A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

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Il Grande Racket
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von Il Grande Racket »

Ganz und gar herausragender Film, den ich inzwischen sehr, sehr lieb gewonnen habe. Um mich mal selbst (aus LUCIO FULCI - GODFATHER OF GORE) zu zitieren:

"Es heißt ja, dass man seinen Augen nicht immer trauen soll. Gerade in einem ausgeprägt visuellen Medium wie dem Film trifft das gleich doppelt zu, da man den erzählerischen und inszenatorischen Kniffen der Filmemacher ausgesetzt ist und möglicherweise an der Nase herumgeführt wird, weil man nicht weiß, was wahr ist oder nur geflunkert, was Illusion oder Realität. Können wir dem Erzähler und dem, was wir sehen, trauen?
A LIZARD IN A WOMAN’S SKIN beginnt fast schon folgerichtig mit einem Traum..."

"Der rote Faden im Skript von A LIZARD IN A WOMAN’S SKIN findet sich darin, dass es zu keinem Zeitpunkt eine klare Aussage zum Geschehen zulässt. Von den Dialogen, etwa zwischen Frank und Deborah oder Frank und Edmond, erhaschen wir nur Auszüge oder bekommen keinen eindeutigen Kontext dazu hergestellt, weil uns eben grundlegende Informationen fehlen. Damit befinden wir uns zumeist auf einer Ebene mit beiden Ermittlern, die immer wieder die erlangten Erkenntnisse resümieren. Allerdings weicht ihr Kenntnisstand auch immer noch leicht (und im weiteren Verlauf zunehmend) von dem unseren ab. Sobald wir uns wieder in Carols Kopf wähnen, ihre Alpträume hautnah miterleben, können wir uns aber auch bis zum Ende nicht sicher sein, ob es nun wirklich nur Träume waren oder ob sie nur die Wahrheit damit zu verschleiern sucht."

"Und während die Kamera verstohlen, zwischen den Grabsteinen hindurch, beobachtet, wie der Wagen
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wegfährt, dann langsam aus der Szene zoomt und zur Themse schwenkt, hören wir von dort her einen Fremdenführer, der Touristen auf einer Bootsfahrt die Geschichte der umliegenden Architektur erläutert. Man kann den Mann auf dem Boot mit seiner Flüstertüte nicht richtig erkennen, aber aufgrund der dunklen, zerzausten Haare, der Brille und dem weißen Trenchcoat glaube ich, Regisseur LUCIO FULCI, der ja gerne in seinen Filmen ein Cameo absolvierte, erkannt zu haben. Passen würde es also, gerade wegen des Querverweises Fremdenführer – Filmemacher/Geschichtenerzähler, aber ich kann eben nicht mit Sicherheit sagen, dass er es auch wirklich ist. Ein Umstand, der den Film damit würdig abschließt."

8,5/10
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buxtebrawler
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von buxtebrawler »

„Sounds like a football match!”

„A Lizard in a Woman's Skin”, der nach „Nackt über Leichen“ zweite Giallo des italienischen Genre-Tausendsassas Lucio Fulci, stammt aus dem Jahre 1971 und hat leider bis heute keine deutsche Auswertung erfahren. Dennoch erfreut er sich auch hierzulande innerhalb der italophilen Cineastinnen- und Cineastengemeinde großer Popularität und Beliebtheit.

„What you‘re doing?” – „Painting.”

London, Anfang der 1970er Jahre: Carol Hammond (Florinda Bolkan, „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“), Tochter eines renommierten Politikers und Ehefrau des erfolgreichen Unternehmers Frank Hammond (Jean Sorel, „Belle de jour – Schöne des Tages“), hadert mit ihrem langweiligen und zerrütteten Eheleben, in dem nichts Aufregendes mehr geschieht. Ihr Mann scheint seinerseits das Interesse an ihr verloren zu haben, betrügt er sie doch seit geraumer Zeit mit einer anderen Frau. Daher träumt sich Carol in ekstatische Fantasien um ihre attraktive Hippie-Nachbarin Julia (Anita Strindberg, „Der Schwanz des Skorpions“) hinein, deren ungezwungener, hemmungsloser Lebenswandel in einem starken Kontrast zu dem Carols steht und der gerade deshalb eine starke Faszination auf sie ausübt. Kurz nachdem Carol ihrem Therapeuten einen Traum offenbarte, in dem sie Julia nach einer gemeinsamen Nacht ersticht, wird Julia tatsächlich tot aufgefunden – und ihr Brieföffner findet sich als Tatwaffe am Tatort. Hat Carol also gar nicht geträumt? Kann sie nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden? Oder spielt jemand ein perfides Spiel mit ihr…?

