bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Ich ziehe die Weihnachtsfilme mal vor:

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Saint

„Der eine sah aus wie Ruud Gullit!“

Der Niederländer Dick Maas, berüchtigt als Schöpfer des „Fahrstuhl des Grauens“ sowie der „Flodder“-Familie, vergriff sich nach seiner schwarzen Thriller-Komödie „Killer Babes“ am Nikolausfest und invertierte dessen Bedeutung für seinen saisonalen Quasi-Slasher „Saint“, der 2010 auf den Filmfestivals der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

An den Nikolausabend des Jahres 1968 hat der Amsterdamer Polizist Goert (Bert Luppes, „Black Book“) keine guten Erinnerungen: Der Nikolaus höchstpersönlich kehrte als Untoter mit seinen Schwarzen Petern zurück und metzelte seine Familie nieder. Denn was die Wenigsten wissen: Der Nikolaus brachte weder Pfeffernuss noch Schokolade, sondern Unheil und Verderben. Zu Lebzeiten terrorisierte er ganze Ortschaften, indem er brandschatzte, plünderte und mordete. Seit sich die Bewohner eines Dorfs erfolgreich zur Wehr setzten, kehrt er immer dann aus dem Totenreich zurück, wenn einen Tag vor Nikolaus der Vollmond am Firmament steht. Sein Ziel: Blutige Rache...

Einen Rückblick ins Jahr 1492 offeriert Maas im Prolog, als er den Bischof und seine Gang bei ihren Untaten, aber auch ihre Hinrichtung durch das aufgebrachte Volk zeigt. Der erste Zeitsprung führt ins Jahr 1968, in dem der Zombie-Nikolaus eine Familie zermetzelt – die des späteren Polizisten Goert, wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird. In der Gegenwart wird in der Schule gejulklappt, was Sophie (Escha Tanihatu) zum Anlass nimmt, per öffentlich vorgetragenem Gedicht mit ihrem Freund Frank (Egbert Jan Weeber, „Godforsaken“) wenig sensibel schlusszumachen. Das mutet zunächst sehr fies an, ist aber eigentlich reichlich egal, denn beide haben sich gegenseitig im eigenen Freundeskreis betrogen. Diese Holländer... Maas zeigt einige schöne Bilder der winterlichen Amsterdamer Metropole, seine Flodders laufen im TV und Goert wird als ob der bevorstehenden Nikolaus-Feierlichkeiten ängstlicher Bulle eingeführt. „Saint“ spielt in einer wohlhabenden Siedlung Süd-Amsterdams, wodurch das Ambiente an klassischen US-Horror erinnert. Maas geht sogar so weit, sich deutlich vor John Carpenter zu verbeugen, wenn er Nikolaus & Co. umringt von dichtem Nebel auf der Bildfläche erscheinen lässt – und sein mehr als alle anderen wissender, jedoch wenig ernstgenommener Goert erinnert nicht von ungefähr an Dr. Loomis aus der „Halloween“-Reihe.

Nach dem ersten Nikolaus’schen Mord wird Frank wegen Tatverdachts verhaftet. Der untote Bischof schleicht sich bisweilen in typischer Slasher-Maniac-Manier an, reitet auf seinem Schimmel aber auch schon mal über die Häuserdächer (was bewusst trashig anmutet). Einige Jump- und False Scares werden als obligatorische Genre-Charakteristika eingesetzt. Goert als einziger Überlebender des Massakers von 1968 kommt Frank schließlich zur Hilfe; gemeinsam versuchen sie, dem Nikolaus und seiner Armee aus Schwarzen Petern etwas entgegenzusetzen. Das letzte Drittel und das Filmfinale bieten Action und Schießereien und arbeiten mit dramatischen Zeitlupen. Nette Masken und einige herbe, grafisch explizite Spezialeffekte (Handarbeit sowie annehmbare CGI) sowie ein wenig Gesplattere bestimmten den Film ebenso auf positive Weise wie die dynamische Kameraführung, die Dramaturgie ohne Durchhänger und die durchaus stimmige Musik zwischen Orchester-, Pop- und Synthieklängen. Im Epilog wird die Wahrheit einmal mehr vertuscht, bevor ein cooles Metal-/Elektro-Instrumentalstück den Abspann untermalt.

Dick Maas scheint so etwas wie ein Garant für unterhaltsame Amsterdamer Genre-Kost zu sein: Ob „Fahrstuhl des Grauens“, „Verfluchtes Amsterdam“ oder „Eine Familie zum Knutschen“. Am stärksten ist er dabei, wenn er seine gering budgetierten Filme mit einem Augenzwinkern und seinem speziellen Humor versieht. Dies ist auch in dieser weihnachtlichen Neo-Slasher-Variation der Fall, die kurzweilig unterhält, wenn sie dem guten schlechten Geschmack frönt, indem sie den Nikolaus-Kult mir nichts, dir nichts frech und provokant durch den Schmutz zieht und einen blutigen Horrorstreifen mit selten zu dominant werdender komödiantischer Schlagseite schafft, der die Tradition fortführt, Slasher an ganz bestimmten Tagen spielen zu lassen und damit den Genre-Freunden entsprechendes Futter an die Hand zu geben, um diese nach ihrer Fasson feiern und überstehen zu können. Dabei hat „Saint“ dankenswerterweise weder mit dem hysterischen Humor anderer Low-Budget-Genreproduktionen noch mit an den Amateurbereich gemahnendem Unvermögen diverser Nachwuchsregisseure etwas zu tun und ist produktionstechnisch bis hin zu den schauspielerischen Leistungen sehr ordentlich und respektabel ausgefallen. Mitunter avanciert er sogar zur Lehrstunde in Bezug auf die holländische Variante des Nikolausbrauchs, der sich u.a. mit seinen Schwarzen Petern anders als hierzulande ausgeprägt hat – wie ja mit der Weihnachtszeit verbundene Bräuche weltweit regional divergieren. Wie der Niklausabend/-tag hierzulande so etwas wie Weihnachten light wurde und als Vorbereitung auf das riesige Brimborium am 24./25./26. verstanden werden kann, so ist Maas’ Schauermär ideal als leichte Genrekost, als mundender Appetithappen in der ersten Dezemberwoche geeignet, bevor wenige Wochen später die schwerere Kost zum Zuge kommt...
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Zwei Weihnachtsmänner

