Space Dogs - Elsa Kremser / Levin Peter (2019)

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Salvatore Baccaro
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Space Dogs - Elsa Kremser / Levin Peter (2019)

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Originaltitel: Space Dogs

Produktionsland: Österreich/Deutschland 2019

Regie: Elsa Kremser / Levin Peter

Darsteller: Zwei Moskauer Straßenhunde

Am 3. November 1957 wird mit der Hündin Laika das erste Lebewesen von der Erde aus in den Kosmos geschossen. Nicht nur für die sowjetische Raumfahrt bedeutet der Moment, in dem ihr Raumschiff das Weltenall betritt, einen sensationellen Triumph, und stellt die Weichen dafür, dass zwei Jahre später Juri Gagarin sich als erster Mensch außerhalb der Umlaufbahn unseres Globus begeben darf. Während Gagarin indes hochdekoriert 1968 bei einem Übungsflug verstirbt, ist Laikas Tod in ihrer Mission eingeplant gewesen: Dass ihre Rakete nicht zurück auf die Erde geholt werden wird, steht für die über das Schicksal der Hündin entscheidenden Kosmonauten von Anfang an fest. Tatsächlich überlebt Laika den Start ihres Flugkörpers nur um wenige Stunden. An Stress oder Überhitzung verstirbt das Tier, und treibt seitdem als Weltraummüll durch die Galaxien. Eine Legende jedoch behauptet, ihr Gefährt sei längst im All verglüht, und ihr Geist kometengleich über Moskau herabgesunken, wo er sich nun gemeinsam mit ihren Artgenossen, den Straßenhunden der russischen Metropole, in den Vorortstraßen umhertreibe.

Vor einer Diskothek sind die Regisseure Elsa Kremser und Levin Peter, laut Eigenaussage, auf die beiden Rüden aufmerksam geworden: Der eine wirkt zutraulich, neugierig, verspielt, scheint das harte Obdachlosenleben als Abenteuer aufzufassen, das ihm weder die Energie noch den Lebensmut hat nehmen können; der andere hat ungleich struppigeres Fell, ist schnell reizbar, fletscht andauernd die Zähne und stößt fortwährend ein bedrohliches Knurren aus, was wohl vor allem seine permanente Angst und Unsicherheit überdecken soll. Beide haben sich offenbar zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschlossen, schlafen in Hinterhöfen, durchwühlen die Mülltonnen nach Fressbarem, jagen Katzen hinterher, betteln Passanten um Almosen an, wälzen sich miteinander spielend auf Wiesen oder geraten auch schon mal in jäh aufflammenden Streitigkeiten aneinander. Diesen beiden Hunden folgt Kremsers und Peters SPACE DOGS über Monate hinweg in ihrem Alltag. Es gibt keine extradiegetische Musik, keinen Kommentar. Die Kamera klebt förmlich an ihren Protagonisten, nimmt die Welt mit ihren Augen wahr, begibt sich auf Augenhöhe mit den Hunden. Ein „Anti-Tierfilm“ soll es, erneut laut Kremser und Peter, sein. Ein Film, der den Fallstricken des Anthropomorphismus entgeht, der es vermeidet, menschliche Emotionen auf Tiere zu projizieren, der es sich verbeißt, in die hündischen Handlungen irgendetwas hineinzuinterpretieren, mittels dieser gar eine Geschichte zu erzählen, sie für Zwecke zu instrumentalisieren, die auf etwas anderes hinauslaufen würden als auf den zugleich distanzierten und intimen Blick, mit dem der Film den beiden Rüden einfach nur zuschaut: Ob sie nun faul in der Sonne liegen; ob sie vor einem Club darauf warten, dass Partygäste ihnen etwas zu fressen zuwerfen; oder ob sie – die wohl schonungsloseste Passage des Films – ihrem Jagdtrieb freien Lauf lassen, um ein Kätzchen zu fangen, zu töten und danach minutenlang auf ihrem leblosen Körper herumzubeißen.

In der Welt, die SPACE DOGS schildert, existieren Menschen nur als Randfiguren, als Statisten, die im Hintergrund den Bildkader durchqueren, als Zufallsbekanntschaften, denen man kurz folgt, weil man sich von ihnen emotionale oder materielle Zuwendungen verspricht, vor denen man flieht, weil man schnuppert, dass sie einem aus purer Boshaftigkeit Tritte versetzen wollen. Parallel erzählt SPACE DOGS aber noch von einer anderen Welt, einer Welt, die uns der Film rein über Aufnahmen aus sowjetischen Archiven nahebringt, die Welt, in der Laika zum Weltraumhund trainiert wurde, die Welt, in der man Affen in Kosmonauten-Anzüge steckt, die Welt, in der Tiere lediglich Material darstellten, mit dem der Mensch an seinen Phantasien einer Herrschaft bis ins Universum hinein weiterbaut. Gerade so viel Kontextinformationen teilt uns die Stimme des russischen Schauspielers Alexey Serebryakov mit, dass wir die Bilder halbwegs einordnen können, dass wir erfahren, auch Laika sei eine Straßenhündin gewesen, die man aufgrund ihrer Robustheit, aufgrund der Abhärtung, die sie sie sich bereits angeeignet habe, für die Reise ins All auswählte, dass wir einen Eindruck gewinnen von den strapaziösen Tests und Experimenten, mit denen Laika und ihre Geschwister weltraumtauglich gemacht wurden, Injektionen, Kanülen, stundenlanges Kreiseln in Raketenflugsimulatoren.

Beides – die Erzählung der sowjetischen Raumfahrtforschung aus Sicht der in ihr als Kanonenfutter verbrauchten Tiere; die Erzählung von den beiden Nachfahren Laikas und ihres tristen, unerbittlichen, manchmal aber doch zu einer rauen Schönheit findenden Lebens – trifft sich letztlich in der Art und Weise, wie Kremser und Peter mit den Augenpaaren ihrer vierbeinigen Helden auf die gegenwärtige Gesellschaft blicken: Als wollten sie selbst einen Science-Fiction-Film inszenieren und Moskau als einen fremden, lebensfeindlichen Planeten modellieren, sucht das Regie-Duo, ohne freilich, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt in krampfigen Manierismus ausarten würde, nach irritierenden Bildkompositionen von halb verfallenen Plattenbauten, trostlosen Tankstellen, sich hoch aufrichtenden Müllbergen, die in ihrer Vertrautheit sehr irritierend wirken; als seien die beiden Rüden tatsächliche Weltraumhunde, gestrandet auf einem Stern, dessen Poesie unter meterhohen Schichten aus Dreck, Einsamkeit, Verrohung verborgen liegt, streifen die Hunde durch die grauen Gassen jenseits des Stadtkerns und konfrontieren uns letztendlich mit unseren eigenen Vorstellungen von Menschsein und Tiersein – und zwar wohlgemerkt ohne plakativ zu mahnen, den Zeigefinger erhoben zu heben oder gar in Sentimentalität und animalischer Sozialromantik zu versumpfen.

Für mich ist SPACE DOGS eine der Entdeckungen dieses Jahres.
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