Was vom Tage übrigblieb ...

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Das Ende der Wahrheit (Philipp Leinemann, 2019) 7/10

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Dem BND-Mitarbeiter Martin Behrens gelingt es, über einen Asylsuchenden die Telefonnummer des derzeit meistgesuchten afghanischen Terroristen zu ermitteln. Mit Billigung seiner Vorgesetzten wird die Nummer an die Verbündeten übermittelt, die mit einer Drohne dann auch gleich reinen Tisch machen. Doch so einfach ist es nicht, denn die Terroristen wissen, woher die Information kam, und weil Behrens‘ Freundin Aurice in ihrer Eigenschaft als Investigativreporterin sowieso gerade einem illegalen Waffendeal auf höchster Ebene auf der Spur ist, wird Aurice von einem Terrorkommando kurzerhand hingerichtet. Zusammen mit ein paar zufällig Anwesenden in einem Bistro mitten in München massakriert. Behrens wird vom neuen Krisenmanager Lemke die Zuständigkeit entzogen, und nun kann Behrens alleine schauen wie er zurecht kommt. Denn der Chef Lemkes, Dr. Rauhweiler, wird in die Vorstandsetage derjenigen Firma wechseln, die weltweit für Waffenlogistik zuständig ist, gleich ob legal oder illegal. In diesem Fall letzteres, Dr. Rauhweiler möchte also nicht dass man ihm auf die Spur kommt. Behrens ist zwar ein ziemlich hartnäckiger Hund, aber die anderen haben halt deutlich mehr Macht. Sie haben zum Beispiel die Macht, Behrens als zweifelhaftes Individuum hinzustellen. Oder ihn in die Öffentlichkeit zu lancieren, womit er als Geheimdienstmann natürlich erledigt ist. Der einzige Ausweg für Behrens ist die Zusammenarbeit mit Lemke, den er in aller Offenheit als kleinen Pisser tituliert (was dieser auch tatsächlich ist) der das Klo nicht findet, und den er einfach nur zum Kotzen findet. Was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht.

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Ist dies der Film, welcher der (zum Zeitpunkt der Sichtung) neue Bond KEINE ZEIT ZUM STERBEN gerne geworden wäre? Eine Mischung aus Thriller und Drama? Wo Bond sich nicht entscheiden kann welchen Weg er gehen will, mit schwachen Dialogen und uninteressanter Action eher auch mal langweilt, kommt DAS ENDE DER WAHRHEIT ziemlich wuchtig daher, und er weiß genau wo er hinwill. Die Dialoge sind messerscharf, die wenige Action auf den Punkt gebracht und sehr niederschmetternd, und die Figuren haben deutlich mehr Tiefe als die dümmlichen Figuren bei Bond. DAS ENDE DER WAHRHEIT zieht bereits ab den allerersten Minuten erbarmungslos nach vorne, wenn sich der Dolmetscher eines afghanischen Asylbewerbers als jemand entpuppt, der diesen Asylanten ganz genau kennt. Ihn mit den Fragen nach seinem geheimen Liebhaber schwer unter Druck setzen kann. Und der einfach mal eben die Telefonnummer eines Terroristen erfragten kann. Ohne eine einzige laute Szene wird hier eine unerhörte Spannung generiert, und wenn Behrens dann im nachfolgenden Meeting als Trottel hingestellt wird, und in der Parallelmontage dann die Schlapphüte ihrem privaten Alltag nachgehen, während gleichzeitig irgendwo auf der Welt eine Drohne startet um Tod und Verderben über eine ganze Familie zu bringen, dann sind das sehr spannende und nachdrückliche Momente voller Finsternis und Bosheit.

Da gibt es diesen grauenerregenden und ausgesprochen blutigen Überfall auf einen Konvoi deutscher Soldaten in Afghanistan, da gibt es die Hinrichtung der Journalisten, und da gibt es Axel Prahl als aalglatten Geschäftemacher zwischen illegalem Waffenexport, der CIA und dem BND, der so eine Eiseskälte und Verachtung ausstrahlt, dass es gruselt. DAS ENDE DER WAHRHEIT scheut sich nicht, auch bei Grausamkeiten draufzuhalten, kontert aber auch immer wieder mit jeder Menge Nähe und Zärtlichkeit. Die Charaktere sind ganz normale Menschen wie Du und Ich, keine Supermänner die weltmachtbeherrschende Superschurken bekämpfen, sondern gegen den geld- und machtgeilen Vorgesetzten in den eigenen Reihen versuchen vorzugehen. Und auch wenn der Film in den letzten Minuten stark schwächelt und meiner Meinung nach zu viel deutsche Befindlichkeit auf den Tisch legt, überwiegt im Ganzen doch dieser schwarzer Abgrund auf den Behrens zusteuert, und aus dem ihm niemand heraushelfen kann, bis auf einen: Seinen persönlichen Widersacher.

Ja, DAS ENDE DER WAHRHEIT ist der bessere Bond geworden. Der spannendere, realistischere und der knackigere. Mit Psychologie und Action in einem erstklassigen Mischungsverhältnis, und (fast) ganz ohne peinliche Momente. Natürlich ist DAS ENDE DER WAHRHEIT kein reiner Actioner, dafür ist er zu intelligent, aber genauso wie die Bond-Reihe zeigt er das Ende von Anstand und Würde zugunsten des unbeschränkten Profits. Und wer Spaß hat an Anspielungen auf das wirkliche Leben, der darf gerne die Schuhmode von Claudia Michelsen in ihrer allerersten Szene bewundern (und dabei an den thüringischen Verfassungsschutz zu NSU-Zeiten denken) und sich fragen, ob Alexander Fehling für die Rolle nicht auch deswegen ausgesucht wurde, weil er vor allem in seinem ersten Auftritt eine deutliche Ähnlichkeit mit dem, Ende 2018 in den Ruhestand verabschiedeten, Ex-Präsidenten des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen hat. Wenn dies das moderne Kino der 2020er-Jahre ist, dann darf das gerne so weitergehen.

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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Shot Caller (Ric Roman Waugh, 2017) 8/10

