat, wie es zunächst den Anschein haben mag. Schön auch, wie die Titelzeichnung auf der allerletzten Seite fortgesetzt wird.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38715
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Frank Schäfer – 111 Gründe, Heavy Metal zu lieben

Zwischen seinen im Oktober-Verlag erschienenen Rezensionssammlungen „Alte Autos und Rock’n’Roll“ und „Rumba mit den Rumsäufern“ veröffentlichte der Braunschweiger Dr. phil. Frank Schäfer, seines Zeichens Literaturkenner, Journalist, Romanautor und Ex-Gitarrist der Band „Salem’s Law“, im Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf ein Taschenbuch mit dem Titel „111 Gründe, Heavy Metal zu lieben“. Das war im Jahre 2010 und nach seinem arg durchwachsenen ersten Versuch „Heavy Metal – Geschichten, Bands und Platten“ aus dem Jahre 2001 das zweite Mal, dass sich Schäfer bei seinen Buchveröffentlichungen explizit auf den Heavy Metal bezog. Wie sehr es sich der Gelehrte mittlerweile traute, offen zu seiner musikalischen Vorliebe zu stehen, lässt bereits der Titel erkennen. Wollte er 2001 vor allem seinen akademischen Kolleg(inn)en etwas beweisen, nämlich wie wissenschaftlich-verschwurbelt man auch als Metaller schreiben kann, so hatte er diese Marotte 2010 noch nicht ganz abgelegt, schrieb nun aber zu gleichen Maßen für Gleichgesinnte, sprich: für Metal-Fans. Den gesellschaftlichen Hintergrund werden Jüngere eventuell nicht mehr kennen, aber lange Zeit war es tatsächlich so, dass Hardrock und Heavy Metal als primitive Musik für ebensolche Menschen galten, und für je elitärer sich ein Bildungsbürger gebärdete, desto tiefer waren Vorurteile und Ablehnung verankert. Doc Schäfers Umgang damit ist somit auch ein aufschlussreiches Zeitzeugnis.

Nachdem ich von Schäfers Stil, über Musik und Subkultur zu schreiben, einst durch seine „Metal Störies“ aus dem Jahre 2013 angefixt worden war, hatte ich mir die geschmackvoll gestaltete erweiterte Neuausgabe der „111 Gründe“ zu Weihnachten schenken lassen. Diese kommt nicht nur als rund 300-seitige gebundene Ausgabe im festen Deckel und mit Schutzumschlag daher, sondern wurde auch um satte 33 Bonusgründe ergänzt. Inklusive Hidden Bonus Track bringt es der Schmöker also auf 145 Kapitel, jeweils zwischen einer und vier bilderlosen Seiten lang und aufgeteilt in die neun Abschnitte Geschichte, Fans, Musik, Theorie, Kultur, Stile, Welt, Listen und Bonustracks, in denen Schäfer stilistisch zwischen Belletristik und Sachbuch mäandert. Ob es eine so gute Idee war, Motörhead-Lemmy auf den Umschlag zu packen, der zeitlebens mit dem Metal-Etikett fremdelte und stets angab, lediglich Rock’n’Roll zu spielen, sei mal dahingestellt – ein wesentlich ansprechenderer Blickfang als die hässliche Illustration auf der Erstauflage ist er in jedem Fall.

Um es gleich vorwegzunehmen: Die einzelnen Kapitel hätten größtenteils (von den „Weil…“-Überschriften einmal abgesehen) unverändert auch in Schäfers mittlerweile zahlreichen Sammlungen aus Anekdoten, Essays, Rezensionen, Glossen und Konzertberichten erscheinen können. Schäfer dürfte sich also nicht sein Konzept inklusive 111 bzw. 145 Gründen überlegt und dann zu den jeweiligen Themen etwas geschrieben, sondern seine bisher unveröffentlichten Texte eher nachträglich in Hauptkapitel eingeteilt und sich die zum jeweiligen Text passenden „Gründe“ abgeleitet haben. Das macht aber nichts, sondern sorgt vielmehr für eine große thematische Breite und schriftstellerische Freiheit – schließlich wurde eine zum Inhalt passende Form gefunden und nicht umgekehrt.