„Ich dachte immer, die Österreicher können uns Deutsche nicht leiden...“ – „Können wir auch nicht! Aber es ist ja Weihnachten...“

Im Jahre 2008 produzierte man anlässlich des bevorstehenden Weihnachtsfests einen TV-Zweiteiler für Sat.1, die Weihnachts-Buddy-Road-Movie-Komödie „Zwei Weihnachtsmänner“, für deren Hauptrolle zwei der beliebtesten zeitgenössischen TV-Humoristen gewonnen wurden: Bastian Pastewka („Die Wochenshow“, „Pastewka“) und Christoph Maria Herbst („Stromberg“). Mit der Regie betraute man den genreerfahrenen Tobi Baumann („Der Wixxer“, „Vollidiot“), das Drehbuch stammt von Tommy Jaud. Bereits wenige Tage vor der TV-Ausstrahlung wurde der Film auf DVD veröffentlicht, sodass es sich gewissermaßen um einen Hybriden aus Direct-to-DVD- und Fernsehfilm handelt. Wegen akuten Schneemangels wurden die Dreharbeiten während der laufenden Produktion von den tschechischen Originalschauplätzen nach Lappland verlagert.

„Wir haben den Weihnachtsmann umgebracht!“

Sie könnten gegensätzlicher kaum sein: Der Poolnudel-Vertreter Hilmar Kess (Bastian Pastewka) und Wirtschaftsanwalt Tilmann Dilling (Christoph Maria Herbst). Kess ist ein lebenslustiger, jedoch wenig ehrgeiziger und im Beruf erfolgloser Verlierertyp und trotzdem naiv-fröhlicher Laberkopp, der seiner Freundin Ilka (Floriane Daniel, „Schöne Frauen“) einen Heiratsantrag machen möchte, Dilling hingegen ein knallharter, rationalistischer, herzloser Karrierist, der einem insolventen Unternehmen gerade nahegelegt hat, unmittelbar vor Weihnachten der Belegschaft zu kündigen und durch seine fordernde, arrogante Art negativ auffällt. Beide eint ihr Ziel, rechtzeitig an Heiligabend bei ihrer Freundin bzw. Familie zu sein. Am Wiener Flughafen begegnen sie sich beim Check-in und werden zufällig nebeneinander in den Flieger gesetzt, wo Kess Dilling schwer auf die Nerven geht. Noch schwerer allerdings wiegt, dass Berlin aufgrund der Wetterverhältnisse nicht angeflogen werden kann und der Flug daher nach Bratislava umgeleitet wird. Dillings Gepäck hingegen verschlägt es nach Budapest. Per Bahn, in der sich die Männer ein Abteil teilen, soll es nun nach Berlin gehen. Doch der Bummelzug bleibt wegen eines Defekts auf offener Strecke liegen. Von nun an versucht man, per pedes in den nächstgelegenen Ort Třebíč zu gelangen, um sich dort einen Mietwagen zu sichern. Doch das ist erst der Beginn ihrer Odyssee, die sie u. a. mit einer explodierenden Holzhütte, schießwütigen Tschechen, einem toten Weihnachtsmann und der Drogenmafia konfrontieren wird...

„Fast sieht’s mir nach ’ner Pechsträhne aus!“

Das Quasi-Remake von „Ein Ticket für Zwei“ (1987), das zudem stark an die Screwball-Komödien des Duos Pierre Richard/Gérard Depardieu erinnert, lebt von seinen spielfreudigen Hauptdarstellern, prominent besetzten Nebenrollen (Armin Rohde als sterbender Weihnachtsmann, Axel Stein als tschechischer Polizist, Christian Ulmen als Zuhälter), köstlichen, scharfzüngigen Dialogen, einigen Slapstick-Einlagen und viel Situationskomik vor dem Hintergrund existenzieller Probleme wie kriselnder Beziehungen, der Unfähigkeit der Männer, damit umzugehen sowie der Entwicklung der Beziehung zwischen beiden von offener Abneigung Dillings gegenüber Kess zu einer Schicksalsgemeinschaft, Hassliebe und schließlich gegenseitigem Respekt bis hin zu tief empfundener Empathie und Freundschaft.

„Schuld ist ein Energiedieb!“

Zu kämpfen hat man als Zuschauer jedoch auch mit manch vorhersehbarer Pointe/Entwicklung, einigen bemüht rührseligen Momenten und binsenweisheiterischen Allgemeinplätzen. Meist bekommt der Film jedoch schnell wieder die Kurve, überrascht sogar mit Actionszenen, einem aberwitzigen Szenario mit Dilling auf Koks, in dem Herbst einmal so richtig aufdrehen darf, und einer lange Zeit zur Nebensächlichkeit degradierten, jedoch eigentlich gar nicht so nebensächlichen, sensibel aufgerollten Hintergrundgeschichte das gestörte Verhältnis Kess’ und seiner Ilka untereinander betreffend. Umrahmend schlägt „Zwei Weihnachtsmänner“ voll in die Weihnachtshektikkerbe, die ein großer Teil des Publikums nachvollziehen können wird. Mit den zahlreichen harten und fast schlimmstmöglichen Widrigkeiten, denen sich die Protagonisten ausgesetzt sehen, treibt der Film diese mit Termindruck, Sorge vor unerfüllbaren Erwartungen und Handlungsunfähigkeit dank ohnmächtigem den öffentlichen Verkehrsmitteln Ausgesetztsein in schwindelerregende Höhen – gegen die sämtliche Alltagsprobleme bald verblassen.