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Jacob Harlan ist ein ganz normaler Mann. Einer wie Du und ich. Ein Bürohengst in den besten Jahren, im Beruf erfolgreich, beliebt, eine wunderbare Familie in der sich alle mögen, ein abzuzahlendes Haus, Freunde … Mit diesen Freunden trifft man sich in einem Restaurant, und man bestellt, weil es so lustig und gemütlich ist, irgendwann noch eine weitere Flasche Wein. Auf der Heimfahrt übersieht Jacob dann eine Ampel – Danach ist sein Freund auf der Rückbank tot, und der Fahrer des anderen Fahrzeugs hat beide Beine gebrochen. Weil Jacob angetrunken war lautet das Urteil auf fahrlässige Tötung: Sieben Jahre Gefängnis. Durch einen Deal kann sein Anwalt diese sieben Jahre auf zwei Jahre und acht Monate runterdrücken, aber dafür wird das Haus weg sein.
Jacob, der Mann wie Du und ich, der Büroarbeiter aus der heilen Welt, ist im Gefängnis. In der ersten Nacht erlebt er mit, wie einer der anderen Frischlinge von einer ganzen Gruppe vergewaltigt wird. Ihm ist klar, dass er, wenn er nicht untergehen will, Härte zeigen muss. Als er am nächsten Tag auf dem Hof aus Versehen mit einem Schwarzen zusammenstößt und der ihn rüde beschimpft, schlägt er zu. Und wieder. Und wieder. Was ihm 30 Tage Loch einbringt, sowie die Aufmerksamkeit der weißen Bruderschaft, die den weißen Teil der Insassen unter Kontrolle hält. Für die Bruderschaft beginnt er nun zu arbeiten: Der erste Drogentransport vom Schlafsaal zum Hof. Der erste Mord. Die Teilnahme an einem Aufstand, was sieben weitere Jahre und die Scheidung von seiner Frau bedeutet. Sein Name ist nun Money, weil er früher mit Geld zu tun hatte, und ihn verbindet nichts mehr mit der bürgerlichen Welt da draußen.
Nach 10 Jahren wird Money auf Bewährung entlassen. Schon am ersten Abend draußen muss er einen großen Waffendeal für die Bruderschaft vorbereiten, und es wird auf ihn ein Anschlag verübt. Money bekommt heraus, dass sein Kumpel aus der Bruderschaft mit der Polizei zusammenarbeitet, und dass er selber, wenn er den Deal durchzieht, wieder im Knast landen wird. Für immer. Wenn er den Deal aber verweigert, dann wird die Bruderschaft zu seiner Familie gehen …

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An einem Ort wie diesem werden wir gezwungen, Krieger oder Opfer zu sein. Dazwischen gibt es hier nichts.

Die größte Angst des kleinen Maulwurfs war es das ganze Leben lang, im Gefängnis zu landen. Unter solchen Bedingungen wie den geschilderten wäre der Maulwurf der klassische Häftling, der sich bereits in der ersten Nacht am Fensterkreuz erhängt. Oder erhängt wird. Mit einem Besenstiel im Arsch. SHOT CALLER beflügelt solche Ängste natürlich lebhaft, aber gerade dadurch wirkt der Film noch mal ein paar Ecken fieser und eindringlicher. Die dichte Atmosphäre, nur und ausschließlich von den Gefühlen Angst und Hass erfüllt, dringt aus dem Bildschirm und ummantelt den Zuschauer wie eine traurige Wand. In diesem Film gibt es kein Licht, keine Freude und kein Lachen. Die wenigen Szenen aus Jacobs früherem Leben wirken durch die Trostlosigkeit und Härte seines neuen Lebens nur umso trauriger. Wie ein Echo aus längst vergangenen Zeiten, eine Kerze in einem dunklen Raum die ausgeblasen wird während man sich doch eigentlich an ihr wärmen will.

SHOT CALLER ist grimmig, finster und eiskalt, und Nicolaj Coster-Waldau, der gutaussehende Schönling aus GAME OF THRONES oder HEADHUNTERS, ist ebenfalls grimmig, finster und eiskalt, genauso wie der Weg Jacob Harlans zu Money, vom Businessman zum eiskalten Gang-ster. Nikolaj Coster-Waldau agiert mit kleinen Gesten, mit unmerklichen Veränderungen; eigentlich zeigt nur seine Barttracht, an welchem Stadium der Verwandlung zum Tier er sich gerade befindet. Seine Augen werden immer kälter, und seine Angst verschwindet im gleichen Maße wie sein Killerinstinkt die Oberhand gewinnt. Eine sehr starke schauspielerische Leistung, die einen völlig übergangenen Ausnahmeschauspieler zeigt. Anders als beispielsweise Nicolas Winding Refns BRONSON ist Jacob schließlich mal ein ganz normaler Mensch gewesen, niemals ein Psychopath. Jemand mit Familie und viel Liebe im Herzen. Dinge, die ihm jetzt eher im Wege stehen, wenn er während des Aufstandes einen seiner Kumpels aus der Todeslinie eines Mexikaners retten muss. Oder wenn ein Mädchen, das vor ein paar Sekunden noch Sex mit ihm haben wollte, von einer Schrotflinte an die Wand verteilt wird, und er keinerlei Gefühle zeigen darf außer absoluter Kontrolle darüber, wer jetzt mit welcher Waffe wo das Haus verlässt um dem oder den Schützen das Licht auszublasen. Obwohl er doch eigentlich viel lieber das sterbende Mädchen im Arm halten würde. Und wenn er am Ende in die Wüste blickt, und seine Augen das Wissen zeigen, dass er die Freiheit dort draußen für den Rest seines verschissenen Lebens immer immer immer nur noch durch die Gitterstäbe betrachten wird, dann senkt sich tiefe Verzweiflung in den Zuschauer. Verzweiflung, und auch Angst – Die Angst, solch ein Schicksal erleiden zu müssen …

Ein Film, dessen Bilder noch sehr lange nachhallen. Länger als viele andere Filme bleibt SHOT CALLER im Herzen und im Kopf haften und ängstigt. Großes düsteres Kino!

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Maulwurf
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Kalter Schweiß (Terence Young, 1970) 7/10

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Joe Martin lebt ein ruhiges Leben in Villefranche in der Nähe von Nizza. Er hat eine eine gute Frau, er säuft zu viel, und er hat ein Auskommen durch eine Jacht die gechartert werden kann. Das, was an Geld fehlt, kommt dann durchs Pokern rein. Ein ruhiges Leben bis zu dem Punkt, an dem eines Abends das Telefon läutet und jemand erklärt, dass er Joe Moran töten wird. Joe Martin ist Joe Moran, richtiger: Er war einmal dieser Mann. Damals, als er nach dem Koreakrieg einen Oberst zusammenschlug und dafür zwei Jahre in den Bau kam. Und damals, als er mit den Knastkumpels flüchtete. Und diese Typen in der Scheiße sitzen ließ, weil die einen Polizisten töteten, und er damit nichts zu tun haben wollte. Jetzt sind diese Männer wieder da, aber sie wollen nicht seinen Tod, sondern sie wollen seine Jacht. Er soll ein Geschäft mit ihnen durchziehen, es geht um Drogen, und das Druckmittel sind Joes Frau und seine Tochter.

KALTER SCHWEISS ist ein altmodischer Film! Jeder, der für einen Actionfilm oder einen Thriller ununterbrochenes Dauergeballere benötigt, coole Oneliner, sich überschlagende und explodierende Autos, oder Männer, die aus Flugzeugen auf Hubschrauber springen (oder umgekehrt oder beides) sollte hier tunlichst die Finger von lassen! Denn KALTER SCHWEISS ist hoffnungslos altmodisch.