Nein einem hervorragenden Einführungstext geht’s dann Schlag auf Schlag, Kapitel für Kapitel. Anfangs zitiert Schäfer viel aus historischen Musikkritiken von Lester Bangs und Konsorten und behandelt die frühe Entwicklung des Genres. Auf Seite 22 blitzt erstmals der Schäfer’sche Humor in Form von Selbstironie hervor, wenn er seine eigene Kapelle als „ihrer Zeit um Jahrzehnte vorauseilende Prog-Metal-Band“ bezeichnet und als kleinen Running Gag etabliert. Schön, dass er auch auf Metal in der DDR eingeht – ein besonders spannendes Kapitel jüngerer deutscher Musikgeschichte, wie ich finde (und vor ungefähr zwei Jahren recht ausführlich in den Fachmagazinen Deaf Forever und Rock Hard aufgearbeitet). Dass „Die Königin der Verdammten“ einen Metal-Soundtrack haben soll, hat mich daran erinnert, mir den Film endlich einmal zu besorgen (und „Rock Star“ sollte ich mir wohl auch einmal ansehen). Schäfer datiert eine allgemeine ‘80er-Musikrenaissance, von der auch der Metal betroffen gewesen sei, auf den Beginn des neuen Jahrtausends und führt als Hauptgrund die nostalgischen Gefühle gealterter Metal-Hörer(innen) an. Das spielte sicherlich eine Rolle. Stärker würde ich jedoch gewichten, dass der Metal in den 1990ern seine experimentelle Phase durchgemacht hat, wie es wohl jedes Genre einmal tut, und sich danach genau angeschaut wurde, was davon gelungen war und was wegkann, um sich alsbald wieder auf seine eigentlichen Stärken zu berufen. Eine wichtige Rolle dürfte dabei die Veröffentlichung des Albums „Brave New World“ der wiedererstarkten Iron Maiden gespielt haben, einem Meilenstein des Genres und neuem Orientierungsfixpunkt für möglicherweise in den ‘90ern verirrte Headbanger(innen). Wenn Schäfer in diesem Kontext Heavy-Metal-Fans Konservatismus unterstellt, ist damit keinesfalls dessen gesellschafts- und parteipolitische, mit reaktionär besser umschriebene Entsprechung gemeint, sondern die positiv konnotierte Pflege und Erhalt des Pudels genre- und kulturkonstituierenden Kerns.