„Ich hasse Weihnachten!“

Im Mittelpunkt steht jedoch die Beziehung der Männer zueinander, innerhalb derer sie schließlich viel gegenseitiges Verständnis entwickeln und nicht nur etwas über den jeweils anderen, sondern auch über sich selbst lernen, wenn sie aufeinander angewiesen sind. Wenn sich zum Finale hin beide dann gegenseitig ganz großartig finden, wird’s doch noch kitschig, ganz zu schweigen vom sämtliche Register ziehenden Happy End inkl. Saulus-Paulus-Wandlung und allem Pipapo, aber zu Weihnachten muss das wohl so sein und findet sein historisches Vorbild bekanntlich bereits in Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte. Würde ich behaupten, dass zumindest Teile davon nicht wirklich rührend seien, würde ich lügen.

„Halb Mann, halb Keks?“

Herbsts genervter Gesichtsausdruck spricht Bände und wenn Pastewka einmal mehr ein Unschuldslächeln auf sein Backpfeifengesicht zaubert, dürfte die Handlung für manch Fan fast schon nebensächlich werden. In Kombination mit den ihnen in den Mund gelegten Dialogen befindet sich ein Film wieder dieser allein dadurch schon fast auf der Gewinnerstraße. Und nicht nur die Fans bekommen in Form eines Stand-Up-Comedy-Programms während einer Busfahrt eine Art bereits in den Film integrierten Bonus. Findigen Kennern hingegen wird es vorbehalten sein, die Taxiwerbung für die „Capitol-Versicherung“ zu bemerken, jenen hübsch versteckten Verweis auf „Stromberg“. Es sind letztlich auch Details wie dieses, die den Film aus den Untiefen gefälliger saisonaler TV-Produktionen herausheben. „Zwei Weihnachtsmänner“ ist nett, im ausschließlich positiven Sinne des Worts – zumal Baumanns Regie den Film kurzweiliger erscheinen lässt, als er eigentlich ist.

„Ich bin ein erbärmlicher Poolnudel-Clown!“

Auch die musikalische Untermalung wurde geschmackvoll ausgewählt, bietet sie doch interessante Variationen bekannter Weihnachtssong inkl. eines besonders herausstechenden „Christmas Blues“. Daraus hätte man fast eine nette Soundtrack-Veröffentlichung machen können. Wer auf der Suche nach einem angenehmen Weihnachtsfilmvergnügen ist, das den Brauch nicht zynisch kommentiert oder negiert, sondern eine Auffrischung klassischer Weihnachtsgeschichten in modernem Gewand vollzieht und sich mit seinen deutschen, österreichischen und osteuropäischen Schauplätzen von manch US-Familienfilm-Produktion absetzt, muss kein Pastewka- oder Herbst-Fan sein, um an „Zwei Weihnachtsmänner“ Gefallen zu finden – sollte in Sachen Naivität, Versöhnlichkeit und Kitsch dennoch dann und wann ein Auge zudrücken können. Aber wer, der sich solche Filme ansieht, kann das zu Weihnachten nicht?
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Red Christmas

Abt. Familienzusammenführung

„Könnte einer von meinen durchgeknallten Freunden sein.“

Horrorfilme mit Weihnachtsthematik gibt es mittlerweile eine ganze Menge, darunter einige herausragende wie „Black Christmas“. Und noch immer versuchen sich Filmemacher an weiteren Beiträgen. Nicht so viele Horrorfilme wiederum gibt es aus Australien. Mit „Red Christmas“ aus dem Jahre 2016 von Autor und Regisseur Craig Anderson (vornehmlich als Schauspieler sowie als TV- und Kurzfilm-Regisseur tätig) gibt es nun auch einen waschechten australischen Weihnachtshorrorfilm. Für die weibliche Hauptrolle konnte die erfahrene Schauspielerin und Genre-Ikone Dee Wallace („Hügel der blutigen Augen“, „Critters – Sie sind da“, „Furz – Der Film“) gewonnen werden.

„Das war bestimmt dieser Christenspinner!“

An Weihnachten kommt die ganze Familie noch einmal in Dianes (Dee Wallace) Anwesen zusammen: Die hochschwangere, dem Alkohol und THC dennoch nicht abgeneigte Ginny (Janis McGavin, „Scooby-Doo“), deren Schwester Suzy (Sarah Bishop, „Crushed“), die mit einem Pfaffen (David Collins, „Der unglaubliche Hulk“) verheiratet ist, deren schwarze Adoptivtochter Hope (Deelia Meriel) und Sohn Jerry (Gerard Odwyer) mit dem Down-Syndrom. Joe (Geoff Morrell, „Coffin Rock“), Bruder der Witwe, ist schon länger bei ihr. Rechte Freude mag in der ungleichen Familie nicht aufkommen, als Diane ihr eröffnet, ihr Haus und Grundstück veräußern und auf Europareise gehen zu wollen, um sich endlich einmal selbst zu verwirklichen. Da klingelt ein entstellter Fremder (Sam Campbell, „Selfless“) an der Tür, der unter seiner Mönchskutte kaum zu erkennen ist und Einlass begehrt. Als er einen Brief rezitiert, dessen Inhalt Diane an ihren Aufenthalt in einer Abtreibungsklinik vor vielen Jahren erinnert, hält sie ihn für einen Aktivisten radikaler Abtreibungsgegner und verweist ihn empört des Hauses. Doch der Fremde, der sich als Cletus vorgestellt hat, ist die Fehlgeburt, die Diane in der Klinik eigentlich abtreiben wollte, als terroristische Abtreibungsgegner dort einen Bombenanschlag verübten und einer der Attentäter die noch Lebenszeichen aufweisende Fehlgeburt aus dem Müll fischte, aufzog und offenbar ebenfalls radikalisierte – denn so viel ungeborenes Leben angeblich wert ist, so wertlos ist für ihn das erwachsener Menschen, und so vollzieht er aus Rache eine abscheuliche, grausame Mordserie an der Familie seiner Mutter...

„Du verdammter Hurensohn!“

Heißa, das nenne ich mal eine krude Exposition! Der mit Zeitlupen arbeitende Prolog intoniert polemische Zitate aus Abtreibungsdebatten aus dem Off und zeigt den Mann, wie er Cletus aus dem Müll rettet, ohne dass der Zuschauer bereits wüsste, was genau es damit auf sich haben wird. Nach dem rotgefilterten Vorspann findet man sich 20 Jahre später bei der Familienzusammenkunft wieder, während der ein permanent im Hintergrund dudelnder Radiosong an den Nerven zerrt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist zunächst auch, dass in Australien zur Weihnachtszeit Sommer herrscht, sodass der Film für den einen oder anderen Zuschauer hiesiger Hemisphäre atmosphärische Probleme bekommen dürfte. Cletus ist für den Zuschauer zunächst lediglich ein Freak, der sich auf der Suche nach dem Haus seiner Mutter verlaufen hat. Er trifft auf einen Redneck (Anthony Jensen, „EDtv“), der ihn beleidigt. Von jenem erfährt man auch, dass Cletus verdammt scheiße aussehen soll. Als er Cletus anpinkelt, bringt dieser ihn um – wovon man lediglich das Ergebnis zu sehen bekommt, den Kopf auf der Kreissäge...

Nach seinem Besuch der Familie nimmt die Mordserie ihren Lauf. Anderson tat jedoch wenig gut daran, ausgerechnet die für etwas Sex-Appeal sorgende Hope als erste dahinscheiden zu lassen, und dann auch noch per extrem übertriebenen Schwachsinnseffekt, ihrer kompletten Spaltung durch einen Axthieb. Die Axt haut Cletus auch gleich dem Nächstbesten in den Kopf, Joe wird erdrosselt und der hinzustoßende Sheriff (Robert Anderson) landet mit seinem Haupt in einer Bärenfalle, während dem Pfaffen die Rübe zermixt wird. Doch, manch Spezialeffekt kann sich sehen lassen und ist tatsächlich nicht ganz unoriginell. Den ungeschriebenen Regeln des Slasher-Subgenres folgend ist Cletus offenbar unverwundbar, jedenfalls nicht ohne Weiteres totzukriegen. Doch damit nicht genug, einen besonderen Clou schüttelt der Film noch aus dem Ärmel: Mongo (nicht Mungo – ein bewusst eingesetzter Gag?) Jerry hört schließlich die Hintergrundgeschichte mit und wendet sich gegen seine Mutter! Das Down-Syndrom war, wie sich herausstellt, auch ausschlaggebender Grund für Dianes Abtreibungspläne in Bezug auf Cletus. Gerard Odwyer als Jerry spielt überraschend gut und für Wallace und Morrell dürfte „Red Christmas“ lediglich eine Fingerübung gewesen sein, die restlichen Darsteller aus der No-Name-Kartei bleiben hingegen unauffällig. Die eine oder andere Dame könnte sich jedoch als zukünftige Genre-Scream-Queen bewerben, eine umtriebigere australische Genre-Produktion vorausgesetzt. Gegen Ende bekommt man, ähnlich manch „Freitag, der 13.“-Film, endlich einmal Cletus’ stark entstelltes Antlitz zu Gesicht, für das leider eine recht billig anmutende Maske verwendet wurde.

Natürlich ist „Red Christmas“ höchst geschmackloser, kruder Quatsch. Eigentliche Probleme des Low-Budget-Streifens aber sind viele kleinere Logiklücken, das wenig nachvollziehbare Verhalten der Opfer untereinander, die partiellen und damit komplett unpassenden Ausflüge ins Komödiantische sowie allem voran die Frage nach Cletus’ Motiv, die mit „Rache“ nur höchst unzureichend beantwortet wird. So richtig Sinn ergibt das alles jedenfalls nicht. Das Thema Abtreibung und seine radikal-frauenfeindlichen Gegner einmal exploitativ durch den Weihnachts-Slasher-Wolf zu drehen, gefällt mir aber ebenso wie die Tatsache, dass die Handlung unter seinen bräsigen Charakteren ausgerechnet Jerry lange Zeit als den Zurechnungsfähigsten heraushebt und damit über die Abtreibungskontroverse hinaus die Frage nach unwertem Leben eindeutig zugunsten auch geistig gehandicapter Kinder entscheidet. Deshalb entsende ich 5,5 von 10 Schneeflocken ins entlegene Australien und bin damit bisher anscheinend einer der wenigen Kritiker, die diesem Werk noch am meisten abgewinnen konnten.
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Rare Exports - Eine Weihnachtsgeschichte

„Na dann – frohe Weihnachten…“

Es begann 2003 mit dem Kurzfilm „Rare Exports Inc.“, dem 2005 die Fortsetzung „Rare Exports II: The Official Safety Instructions“ folgte. Schließlich wurde die lose auf einem Weihnachtsmärchen Markus Rautios basierende Geschichte zu einem abendfüllenden Spielfilm ausgebaut, finnisch/französisch/norwegisch/schwedisch produziert und 2010 als Horror-/Fantasy-Komödie veröffentlicht. Regie führte jeweils der Finne Jalmari Helander, der mit diesen Filmen debütierte.

