
Sperling und der gefallene Engel
„Knast tut niemandem gut.“
Die zweite abendfüllende Episode der 18-teiligen ZDF-Krimireihe „Sperling“ trägt den bedeutungsschwangeren Titel „Sperling und der gefallene Engel“ und ist die erste von vier 1997 ausgestrahlten Folgen. Das Drehbuch stammt erneut von Rolf Basedow; mit der Inszenierung wurde diesmal Kai Wessel („Um jeden Preis“) betraut, der bei insgesamt zwei „Sperling“-Episoden die Regie übernahm. Am 1. Februar 1997 erfolgte die Erstausstrahlung.
„Was bist du eigentlich für‘n Polizist?“
Der Berliner Kriminalhauptkommissar Hans Sperling (Dieter Pfaff) und sein Kollege Karsten Rohde (Benno Fürmann) sehen sich mit einer Einbruchserie konfrontiert. Parallel dazu wird der ehemalige Boxer Ewald Ries (Sylvester Groth, „Momo“) aus dem Knast entlassen und kehrt zu seiner Frau Magda (Meret Becker, „Die Sieger“) zurück, die sich ihre Einsamkeit gern mit dem Wachmann Berger (Christian Redl, „Schicksalsspiel“) vertrieb. Dieser jedoch hat sich in sie verliebt und möchte sie ungern wieder hergeben Ein Konflikt zwischen den Männern entbrennt. Als ein weiterer Überfall verübt wird – diesmal auf eine Jahrmarkt-Schaustellerin (Franziska Troegner, „Kinder ohne Gnade“) – zählt Ries zum Kreis der Verdächtigen und hat als Zeugen ausgerechnet Berger gegen sich…
„Die Wahrheit zu finden, ist harte Arbeit!“
Nach Sperlings Voice-over-Monolog, der offenbar als fester Bestandteil jeder Episode etabliert wird, eröffnet dieser Fall mit einem Einbruchdiebstahl, bei dem der Einbrecher versehentlich das Fernsehgerät einschaltet – was aber ohne Folgen bleibt. Speziell darum wird es im weiteren Verlauf auch gar nicht gehen. Vielmehr führt man in die ungesunde Ménage à trois ein, während Sperling bei seinem Friseur (Heinrich Giskes, „Superstau“) über das Schlafverhalten von Delphinen philosophiert. Dass just in diesem Moment auch der Friseursalon überfallen wird, nimmt Sperling mit kaum mehr als einem Achselzucken hin. Der Täter flieht unverrichteter Dinge und Sperling hat auch gar kein gesteigertes Interesse daran, ihn zu verfolgen. Ein Indiz für diese eigenartige Mischung aus Prioritätensetzung, Krafteinteilung, menschlichem Laissez-faire, Realismus und Resignation, die die Stimmung Sperlings beschreibt und damit auch zum Ausdruck der Atmosphäre nicht nur dieser Episode wird.
„Jetzt mal von gefiedertem Freund zu gefiedertem Freund...“
Wesentlich stärker scheint Sperling die Riesenradfahrt zuzusetzen, von der aus er den nächsten Überfall beobachtet. Solche Überfälle gehören zur Folklore dieser Episode und finden mal stärker fokussiert, mal eher am Rande statt. Als Ries auf der Wache verhört wird, beteuert er seine Unschuld und versucht in einer cool choreographierten Sequenz, sich aus seiner Situation herauszuprügeln. Rohde hat darüber hinaus auch noch privat Stress mit seiner Alten und unternimmt eine Kamikazefahrt durch Berlin mit Sperling auf dem Beifahrersitz, der sich währenddessen ins Riesenrad zurückwünschen dürfte. Aber er hat den richtigen Riecher und ermittelt u.a. im Rotlichtmilieu, dem Magda entstammt. Man erfährt, dass Ries seinerzeit für sie mit Drogen dealte, was ihn in den Knast brachte, und dass sie morphiumabhängig ist. Dies macht sie zu einer Art sozialrealistischer Femme fatale und die Dinge noch einmal komplizierter. Regisseur Wessel gewährt auch Sperling ein paar spezielle, intime Momente und lässt ihn entgegen seinem Naturell richtig ungemütlich werden, nachdem Ries Rohde erneut niedergeschlagen hat und ihm diesmal entkommen ist. Das ist selbst einem Sperling zu viel! Ähnliches bekommt später auch einer der Täter zu spüren.
Einerseits macht „Sperling und der gefallene Engel“ mit seinen vielen losen Enden einen etwas überfrachteten Eindruck, andererseits droht er unterkomplex zu werden. Dass Berger versucht, Ries wieder hinter Gitter zu bringen, ist allzu schnell klar. Die Handlung löst dies mit einem Kniff, der Berger zumindest zum Teil entlastet. Für zusätzliche Action sorgt eine Wohnungsstürmung durch die Bullen, während es am Ende Sperling-typisch menschelt und man etwas mehr aus der Vergangenheit des adipösen Kommissars erfährt.
Verbrechen und Schuld werden hier ebenso verhandelt wie Liebe und Eifersucht sowie psychische wie körperliche Abhängigkeit von Menschen und Drogen, ummantelt von ‘90er-Jahre-Stimmung zwischen „Alles geht“, Frust und Nihilismus. Als musikalische Untermalung greift man vermehrt auf jazzige Klänge zurück. Und während ich immer noch so meine Probleme damit habe, Günni aus „Und tschüss!“ hier den Bullen abzukaufen, überzeugt Meret Becker mit nuanciertem Spiel und sieht einfach toll aus.