Im Fans-Abschnitt zitiert Schäfer mehrmals Chuck Klostermann, seines Zeichens Autor Poser-/Hair-/Glam-Metal verklärender Schriften, dem ich grundsätzlich skeptisch gegenüberstehe, und bringt mit Grund Nr. 23 eine Anekdote ohne erkennbaren Metal-Bezug unter. Aber er vermeidet glücklicherweise auch allzu soziologische Erklärungsversuche und erinnert sich daran, für die Fans zu schreiben, denen er ein paar eindeutig sympathisierende, informative oder schlicht erheiternde Anekdoten kredenzt. Geht es schließlich als Kapitelüberbau um die Musik, notierte ich mir zunächst, meiner Prog-Ignoranz zum Trotz (proggier als Iron Maiden und Mercyful Fate in so manch Komposition brauche ich’s wirklich nicht), dann doch noch mal in Rushs „Snakes & Arrows“ reinzuhören. Ein ganzes Kapitel widmet Schäfer der Entwicklung AC/DCs nach „Back in Black“, beginnt also bewusst mit deren Saure-Gurken-Zeit. Da scheiden sich die Geister, denn natürlich fiel es der Band schwer, an die Bon-Scott-Ära und das Brian-Johnson-Debüt anzuknüpfen, retrospektiv betrachtet war dann aber bei Weitem doch nicht alles scheiße, was nach Diesel, Fusel und australischem Schweiß stank: „Flick of the Switch“ kommt bei mir besser weg als „For Those About To Rock (We Salute You)“, denn am Titelstück kann ich im Gegensatz zu Schäfer nichts Kritikwürdiges entdecken, an „Bedlam in Belgium“ ebenso wenig, und neben dem von Schäfer positiv hervorgehobenen „Guns For Hire“ gibt’s doch wohl auch am etwas härteren „Brain Shake“ wenig auszusetzen. Ok, bei „Landslide“ hat er recht, der klingt wirklich recht gehetzt und kann das leider nicht mit einem memorablen Refrain ausgleichen. Dafür ist mir im Gegensatz zu Schäfer „Deep in the Hole“ zu lahmarschbluesig. „This House Is On Fire“ kann aber tatsächlich zu wenig. „Ist hier auch nur ein einziger Song der Rede wert?“, fragt Schäfer in Bezug aufs Nachfolgealbum „Fly on the Wall“. Nun, hat man sich erst einmal an den nicht ganz optimalen Schlagzeugsound gewöhnt, wissen mindestens das Titelstück sowie „First Blood“ und „Playing With Girls“ so sehr zu gefallen, dass sie es in meine Best-of-Playlist geschafft haben. Auf die Soundtrack-Mini-LP „Who Made Who“ folgte dann aber auch schon mit „Blow Up Your Video“ ein starkes Album, das mitnichten lediglich einen einzigen erinnerungswürdigen Song enthält: Zu „Heatseaker“ gesellten sich mit „That’s The Way I Wanna Rock ’n‘ Roll“, „Nick Of Time“ und „Two’s Up“ ein paar richtig gute Songs, weshalb ich das Hit-Album „The Razors Edge“ eher als Steigerung des mit „Blow Up Your Video“ eingeschlagenen Weges betrachte denn als aus dem Nichts kommende Überraschung. Weit mehr als „ein lahmarschiger Ausrutscher“ ist dann auch der 1995er-Nachfolger „Ballbreaker“, meine Best-of zählt gleich sieben Einträge! Der von Schäfer skizzierten Entwicklung der Band muss ich also zumindest in Teilen widersprechen. Aber das nur am „Rande“ (ähem…).

Noch einmal zu AC/DC, weil Schäfer die Band im unmittelbar folgenden „Grund Nr. 35: Weil Heavy Metal nicht immer viel bedeuten muss“ ebenfalls erneut aufgreift und ihre „Rock’n’Roll Train“-Lyrics auseinandernimmt: Der Text ist leider falsch zitiert. Lag kein Booklet vor und er hat versucht, ihn eigenohrig herauszuhören? Oder eventuell irgendeine Internetquelle ungeprüft bemüht? Wer sich nun fragt, wie Heavy Metal und AC/DC eigentlich zusammenpassen, tut das zurecht, den egal, ob man die Band nun als Hard-, Blues-, Boogie-Rock oder Rock’n’Roll klassifiziert, Metal im eigentlichen Sinne ist’s nicht. Hardrock und Metal gingen aber schon immer Hand in Hand miteinander einher, die Übergänge („Heavy Rock“?) sind fließend und Schäfer hat ohnehin eine ausgeprägte Schwäche für Bands, die die reine Metal-Lehre nun nicht unbedingt verinnerlicht haben (Southern-Rock-Gedöns, skandinavischer Rotzrock, Thin Lizzy, unverständlicherweise sogar Ratt und Konsorten…) und berücksichtigt beispielsweise auch die Punkband Bad Religion in seinem Buch. Ein bisschen schade ist es schon, dass, geht es konkret um Bands, relativ wenig aus dem klassischen Metal-Bereich behandelt wird, der Großteil der Kapitel widmet sich aber ohnehin bandübergreifenden Belangen. Das gilt selbstverständlich nicht für die Metallica-Abhandlung, die in Details streitbar ist, ich nach meinen AC/DC-Abschweifungen nun aber nicht auseinanderklamüsern werden. Seinen Abschnitt über harte Gitarrenmusik aus Skandinavien hingegen hätte Schäfer gern in die einzelnen Länder aufteilen dürfen, denn die norwegische(n) Szene(n) unterscheiden sich doch stark von der/den schwedischen usw. In aller Kürze setzt sich Schäfer mit den Motörhead-Alben der Jahre 2002 bis 2008 auseinander, was mich anregt, es ihm bei Gelegenheit einmal gleichzutun – auch wenn sie nicht zu den großen Klassikern zählen, dürfte es auf den Alben des aktuellen Jahrtausends doch das eine oder andere zu entdecken geben.