„Der Coca-Cola-Weihnachtsmann ist ein Schwindel!“

An der finnisch-russischen Grenze lässt der US-Amerikaner Riley (Per Christian Ellefsen, „Elling“) Bohrungen an einem Berg durchführen. Die Arbeiter stoßen dabei offenbar auf den vor Jahrhunderten verschütteten und eingefrorenen echten Weihnachtsmann. Der kleine Lappe Pietari (Onni Tommila, „Last Cowboy Standing“) und sein Kumpel Juuso (Ilmari Järvenpää, „Last Cowboy Standing“) beobachten die Szenerie heimlich. Als am nächsten Tag alle Rentiere tot sind, will Pietaris Vater Rauno (Onnos echter Vater Jorma Tommila, „Raid“) mit seinen Freunden Piiparinen (Rauno Juvonen, „Die Erlösung“) und Aimo (Tommi Korpela, „Last Cowboy Standing“) den Bergarbeitern einen Besuch abstatten, trifft jedoch niemanden mehr an. Auch die Kinder der Siedler verschwinden plötzlich fast allesamt, ebenso ihre Öfen. Pietari ist sich sicher, dass der Weihnachtsmann dahintersteckt, der, wie er antiquarischen Schriften entnehmen konnte, mitnichten der kinderliebe Rauschebart, sondern ein garstiger Dämon ist. Als ein nackter, dürrer, alter Bartträger (Peeter Jakobi, „Die letzte Reliquie“) sich in Raunos Bärenfalle verfängt, glauben die Männer, jemanden versehentlich umgebracht zu haben und wollen sie die vermeintliche Leiche zerlegen. Doch der Mann lebt noch, ist äußerst wehrhaft – und keinesfalls der Weihnachtsmann, sondern einer dessen zahlreichen Wichtel, die für die Kinderentführungen verantwortlich sind und mit den Öfen den großen Alten aufzutauen versuchen…

„Ganz klar ein Ausländer!“

„Rare Exports“ setzt sich zwischen alle Stühle: Für eine Genre-Komödie wird er überraschend ernsthaft dargereicht, was im (durchaus angenehmen) krassen Kontrast zur aberwitzigen Sujet steht, für einen Fantasy-Film ist der Horroranteil zu ausgeprägt und für einen Horrorfilm ist es wiederum unpassend, wie die Handlung plötzlich in Richtung Familienfilm umschlägt, als der kleine Pietari beweist, dass er zwar Lappe, aber kein Lappen ist (dieses Wortspiel konnte ich mir nicht verkneifen) und zum Chef der Anti-Weihnachtsmann- und Kinderrettungs-Initiative avanciert, was jedoch eher wie eine Parodie auf seichte, gefällige Familienunterhaltung der Saison wirkt. Aus dem Kanon der (Anti-)Weihnachtsfilme ist Helanders Film jedoch nicht mehr wegzudenken, denn wer sich auf ihn einlässt, begibt sich auf einen originellen, comichaften Trip durch die schneeweißesten Landschaften seit Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“, an den mich die Exposition dann auch erinnerte. Schroffe, bärbeißige Typen, mit der Flinte mitunter schneller als mit den grauen Zellen, ein superplietscher Junge, der ferner beweist, dass Lesen bildet, einige auch grafische Härten, tolle, unverbrauchte Schauspieler von nordosteuropäischer Exotik, besonders in der ersten halben Stunde dramaturgisch spannende Gestaltung und die eine oder andere überraschende Wendung sowie trockener makabrer Humor, der – wie bereits angedeutet – kaum einmal mit der Brechstange kommt, machen „Rare Exports“ zu einem kurzweiligen, schwer sympathischen Vergnügen.

Die Kurzweil ergibt sich indes natürlich auch aus der verhältnismäßig kurzen Laufzeit von nur rund 80 Minuten. Der Film spielt mit den Erwartungshaltungen des Publikums, das sich sicherlich Weihnachtsmann-Action wünschen würde und sich überrascht, vielleicht auch enttäuscht zeigen dürfte, wenn nach nicht einmal 80 Minuten schon alles vorbei ist, ohne dass der legendäre Rentierschlittenfahrer in Aktion getreten wäre. Tatsächlich ist die Schlusspointe angesichts des Potentials, das die Geschichte geboten hätte, nicht ideal. Um mein Geld für die Blu-ray fühlte ich mich trotzdem nicht betrogen, sondern freute mich über diesen (gewissermaßen doppeldeutigen) Exportartikel aus dem hohen Norden, der mit 7,5 von 10 Heizöfen inkl. deftigem Lokalkolorit-Bonus zielsicher durch den Schornstein kracht.
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A Christmas Horror Story

„Bei Weihnachten geht es doch um Vergebung und Familie und Tradition! Wenn man nur daran glaubt und die Magie zulässt, dann... dann erfüllt sie dich!“

Auch die Untergattung des Weihnachtshorrorfilms hat nun ihren Episodenfilm: Die US-Produktion „A Christmas Horror Story“ aus dem Jahre 2015, umgesetzt vom Regio-Trio Grant Harvey („Ginger Snaps III: Der Anfang“), Steven Hoban („Darknet“) und Brett Sullivan („Ginger Snaps II: Entfesselt.“) – zwei der „Ginger Snaps“-Regisseure also zusammen mit einem Neuling seines Fachs, der jedoch als Produzent in Erscheinung trat – u.a. auch jener „Ginger Snaps“-Filme sowie des „Black Christmas“-Remakes. Es handelt sich um eine Direct-to-DVD/Blu-ray/VoD-Produktion, die ihren „Ginger Snaps“-Bezug auch im fiktionalen Handlungsort verdeutlicht, der aus eben jener Trilogie bekannt ist.

„Ich saug‘ dir dein dreckiges Gehirn aus, du Weihnachtsfotze!“

An Weihnachten führt Radiomoderator Dangerous Dan (William Shatner, „Raumschiff Enterprise“) in der US-Kleinstadt Bailey Downs durch das Rundfunkprogramm und betrinkt sich, während die Studenten Dylan (Shannon Kook, „Dirty Singles“), Ben (Alex Ozerov, „Coconut Hero“) und Molly (Zoé De Grand Maison, „Bad Hair Day“) sich zwecks heimlichem Dokumentarfilmdrehs Zutritt zu ihrer alten Schule verschaffen, in der ein Dämon sein Unwesen treibt, der Krampus (Rob Archer, „Kick-Ass 2“) es auf eine heuchlerische Familie abgesehen hat, einem Paar (Olunike Adeliyi, „Saw 3D – Vollendung“ und Adrian Holmes, „Schrei, wenn Du kannst“) beim Baumschlagen ein unheimliches Wechselbalg (Orion John) untergejubelt wird und der Weihnachtsmann (George Buza, „Das Gehirn“) höchstpersönlich gegen seine zombifizierten Elfen splattern muss – gnadenbringende Weihnachtszeit? Nicht in Bailey Downs…

„A Christmas Horror Story“ ist wie ein blutbesudelter bunter Weihnachtsteller: Abwechslungsreich und hübsch durcheinander, denn die einzelnen Geschichten werden nicht nacheinander, sondern abwechselnd stückweise erzählt, was ich so bisher kaum kannte, hier aber ausgesprochen gut funktioniert. Dangerous Dan wird von seinem weihnachtshassenden Kollegen Norman im Studio alleingelassen und ist fortan für so etwas Ähnliches wie die Rahmenhandlung zuständig, die mit ihrem Radio-Setting angenehm an „The Fog“ o.ä. erinnert. Nun bin ich alles andere als ein Trekkie, schätze Shatner aber für seine Fähigkeit zur Selbstironie und dafür, sich auch immer mal wieder für Horrorfilme zur Verfügung zu stellen. Elf Shiney (Ken Hall, „Patch Town“) jedenfalls erleidet nicht nur einen einfachen Weihnachtswerkstattkoller, wie es zunächst den Anschein hat, sondern zombifiziert, infiziert alle Kollegen und führt Krieg gegen den Weihnachtsmann, der sich sehr erfolgreich zur Wehr setzt, so dass ein wahres Blutbad seinen Lauf nimmt.

Während jene Episode noch in Richtung schwarzen, makabren Humors tendiert, verschlägt es die Studenten in ein waschechtes Haunted House. Hintergrund ihrer dokumentarfilmerischen Tätigkeiten sind zwei Mordfälle vom letztjährigen Weihnachtsfest und tatsächlich stoßen sie auf einen verlassenen Gebäudeteil, der ehemals zu einem Kloster gehörte. Diese Episode arbeitet mit Versatzstücken des Found Footage sowie mit Jump Scares, erzählt vor allem aber eine fiese Geschichte, die mit ein wenig Abstraktionsvermögen fast als zynische, blasphemische Allegorie auf die klassische Krippengeschichte aus der christlichen Mythologie betrachtet werden kann.

Sogar noch etwas gruseliger ist die Geschichte um das Wechselbalg, also das unbemerkte Austauschen eines Kinds gegen einen ihm äußerlich gleichenden Dämon. Kinder können ja so gruselig sein, insbesondere, wenn sie plötzlich nicht mehr sprechen, aber über übernatürliche Fähigkeiten verfügen und ausgesprochen aggressiv werden. An Weihnachten wirkt manch Kind wie ausgewechselt und nach dem Fest werden häufig Geschenke umgetauscht – möglicherweise verknüpfte man diese beiden Aspekte für den Rückgriff auf den Wechselbalg-Mythos und dessen Inbezugsetzung zum Weihnachtsfest…

Leben die beiden letztgenannten Episoden in erster Linie von ihrer unwohligen Gruselstimmung, geht es beim Krampus wieder blutig zu. Der gehörnte, hierzulande gar nicht allzu bekannte (jedoch 2015 von Michael Dougherty in Szene gesetzte) Unhold des Nikolaus‘ sieht imposant aus und wird zum Mittelpunkt der moritatischsten, moralischsten Episode des Films, die die Auslöschung einer ganzen wenig intakten Familie vorsieht. Der fast vergessene Bestrafungskult, der dem Weihnachtsfest durch Knecht Ruprecht, den Weihnachtsmann als Quasi-Symbiose aus Nikolaus und Ruprecht und eben den Krampus innewohnt, wird hier einmal konsequent durchexerziert und damit an den brutalen Teil der Mythologie erinnert. Die eine oder andere Episode wird zum Filmende schließlich überraschend zusammengeführt und wartet mit einer unvorhersehbaren Wendung und Pointe auf, bevor die Punkband „The Snots“ die ihnen eigene Interpretation von „Jingle Bells“ im Abspann zum Besten geben darf.

Der stilistisch wie so viele Episodenfilme an Horror-Comic-Verfilmungen erinnernde „A Christmas Horror Story“ bietet klassische Genre-Unterhaltung der gehobenen, weil gemütlichen und ungemütlichen Art zugleich und geht in Sachen Schauspiel und Ausstattung voll in Ordnung. Das Kamerateam darf sich mit einigen coolen Kamerafahrten und -perspektiven beweisen und die fünf Drehbuchautoren verderben nicht etwa den Plätzchenteig, sondern liefern den Rohstoff, aus dem die Regisseure mitunter sogar richtig spannende, sich Zeit nehmende Kurzfilme machen, deren Gruselgehalt letztlich auch höher ausfiel, als ich zuvor angenommen hatte. Rundum gelungen. Freue, freue dich, O Christenheit!
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Tatort: Hardcore

Der von nicht Wenigen mit Spannung erwartete, weil skandalumwitterte 77. Fall des Münchener Ermittler-Duos Batic/Leitmayr führt unter der Regie Philip Kochs in die Porno-Branche. Dabei versucht dieser „Tatort“, sich möglichst unaufgeregt und wertungsfrei mit dem Milieu auseinanderzusetzen und präsentiert nicht nur anhand des Umfelds der in den Fall Verwickelten ein breites Meinungsspektrum zum Thema, sondern lässt auch die beiden Ermittler in üblicher Dialogmanier zueinander konträre Standpunkte vertreten – was bisweilen etwas sehr erzwungen wirkt. In Bezug auf Brancheneinblicke und Realismus in Form nackter Tatsachen und Vorgänge bei Pornodrehs lotet dieser „Tatort“ aus, was mittlerweile (wieder) zur Hauptsendezeit im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen geht, während die unsäglichen Drehbuchautoren einmal mehr Kapriolen schlagen und eine hanebüchene, unwahrscheinliche Räuberpistole als realitäts- und gegenwartsbezogene Episode aus dem Dienstalltag deutscher Kripobullen zu verkaufen versuchen. Leisere Zwischentöne wie die Suche nach Antworten auf die Frage nach dem Warum und nach Verständnis für die pornodrehenden Frauen liefern vorsichtige Reflektions- und Erklärungsansätze – mehr aber auch nicht.
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Tatort: Der rote Schatten

Der 21. Fall des Stuttgarter Emittler-Duos Lannert/Bootz unter der Regie eines der talentiertesten deutschen Regisseure der Gegenwart, Dominik Graf, warf tatsächlich seine „roten Schatten“ voraus, warteten beispielsweise der selbsternannte RAF-Experte und ehemalige „Spiegel“-Redakteur staatstragender Ausrichtung Stefan Aust sowie Springers reaktionäres Revolverblatt „Bild“ nur darauf, ihn mittels Titelschlagzeile als „RAF-Propaganda“ zu diskreditieren. Dabei greift dieser „Tatort“ lediglich auf ebenso ansprechende wie anspruchsvolle Weise das alte RAF-Trauma auf und verweist, nachdem es um das Thema lange ruhig war, auf die Möglichkeit, dass die damaligen Stammheim-Insassen nicht mit von ihren Anwälten ins Gefängnis geschmuggelten Waffen Suizid begingen, sondern von einem staatlichen Tötungskommando ermordet wurden – wie es u.a. die wahlweise Selbstmordversuch oder Mordanschlag überlebt habende Insassin Irmgard Möller behauptet. In ihrer halbfiktiven Herangehensweise vermitteln Graf und Co. den beunruhigenden Eindruck tiefgreifender geheimdienstlicher Verwicklungen (wie sie bekanntermaßen in vielerlei Bezug längst nicht mehr von der Hand zu weisen sind) und Kontrollverlust über V-Männer sowie eines außerhalb jeglicher rechtlicher Legitimation agierenden „Verfassungsschutzes“. Als Aufhänger nimmt das Drehbuch einen fiktiven Mordfall in der Gegenwart sowie die mutmaßlich von ehemaligen RAF-Mitgliedern durchgeführten realen Überfälle z.B. auf einen Geldtransporter in der jüngsten Vergangenheit. Grafisch ist „Der rote Schatten“ recht drastisch und ungeschönt und traut sich andererseits an ästhetische Sex- und Nacktszenen mit nicht ganz jungen Menschen heran, womit er Jugendwahn und oberflächlicher Hochglanzinszenierung angenehm zuwiderläuft. Die Kritik an diesem herausragenden, dramaturgisch fesselnden, bis zum leider etwas arg konstruierten unvorhersehbaren Ende spannenden und inhaltlich klugen „Tatort“ ist lächerlich und beweist einmal mehr, wie sehr eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen ganz offensichtlich Finger in bundesrepublikanische Wunden legt, die weder verheilt, noch erschöpfend aufgearbeitet sind.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Kinderlieb

Der 28. Schimanski-„Tatort“ war gleichzeitig der 250. überhaupt, doch statt eine feierliche Jubiläumsfolge zu drehen, griff man das unappetitliche Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern auf. Ohne dieses auch nur ansatzweise spekulativ und somit fragwürdig zu bearbeiten, widmet sich Regisseurin Ilse Hoffmann sensibel und zugleich knallhart dem Fall eines unter der Eisschicht eines Sees etwas arg zufällig von Kommissar Schimanski entdeckten Leichnams eines vergewaltigten Kinds und zieht dabei sämtliche Register. Es ist alles enthalten: Wie unfassbar und empörend offen anscheinend seinerzeit wenig chiffriert für Kindersexvermittlung per Kleinanzeigen geworben werden konnte, dass dies nicht selten durch die eigenen Eltern geschah und dass die Kunden durchaus im privilegierten Teil der Gesellschaft zu finden sind und nach außen den Schein wahren, kein Wässerchen trüben zu können. „Kinderlieb“ vermittelt Einblicke in zerrüttete Familien, eine wegschauende Gesellschaft sowie eine sich gegen diverse Widerstände durchsetzen müssende Mordkommission und versucht gar nicht erst, den Eindruck zu erwecken, für die Opfer bestehe die Hoffnung, irgendwann ein normales Leben führen zu können. Neu war damals die Technik des genetischen Fingerabdrucks, die den Täter schließlich überführt, womit dieser nicht gerechnet hatte. Ein richtig guter, gesellschaftlich relevanter und zugleich trauriger, wütend und betroffen machender „Tatort“ mit einem einmal mehr brillanten, charismatischen Götz George in seiner Paraderolle.
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Tatort: Fürchte dich

Erstmals versuchte sich die Institution „Tatort“ an einer Art Halloween-Special (ohne es so zu nennen): „Fürchte dich“, der sechste Fall des Ermittlerduos Janneke/Brix, wurde im Herbst 2016 unter der Regie Andy Fetschers („Bukarest Fleisch“) gedreht und pünktlich am letzten Sonntag vor Halloween 2017 zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Brix‘ Wohnstätte, ein ehemaliges Waisenhaus, muss als verwunschener Ort jahrzehntealter Tragödien und Haunted House für eine Spukgeschichte herhalten, die bis zum Ende rätselhaft bleibt, sich jedoch fleißig bei älteren und jüngeren Horrorgenre-Motiven bedient und die Existenz von Übernatürlichem gar nicht infrage stellt. Herausgekommen ist kein Krimi mehr, sondern ein waschechter humor- und ironiefreier Horrorfilm um Schuld, Vertuschung, kaputte Familien und letztlich gar Kindesmissbrauch, der zudem überraschend grafisch ausgefallen ist und bisweilen recht tief in die Schmink- und Spezialeffektkiste greift, und zwar auf ordentlichem Niveau. Trotz seiner teils für Genrekenner unschwer zu erkennenden Inspirationsquellen und der etwas sehr verwobenen Handlung (liebe „Tatort“-Drehbuchautoren, ihr bekommt nicht mehr als 90 Minuten, egal, wie viele Charaktere, Handlungsstränge und Wendungen ihr auf wie vielen Seiten unterbringt) zählt der zudem gut geschauspielerte „Fürchte dich“ damit zu den besten zeitgenössischen Horrorfilmen, die ich in letzter Zeit gesehen habe.

Fetschers Werk ist ein weiterer enorm polarisierender „Tatort“, der den Jugendschutz extrem ausdreht. Was da zur Prime Time gezeigt wurde, muss normalerweise auf einen Sendeplatz ab 22:00 Uhr verbannt werden. Gut so, denn evtl. trägt dieser Umstand in absehbarer Zeit zu einer Reformation entsprechender überholter Regularien bei und gesteht dem Publikum Erwachsenenunterhaltung bereits um 20:15 Uhr zu. In jedem Falle ist dieser „Tatort“ auch als Statement zugunsten der Akzeptanz des Halloween-Fests zu verstehen, das in diesem Jahr aufgrund des Zusammenfallens mit einem Luther-Jubiläum erstmals bundesweiter Feiertag war und mir ohnehin seit jeher wesentlich näher stand als jedweder religiös-mythologisch definierte Anlass. Noch ein Grund mehr für konservative Kritiker, diesen „Tatort“ zu hassen.
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Tatort: Zurück ins Licht

Unter der Regie Florian Baxmeyers ermitteln die Bremer Kommissare Inga Lürsen und Nils Stedefreund in ihrem 36. Fall, der sie in die Abgründe der mafiösen Pharmaindustrie führt und mit der Psyche einer sehr speziellen Karriere-„Powerfrau“ konfrontiert. Bei ihr handelt es sich um Maria Voss, einer von Nadeshda Brennicke gespielten Frau mittleren Alters, die sich nach einem schweren Autounfall zurück ins Leben gekämpft und entgegen ursprünglicher Prognosen ihren Bewegungsapparat wieder vollständig hergestellt hat – durch eisernen Willen und viel Selbstdisziplin. Den Toten kannte sie durch ihre Tätigkeit in der Pharma-Branche, was sie ebenso in den Kreis der Verdächtigen rückt wie ihren von ihr getrennt lebenden Mann. Doch an dieser Frau, die gern vermögend, talentiert und erfolgreich wäre, ist, wie sich herausstellen wird, so gut wie nichts echt. Brennicke spielt die aufgesetzte Glücklichkeit und Souveränität ihrer extrem unsympathischen Rolle derart bemüht, gestelzt und selbstgefällig überheblich, dass man es ihr beinahe als mangelnde schauspielerische Fähigkeiten auslegen könnte, dabei verlangt die Rolle im Prinzip danach: Brennicke muss eine psychisch besorgniserregend entrückt wirkende, schlechte Schauspielerin mimen. Damit thematisiert dieser „Tatort“ zerbröckelnde Fassaden sowie krankhaft narzisstischen Ehrgeiz, bei dem bei aller egozentrischen Fixierung nicht nur durch den Mord über Leichen gegangen wird, sondern auch durch die tiefe Verstrickung in Medikamentengeschäfte zu Ungunsten sterbenskranker Patienten. Die sexualpathologische Komponente in Voss‘ Persönlichkeit wird u.a. durch eine bizarre Handjob-Szene auf offener Straße stark betont und findet ihre Entsprechung gewissermaßen in der Beziehung Stedefreunds zu seiner autistische Züge aufweisenden BKA-Kollegin Linda Selb, in deren Zuge Stedefreund-Schauspieler Mommsen sein Geschlechtsorgan einer geradezu an ihm klebenden Kamera präsentieren darf, welches er seltsam bereitwillig und kaum nachvollziehbar kurze Zeit später in Maria Voss einführt. Doch auch ohne den erzwungen wirkenden Sex-Aspekt würde der Seifenoper-Anteil auf nur unregelmäßige Tatort-Gucker, die mit den Charakteren nicht vertraut sind, gewöhnungsbedürftig wirken. Diesen einmal mehr etwas überambitioniert wirkenden „Tatort“ peppt Baxmeyer mit einigen Stilelementen wie Videoausschnitten aus Voss‘ Leben auf und tut ansonsten sein Bestes, den eher in Richtung Psycho-Thriller denn klassischen Kriminalfilm tendierenden Fall im starren 90-Minuten-Korsett auszuformulieren – wobei die Frage bleibt, ob ein Duo wie Lürsen und Stedefreund den richtigen Rahmen für einen Fall wie diesen bietet, wenn es dabei derart austauschbar bleibt und Stedefreund lediglich als verloren wirkender Partner der sich evtl. als Lürsens Nachfolgerin in Szene zu setzen versuchenden Luise Wolfram Zeit zur Selbstdarstellung bekommt. Ein größerer Lichtblick: Die Jungschauspielerin Emma Drogunova als Voss-Tochter Lotte, die sich als hoffnungsvolle Nachwuchsdarstellerin zu verkaufen versteht. Am Ende dieses „Tatorts“ stehen diverse Trennungen, denn auch das ist er: Ein Film über Beziehungsunfähigkeit.
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