Nur eine Frau - Sherry Hormann (2019)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38713
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Nur eine Frau - Sherry Hormann (2019)

Beitrag von buxtebrawler »

Nur eine Frau.jpg
Nur eine Frau.jpg (60.46 KiB) 60 mal betrachtet

Originaltitel: Nur eine Frau

Herstellungsland: Deutschland / 2019

Regie: Sherry Hormann

Darsteller(innen): Almila Bagriacik, Rauand Taleb, Aram Arami, Merve Aksoy, Mehmet Atesci, Selin Dörtkardes, Samir Fuchs, Özgür Karadeniz, Christian Kuchenbuch, Jacob Matschenz, Meral Perin, Lina Wendel u. A.
1998: Die minderjährige Hatun "Aynur" Sürücü (Almila Bagriacik) wird in Istanbul mit ihrem Cousin zwangsverheiratet. Ein Jahr später flieht sie in hochschwangerem Zustand vor ihrem gewalttätigen Ehemann und kehrt zu ihrer Familie in Berlin zurück. Diese bringt ihr jedoch statt Liebe und Verständnis vor allem Verachtung entgegen. Aynur zieht aus, bleibt jedoch den Einschüchterungen und Beleidigungen vor allem ihrer Brüder ausgesetzt. Dies ist jedoch erst der Anfang der Hölle auf Erden, welche die junge Frau durchlebt.
Quelle: www.ofdb.de

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38713
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Nur eine Frau - Sherry Hormann (2019)

Beitrag von buxtebrawler »

„Willkommen in Deutschland!“

Im Jahre 2005 wurde die junge deutsch-kurdische Berlinerin Hatun Aynur Sürücü kaltblütig von ihrem jüngsten Bruder erschossen, weil sie ein eigenständiges Leben führte, das sich nicht mit dem rückständig patriarchalen, religiös verquasten Weltbild und dem Lebenswandel ihrer Familie und deren Unkultur vereinbaren ließ. Bei dieser Tat handelte es sich um das, was gemeinhin unangebracht euphemistisch als „Ehrenmord“ bezeichnet wird.

„Er schlägt sie, weil er sie liebt!“

Das Drama „Nur eine Frau“ aus dem Jahre 2019 erzählt Hatuns Leben aus ihrer Perspektive nach. Florian Oellers Drehbuch basiert sowohl auf Matthias Deiß‘ und Jo Golls Sachbuch „Ehrenmord: Ein deutsches Schicksal“ als auch auf Aussagen von Zeuginnen und Zeugen und den Gerichtsakten. Mit der Inszenierung wurde Sherry Hormann („Vermisst in Berlin“) betraut, die Rolle Aynurs bekleidet Almila Bağrıaçık („Unschuldig“). Eher lose fußt auch der mit Sibel Kekilli gedrehte Spielfilm „Die Fremde“ aus dem Jahre 2010 auf diesem Verbrechen.

„Nimm dich in Acht vor Frauen. Du kannst ihnen einfach nicht trauen!“

Die ersten Bilder zeigen eine auf einem Berliner Gehweg liegende, mit einem Tuch bedeckte Leiche. Aus dem Off sprechend gibt sich die Tote zu erkennen: „Das bin ich. Mein Bruder hat mich erschossen.“ Beim eigentlichen Film, der die Ereignisse bis zu diesem Ausgangspunkt zeigt, handelt es sich also im Prinzip um eine ausgedehnte Analepse. Aynur wird in eine streng religiöse, patriarchale und frauenfeindliche kurdischstämmige Familie in West-Berlin hineingeboren, die in den 1970ern aus Ostanatolien übergesiedelt war. Mit gerade einmal 16 Jahren wird sie mit ihrem Cousin Ismail in Istanbul zwangsverheiratet, von dem sie bald schwanger wird. Dort hält sie es jedoch u.a. aufgrund dessen Gewalttätigkeit nicht mehr aus und geht nach Berlin zurück, wo sie ihren Sohn Can zur Welt bringt. Mit ihren Schwestern müssen sie und ihr schreiendes Baby sich ein enges Zimmer teilen. Sinan (Mehmet Atesci, „Das Verschwinden“), einer ihrer Brüder, missbraucht sie sexuell. Die innerfamiliäre Zwangsheirat und der sexuelle Missbrauch nähren den Verdacht, dass es sich möglicherweise um eine durch Inzucht in Teilen genetisch degenerierte Familie handelt.

„Meine Haare und ich – wir sind Terror!“

Schließlich zieht Aynur in ein Wohnheim für junge Mütter, woraufhin ihre Mutter (Meral Perin, „Die Informantin“) ausrastet. Sie drückt die Schulbank, geht nebenbei arbeiten und bringt ihrer Familie „neue Schande“, weil sie ausgeht und tanzt – und ihr Kopftuch endlich ablegt. Islamistische Prediger kolportieren derweil unbehelligt ihre Hassbotschaften in der Moschee. Aynurs Familie macht sich ins Hemd, weil „alle anderen“ über sie reden würden… Im Jahre 2001 starten ihre Brüder Telefonterror, ihre Eltern haben sich ebenfalls von ihr abgewandt. Aynur lässt sich davon nicht unterkriegen und wird Elektroinstallateurin. In Tim (Jacob Matschenz, „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“) lernt sie einen netten jungen Mann kennen und lieben, mit dem sie eine Beziehung eingeht. Ab dieser Stelle wird unvermittelt authentisches dokumentarisches Material in Form von Privatvideos und Fotos in den Film eingewoben, was den gefühlten Realismus des großartig geschauspielerten Gezeigten weiter erhöht.

