Rattennest
Kiss me deadly
USA 1955
Regie: Robert Aldrich
Ralph Meeker, Albert Dekker, Paul Stewart, Juano Hernandez, Wesley Addy, Marian Carr, Marjorie Bennett, Mort Marshall, Fortunio Bonanova, James Seay, Strother Martin, Mady Comfort, James McCallion, Robert Cornthwaite, Silvio Minciotti, Nick Dennis, Ben Morris, Jack Elam, Paul Richards, Jesslyn Fax, Percy Helton, Leigh Snowden, Jack Lambert, Jerry Zinneman, Maxine Cooper, Cloris Leachman, Gaby Rodgers, Kitty White, Sam Balter, Joe Hernandez, Eddie Beal, Leonard Bremen, John George, Charles Lane, Art Loggins, Mara McAfee, Leonard Mudie, Bing Russell, Max Wagner, Yvonne Doughty, Robert Sherman, Trude Wyler

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OFDB
Eines Nachts steht plötzlich mitten in der Wüste eine Frau vor dem Kühler von Mike Hammers Auto. Eine völlig desolate Blondine, barfuß und in einen Trenchcoat gekleidet. Sie bittet darum, mitgenommen zu werden. Doch kurz bevor Hammer die Dame an einer Bushaltestelle abladen kann wird er überfallen und K.O. geschlagen, und als er im Krankenhaus wieder aufwacht erfährt er, dass die Blondine tot ist, sein Auto Schrott, und er unheimliches Glück hat, dass er überhaupt noch lebt. Mike Hammer möchte wissen was dahinter steckt, denn er wittert Geld. Viel Geld. Und je tiefer er bohrt, desto klarer wird, dass nicht nur die Geldmenge, sondern vor allem das Geheimnis hinter diesem Fall jede vorstellbare Dimension sprengt. Dass so viel mehr dahintersteckt, dass ein Menschenleben nicht einmal mehr ein Fingerschnipsen wert ist.
Wie in so vielen großartigen Noirs, hat auch RATTENNEST drei herausragende Darsteller.
Die Stadt.
Die Stadt ist anonym, es könnte jede Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika sein. Es geht auch nicht um die Stadt als solche, besteht sie doch wie New York oder Los Angeles oder Gotham City aus dunklen Ecken, aus einsamen Gassen, aus herabgekommenen Häusern und aus Geheimnissen. Aus was Städte eben so bestehen. Der Verkehr ist im Hintergrund immer allgegenwärtig, die städtische Gesellschaft ist nie weit weg, und dabei doch immer so unendlich weit entfernt. Wenn Lil Carver aus ihrer Unterkunft zu Hammer flüchtet muss sie eine endlos erscheinende Treppe hinabrennen. Fort aus ihrem sicher erscheinenden Wolkenkuckucksheim, hinunter in die Niederungen des Alltags, der Gewalt und des Verbrechens. Alltagsmenschen sind dabei kaum einmal zu sehen. Auftragsmörder, ja, die hat es überall, daneben auch Polizisten und ein klein wenig medizinische Versorgung. Aber sonst sind da nur noch die unteren Schichten einer Gesellschaft: Tankwarte, Popcornverkäufer, Automechaniker. Ein Fernfahrer taucht kurz auf, genauso wie ein gestrandeter Opernsänger, aber ein richtiger Mittelstand existiert hier nicht. Wie in Gotham City …
Die Männer.
Die Männer sind hart. Knallhart. Gefühle sind nicht zugelassen, weder Liebe noch Hass existieren. Das Töten ist ihr Geschäft, und Frauen, die sich ihnen anbieten, werden entweder ignoriert oder benutzt. Ansonsten ist das Geldverdienen das Einzige was zählt. Dies, und die Aufklärung eines Kriminalfalles. Die Hauptfigur, der Hardboiled-Detektiv Mike Hammer, ist mit stolz geschwellter Brust ein Prachtexemplar eines Mann-Mannes. Überheblich, ausbeuterisch, arrogant, sich in seiner eigenen toxischen Männlichkeit suhlend. Bietet sich ihm eine Frau an dann nimmt er sie, gleich ob das seine Freundin ist oder eine Fremde. Freunde müssen ihm einen Gefallen nach dem anderen tun, und erst sehr spät, zu spät, merkt Hammer, was er mit seiner grandiosen Männlichkeit anrichtet. Seine Freunde sterben, seine Freundinnen opfern sich bedingungslos für ihn auf, und sein eigenes Leben ist nicht einem Pfifferling mehr wert, weil er die Tragweite dieses Falls mit seinem Spatzenhirn völlig unterschätzt hat. Wie jeder gute Kriminelle weigert Hammer sich, mit seinem einzigen wahren Freund, dem Polizeilieutenant Murphy zu reden. Nein, er will diesen Fall alleine lösen, will die vermutete Kohle alleine einstreichen. Ein verhängnisvoller Fehler, und die Reue über diesen Fehler kommt erst sehr spät. Zu spät?