Wenn Schäfer im Theorie-Teil gewissermaßen einen Schritt aus dem Musikzirkus herausmacht und mehr eine observierend Position einnimmt, ist das nicht minder lesenswert, insbesondere wenn er die bandübergreifend Hell/dunkel- bzw. Blond/schwarzhaarig-Kontrastierungen ausmacht und erläutert – das war mir neu und ist gut beobachtet. In den Kultur-Teil steigt Schäfer mit einer Van-Halen-Ehrerbietung ein, auf die hin man Lust bekommt, sich alle genannten Alben sofort ins Regal zu stellen bzw. besser noch: aufzulegen. Auch darüber hinaus ist dieses Hauptkapitel besonders interessant ausgefallen, da die Gelegenheit genutzt wird, diverse Besonderheiten ins Gedächtnis zu rufen, die üblicherweise nicht unbedingt mit Hardrock und Metal assoziiert werden. Hineingeschmuggelt hat Schäfer eine sehr persönliche Episode, die Bezug auf den (ungerechtfertigten) Verriss des einzigen Salem’s-Law-Albums in der Metal-Hammer-Postille sowie die einige Jahre später im Rock Hard veröffentlichte Minuskritik eines seiner Bücher nimmt und mit der Schäfer suggeriert, negative Kritik mit Humor nehmen zu können. Auf einer Doppelseite gibt es dann sogar doch etwas zu sehen, nämlich sechs von Christopher Szpajdel gestaltete Bandlogos.

Der Abschnitt Stile deckt streng subjektiv lediglich von Schäfer goutierte Spielarten der Musik ab, dafür jeweils erzählerisch gut verpackt. In Welt werden Schlaglichter auf regionale Eigenheiten geworfen und hier und da ein exotischer Touch eingebracht, während Listen (Metal-Fans lieben Listen!) Butter die Fische gibt und neben lesenswerten Metal-Büchern sowie sehenswerten Metal-Filmen Lemmys „vier beste Journalistenbeleidigungen“ aufführt und Schäfers persönliche Genre-Top-50-Songs auflistet. Allerdings fantasiert er sich auch eine All-Time-Albumcharts-Top-50 zusammen, der eher sein persönlicher Geschmack denn reale Verkaufszahlen zugrunde liegen dürften. Ein echter Fauxpas ist der Einstieg in dieses Kapitel, denn die Aufzählung vermeintlich „schönste[r] T-Shirt-Sprüche“ enthält fast ausschließlich peinlichen EMP-„Fun-Shirt“-Kokolores. Die Bonusgründe sind tatsächlich eine schöne Ergänzung, die die Neuauflage deutlich aufwertet. In Grund Nr. 137 findet sich einer der Schäfer-Klassiker schlechthin, seine in Variationen immer mal wieder aufgegriffene Lieblings-AC/DC-Anekdote.

