Lili Marleen - Rainer Werner Fassbinder (1981)

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Maulwurf
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Lili Marleen - Rainer Werner Fassbinder (1981)

Beitrag von Maulwurf »

 
Lili Marleen
Deutschland 1981
Regie: Rainer Werner Fassbinder
Hanna Schygulla, Giancarlo Giannini, Mel Ferrer, Karl-Heinz von Hassel, Erik Schumann, Hark Bohm, Gottfried John, Karin Baal, Christine Kaufmann, Udo Kier, Roger Fritz, Rainer Will, Raúl Gimenez, Adrian Hoven, Willy Harlander, Barbara Valentin, Helen Vita


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Was für ein großartiger und bunter Bilderbogen, den Rainer Werner Fassbinder hier vor uns ausbreitet. Und was für eine fantastische und märchenhafte Geschichte vom hässlichen kleinen Entlein, das ein stolzer Schwan werden möchte, und dabei Gefahr läuft zum eitlen Pfau zu werden. Eine Geschichte, so recht aus einem Buch zum Träumen: Da ist die junge Willi, die als Sängerin im Dritten Reich so gerne groß rauskommen möchte. Ein gewisser Hans Hinkel bietet ihr die Möglichkeit, und erst spät erfährt Willi, dass Hans Hinkel der Leiter des Reichskulturamtes ist, und damit das Auf und Ab der Künstlerkarrieren fest in der Hand hat. Willi geht also nach Berlin, geht zu Hinkel, und nimmt ein Lied auf: Lili Marleen. Ein verliebter Jüngling landet als Soldat mit dieser Platte in der Hand im Studio des Soldatensenders Belgrad, dort wird das Lied gespielt, und fortan wird es über die Kriegsjahre hinweg allabendlich die Träume und Sehnsüchte der Landser begleiten. Und nicht nur der Deutschen, sondern aller Soldaten, auch der Alliierten, denn der Magie dieses Zauberliedes kann sich niemand verschließen.
Doch, einer kann es, der böse Wolf: Wegen seines „morbiden und depressiven“ Textes verbietet Goebbels Lili Marleen, (und in Wahrheit vor allem auch deswegen, weil die Sängerin Kontakte zu Schweizer Juden hatte). Willi gerät in Ungnade, und weil ihr Verlobter Robert Juden aus Deutschland heraus schmuggelt, muss auch Willi verschwinden. Es heißt, sie sei in einem Lager ermordet worden, woraufhin die Proteste unter den Soldaten so groß sind, dass Willi wieder auftreten darf, damit dieses Gerücht dementiert werden kann. Aber ihr großes Lied, das darf sie nicht mehr singen. Doch irgendwann ist auch dieser schreckliche Krieg zu Ende. Willi kann wieder in die Schweiz, zu ihrem geliebten Robert. Und zu dessen … Frau?

Ein großer bunter Bilderbogen, der so kitschig wie pulpig aufgebaut ist, und eigentlich die Vorlage zu einer Soap-Opera bietet - Und wie eine Soap-Opera hat Fassbinder den Film auch aufgebaut. Hochgradig künstliche Dialoge, die teilweise zwischen direkt aneinanderkomponierten Einsätzen sogar noch Sprechpausen haben. Eine Musik, die jede noch so kleine Stimmungsschwankung mit hochdramatischem Einsatz begleitet und aus jeder Maus ein ganzes Elefantenballett macht. Gefühle, die sich gegenseitig überbieten und Wellen schlagen so hoch wie das Brandenburger Tor. Unechte Figuren, die sich durch reichhaltig ausgestaltete Kulissen bewegen und eine Geschichte zum Besten geben. Eine Geschichte, die mit der Wirklichkeit kaum etwas zu tun hat, dafür aber eine Phantasie bietet, wie sie schon seit Menschengedenken immer wieder erzählt wird. Drama, Liebe, Eifersucht, Romantik, Musik, ein klein wenig Tod, böse Menschen, gute Menschen, verliebte Menschen, Freundschaft – Alles genau die Dinge, die eine großartige Geschichte halt so braucht. Und die Fassbinder hier in satten Farben und mit überwältigenden Gefühlen garniert darbietet. LILI MARLEEN ist somit keine Aufarbeitung künstlerischer Vergewaltigung im Dritten Reich, genauso wenig wie eine Untersuchung der Ränkeschmiede der Reichskulturkammer. LILI MARLEEN ist ein Märchen für Erwachsene, das mit den nackten Brüsten Hanna Schygullas beginnt, mit einer Hommage an Kristina Söderbaum endet, und dazwischen einfach mal jedes Klischee mitnimmt das gerade im Weg herumsteht. Eine LINDENSTRASSE im Dritten Reich.

LILI MARLEEN kann Spaß machen, wenn man den Film nicht ernstnimmt, sondern als Burleske ansieht. Als verzerrte Komödie über Menschen im Dritten Reich. Darf man über Nazis lachen? Nein, man muss. Dieses bekannte Motto könnte fast im Hintergrund der Story stehen. Insofern ist LILI MARLEEN ein etwas zwiespältiges Vergnügen. Denn Dinge wie knallharte Politik oder gar Kritik an den Zuständen im Dritten Reich darf man hier nicht erwarten. Ein Märchen eben. Oder eine Soap-Opera …

6/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
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