„Alles Ungläubige. Wir dürfen sie alle töten!“

Leider erträgt Tim den Terror Aynurs Familie gegen ihr Liebesglück nicht mehr und beendet die Beziehung. Daraufhin bricht Aynur ihrerseits mit ihrer Familie, woraufhin diese sich ihr wieder annähert. Ihre Brüder hassen sie aber weiterhin und sprechen mittlerweile sogar Morddrohungen aus. Einzige Stütze ist ihr ältester, abtrünniger Bruder, der das Glück hat, keine Frau zu sein und deshalb nicht zur Projektionsfläche des Hasses seiner Familie wird. Aynurs späterer Mörder Nuri (Rauand Taleb, „Asphaltgorillas“) erscheint auf Cans Geburtstag, geht aber gleich wieder, weil er den Anblick einer fröhlichen Feier nicht erträgt. Aynur fasst noch den Entschluss, nun tatsächlich von Berlin nach Freiburg zu ziehen, doch dazu kommt es nicht mehr.

„Ich rede, ich lache, ich ficke mit wem und wann ich will!“

Datums- und Namenseinblendungen helfen bei der Orientierung und unterstreichen den dokumentarischen Charakter des Films, der durch die integrierten authentischen Aufnahmen gewonnen wird. Das Bundeskriminalamt arbeitet mit einer Art Checkliste für „Ehrenmorde“, die einzelnen Punkte werden mittels Texttafeln aufgeführt. Die Durchnummerierung macht das Ganze zu einer Art perverser Nummernrevue. Ausländische Dialoge wurden zumindest in meiner Fassung leider nicht untertitelt, was schade ist. Details aus dem Gerichtsprozess werden genannt und die Folgen dieser Untat genau aufgedröselt. Nuris islamisierte Freundin Evin (Lara Aylin Winkler, „Rate Your Date“) wird unter Druck gesetzt und zu Falschaussagen gedrängt; mittels Lügengebilden ist die Familie also um Schadensbegrenzung bemüht – ein weiteres Indiz für ihr komplett rückgratloses Verhalten. Niemand aus der Familie trauert, Evin und ihre Mutter müssen schließlich ins Zeugenschutzprogramm. Der im Nachhinein größte Erfolg: Aynurs Sohn Can kommt in eine Pflegefamilie, ihre Familie erhält keinen Zugriff auf ihn.

In entscheidenden Punkten hat die Rechtsprechung aber versagt: Der Film zeigt eindeutig, dass Nuri keinesfalls im Alleingang gehandelt hat, sondern von seinen Brüdern und Eltern zur Tat gedrängt wurde. Und auch, als Aynur noch am Leben war, waren ihr die deutschen Behörden trotz ihrer Hilferufe kaum eine Hilfe. „Nur eine Frau“ setzt sich glücklicherweise nie dem Verdacht ausländerfeindlicher Ressentiments aus, da er zwischen den verschiedenen Muslimen differenziert. Dieser Film zeigt Aynur als die starke, lebenslustige, selbstbewusste und mutige Frau, die sie war, und gibt ihr ihre Stimme zurück, die ihr ihre Familie mit dem Mord nahm. Er rekapituliert Aynurs steinigen Weg der Emanzipation und porträtiert ihre Nemesis, das religiös verbrämte, gewalttätige Patriarchat ihrer Familie und deren Kulturkreises, in dem unterdrückerische Tradition als wichtiger erachtet wird als Familienbande.

Zweifelsohne finden Morde innerhalb von Familien und Beziehungen, Femizide und ähnliche Abartigkeiten auch im hiesigen Kulturkreis statt, häufig ist dann die Rede von einer „Familientragödie“. Vergleiche hinken, sind aber dennoch angebracht – und sei es, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede differenziert herauszuarbeiten, um bessere Prävention und Opferschutz betreiben zu können. Dies ist bitter nötig, denn, darf man den Zahlen Glauben schenken, wird in Deutschland alle zwei bis drei Tage eine Frau von einem Mann ermordet. „Nur eine Frau“ macht unheimlich wütend – hoffentlich nicht nur auf Islamisten, sondern aufs ganze Patriarchat.

Meine einzige Befürchtung in Bezug auf die Filmrezeption ist, dass eben diese Klientel die Darstellung des Verhaltens Aynurs Brüder auch noch feiern und sich zum Vorbild nehmen könnte. Dabei gibt es keine Ehre im Mord, die Täter sind komplett ehrlose Kreaturen – Aynur hingegen eine im Kampf gestorbene Heldin. Zudem sind solche Taten Wasser auf die Mühlen Rechtsradikaler, wofür es gleich noch ein paar Ewigkeiten mehr in der Hölle für Nuri und seine Sippschaft gibt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten