bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

DELIRIA ÖVER DÜSSELDÖRF
Pt. II: Sonne, Sand und schwarzes Leder


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Der Tod trägt schwarzes Leder

Nach meiner Erstsichtung notierte ich wie folgt:
buxtebrawler hat geschrieben: Di 28. Sep 2010, 13:17„Der Tod trägt schwarzes Leder“ von Massimo Dallamano, veröffentlicht 1974, ist eine außergewöhnliche Symbiose aus Giallo und Poliziesco, die mitnichten von einer in Lack und Leder gehüllten Femme fatale handelt (wie es angesichts des Titels meine erste Assoziation war), sondern die Geheimnisse um einen mordenden, lederoveralltragenden Mopedfahrer mit Hackebeilchen zum Thema hat. Dabei beginnt der Film etwas unvorteilhaft mit einer aufgeknüpften Leiche eines pubertierenden Mädchens, die ohne Schwierigkeiten als Plastikpuppe zu erkennen ist. Die sich nach und nach offenbarende Geschichte um einen Callgirlring minderjähriger Mädchen sowie der Umstand zartbusiger weiblicher Nacktheit lässt eine bedenkliche spekulative Richtung erahnen, die das Drehbuch aber überraschend zugunsten polizeilicher Ermittlungsarbeiten inkl. einer emanzipierten Staatsanwältin und politisch-kritischen Kommentaren verlässt – denn während auf der Straße junge Rebellen wüten, führt die Spur in die Oberschicht… Dadurch erhält Dallamanos Film einen gewissen inhaltlichen Anspruch, der ihn von reine Schauwerte präsentierenden Gialli oder gewaltverherrlichenden Poliziesci wohltuend abhebt. Der Killer indes ist wenig zimperlich und sorgt für manch wohldosierte Blutspritzerei, während ein genialer Soundtrack fast schon für Wohlfühlatmosphäre sorgt. Die schauspielerischen Leistungen sind ordentlich, Mario Adorf bekommen wir in einer ungewöhnlichen Nebenrolle als emotional aufgewühlten Polizisten zu sehen, lediglich die jungen Mädchen wirken etwas hölzern. Letzteres mag aber auch mit der deutschen Synchronisation zusammenhängen, die ich auch bei den abgespielten Tonbandaufnahmen von sexuellen Handlungen bis hin zu Vergewaltigungen als etwas befremdlich empfand. Mich vermutlich auf dem falschen Fuß erwischt hat das Finale des Films, das vollkommen giallountypisch ausfiel, also entgegen meiner Erwartungshaltung keinen ausgeklügelten respektive an den Haaren herbeigezogenen Plottwist anbietet. Bei näherer Betrachtung mag aber gerade darin der Clou, die Pointe liegen. Ein (Halb-)Giallo wäre natürlich kein (Halb-)Giallo, wenn sich nicht auch hier ein paar Logiklücken (und Goofs) eingeschlichen hätten. In Anbetracht der gelungenen Inszenierung, die auf allzu künstlerisches Geschwurbel verzichtet und einer Dramaturgie, die keine Langeweile aufkommen lässt und sich zeitweise sogar recht rasant gibt, fallen ein paar Kleinigkeiten aber nicht weiter ins Gewicht. Somit ist „Der Tod trägt schwarzes Leder“ sicherlich ein empfehlenswerter Italo-Thriller, der nicht nur Die-Hard-Giallo- oder Poliziesco-Freaks anspricht.
Nach meiner Zweitsichtung ergänzte ich:
buxtebrawler hat geschrieben: Mi 25. Jan 2012, 20:40 Besonders aufgefallen ist mir bei der Zweitsichtung im Kino, während der ich den Film übrigens wesentlich Poliziesco-lastiger als giallig emfpand, wie der Film eine vermutlich damals dank Pille & Co. grassierende Panikwelle konservativer Kreise aufgegriffen bzw. mitgeschürt hat, für die das Erwachen der Sexualität junger Mädchen und ihr selbstbewusster Umgang damit unweigerlich in Tod und Verderben führen mussten :angst: :mrgreen: Umso ungewöhnlicher in diesem Zusammenhang die obrigkeitskritische Aussage des Films. Also auch hier ein Zwitter.
Zunächst war ich also von der Machart dieses Genrehybriden überrascht und nahm anscheinend den inhaltlichen Anspruch nicht sonderlich ernst. Später hatte ich mich stärker mit der sexuellen Revolution beschäftigt, somit auch mit den konservativen Reaktionen auf diese, und wähnte, diese in diesem Film wiederzuerkennen. Während meiner Drittsichtung und vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Epstein Files, die Magdebürger Lars auch in seiner Einführung erwähnte, machte der Film einen wiederum anderen Eindruck auf mich, der stark in Richtung solchen Machtmissbrauchs tendierte, womit das Ende dann auch stimmig und rund erscheint - und ich vermutlich nah an der intendierten Wirkung bin. Logiklücken fielen mir hingegen keine mehr auf, dafür empfand ich die Kameraarbeit als umso beeindruckender. Auch hier geht's also einen Punkt nach oben!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Siebenschläfer

„Alles wird gut sein. Wir sind zusammen. Für immer.“

Der 19. Dresdner „Tatort“ um Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) ist der erste, der ohne Hauptkommissarin Karin Gorniak auskommen muss, nachdem diese sich mit dem vorausgegangenen Fall verabschiedet hatte. Ersetzt wurde ihre Rolle nicht, sodass Schnabel und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) nun ein Duo bilden – was auch bedeutet, dass Schnabel stärker in die Ermittlungen eingebunden ist. Der von Silke Zertz sowie Frauke Hunfeld geschriebene und von Thomas Sieben („Prey“) inszenierte „Siebenschläger“ ist mehr Sozialdrama denn klassischer Krimi und wurde am 12. Oktober 2025 erstausgestrahlt.

„Pascal ist ein schwer traumatisiertes Kind…“

Die jugendlichen Heimkinder Lilly (Dilara Aylin Ziem, „Wunderschön“) und Pascal (Florian Geißelmann, „Wer wir sind“) reißen nachts aus dem Jugendheim „Siebenschläfer“ aus. Lilly wird diese Nacht nicht überleben, am nächsten Morgen wird ihre Leiche aus einem Waldsee geborgen. Pascal beobachtet dies aus einiger Entfernung und sucht das Weite. Er leidet unter mangelnder Impulskontrolle, wird schnell aggressiv und gewalttätig. Was hat er mit Lillys Tod zu tun? Die Polizei sucht den Jungen, Schnabel und Winkler von der Kripo schauen sich zudem im Umfeld der beiden, im Jugendheim und im Jugendamt um, führen viele Gespräche, versuchen, das System und dessen Schwächen zu durchschauen, um zu Anhaltspunkten zu gelangen. Einer der Gesprächspartner ist Psychiater Dr. Lukas Brückner (Hanno Koffler, „Anatomie 2“), der Pascal betreute und dessen Methoden sich als unorthodox erweisen…

„Eine Familie kann auch eine Hölle sein.“

Zu Beginn erklingen Lillys Gedanken aus dem Off, der gemeinsame Ausriss mit Pascal trägt außenseiterromantische Züge. Diese enden jäh mit Lillys Tod. Klar, dass der erste Verdacht auf Pascal fällt, den Lillys Freundin Cheyenne (Louise Sophie Arnold, „Das Pubertier – Die Serie“) bekräftigt. Dessen bisher behauptetes Aggressionsproblem wird den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber bestätigt, als er eine Vertrauensperson angreift und schwer verletzt. Ein Nebenstrang behandelt Jugendamtsmitarbeiter Torsten Hess (Peter Moltzen, „Die Schimmelreiter“) und dessen Familie, was sich schnell mit dem eigentlichen Fall vermengt. Eigentlich handelt es sich um ein zunächst undurchsichtiges Geflecht mehrerer Fälle, einer davon ist strenggenommen das überforderte System aus Behörden, Einrichtungen und Ärzten. Der eklatante Personalmangel ist ein großes, aber nicht das einzige Problem. In diesem Zuge darf die Kripo ihr Leid über die eigene lückenhafte Personaldecke auch einmal klagen.

„Ihr habt sie umgebracht!“

Zurück zur Toten: Die Polizei tappt zunächst weiter im Dunkeln, allen teils sehr modernen Ermittlungsmethoden, die dieser „Tatort“ einmal mehr der Zuschauerschaft näherbringt, zum Trotz. Möglicherweise hat man es auch mit einem Suizid zu tun – Lillys Tagebuch gestattet derartige Vermutungen. Zumindest etwas mehr Aufschluss bringt das Verhör Pascals, das in Rückblenden eine unglücklich endende Liebe zeigt. Im letzten Drittel geht’s dann noch mal ans Eingemachte, es beginnt mit einem weiteren Toten und offeriert eine überraschende Wendung, die mit Rache-Thriller-Motiven arbeitet.

„Wir haben hier eine mehrfache Übertötung.“

„Siebenschläfer“ übt harsche, aber gerechtfertigte Systemkritik, ohne dabei die allem innewohnende Ambivalenz außer Acht zu lassen und beispielsweise um Verständnis fürs Jugendamt zu werben. Lucas‘ Psychiater wiederum erinnert an reale Fälle von auf dem Rücken Schutzbefohlener ausgetragener Scharlatanerie. Winkler und Schnabel bilden ein tolles, funktionales Ermittlungsduo, das sich ob seiner Verschiedenheit gut ergänzt, der junge Pascal-Darsteller Geißelmann empfiehlt sich mit seiner Leistung für weitere größere Rollen, auch auf visuell-technischer Ebene punktet dieser „Tatort“ einmal mehr – und am Ende hatte ich Gänsehaut. So kann’s in Dresden gern weitergehen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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