Berlin in Berlin - Sinan Çetin (1993)

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Berlin in Berlin - Sinan Çetin (1993)

Beitrag von buxtebrawler »

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Originaltitel: Berlin in Berlin

Herstellungsland: Deutschland / Türkei (1993)

Regie: Sinan Çetin

Darsteller(innen): Hülya Avsar, Cem Özer, Armin Block, Aliye Rona, Esref Kolcak, Nilüfer Aydan, Clemens-Maria Haas, Zafer Ergin, Emrah Aydemir, Volkan Akabali, Susa Kohlstedt, Mustafa Portakal, Tom Neubauer, Sarah Chaumette

Ein Deutscher (Armin Block) lebt in Berlin auf „4 Quadratmetern Türkei“ im Kleiderschrank von Dilber in der Wohnung ihrer türkischen Großfamilie, nachdem er deren Mann in einem Streit versehentlich erschlagen hatte. Nach und nach assimiliert sich der Deutsche.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin_in_Berlin
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Berlin in Berlin - Sinan Çetin (1993)

Beitrag von buxtebrawler »

Die deutsch-türkische Koproduktion „Berlin in Berlin“ des türkischen Filmemachers Sinan Çetin („Propaganda“) aus dem Jahre 1993 ist eine dem Kanon des migrantischen Films zuzuordnende, eigenwillige Mischung aus Drama, Thriller und Komödie mit parodistischen Zügen.

Bauplaner und Fotograf Thomas (Armin Block) stellt der hübschen Dilber (Hülya Avşar, „Hasan boğuldu“), der Frau seines türkischen Arbeitskollegen, nach und fotografiert sie obsessiv. Als ihr Mann die Fotos findet, regt er sich über sie auf und gerät in Streit mit seiner Frau. Als Thomas dazwischengeht, tötet er ihn versehentlich. Zeitsprung, drei Monate später: Thomas lernt Türkisch und macht Liegestütze, nimmt Kontakt zu Dilber auf, die abweisend reagiert – doch er verfolgt sie weiter. Die Brüder des Toten lauern ihm auf und verprügeln ihn, bedrohen ihn mit einem Messer. Er flieht in eine Wohnung – ausgerechnet die seiner Verfolger – und versteckt sich dort. Am nächsten Morgen wird er entdeckt und soll erschossen werden, doch die türkische Familienmutter geht dazwischen und verbietet es, weil der Fremde Gastrecht zu genießen habe. Also will man ihn umbringen, sobald er die Wohnung verlassen hat. Ergo bleibt er eben da…

Eine herrlich absurde Situation also, in die Çetin die Figuren seines Films bringt. Als starkes intradiegetisches Medium fungiert Thomas‘ Fotokamera, während Thomas selbst zum Medium im vermittelnden Sinne avanciert, als (reichlich ungewöhnlicher) Vermittler zwischen den Kulturen, aber auch für das Filmpublikum, denn er steuert den Film quasi. Mehrmals scheint die Zuschauerschaft direkt angesprochen zu werden, wenn eigentlich Thomas gemeint ist. Er – wohlgemerkt ein irrer Stalker – steht stellvertretend für uns „Voyeure“. Die Perspektive entspricht fast immer Thomas‘ Blickwinkel.

Im weiteren Verlauf des zum Kammerspiel gewordenen Films richtet sich der Fokus verstärkt auf einen besonders aggressiven Bruder des Toten, der es zu Hause mit der Freundin eines anderen treibt (von Çetin recht freizügig inszeniert). Thomas rettet ihm das Leben, als dieser vom Freund seiner Bettgespielin angegriffen wird. Zwischen Dilber und Thomas kommt es zu immer mehr Annäherungen, gegen Ende möchte er mit ihr von dannen ziehen. Der Aggro-Bruder begehrt sie jedoch selbst und reagiert entsprechend eifersüchtig. Auch ihr Sohn Mustafa ist wenig begeistert, weil er glaubt, seine Mutter zu verlieren. Im Showdown bedroht der Bruder Thomas und Dilber, bricht aber verzweifelt zusammen.

Leider sah ich eine Fassung, in der die türkischen Dialoge nicht untertitelt sind, weshalb ich nicht jede Feinheit mit-, aber von einer Mitguckerin viel erklärt bekam. „Berlin in Berlin“ ist dramaturgisch etwas langatmig und der Ton manchmal dumpf, aber nichtsdestotrotz ein sehr interessanter Film: Die auch als Musikerin tätige Hauptdarstellerin Hülya Avşar galt als eine der attraktivsten Schauspielerinnen in der Türkei, hat stahlblaue Augen und ist hier in einer erotischen Masturbationsszene zu sehen, aufgrund derer der Film lange Zeit nicht in der Türkei gezeigt worden war. Çetin spielt zudem ein wenig mit religiösen Motiven, hängt der türkischen Familie ein Iron-Maiden-Plakat in die Bude und erzählt, unterlegt von dramatischen, wuchtigen Synthesizerklängen, viel sowohl über menschlichen Begehren als auch kulturelle Regeln. Das parodistische Element ist die gegenüber anderen migrantischen Filmen umgekehrte Prämisse: Ein Deutscher ist der Eindringling, der sich dann sogar eine Frau mitnimmt. Dies ist indes zugleich etwas problematisch oder mindestens unglücklich: Ausgerechnet ein soziopathischer Stalker erreicht damit sein Ziel.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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