Fulci eröffnet seinen Film mit einer surrealen Alptraumsequenz Carols – ästhetisch verfremdet, in knalligen Farben und erotisch aufgeladen. Letzteres ist auch die entfesselte Orgie, die Julia in ihrer Wohnung feiert. „A Lizard in a Woman's Skin” beginnt demnach als Erotik-Giallo, schwenkt nach einer weiteren, ähnlich surrealen Alptraumsequenz, nun jedoch mit blutigen Gore-Einlagen, in den Horrorbereich über. Nachdem Carol ihrem Psychologen von ihrem mörderischen Traum berichtet hat, findet dieser Deutungsmuster und spricht ihr Mut zu. Als sich herausstellt, dass Julia wirklich ermordet wurde, steht zunächst einmal der Verdacht im Raum, dass jemand Carol in den Wahnsinn treiben will. Der irische Hippie Harry Smith ist geständig, erzählt jedoch, wie sich in einer herrlich grotesken Szene rasch herausstellt, lediglich Mist. Die Polizei ermittelt, doch Carol und ihre Stieftochter Joan (Ely Galleani, „5 Dolls for an August Moon“) stellen ihrerseits Nachforschungen in der Hippiekommune an.

Ein Whodunit? gepaart mit Motivsuche also, wobei die polizeiliche Ermittlungsarbeit um den ständig Melodien pfeifenden Inspektor Corvin (Stanley Baker, „Sodom und Gomorrha“) für einen Giallo relativ stark im Fokus steht, was ihn nun als eine Melange aus Psycho-Thriller und Kriminalfilm erscheinen lässt. Eine Persönlichkeitsspaltung Carols wird ebenso in Betracht gezogen wie eine Täterschaft Franks. Die eine oder andere Wendung führt aufs Glatteis respektive von ihm herunter; sie sind dem Genre entsprechend gut gelöst, ein weiterer Mord erhöht die Fallhöhe. Fulci gelingen eine spannende Narration und Dramaturgie ebenso wie aufsehenerregende Kameraeinstellungen (besonders schön: das Spiegelbild des Carol verhaftenden Polizisten in ihrer Pupille), verstörende Bilder wie die der Tierversuche in einer Klinik, in der Carol von jemandem verfolgt wird, bis hin zu nervenzerrenden Terrorszenen, allen voran die unheimliche Hatz in einer Kirche inklusive aufgescheuchter Fledermäuse. An den Spezialeffekten war wohlgemerkt niemand Geringerer der spätere Oscar-Preisträger Carlo Rambaldi beteiligt.

Als man glaubt, endlich des Rätsels Lösung gefunden zu haben, folgt jedoch der irgendwie leider auch genretypische eine Twist zu viel. Dieser lässt „A Lizard in a Woman's Skin” überkonstruiert und zu dick aufgetragen erscheinen, zumal sich damit letztlich nach all den Wendungen schlicht der erste Verdacht bestätigt. Vom schwächelnden Ausgang einmal abgesehen, ist Fulcis zweiter Giallo aber ein fiebrig psychedelischer, insbesondere mit Florina Bolkan hochkarätig besetzter, oft hervorragend fotografierter und von einem fidelen Morricone-Soundtrack veredelter Genrebeitrag. Dieser erweckt bei mir ein bisschen den Eindruck, Fulci habe mit verschiedenen Ausrichtungen des Genres, von Erotik über Psycho und Horror bis hin zu konventionelleren Krimianleihen, experimentiert und die einzelnen Teile zu einem interessanten und unterhaltsamen Potpourri zusammengesetzt, das zudem exploitativ im (ich nenne es mal) Hippiefilm wildert. Sehenswert!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

buxtebrawler hat geschrieben: Fr 5. Mai 2023, 14:40 Als sich herausstellt, dass Julia wirklich ermordet wurde, steht zunächst einmal der Verdacht im Raum, dass jemand Carol in den Wahnsinn treiben will. Der irische Hippie Harry Smith ist geständig, erzählt jedoch, wie sich in einer herrlich grotesken Szene rasch herausstellt, lediglich Mist. Die Polizei ermittelt, doch Julia und ihre Stieftochter Joan (Ely Galleani, „5 Dolls for an August Moon“) stellen ihrerseits Nachforschungen in der Hippiekommune an.
Aber Julia ist doch tot :???:
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Dick Cockboner
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von Dick Cockboner »

@Bux: Schöner Beitrag, hat er mich doch daran erinnert, dass ich diesen Film von olle Fulci stets vernachlässigt habe.
In der ersten Hälfte der 90er habe ich mir die englische VHS besorgt, den Film dann auch selbstverständlich gesehen, aber damals (mit Anfang 20) nicht richtig wertschätzen können. Fulci-Filme waren für mich gelabelt mit eitrig-blutigem Gekröse, selbstzweckhafter Gewalt und nicht überzeugenden Spinnenimitationen. So richtig enttäuscht war ich nicht, denn mir gefiel was ich sah...(aber seitdem nie wieder)
Der Film muss her! (Die VHS, die ich immer noch habe, war von furchtbarer Qualität und ich habe richtig Lust auf ein gutes Bild im richtigen Format)
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von buxtebrawler »

ugo-piazza hat geschrieben: Fr 5. Mai 2023, 19:49 Aber Julia ist doch tot :???:
Argh... Carol ist natürlich gemeint!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von Reinifilm »

buxtebrawler hat geschrieben: Sa 6. Mai 2023, 12:37
ugo-piazza hat geschrieben: Fr 5. Mai 2023, 19:49 Aber Julia ist doch tot :???:
Argh... Carol ist natürlich gemeint!
Julia… Carol… Hauptsache Edwige. :pah:
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von buxtebrawler »

Reinifilm hat geschrieben: Sa 6. Mai 2023, 20:35 Julia… Carol… Hauptsache Edwige. :pah:
Namen sind hier Schall und Rauch. :lol:

Hab's trotzdem korrigiert.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von buxtebrawler »

Dick Cockboner hat geschrieben: Fr 5. Mai 2023, 20:04 @Bux: Schöner Beitrag, hat er mich doch daran erinnert, dass ich diesen Film von olle Fulci stets vernachlässigt habe.
In der ersten Hälfte der 90er habe ich mir die englische VHS besorgt, den Film dann auch selbstverständlich gesehen, aber damals (mit Anfang 20) nicht richtig wertschätzen können. Fulci-Filme waren für mich gelabelt mit eitrig-blutigem Gekröse, selbstzweckhafter Gewalt und nicht überzeugenden Spinnenimitationen. So richtig enttäuscht war ich nicht, denn mir gefiel was ich sah...(aber seitdem nie wieder)
Der Film muss her! (Die VHS, die ich immer noch habe, war von furchtbarer Qualität und ich habe richtig Lust auf ein gutes Bild im richtigen Format)
Danke!

Obacht bei den Fassungen. Mir fehlt ein aktueller Überblick über den Veröffentlichungsmarkt, aber die US-Schnittfassung scheint sich doch stark von der italienischen zu unterscheiden.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von Captain Blitz »

Wird Zeit, dass der hierzulande endlich veröffentlicht wird. "Leider" bei 84 Entertainment und von denen hört man ja seit geraumer Zeit nichts mehr.
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Re: A Lizard in a Woman's Skin - Lucio Fulci (1971)

Beitrag von buxtebrawler »

Captain Blitz hat geschrieben: Do 11. Mai 2023, 16:52 Wird Zeit, dass der hierzulande endlich veröffentlicht wird. "Leider" bei 84 Entertainment und von denen hört man ja seit geraumer Zeit nichts mehr.
Stimmt, was ist mit denen eigentlich passiert? Die "Don't Torture a Duckling"-VÖs waren ja recht gelungen, ebenso "Die Sieben schwarzen Noten".
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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