Altmodisch bedeutet zum Beispiel, dass das französische Stunt-As Rémy Julienne hier bei einer halsbrecherischen Autofahrt entlang der Route Napoleon absolut alles gibt, um bei Höchstgeschwindigkeit einen Opel Rekord auf der Straße zu halten, und gleichzeitig zwei Motorradcops zu entwischen. Da gibt es keine CGIs und keine Tricks, das ist noch richtige schweißtreibende Handwerkskunst, und ich bin sicher, dass anschließend der deutsche Name des Films Programm war. Altmodisch bedeutet aber auch, dass die Geschichte ein paar sehr wilde Haken schlägt und sich immer wieder in Richtungen entwickelt, die man nicht erwartet hätte.Joe ist ein Skipper, also wird es ein Klaustrophobie-Thriller auf einem Boot? Pustekuchen. Ein Geiseldrama rund um Joes Frau? Mitnichten! Ein Thriller rund um einen Alleskönner, der seinen Plagegeistern entwischt und diese nun von außen einen nach dem anderen umlegt? Von wegen. Joe Martin ist ein Getriebener, der vor seinen eigenen Dämonen weglaufen möchte genauso wie vor den bösen Männern mit den großen Wummen. Kann er aber nicht, weil er seine Familie liebt, also muss er sich diesen Dämonen stellen und sie bekämpfen. OK, das ist vielleicht altmodisch, aber auch heute noch en vogue.

Doch Joe ist kein James Bond und kein Equalizer. Joe ist ein ganz normaler Mann mit einer Vergangenheit, die gerade seine Gegenwart bedroht und seine Zukunft auslöschen möchte. Er ist kein Tausendsassa mit lauter tollen Einfällen, und er hat keine Vergangenheit als bester Ex-Killer oder ultimativer Ex-Geheimdienstler. Und an dieser Stelle wird es dann wiederum altmodisch, denn heutzutage benötigt ja scheinbar jeder gewöhnlich aussehende Actionheld eine entsprechende Vergangenheit die ihn befähigt, diejenigen Dinge zu tun, von denen wir alle angeblich nur träumen.

Doch Joe Martin hat so etwas nicht nötig, und Regisseur Terence Young noch viel weniger. KALTER SCHWEISS lebt von seiner inneren Spannung, den überzeugenden Charakteren und, natürlich, den starken Spannungsszenen: Wenn Joe in seiner Küche sitzt und mit den Bösen vermeintlich harmlos schwätzt, während ihm und dem Zuschauer immer klarer wird, dass sich hier gewaltiges Unheil über der unbescholtenen Familie zusammenbraut, und wenn diese Szenen einfach keine Ende nehmen wollen, während die Spannung wächst und wächst, dann weiß der Zuschauer, dass er hier in einem altmodischen Actionthriller zuhause ist, der den Begriff Suspense noch ernst nimmt und von einem Meister seines Faches umgesetzt wurde. Es werden halt nicht, wie mittlerweile üblich, die Begriffe Spannung und Action miteinander verwechselt. Dazu passen auch der angenehm unprätentiöse Schluss genauso wie die in ihrer Gesamterscheinung recht lakonische Darbietung der gesamten Chose. Der Film mag kein absoluter Höhepunkt des Filmschaffens sein, aber er zieht den Freund älterer Action-Unterhaltung erbarmungslos mit. Passt!
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Sherlock Holmes and the deadly necklace (Terence Fisher & Frank Winterstein, 1962) 5/10

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Eurocrypt.jpg (20.63 KiB) 111 mal betrachtet

Ein Film der so müde daherkommt, dass es mir nach nicht mal einem Tag schon schwer fällt, die Handlung wiederzugeben: Dr. Moriarty möchte das Halsband der Kleopatra mitsamt dem originalen Schmuckkästchen in seine Sammlung kostbarer Antiquitäten integrieren. Derzeit im Besitz der Kette und der Schatulle ist ein gewisser Peter Blackburn, der aber auch nicht so ganz sauber an die Pretiosen gekommen ist. Seine Komplizen bei dem damaligen Raub sterben gerade der Reihe nach, und da hat selbstverständlich auch Blackburn furchtbare Angst zu sterben. Es kommt wie es kommt, Blackburn geht den Weg alles Irdischen, seine Frau und ihr Liebhaber sind hochgradig verdächtig, und es liegt an Sherlock Holmes, die Unschuld der beiden Lämmer zu beweisen und zu klären, dass Moriarty das Halsband gestohlen hat. Und auch die Wiederbeschaffung nimmt Holmes in die Hände …

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Kim Newman meint, dass HALSBAND DES TODES von Terence Fisher gedreht wurde, und Frank Winterstein nur Second Unit-Regisseur war. Ich sehe das genau andersherum, denn der Film ist so dermaßen hölzern und lustlos inszeniert, dass ich in keiner Sekunde die Handschrift Fishers entdecken kann. Wahrscheinlich war Fisher eher für die Koordination der englischen Leading Men Christopher Lee und Thorley Walters zuständig, während Winterstein den Rest gedreht hat. Was allerdings wiederum zur Frage führt, warum Watson hier als humoristischer Trottel angelegt wird, der auf Observation in einer Kneipe lieber mit Damen aus dem Rotlichtmilieu schäkert, als seinem Freund unter die Arme zu greifen. Und der auch sonst eher für die peinlichen Momente zuständig ist. Nicht so schlimm wie ein Eddi Arent, aber immer noch peinlich genug …

HALSBAND DES TODES ist eine seltsame Mischung aus dem viktorianischen Geist der Holmes-Romane und einer moderneren Welt: Autos und Trenchcoats treffen auf alte Herrenhäuser und schummrige Hafenkneipen. Womit mit dieser CCC-Produktion von Artur Brauner ganz klar der Geist der damals mega-erfolgreichen Wallace-Verfilmungen getroffen werden sollte. Doch unglücklicherweise zielt der Pfeil ganz weit an der Zielscheibe vorbei. Die wenigen Außenaufnahmen sind relativ unatmosphärisch, wohingegen die Innenaufnahmen sich deutlich am Ambiente eines Fernsehspiels und dessen Diktion orientieren. Langweilige Kamerafahrten, deklamierte Dialoge, uninspirierte Schauspieler - Senta Berger darf kaum einmal alleine im Bild sein und gibt das kleine und zarte Hascherl, was so gar nicht zu ihr passt, genausowenig wie der sanfte Liebhaber zu Ivan Desny passt, der hier, ebenfalls merkwürdig und unpassend, von Gert Günther Hoffman gesprochen wird. Hans Söhnker dramatisiert über, Hans Nielsen wirkt wie ein Wallace-Schurke der mit der Rolle eines Polizisten nicht so ganz klar kommt, und einzig Christopher Lee kann das ein oder andere Highlight setzen.