Neben dem toxischen Mike und dem aufrechten(?) Murphy sind die Gescheiterten dieses Lebens zu begutachten. Dem Automechaniker Nick, der für Mike einfach absolut alles tut weil er Aufopferung mit Freundschaft verwechselt, geht es noch gut in seiner selbstgewählten Existenz. Aber der von den Gangstern gejagte und hilflose Journalist Diker, der am Rande der Gesellschaft vegetierende „Opernsänger“ Trivago oder der Freund des Freundes, der dicklich-kindliche Autoschrauber Sammy, sie alle eint ein zwar ehrliches, dafür aber freudloses Leben in der unteren Hälfte der Gesellschaft. Die anderen, diejenigen die das Sagen haben, das sind die Gangster wie Carl Evello, oder deren Handlanger wie Charlie Max und Sugar Smallhouse. Die die stahlharten Fäusten haben, die großen Knarren, und dafür kein bisschen Gewissen. Die ohne mit der Wimper zu zucken töten, weil sie dafür bezahlt werden. Sie beherrschen Gotham City, und Mike Hammer, der so gerne Batman wäre, in Wirklichkeit aber eher Robin ist, kann ihnen kaum etwas entgegensetzen. Die Welt dieser Männer ist knüppelhart und erbarmungslos. Gewalt. Und Sex …
Die Frauen.
Im Jahre 1955 war die Filmwelt in vielerlei Hinsicht noch sauber und ordentlich. Frauen trugen durchaus einmal schulterfrei oder zeigten viel Rücken, sie durften bereits verführerisch wirken und mit schmachtenden Augen von Liebe (sic!) zumindest reden. In RATTENNEST ist diese verlogene Hollywood-Kitsch-Hays-Code-Welt vorbei, mit einem Schuss aus einem 38er niedergestreckt. Hier sind die Frauen erotisch aufgeheizt, sie sind verschwitzt, und sie wollen Sex. Sowohl eine Christina wie auch eine Lil Carver sind fast ausschließlich barfuß zu sehen, was auf eine ständige Bereitschaft hindeutet. Lil Carver hat in ihren Szenen meistens etwas an was einem Bademantel ähnelt, und die Ahnung zulässt, dass sie darunter nackt ist. Lil Carver wirft sich Hammer an den Hals, herunter an die Brust, sie himmelt ihn an, sie will ihn, und ihre Augen sagen „Nimm mich“. Lil Carver will Liebe, sie will die ganz große Umarmung, und sie ist auch diejenige, die am Ende des Films den tödlichen Kuss vom Objekt ihrer Begierde empfangen wird. Eine Frau die für die Liebe brennt …
Ganz anders Hammers Sekretärin und halbgare Freundin Velda, die, wenn Mike sie besucht, in hautenger Kleidung und komplett verschwitzt Ballettübungen macht, und während des Gesprächs mit Mike auch gar nicht damit aufhört. Ihre Körperhaltungen sind pure und aufgeladene Einladungen zu wildem Stellungswechsel, ihr Schweiß signalisiert bedingungslose Hingabe an den männlichen Körper, und ihre Augen spiegeln die Enttäuschung über Hammers Ignoranz wieder. Später, als Hammer nachts an ihrem Bett sitzt, schwitzt Velda beim Erwachen wieder, ihre Augen sagen „Wie schön dass Du da bist. Nimm mich“, und wieder ist Hammer der ignorante Klotz. Velda verlässt kurz das Bild, und als sie wiederkommt zieht sie sich gerade einen Morgenmantel über. Es ist offensichtlich dass sie nackt im Bett lag, ein Umstand, der für das Jahr 1955 ungewöhnlich deutlich dargestellt wird.
Und dann ist da noch Cheesecake, ein leichtes Mädchen im Umfeld des Gangsters Evello. Oder ist sie gar seine Schwester? Sie kann sich sehr viel herausnehmen gegenüber dem Boss, aber noch mehr nimmt sie sich heraus wenn sie mit Hammer beim Kaffee sitzt und ihre Bereitschaft offensichtlich signalisiert. Praktisch jede Äußerung besitzt einen sexuellen Unterton, manche Sätze sind eine klare Aufforderung zum Geschlechtsverkehr. Und was macht Hammer? Natürlich, alles ignorieren …
RATTENNEST ist ein Trip in eine dunkle und harte Welt, bestehend aus selbstgefälligen Männern und ihren devoten und hingabebereiten Dienerinnen. Das Ziel dieser Reise ist dabei, wie im klassischen Noir der 40er-Jahre, nicht erkennbar, und die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Stationen sind auch im Nachhinein nicht erklärbar. Die verwinkelten Wege des Mike Hammer, die rätselhaften Menschen die er auf seinem Weg trifft, und die klare Aufteilung der Welt in gewalttätig, sexuell und nebensächlich, das alles könnte auch einer dieser undurchschaubaren und narrativ oft nebulösen Chandler-Erzählungen entnommen sein. Das Ende bleibt ohne Auflösung, aber dafür wird endlich klar, auf was Quentin Tarantino mit dem Koffer der ersten Episode von PULP FICTION referenziert. Ein deutlicher Querverweis, aus dem sich sogar, mit nur wenig Phantasie, eine eigene Geschichte ableiten lassen könnte.
Nackte Gewalt und unverblümter Sex im düsteren US-Kino der 50er. Unbedingt anschauen!
8/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)