Nein, man muss sicherlich nicht bei allem der Meinung des Autors sein oder gar seinen mitunter befremdlichen Geschmack teilen, aber das Schöne an dieser ideal zum häppchenweisen Lesen geeigneten Schwarte ist die ansteckende Leidenschaft, die Schäfer für den Gegenstand seiner Betrachtungen verspürt. So halte ich es durchaus für möglich, dass, wer noch nicht tiefergehender mit der Materie vertraut ist, nach der Lektüre die Faszination für diese Art von Musik besser wird nachvollziehen können. Zudem tritt Schäfer den Beweis an, dass es allen Unkenrufen zum Trotz mehr als Musik ist und um mehr als um Musik geht. Dieses bunte, eher lose angeordnete Mosaik vermittelt bei aller lockeren Schreibe und Neigung zum Anekdotischen zudem Wissen zu einigen wichtigen Bands, betreibt Liebhaberei für Interpreten aus der zweiten Reihe, kommentiert Phänomene und Entwicklungen und ist immer dann am besten, wenn Schäfer seinen Humor unterbringen kann, wofür er sich den einen oder anderen „Grund“ dann auch explizit reserviert. Wünschenswert wäre jedoch gewesen, Schäfer hatte etwas weniger kritiklos das Wacken Open Air abgefeiert und stattdessen ein, zwei andere Festivals zum Schauplatz seiner Episoden gemacht.

Nicht so wirklich komme ich auf den Irrglauben klar, Bandnamen seien etwas Heiliges, die in Komposita nicht mit so etwas Profanem wie Bindestrichen belästigt werden dürfen. Will sagen: Hier ist von „Thin Lizzy-Alben“ die Rede, nicht von Thin-Lizzy-Alben. Damit ist Schäfer aber keineswegs allein auf weiter Flur, dieser Unfug zieht sich durch viele Publikationen. Durch mehrere Publikationen Schäfers zieht sich übrigens auch das eine oder andere Kapitel: Mindestens jenes zu den Hellacopters war mir bereits bekannt, und, hey, über Grund Nr. 119 bin ich doch kürzlich erst in „Hühnergötter“ gestolpert, oder? Apropos stolpern: „Trash“ (statt Thrash), „Minor Thread“ (statt Minor Threat), „Death-Metall” und „throungh“ sind ein paar etwas unglückliche Fehler, die dem Lektorat durchgerutscht sind.

Davon unberührt bleibt, wie gut es Schäfer gelingt, beinahe alles in einem erzählerischen Stil zu formulieren, der nicht mal halb so trocken wie vermutlich diese Kritik hier ausgefallen ist, sondern im Gegenteil mit lebendiger Sprache überzeugt – wären da nicht diese Was-zur-Hölle-Momente, wenn Schäfer wieder zum Fremdwörterlexikon greift und uns „zirzensisch“ (S. 70), „Intrikatheit“ (S. 77 – gibt es das Wort überhaupt?), „Gallimathias“ (S. 126 – der Matze hat’s doch so mit der Galle…), „indigniert“ (S. 148), „Obstinatheit“ (S. 201 – kennt der Duden nicht, scheint sich also um eine Frankschäferheit zu handeln) u. ä. mehr um die Ohren hat, um dann doch wieder mit seinem Wortschatz zu protzen wie ein Yngwie J. Malmsteen in Schlangenlederstiefeln mit seiner Saitenflitzerei – und so wenig songdienlich wie letztere meist ist, ist Schäfers Vokabular dem Lesegenuss zugutekommend. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, generell mit Schäfers Stil und Herangehensweise etwas anfangen kann, eine Schwäche für diese Musik hat oder schlicht neugierig ist, dürfte mit dem Buch seine Freude haben und sicherlich die eine oder andere Stunde damit verbringen, diesen oder jenen während der Lektüre aufgeschnappten musikalischen Tipp zu evaluieren. Meine Kritikpunkte sind konstruktiv zu verstehen, denn unterm Strich komme ich Pi mal Daumen auf 111 Gründe, die für dieses Buch sprechen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
sid.vicious
Beiträge: 2029
Registriert: Sa 26. Jun 2010, 11:16
Wohnort: Bochum

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von sid.vicious »

Ein interessantes Buch, dass sich, wie der Titel es erahnen lässt, mit der populären Musik und deren Wirkung innert der Lichtspiele auseinandersetzt. Angefangen mit Presley über Pistols, Jagger, Cabaret und Dylan bis hin hin zu Ice-T und Enimen.
popkino_rgb.jpg
popkino_rgb.jpg (38.22 KiB) 617 mal betrachtet
Zuletzt geändert von sid.vicious am Mo 25. Jan 2021, 14:37, insgesamt 1-mal geändert.
Bild
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2763
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von Maulwurf »

Vielen Dank für diese interessante Besprechung, Bux. Während des Lesens lief zufällig Black Sabbath's Sleeping village im Hintergrund - Ein fast perfekter Soundtrack. Und eine Aufforderung, endlich was zur jüngst fertig gelesenen Autobiographie von Franz Marischka zu schreiben.

Aber:
buxtebrawler hat geschrieben: Sa 23. Jan 2021, 11:58 Hier ist von „Thin Lizzy-Alben“ die Rede, nicht von Thin-Lizzy-Alben. Damit ist Schäfer aber keineswegs allein auf weiter Flur, dieser Unfug zieht sich durch viele Publikationen.
Ich will Dir nichts Böses, aber meines Erachtens heißt die Band Thin Lizzy, nicht Thin-Lizzy. Drum sind es Alben von Thin Lizzy, also Thin Lizzy-Alben. Oder etwa nicht? Ich schreibe von Sergio Leone-Filmen, nicht von Sergio-Leone-Filmen, oder gilt dies nicht weil es ein Eigenname ist? Thin Lizzy ist auch ein Eigenname ... Was machen wir dann mit der Michael Schenker Group? Michael-Schenker-Group??? Das würde nur gelten, wenn der arme Kerl mit zweitem Vorname Schenker heißen würde, so ähnlich wie bei Heinz-Günther ...

So, und jetzt will ich Whisky in the jar hören. Und danach Doctor Doctor :P
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38715
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Maulwurf hat geschrieben: Sa 23. Jan 2021, 12:56 Vielen Dank für diese interessante Besprechung, Bux. Während des Lesens lief zufällig Black Sabbath's Sleeping village im Hintergrund - Ein fast perfekter Soundtrack. Und eine Aufforderung, endlich was zur jüngst fertig gelesenen Autobiographie von Franz Marischka zu schreiben.
Sehr gern - und deine Ausführungen zu Marischka würden mich auch interessieren!
Maulwurf hat geschrieben: Sa 23. Jan 2021, 12:56 Aber:
buxtebrawler hat geschrieben: Sa 23. Jan 2021, 11:58 Hier ist von „Thin Lizzy-Alben“ die Rede, nicht von Thin-Lizzy-Alben. Damit ist Schäfer aber keineswegs allein auf weiter Flur, dieser Unfug zieht sich durch viele Publikationen.
Ich will Dir nichts Böses, aber meines Erachtens heißt die Band Thin Lizzy, nicht Thin-Lizzy. Drum sind es Alben von Thin Lizzy, also Thin Lizzy-Alben. Oder etwa nicht? Ich schreibe von Sergio Leone-Filmen, nicht von Sergio-Leone-Filmen, oder gilt dies nicht weil es ein Eigenname ist? Thin Lizzy ist auch ein Eigenname ... Was machen wir dann mit der Michael Schenker Group? Michael-Schenker-Group??? Das würde nur gelten, wenn der arme Kerl mit zweitem Vorname Schenker heißen würde, so ähnlich wie bei Heinz-Günther ...
Die "Michael Schenker Group" ist ja eine englische Wortschöpfung und im Englischen wird - Faustregel - tendenziell eher auseinander- denn zusammengeschrieben, im Deutschen ist's jedoch umgekehrt. Demnach würde die Kombo zur "Michael-Schenker-Gruppe". Achte mal auf Straßennamen: Es gibt sicherlich mehrfach in Deutschland die Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße, jedoch keine einzige Friedrich Ludwig Jahn-Straße.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38715
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Charles M. Schulz – Die Peanuts: Werkausgabe, Bd. 6: 1961 – 1962

„Es hat was Symbolisches, von einem Fernseher überrollt zu werden, während man ein Buch liest…“ – Linus, 31. August 1961

Band 6 der „Peanuts“-Werkausgabe des Hamburger Carlsen-Verlags umfasst die deutsche Übersetzung sämtlicher aus je vier Panels bestehender Zeitungsstrips sowie der großformatigen Sonntagsseiten aus der Feder Charles M. Schulz‘ der Jahre 1961 und 1962, wie gewohnt unkoloriert, chronologisch sortiert und im Querformat auf festem mattem Kartonpapier zwischen zwei stabile Buchdeckel im Schutzumschlag gebunden. Jazzmusikerin Diana Krall beschreibt im dreiseitigen Vorwort den Einfluss der Peanuts auf ihr Leben, ihren Alltag und ihren Sprachschatz; Gary Groths übliches Nachwort, der Stichwortindex sowie das Glossar, das zahlreiche etwas Erklärungsbedarf aufweisende Strips erläutert, runden die ca. 330-seitige Edition ab.

Das neue Jahrzehnt beginnt aufwühlend für Linus: Lucy hat seine Schmusedecke vergraben! Snoopy hingegen freundet sich mit zunehmend mit Vögeln an und gestattet gar einem ganzen Schwarm, in seiner Hundehütte zu tagen, was, wie man weiß, nur der Vorläufer seiner späteren innigen Freundschaft zu Piepmatz Woodstock ist. Sein Herrchen Charlie Brown hat noch immer Probleme damit, seinen Drachen steigen zu lassen, kämpft beim Briefeschreiben ständig mit seinem Füller und fühlt sich seiner Rolle als Baseball-Team-Kapitän nicht mehr gewachsen – dabei wird er im Laufe der hier abgedeckten zwei Jahre sogar einen seiner seltenen Siege erringen! Am 6. März 1961 wird das Ensemble um die kleine Frieda ergänzt, eine besonders mitteilungsfreudige Figur, die nicht müde wird, selbstverliebt auf ihre Naturlocken hinzuweisen. Snoopy liegt sie ständig damit in den Ohren, dass er zu faul sei und eigentlich Kaninchen jagen sollte, doch ihre Vorstellungen davon, was ein „richtiger Hund“ zu tun und zu lassen habe, entsprechen nicht Snoopys. Der Beagle fürchtet sich zudem vor Konkurrenz durch eine Katze, und tatsächlich schleppt Frieda eines Tages Kater Faron an, ein besonders biegsames Exemplar, das sie permanent durch die Gegend trägt.

Lucys 1960 eröffnete „Psychopraxis“ brummt insbesondere wegen Charlie Browns Sorgen und Problemen, für Linus hat sie jedoch nur Fausthiebe übrig. Lehrerin Fräulein Othmar kehrt zurück und Linus ist entsprechend verzückt, was ihn jedoch nicht davon abhält, zu Halloween wieder vom „großen Kürbis“ zu schwadronieren – eine eigentlich doch sehr schöne Abwandlung der Halloween-Bräuche, wenngleich ihn niemand dafür ernstnimmt. Dauerbrennerthemen sind neben Baseball und Linus‘ Schmusedecken Snoopys Imitationen u.a. von Geiern, diesmal aber sogar von Lachsen (!) und natürlich Lucys unerwiderte Liebe zu Pianistenwunderkind Schröder, der diesmal doch tatsächlich Beethovens Geburtstag vergisst! Dafür findet im Dezember 1962 eine Beethoven-Geburtstagsfeier statt, die dem Anlass gerecht wird. Auf der Sonntagsseite vom 19. November 1961 erwähnt Charlie erstmals das kleine rothaarige Mädchen, die zu seiner großen Sehnsuchtsgestalt werden und es über Dekaden hinweg bleiben wird. Im Februar 1962 benötigt Linus plötzlich eine Brille, die er in den nächsten Monaten in zahlreichen Strips tatsächlich trägt – auch hier ist die weitere Entwicklung spannend. Am deutlichsten gealtert ist Charlies kleine Schwester Sally, die bald die Vorschule besuchen soll und sich davor fürchtet.