Der Film unterhält noch gerade so, und dies ist zu einem großen Teil Christopher Lee zu verdanken, der sichtlich Spaß hatte an der Rolle und sie gerne hätte öfters verkörpern können. Aber wenn man ehrlich ist, fallen einem zu HALSBAND DES TODES eher die Attribute müde, umständlich erzählt oder langweilig ein. Ich bin beileibe kein Sherlock Holmes-Experte, aber ich bin sicher, dass die Handlung auch anders hätte dargestellt werden können, spannender und aufregender. Die Sorgfalt, die in die Ausstattung geflossen ist (man beachte die wundervolle Detaillierung von Holmes‘ Arbeitszimmer) hätte vielleicht zum Teil besser in die Wahl des Regisseurs fließen sollen. Somit keine unbedingte Empfehlung meinerseits …

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Rumble on the docks (Fred F. Sears, 1956) 7/10

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Noir Archive 2.jpg (18.18 KiB) 98 mal betrachtet

Die versuchte Vergewaltigung von Della an der Waterfront von New York beschwört einen Bandenkrieg zwischen den Diggers und den Stompers hervor. Dellas Bruder ist bei den Diggers dabei, und deren Anführer, Jimmy Smigelski, prügelt die beiden Möchtegern-Vergewaltiger windelweich. Die revanchieren sich mit einem schlimmen Überfall auf den Sommerball der Gemeinde, wo die Diggers friedlich tanzen wollten.
Szenenwechsel: Jimmys Vater Pete wurde von Gangsterboss Joe Brindo schon vor 10 Jahren fast zum Krüppel gemacht. Gerade jetzt versucht Pete, zusammen mit seinem Freund Marchesi, einen Pier unter eigener Regie zu führen, ganz ordentlich und nach den Statuten der Gewerkschaft. Und vor allem ohne Geld abzudrücken an Joe Brindo. Brindo ist clever, und nimmt Jimmy wie einen Sohn in seine Organisation auf, um einen Keil in die Familie Smigelski zu treiben. Mit Erfolg: Der Vater wirft den Sohn hochkant raus, und spätestens nach der erwähnten schlimmen Schlägerei mit den Stompers, bei der sogar eine Pistole zum Einsatz kam, und der 10-jährige Pooch, Delias Bruder, fast zu Tode geprügelt wurde, bricht die Familie entzwei. Als Marchesi ermordet wird und einer der Clansleute Brindos dafür verantwortlich gemacht wird, schlägt Jimmys große Stunde: Durch eine Falschaussage kann er Brindos Ruf reinwaschen, sich selber einen Platz in der Hierarchie sichern – Und seinen Vater in den Untergang stürzen. Will er das wirklich?

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Was hier vielleicht ein wenig wirr klingen mag, ist im Film eigentlich sehr gut strukturiert. Wir kommen vom Juvenile Crime-Genre, driften ab in einen ernsthaften Gangsterfilm, streifen eine Zeitlang sogar das Genre des Gerichtsfilms, und landen am Schluss bei einer wilden Schießerei in einer Garage, die von der Szenerie und der Aufstellung der Figuren her auch ein Western sein könnte. Natürlich ist fast von Beginn an klar, wie DER DSCHUNGEL VON MANHATTAN ausgehen wird, das ist bei einem Actioner aus dem Jahr 1956 kaum anderes zu erwarten. Aber der Weg ist das Ziel, und der ist hier vollgestopft mit knüppelharten Kämpfen, mit Blut, mit jeder Menge guter Action, und mit Charakteren die das Wort Plakativ 10 Meilen breit über die Stirn gepinselt haben.

Stört das? Nein!! Es kommt keine einzige Sekunde Langeweile auf, nicht einmal in den kurzen Momenten der Zweisamkeit zwischen Jimmy und Della, weil der Zuschauer geradezu darauf lauert, dass gleich wieder etwas passiert. Außerdem ist die Halbstarken-Attitüde Jimmys perfekt getroffen, sein rotziger Rebel without a cause-Ton trifft ein Jahr nach …DENN SIE WISSEN NICHT WAS SIE TUN und zwei Jahre nach DIE FAUST IM NACKEN das Milieu der orientierungslosen Jungschläger in einer heruntergekommenen Ecke eines abgewirtschafteten Hafens perfekt. Dafür müssen wir mit Krokodilstränen auf den Edelkitsch und die intellektuellen Einfälle der großen Hollywood-Formate verzichten, DER DSCHUNGEL VON MANHATTAN (der eigentlich viel richtiger Brooklyn ist) suhlt sich im Dreck und in der Stimmung eines schmuddeligen Viertels wie ein echter Noir aus der besten Zeit der Warner Brothers. Und so konnten weder das in Internetrezensionen gemeldete leblose Drehbuch noch eine angeblich schläfrige Kamera von meiner Seite aus entdeckt werden. Im Gegenteil schlägt die Geschichte wilde Kapriolen, die aber überzeugend mit Leben gefüllt und in eine sehr schöne Schwarzweiss-Fotografie eingebettet werden. DER DSCHUNGEL VON MANHATTAN hat mich fast ab der ersten Minuten mitgerissen durch seine packende Mischung aus bitterem Realismus und wilder Gangsterpistole, durch den starken Soundtrack und die erwähnten schönen Bilder.

Mag ja sein dass es daran liegt, dass ich nicht so der Juvenile Crime-Experte bin, aber der Film ist spannend, temporeich, schön anzuschauen, und hat starke Schauspieler. Ja was will man denn noch mehr? Für mich ist DER DSCHUNGEL VON MANHATTAN auf jeden Fall ein klarer Vorgänger britischer Hooligan-Filme mit der zusätzlichen Verbindung zum Gangsterfilm, womit er garantiert öfters mal im Player landen wird.

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Nur Gott kann mich richten (Özgür Yildrim, 2017) 8/10

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Ricky kommt aus dem Knast und braucht Kohle, um irgendwo im Süden in eine Teilhaberschaft mit einer Bar einsteigen zu können. Da kommt ihm das Angebot seines Freundes Latif gerade recht, ein Geschäft mit Albanern zu machen: Rashid hat zweieinhalb Kilo Heroin, das er seinen Leuten vorenthalten will indem er einen Überall auf sich selbst inszeniert. Und Ricky und Latif sollen den Job ausführen. Weil aber Latif genau an dem Abend ausfällt muss Rafael mitmachen, Rickys jüngerer Bruder, der verzweifelt versucht, nach 2 Jahren Bau ein ehrliches Leben mit seiner Freundin zu führen, gerade Vater wird, und eine wesentliche Charaktereigenschaft hat: Er verliert schnell die Kontrolle über sich.
Nach dem Job werden Ricky und Rafael von einer Polizeistreife angehalten weil das Rücklicht des Wagens kaputt ist. Dank Rafael bleiben am Ende zurück ein Polizist im Koma und eine Gruppe Albaner ohne Stoff, denn die Tasche mit dem Heroin ist fort! Die hat sich die Polizistin Diana unter den Nagel gerissen, die nun versucht das Zeug zu verticken, damit sie ihrer kleinen Tochter die dringend benötigte Herzoperation zahlen kann. Aber zweieinhalb Kilo H sind viel Stoff, und dann landet man auch in einer Stadt wie Frankfurt schnell bei denjenigen, denen das Zeugs gerade geklaut wurde …

Früher, als ich jung war, wollte ich auch mal Polizist werden. Was wahrscheinlich dem Einfluss zu vieler amerikanischer Vorabendserien im TV zuzuschreiben war. Dann wäre ich heute? Keine Ahnung, vielleicht, mit etwas Glück, im mittleren Dienst. Was würde ich dann sehen? Wie würde mein Leben, meine Wahrnehmung aussehen? Würde ich das sehen, was Diana in NUR GOTT KANN MICH RICHTEN sieht? Eine Welt, die längst aus den Fugen geraten ist. In der Ehre und Respekt nur für das Selbstbild und von Fremden eingefordert werden, in Wahrheit aber der eigene Vorteil das einzige ist was zählt. Und dieser Vorteil wiederum wird mit allen Mitteln und um jeden Preis eingefordert. Das Leben eines Polizisten ist genauso viel wert wie ein Schlag in die Fresse – Mal nebenbei abgehandelt, den eigenen Vorteil erfolgreich verteidigt, und übergehen zur Tagesordnung.

„Zweihundert Mille in zwei Tagen? Wie soll das gehen? Wir haben die Kohle nicht!“
„Ist das mein Problem oder dein Problem? Das ist Business, Digger.“


Es ist eine desolate Welt, und sie ist bevölkert von Menschen am Ende der Hoffnung. Nein, das stimmt nicht ganz – Hoffnung ist durchaus noch vorhanden, aber alles, absolut alles, geht mit hundertprozentiger Sicherheit den Bach runter. Das Familienleben mit Freundin genauso wie die Bar im Süden oder das Leben der kleinen Tochter. Alles wird bedingungslos vernichtet, womit NUR GOTT KANN MICH RICHTEN schon stark an einem Neo-Noir entlangschlittert: Verzweifelte und einsame Menschen auf dem Weg in den Abgrund. In der Welt, in der diese Menschen leben, zählen ausschließlich und nur die eigene Faust, die eigene Knarre, die eigene Kohle. Soziales Verhalten würde bedeuten sich eine Blöße zu geben. Schwach zu erscheinen. Nicht für voll genommen zu werden. Wenn Ricky und Diana miteinander gesprochen hätten wäre das Geschäft für beide zur vollsten Zufriedenheit abgewickelt worden. Ricky hätte seine Haut gerettet und Diana das Leben ihrer Tochter. Aber nein, viel wichtiger ist es, aufeinander zu ballern. Sich gegenseitig zu zeigen, dass man den Größeren hat, unabhängig von Geschlecht oder gesellschaftlicher Position. Ein Verhalten wie in der Politik …

Mit NUR GOTT KANN MICH RICHTEN ziehen wir durch die Straßen einer Großstadt, die halt zufällig Frankfurt heißt (gedreht wurde unter anderem aber auch in Offenbach, Rüsselsheim und Hamburg), die aber auch New York heißen könnte. Oder Paris. Oder Sofia. Eine Stadt bestehend aus Hinterhöfen, abgeranzten Vierteln und stillgelegten Industriegebieten. Das Ende der Zivilisation wie wir sie vor 50 Jahren noch kannten ist eingeläutet, und so wird die Zukunft aussehen: Eine Polizeistreife hält ein Auto wegen eines kaputten Rücklichts an, und am Ende liegt ein Polizist im Koma und zweieinhalb Kilo H liegen auf der Rückbank einer verzweifelten Mutter. Unangebrachter Pessimismus? Ich weiß nicht, ein Blick in die modernen Städte, nicht in die Vorzeigemeilen der Innenstädte sondern in die Straßen hinter dem Bahnhof, oder gar in die Bezirke dort draußen, wo der Migrantenanteil gen 100% geht, dieser Blick zeigt mir, dass ich mit diesem Pessimismus vielleicht gar nicht so falsch liege. Eine Welt zeigt sich, die mir weißem Mittelstandsjungen, halbwegs gebildet und gut situiert, so fremd ist wie Saufspiele ostsibirischer Holzfäller oder Initiationsriten prähistorischer Ureinwohner. Und die auch genauso archaisch ist. Und direkt vor unserer Haustüre!

Dies soll keine Darstellung persönlicher Befindlichkeiten sein, sondern der Versuch, die Stimmung des Films zu beschreiben. Die Stimmung, vor allem aber auch die Wirkung auf den Zuschauer. NUR GOTT KANN MICH RICHTEN ist trotz einiger Längen gegen Ende ein roher und heftiger Film, der den Zuschauer brutal in den Unterleib tritt. Der zeigt, dass das deutsche Genrekino lebt und genauso mitreißen kann wie es französische Cop- und britische Gangsterfilme oder spanische Thriller können. Erstklassige Schauspieler zeigen vor schmutzigen und düsteren Kulissen großartiges Können, und die Verknüpfung der einzelnen Handlungsstränge findet auf hohem Niveau statt und hebt die Spannung teilweise ins Unerträgliche: Wir wissen was gleich passieren wird, aber wir können es nicht aufhalten, und der unerwartete Twist beim nicht wie gedacht ablaufenden Shootout ist dann das Sahnehäubchen. Großes Kino mit heftigen Magenschwingern!
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Die fetten Jahre sind vorbei (Hans Weingartner, 2004) 9/10

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Jan und Peter sind Freunde, die im Alltag zwischen Demo und Fahrscheinkontrolle versuchen, ihren revolutionären Elan nicht zu verlieren. Sie steigen nachts in Villen ein, stehlen aber nichts sondern räumen die Möbel um, und hinterlassen eine Mahnung: Die fetten Jahre sind vorbei! Oder auch: Ihr werdet beobachtet. Die Erziehungsberechtigten. Als Peter für ein paar Tage in Urlaub fliegt, kümmert sich Jan um dessen Freundin Jule. Sie renovieren Jules alte Wohnung, sie ziehen gemeinsam durch die Straßen, und ganz allmählich verlieben sie sich dabei ineinander. Jan zeigt Jule, was Peter und er nachts so treiben, und als Jule merkt, dass der Typ, an den sie wegen eines Unfalls noch 8 Jahre lang 94.600 Euro abstottern muss, dass dieser Typ hier gleich um die Ecke wohnt, macht sie das ganz wahnsinnig. Sie will unbedingt in dessen Villa einsteigen, sehen wie der Typ wohnt. Dummerweise verliert sie unbemerkt ihr Handy irgendwo im Haus, und als sie in der nächsten Nacht zum Suchen wiederkommen – kommt auch der Typ wieder. Justus Hardenberg, Manager, drei Mille Jahresgehalt. In einer Kurzschlussreaktion schlagen sie Hardenberg nieder, holen den völlig entsetzten Peter dazu, und fahren mit ihrem alten VW-Bully ins Alpenvorland, auf eine Berghütte die Jules Onkel gehört. Und dort kommen sie mit dem reichen Manager allmählich ins Gespräch und merken, dass der auch mal jung war …

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Zu meiner Schande(?) muss ich gestehen, dass ich mich den FETTEN JAHREN nur von einer sehr persönlichen Seite nähern kann. Die überragenden Schauspieler, der großartige Schnitt, der wunderbar passende Score, die in alle Richtungen heimeligen Settings – Geschenkt!