Die Jahre 1961 und ’62 des Peanuts-Kosmos sind von einer wunderbar ausgewogenen Mischung aus Evolution, Beibehalt und Fortführung von Gewohntem sowie Running Gags gekennzeichnet. Ferner wirken Sie auf mich ein wenig moderner als zuvor, was zum einen am karikierenden Aufgreifen psychologischer Gespräche und zum anderen an der recht detaillierten Beschreibung der persönlichen Belastungen, die Charlies Baseball-Leidenschaft für ihn mitbringt, liegt. Mit Frieda wird zudem eine weitere überaus selbstbewusste weibliche Figur etabliert, während zugleich dem damaligen US-Zeitgeist durch Themen wie Kennedy, Mediendebatten oder Bürgerkriegsmützen Tribut gezollt wird. Insbesondere Frieda vertritt Rollenbilder und fordert diese auch von anderen ein, woraus kleine Debatten um Individualität und Diversität entstehen, bei denen Schulz‘ Sympathien klar verteilt sind

Waren die Inhalte der bisherigen Werkausgabenbände komplett neu für mich, so finden sich hier ab dem 5. Juni 1961 die ersten mir schon bekannt gewesenen Strips. Es ist nach wie vor ein großes Vergnügen, mitzuerleben, wie die Kinder in ihrer eigenen Welt ohne sichtbares Eingreifen von Erwachsenen – diese finden wie üblich lediglich in den Dialogen der jungen Figuren statt – einerseits ganz Kinder sind und mit ihrer naiven Weltsicht auch die Erwachsenenwelt karikieren, andererseits Sorgen und Nöte verhandeln, die eigentlich Erwachsenen vorbehalten sein sollten, und mal seufzend, mal fragend und philosophierend versuchen, sich einen Reim auf die Welt zu machen. Diese ist ein überschaubarer Mikrokosmos, der mehr und mehr exemplarisch für die US-amerikanische Gesellschaft steht und damit viel über ihren damaligen Zustand verrät.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
supervillain
Beiträge: 2034
Registriert: Di 5. Mär 2013, 13:58
Wohnort: München

Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Beitrag von supervillain »

buxtebrawler hat geschrieben: Sa 31. Okt 2020, 00:20
supervillain hat geschrieben: Fr 30. Okt 2020, 18:01 Werde bestimmt wieder abtauchen bis ich alles gelesen hab, dann stelle ich meine Favoriten auch mal mit eigenen Gedanken schriftlich vor. :oops:
Hau in die Tasten, Junge! ;)
kommt, bin aber noch am Lesen, macht mir mehr Freude als schreiben. :kicher:
20210210_103015.jpg
20210210_103015.jpg (1.93 MiB) 539 mal betrachtet
20210210_103104.jpg
20210210_103104.jpg (3.3 MiB) 539 mal betrachtet
20210210_103154.jpg
20210210_103154.jpg (2.42 MiB) 539 mal betrachtet
20210210_103230.jpg
20210210_103230.jpg (1.69 MiB) 539 mal betrachtet
20210210_103439.jpg
20210210_103439.jpg (1.86 MiB) 539 mal betrachtet
20210210_103701.jpg
20210210_103701.jpg (6 MiB) 539 mal betrachtet

und gestern kam wieder was von Hollow Press aus Italien :knutsch:

20210210_102647.jpg
20210210_102647.jpg (3.9 MiB) 539 mal betrachtet
Antworten