DIE FETTEN JAHRE.. schlägt bei mir einfach in eine ganz andere Kerbe, nämlich in diejenige, dass ich mich mit allen Hauptcharakteren gleichzeitig identifizieren kann. Und dass Hardenberg, der reiche Managertyp, der sein Leben damit verbracht hat seine Ideale an die Wand zu fahren, dass Hardenberg mir mitten durchs Gebein fährt. Hardenberg, der vor 30 Jahren im Vorstand des SDS saß, der in einer WG freie Liebe gemacht hat, und der in einem wahrlich markerschütternden Monolog erklärt, wie er zu dem geworden ist was er jetzt ist. Es mag sicher sein, dass es da draußen noch einige Sozialrevolutionäre gibt die das für Kokolores halten, ich persönlich finde mich da in hohem Maße wieder (leider bis auf das Jahresgehalt und Gottseidank bis auf das Wahlkreuz, dies aber nur nebenbei). Die Rebellion der Jugend ist irgendwann vorbei gewesen, aber warum? Was kam dann? Das Geld? Der Wohlstand? Das Auto mit Klimaanlage? Die neuen Sachen für das Kind? Wo ist der unbequeme Gedanke hin, wo die Bereitschaft sich einzumischen und etwas verändern zu wollen? Reicht es, diesen Frust in den nächsten Leserbrief an das lokale Blättchen zu verpacken?

Für mich, einen alten weißen Mann deutscher Herkunft, gut aufgehoben im satten und zufriedenen Bürgertum, stecken in DIE FETTEN JAHRE.. tatsächlich Jugend und fortgeschrittene Jahre zugleich. Auf geradezu geniale Weise spannt Regisseur Hans Weingartner den Bogen eines Menschenlebens im Deutschland der Wohlstandsjahre – Von der ernstgemeinten Revolution, über die Anpassung an die Umstände, bis hin zur Einrichtung im Luxus. Und mit den Menschen, die diese Ideale mal gelebt haben, zeigt er auch sogleich den Weg dieser Ideale. Was früher mal subversiv war, kannst jetzt im Laden kaufen, sagt Jan einmal. Und damit hat er absolut Recht. Wo wir unsere Anarchie-Buttons Ende der 70er noch selber gebastelt haben, kann man vom Che Guevara-T-Shirt bis zu den Erinnerungen von Hans-Joachim Klein nicht nur im Laden, sondern erst Recht im Internet alles kaufen, was der gutbürgerliche Revolutionär so braucht, um sein linkes Bewusstsein zu streicheln. Bloß, wie soll jemand so denn noch ein eigenes und vor allem kritisches Gedankengut entwickeln? Diese ganze Scheiß-Technik hat euch bequem gemacht, aber die anderen, die haben die Wut sagt Jan, und 20 Jahre nach der Entstehung des Films haben die anderen nicht einmal mehr die Wut, sondern nur noch den Wunsch nach dem neuesten Handy. Dass in Bangladesch kleine Mädchen für ein paar Cent in Textilfabriken schuften müssen wie die Wahnsinnigen? Dass globale Konzerne diesen Planeten bewusst und vorsätzlich zerstören, um ihren Profit zu mehren? Dass der Klimawandel nicht erst in der nächsten Generation zuschlagen wird, sondern unser aller Leben jetzt bereits zum Negativen verändert? Das die Amerikaner zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Textes einen Krieg in Europa provozieren, nur um zu verhindern dass Russland Öl in den Westen verkaufen kann? (1) Scheiß drauf!! Das neue Super-Mega-Handy ist doch viel cooler als das alte, und muss jetzt unbedingt für ein irrsinniges Geld gekauft werden.

Spätestens seit dem Mauerfall hat der Raubfisch-Kapitalismus die Herzen und Köpfe der Menschheit gewonnen, und das völlige Fehlen eines Gegenentwurfs erzeugt im positivsten Fall noch Menschen wie Jan und Peter, die am Rande der Gesellschaft permanent gegen den Wohnungsverlust und den Hunger anrennen müssen, die aber gar nicht mehr die Möglichkeit haben, ihre Gedanken zur Lage weder der Welt noch irgendjemandem Interessierten zu Gehör zu bringen – Weil keiner mehr interessiert ist. Nur noch das eigene Wohlergehen zählt, und das Schlimmste ist dabei, dass der Zuschauer dieses Films, genauso wie der Schreiberling dieser Zeilen, da keine Ausnahme macht. 10 Euro im Jahr an Greenpeace als Pflaster für das schlechte Gewissen und gut.

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Solche Gedanken bringt DIE FETTEN JAHRE.. hervor. Ist das nun schlecht? In meine alte Lederjacke passe ich eh nicht mehr rein, und mein Bandscheibenvorfall verhindert aufs Angenehmste, dass ich bei der nächsten Demo auch nur dabei bin. DIE FETTEN JAHRE.. ist das schlechte Gewissen der einstmals kritischen und jetzt gesättigten Existenz, und als solches ist der Film, in aller seiner improvisiert und manchmal fast dokumentarisch zu nennenden Art, ein Geniestreich für die Generation 50+, die sich fragen lassen muss, wo sie nach dem Mauerfall war, und nach dem Film zumindest erklären kann, warum sie jetzt die CDU wählt …

(1) Dieser Text ist in seiner ersten Fassung im Januar 2022 entstanden. Ende Februar ist Russland dann in der Ukraine einmarschiert, und mittlerweile, die Endfassung des Textes datiert auf Ende Mai 2022, stellte sich die Frage, was Putin wohl in der Ukraine wirklich will. Die Frage, die ich in den Raum werfen möchte ist hingegen, von wem wohl die Eskalation im Februar 2014 ausging, die das Russland-freundliche Regime hinwegfegte. Von Russland? Möglich, um einen Einmarsch in die Krim vorzubereiten und damit den wirtschaftlich starken Donbass endlich unter Kontrolle zu bekommen, wie es dann im Frühjahr 2022 ja auch durchgeführt wurde. Es gäbe aber auch noch eine andere Möglichkeit, nämlich dass Scharfschützen im Auftrag einer westlichen Nation unterwegs waren um zu verhindern, dass das russische Öl durch eine, Russland gewogene, Ukraine günstig nach Europa verkauft werden kann. Wenn dieses Szenario, kein russisches Öl für Europa, nämlich eintritt, dann hat ein anderes Land die Möglichkeit, ihr eigenes Öl teurer nach Europa zu verkaufen. Und spätestens dann fällt dem parteiischen Leser auch ein, dass ja der Sohn von US-Präsident Biden im Vorstand oder Aufsichtsrat oder wasauchimmer einer Ölfirma saß …

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9/10
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Maigret und sein größter Fall (Alfred Weidenmann, 1966) 5/10

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In einem Pariser Museum wird ein Van Gogh gestohlen und der Museumswärter wird ermordet. Um den Mörder nervös zu machen entscheidet Maigret, den Diebstahl geheim zu halten und eine Kopie des Bildes aufzuhängen. Und tatsächlich steht am nächsten Tag der Engländer Holloway in seinem Büro und meldet, dass ihm jemand das Gemälde zum Kauf angeboten hat. Holloway reist nach Lausanne, und Maigret und sein Assistent Cassel reisen hinterher. In der Bar Moulin Bleu nimmt Holloway Kontakt auf zu dem Schlagzeuger Robin, doch dieser Kontakt wird beobachtet vom Kellner Giorgio sowie von den beiden Freunden René und Jean. Ersterer ist Kellner in dem Hotel, in dem Holloway und auch Maigret abgestiegen sind, letzterer ist der Sohn des reichen Industriellen Lafosse und Liebhaber des Animiermädchens Simone aus dem Moulin Bleu. Und als die Bar am Abend schließt, und René und Jean die Kasse ausrauben wollen, da stehen sie plötzlich vor der Leiche Holloways. Was Maigret sehr beschäftigt.

In der zweiten Hälfte der 60er-Jahre hatte Heinz Rühmann eine Anzahl internationaler Koproduktionen, bei denen ich mich heute ernsthaft frage, wie er da wohl zu gekommen sein mag. GELD ODER LEBEN mit dem Co-Star Fernandel ist ja auch heute noch einigermaßen lustig, aber spätestens in DIE ABENTEUER DES KARDINAL BRAUN wirkt Rühmann völlig deplatziert, und überlässt den Film komplett seinen italienischen Kollegen. Ähnlich wirkt auch MAIGRET UND SEIN GRÖSSTER FALL auf mich, wo er vor allem in der ersten Hälfte spielt als ob er nicht dazugehöre, und erst das Auftauchen Günter Stracks ihn ein wenig in die Geschichte einbindet.

Bis dahin rennen viele große Schauspieler durch den Film, geben eine unglaubliche (Günther Stoll ist zum Hinknien gut) oder eine vollkommen unauffällige (ist das wirklich DER Claudio Camaso, der hier so nichtssagend agiert?) Performance ab, und bestücken diese etwas mühsam konstruierte und flott erzählte Geschichte mit ausreichend Personen, um schnell einmal den Überblick zu verlieren. Wenn man aufpasst ergibt sich ein etwas wirrer Krimi, der dank der reichlich vorhandenen Charaktere mit vielen roten Heringen punkten kann, dabei aber, und das ist eigentlich der viel wichtigere Teil, eine aus heutiger Sicht starke Stimmung birgt.

Das geht schon bei dem gelungen Score an – Das Titelthema rollt gelungen zwischen den Begriffen Drollig und Mysteriös hin und her, und die Jazzstücke, welche von der Kapelle in der Bar zum besten gegeben werden, haben viel Flair. Der Höhepunkt ist natürlich erreicht, wenn Robin einer Schallplatte mit seinem eigenen Trompetensolo lauscht, wohl wissend, dass er seine große Zeit und den damit verbundenen Ruhm gnadenlos verspielt hat, und dass er sein damaliges Erfolgsdasein längst eingetauscht hat gegen ein Leben in den Schatten. Ich persönlich mag Günther Stoll nicht wirklich, aber diese Szene, seine Augen, seine Ausstrahlung in dem Moment, das ist pure Gänsehaut.
Ebenso stark sind das alltägliche Treiben in der Stadt Lausanne oder die Vorgänge in der Bar. Solche Momente setzen dem Film gerade aus heutiger Sicht nostalgische Höhepunkte auf, während die Krimihandlung wie erwähnt eher unübersichtlich und wirr daherkommt. Szenenanschlüsse wirken teilweise wie aus zwei verschiedenen Filmen, Figuren wie der Versicherungsdetektiv Labas (Eddi Arent!) sind völlig überflüssig, und eine interessante Figur wie Simone, die mit Vater und Sohn Lafosse gleichzeitig eine Affäre hat und des Lebens im Nachtclub völlig überdrüssig ist, segelt am Horizont der Narration unbeachtet dahin und kann sich in keiner Sekunde entfalten. Viel wichtiger scheint es zu sein, dass Maigret seine Gedanken vor der Kamera wälzt, mysteriöse Anordnungen erteilt (die natürlich auch sofort und ohne Murren ausgeführt werden, weil er ja schließlich der große Maigret ist), und dass sich am Schluss, wenn man als Zuschauer ganz genau aufpasst, die meisten Bausteine tatsächlich auf unerbittliche Weise ineinanderfügen. Aber gute Krimiunterhaltung geht anders, und der damalige quirlige Zeitgeist und der älter gewordene Heinz Rühmann, das mag einfach nicht wirklich zusammen passen.
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Die Abenteuer des Rabbi Jacob (Gérard Oury, 1973) 9/10

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Im Winter 2024, als ich diesen Film zum wiederholten Male gesehen habe, überschattet die Realität die Filmhandlung auf merkwürdige Weise. Im Oktober 2023 hat die palästinensische Hamas einen grauenhaften Terrorakt gegen die israelische Zivilbevölkerung gestartet, der an Menschenverachtung und Brutalität kaum zu überbieten ist. Als Reaktion setzte die israelische Regierung einen Feldzug gegen die palästinensische Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen in Gang, der wohl erst dann beendet zu sein scheint, wenn kein Palästinenser mehr am Leben ist.

Und was macht der Maulwurf? Der schaut sich einen Film an, in dem ein weißer Rassist sich mit seinem jüdischen Chauffeur und einem Araber verbünden muss, um gegen die Mordbuben eines Diktators bestehen zu können. Monsieur Buntspecht, seines Zeichens stolzer französischer Fabrikant, gerät in eine schlimme Sache: Aus Versehen stört er die Kreise einiger Geheimpolizisten, die versuchen, den arabischen Revolutionär Slimane zu töten. Buntspecht und Slimane können entkommen, müssen sich aber auf der Flucht als Rabbiner verkleiden und landen prompt im jüdischen Viertel von Paris, wo sie als lang erwarteter Besuch aus den USA ein großer Bahnhof erwartet, sie Kinder segnen und tanzen müssen, und sie auf unerwartete Hilfe durch Buntspechts früheren Chauffeur Salomon stoßen.

Es gibt da diese Szene, wenn die beiden falschen Rabbis auf einem Moped sitzen und sich von Salomon verabschieden. Ausgerechnet Buntsprecht ist es, der dann die beiden anschaut: „Slimane - Salomon. Salomon – Slimane. Da könnte man doch meinen … Seid ihr beiden eigentlich verwandt?“ Slimane und Salomon, der Araber und der Jude, schauen sich an, und Slimane meint nur „Entfernte Cousins. Vielen Dank für die Hilfe“, und die beiden lächeln und geben sich die Hand. Meine Frau meinte dazu, dass der Film ja eigentlich ein Märchenfilm sei. Ja, das ist er, ein Märchenfilm. Und wie so viele Märchenfilme einer, den man sich immer wieder anschauen kann, und der einem den Glauben an eine bessere Welt wiedergibt.

Dabei reden wir hier von einem Louis de Funès-Film! Aus den frühen 70ern! Also eigentlich sollte man ein Nonstop-Feuerwerk an Grimassen, Kalauern und cholerischen Wutausbrüchen erwarten können. Aber de Funès nimmt sich hier angenehm zurück, aus gesundheitlichen Gründen, wohl aber auch, um der an sich ernsten Geschichte mehr Raum geben zu können. Natürlich ist die Verfolgungsjagd durch die Bottiche mit flüssiger Kaugummimasse purer Slapstick, und natürlich ist das Erscheinen des lange erwarteten Rabbi Jacob in der kleinen jüdischen Gemeinde ein einziger boshafter Spießrutenlauf für de Funès, der hier zu wahrer Hochform auflaufen kann. Ich liebe die Szene, wenn er, den Tod vor Augen, den Geheimpolizisten vorspielt, wie er morgen von ihnen einen Sprengstoffbrief erhalten wird, und alle Bösewichter völlig gebannt zuschauen, sich an seinen Ratespielen beteiligen, und niemand mehr schlimme Dinge tun will weil jeder ganz fasziniert ist von de Funès‘ Pantomime. Und natürlich ist alles, was bis dahin passiert ein einziges Fest der grotesken Komik.

Aber es hat eben auch diese andere Seite, diese politische Dimension, und die gibt DIE ABENTEUER DES RABBI JACOB eine Tiefe, die man bei einem de Funès-Film überhaupt nicht erwarten würde. Der Film gibt diesem ernsten Thema einen heiteren Rahmen, ohne aber den Blick auf die Schrecknisse in der Welt zu vermeiden. Er kommt bei weitem nicht so überkandidelt daher wie etwa OSCAR oder HASCH MICH, ICH BIN DER MÖRDER, sondern bleibt bei allem Irrsinn immer mit wenigstens einem Bein auf dem Boden der Tatsachen. Und gerade in den ersten Monaten des Jahres 2024, wenn Palästinenser und Israelis sich gegenseitig abschlachten, vielleicht sollte man sich diesen Film gerade dann anschauen und von einer besseren Welt träumen.
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Im Dreck verreckt (José Giovanni, 1968) 6/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 38 mal betrachtet

Ein französischer Auftragskiller kommt in ein lateinamerikanisches Land. Er soll den alten Präsidenten töten, und bis zum Attentat wird er mit dem zukünftigen Präsidenten zusammenleben. Der Präsident ist tot, lang lebe der Präsident. Allerdings ist der neue Präsident, Miguel, noch ein halber Junge, der von seinen Ideen und Idealen genauso begeistert ist wie von einer Maschinenpistole und der hübschen Aurora. Bloß Lebenserfahrung, die hat er überhaupt nicht - Im Gegensatz zu dem namenlosen Killer, der Miguel als bloßes Spielzeug einer Revolution behandelt, und ihm in Anflügen gelegentlicher Sympathie versucht, in einfachen Lektionen ein wenig das raue Leben näherzubringen. Anders als Miguel weiß der Killer, dass er anschließend auf der Abschussliste stehen wird, was ihn aber nicht daran hindert, seinen Auftrag auszuführen, wenn auch vielleicht nicht ganz so, wie die Auftraggeber und Miguel sich das vorgestellt haben.

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Bei Filmen von José Giovanni gehe ich immer von einem scharfen politischen Bezug aus. Von einer bissigen Anklage der herrschenden Zustände und sarkastisch-melancholischen Zeugnissen der Menschenverachtung. Und rein prinzipiell sind diese Zutaten auch in IM DRECK VERRECKT vorhanden: Die Revolution, die nichts anders machen wird als die Führer auszuwechseln, wohingegen Korruption und Willkür gleich bleiben werden. Ein willfähriges und dummes Spielzeug als Abbild dieser Revolution. Und als Erfüllungsgehilfe ein beauftragter Mörder aus dem westlichen Ausland. Und dies im Gewand eines mehr oder weniger Abenteuerfilms, damit die Geschichte auch ansprechend erzählt werden kann. Nun ja, ein x-beliebiges lateinamerikanisches Land, in dem ein General die Landbevölkerung ausbeutet, von einer Revolution dahingerafft wird, und der nächste General die bisherige Politik fortsetzt, das ist im Genre nichts Neues, und war es auch 1968 bereits nicht, nur dass B. Traven das in der Literatur Jahrzehnte vorher bereits wesentlich aggressiver formuliert hat. Luis Buñuel dies filmisch ebenfalls bereits pointierter verarbeitet hat. Und Giulio Petronis TEPEPA dieses Sujet, wenn auch zugegeben erst ein Jahr später, im Genrekino spannungsgeladener umsetzen wird.

Auch der Umstand, dass ein Ausländer, also letzten Endes ein Söldner, die Drecksarbeit machen soll für die tapferen Revolutionäre, die sich nach dem Misserfolg der Revolution schnell als hemmungslose Opportunisten erweisen, ist kein wirklich neuer Meilenstein der Erzählung. Bleibt im Wesentlichen also nur der Umstand übrig, dass es sich bei IM DRECK VERRECKT tatsächlich nicht um einen Politthriller mit spannender Handlung, sondern vielmehr um einen Abenteuerfilm mit politischem Bezug handelt. Dafür allerdings fehlen wiederum etwas Abenteuer und Spannung, ist die Sache mit dem Thrill doch ein klein wenig zu kurz gekommen. Denn die ersten zwei Drittel des Films bauen in erster Linie und sehr allmählich die Beziehung zwischen dem Killer und Miguel auf, zeigen die Schwächen des Killers, und etablieren so die Fäden zwischen den einzelnen Figuren. Eine lange und gründliche Exposition, die sich Zeit lässt für feine Strukturen und Einblicke in die Persönlichkeiten der Figuren. Ist der Film am Ende doch ein vorwiegender Politthriller, der das aber nicht so richtig zeigen kann?

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Das letzte Drittel legt an Spannung dann etwas zu, wenn Killer und Miguel sich auf der Flucht vor ihren eigenen Leuten befinden, und Miguel, das Jüngelchen, das vom Killer immer nur mein kleiner Held genannt wird, schlagartig erwachsen werden muss um nicht zu sterben. Dies Fluchtsequenzen und vor allem die Schießerei im Showdown sind überzeugend und stark inszeniert, allein sie passen nicht so recht zu den ersten zwei Dritteln, in den Giovanni eben versucht über Dialoge ein psychologisches Grundgerüst aufzubauen, welches dann am Ende im Kugelhagel untergehen wird. Somit ist IM DRECK VERRECKT beileibe kein schlechter Film, aber er ist seltsam uneinheitlich. Wie ein Italo-Western eines Arthouse-Regisseurs, der die äußeren Merkmale eines Westerns wie Staub, Schießereien und coole Männer in seinen Händen hält, sie aber nicht genregerecht einsetzen kann sondern versucht ihnen einen inneren Wert zu geben, den sie aber nicht haben. IM DRECK VERRECKT ist gut anzuschauen, und Lino Ventura geht sowieso immer, aber großes Kinovergnügen zwischen Western und Politik schaut dann doch ein klein wenig anders aus, was mit Filmen wie dem erwähnten TEPEPA oder auch TÖTE AMIGO bewiesen wird. Oder, in einem anderen Kontext, mit PESTHAUCH DES DSCHUNGELS.
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