Luna - Alida Bohnen (2020)

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Salvatore Baccaro
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Luna - Alida Bohnen (2020)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Originaltitel: Luna

Produktionsland: Österreich 2020

Regie: Alida Bohnen

Darsteller: Alida Bohnen

LUNA ist der Titel der 2020er Diplomarbeit Alida Bohnens an der Kunstuniversität Graz. LUNA heißt aber auch die im niedersächsischen Braunschweig entstandene einstündige Dokumentation der performativen Arbeit, der ich vor allem aufgrund ihrer sensationellen Kameraarbeit – gefilmt wird scheinbar in einem einzigen Take an mehreren Schauplätzen sowohl in geschlossenen Räumen wie auch unter freiem Himmel – das Recht zugestehen möchte, durchaus als eigenständiger Kurzfilm zu funktionieren.

LUNA beginnt mit einer Szene, die ambivalent zwischen einem Unterstreichen der vermeintlichen Authentizität wie einem Offenlegen der Inszenierung des Gezeigten schwankt: Bohnen sitzt in einer Theatergarderobe, bereitet sich mit Haargel und Theaterschminke auf ihren Auftritt vor. Du läufst?, fragt sie die Handkamera rechts von sich, als wisse sie wirklich nicht, dass ihr Kameramann bereits den Aufnahmeknopf gedrückt habe. Erst bittet sie ihn, nochmal auszumachen, entscheidet sich dann aber scheinbar spontan doch dafür, das Ding, wo es nun schon mal begonnen hat, eisern durchzuziehen. Den Monolog, der in den ersten fünf Minuten abwechselnd dem Spiegel wie der Kameralinse anvertraut wird, könnte man – (in Anlehnung an Peter Handkes berühmte Publikumsbeschimpfung) – vielleicht am treffendsten als Schauspielerbeschimpfung bezeichnen. Ich will nicht spielen!, bekräftigt Bohnen mehrmals. Aber auch nicht dabei zusehen, wie andere Leute spielen oder zumindest so tun, als würden sie spielen. Schauspieler ahmen sinnlos die Realität nach, wie Papageien, wie Zirkusäffchen. Sie ziehen Personen aus ihrem Mund hervor, die irgendwer anders erfunden hat. Dabei sollte es doch eigentlich auf die Zuschauerschaft im Auditorium ankommen, denn diese sei viel mächtiger als jeder Schauspieler, da in ihnen das unmittelbare, unverstellte, unverfälschte Leben konzentriert sei. Ungefähr so könnte man den Tenor zusammenfassen, der nicht nur dadurch ironisch gebrochen wird, dass die, die ihn ausstößt, sich offenkundig gerade schminktechnisch auf einen Schauspielauftritt vorbereitet. Gegen Ende des Monologs bewegt sich die Kamera zudem wie zufällig nach rechts, wo wir einen zweiten, kleineren Spiegel auf dem Schminktisch erkennen: Bohnen hat sich nunmehr verdreifacht, ihr vermeintlich reales Abbild, (das uns aber freilich auch rein als filmisch vermitteltes Simulakrum serviert wird), hat zwei Geschwister an die Seite gestellt bekommen: Ein Diskurs fächert auf, den man noch weit hinter die Romantik zurückverfolgen kann, wo beispielweise der Braunschweiger Schriftsteller August Klingemann unter dem Pseudonym Bonaventura in seinen Nachtwachen das Leben zur großen Lüge erklärt, zum Maskenball, zur Zwiebel, die man so lange häuten kann wie man will, man stößt trotzdem nicht zu ihrem wahren Kern vor. Ihr könnt das gerne nachschminken!, gibt Bohnen uns vorm Verlassen der Garderobe mit auf den Weg, wobei sie augenzwinkernd auf gängige Social-Media-Formate und Beauty-Vlogs anspielt, und schreitet dann, wie sie ankündigt, zu ihrem ersten Doppelleben des heutigen Tages: Eine Künstlerin namens Luna möchte (oder muss?) sie verkörpern, die gerade dabei ist, in ihrem Atelier Gemälde am Fließband zu produzieren.

Das Atelier ist allerdings ein karger Raum, die Leinwände, das sind die weißgetünchten Wände selbst, und Pinsel sowie Farbpalette bloße Attrappen: Wenn Bohnen respektive Luna durch die Gegend wirbelt, um den Tapeten bunte Schlieren anzuvertrauen, existieren diese – wie beispielweise die Stadt in Lars von Triers DOGVILLE – allein in der Phantasie des Publikums, das dazu angehalten wird, sich all die glorreichen Kunstwerke selbst zu imaginieren. Umso präsenter ist die Handkamera, die in wahren Zulawski-Pirouetten um die deklamierende Künstlerin rast, sich entgegen ihrer eigenen Bewegungen spiralförmig um sie herumwindet, nahe an sie heranfährt, dann wieder sprunghaft auf Distanz geht. Bohnens nunmehr englischsprachiger Monolog berichtet aus der Ich-Perspektive Lunas davon, wie diese sich als junge Frau plötzlich an einer Kunsthochschule wiedergefunden habe, wie sie nach Ende des Studiums festgestellt habe, dass all ihre Kommilitonen sich ins bürgerliche Leben verabschiedeten, wo sie auf einmal geradewegs gegen die Kunst agierten, die sie vorher noch umarmt hatten, und wie auch bei ihr eines Tages die Ideologie an die Ateliertür gepocht habe und sie sie zuerst wutentbrannt verjagt, sie dann aber doch hereingebeten habe, um sie auf einem Stuhl zu fixieren und mit ihrer eigenen Kunst zu konfrontieren, die der Ideologie dann doch vollumfänglich die Sprache verschlug. Wohlgemerkt erzählt Bohnen das alles aber nicht bloß nach, sondern lässt es sich in ihrem Körper manifestieren. Kurzerhand wird die Kamera selbst zur Ideologie, die Luna mit vampirischer Gier umschwärmt, die von ihr vor die Tür gesetzt wird, die schließlich zu Lethargie erstarrt angesichts der Wände voller unsichtbarer Bilder.

Nahtlos geht diese, wie gesagt, sowohl schauspielerisch wie kameratechnisch atemberaubende Szene in die nächste Etappe der Performance über: Vivaldi erklingt aus dem portablen Abspielgerät einer Assistentin, die Bohnen raus aus dem Luna-Atelier in einen angrenzenden Bühnenraum begleitet. Zusätzlich zu dem Anzug, in dessen blendendem Weiß sie Luna dargestellt hat, trägt sie nun ein weites, ebenfalls weißes Gewand, in das zwei lange Stecken verflochten sind. Auf der Bühne verwandelt sich dieses unhandliche Konstrukt in zwei Flügel: Das Licht geht aus; Stereoskop-Lichter erhellen den Raum sekundenbruchteilhaft; Bohnen tanzt derweil auf eine Weise, die gewiss an all die Serpentinen- und Schmetterlingstänze des frühen Kinos erinnern soll, bei denen sich ebenfalls Frauen in artifiziellen Kulissen mittels graziler Bewegungen und phantasievoller Kostüme der Metamorphose zu umherschwirrenden Insekten oder Vögeln unterzogen – nur mit dem Unterschied, dass Bohnens Darbietung es schafft, die Essenz dieser oftmals dekorativ überladenden Tanzstücke durch ungleich minimalistischere Mittel zu fassen, und dass ihr anmutiger Tanz letztlich ins im wahrsten Wortsinne Absurde kippt: Die Vivaldi-Streicher verstummen; die Schauspielerin erstarrt; ihre Assistentin krönt sie mit einem Lorbeerkranz und wirft ihr eine blutrote Tunika über; es folgt ein Monolog aus Albert Camus‘ Stück über den römischen Kaiser Caligula, bei dem die Kamera sich wie ein ruheloser Gast durch die menschenleeren Sitzreihen bewegt. Absurd ist es erst recht, wenn Bohnens Assistentin der Schauspielerin, nachdem diese sich ihres Lorbeerkranzes mit einer verächtlichen Wegwerfgeste entledigt hat, eine Art Glaskugel über den Kopf stülpt, in der elektrische Lichtquellen integriert sind, die Bohnen scheinbar mittels eines externen Schalters aus- und anknipsen kann. In der erneut über den Theatersaal hereingebrochenen Dunkelheit wirkt es nicht nur wie eine weitere Reminiszenz an die basalsten Elemente des Films – Finsternis und Licht im Wechsel –, sondern auf irritierende Weise komisch, wenn Bohnen den Caligula-Monolog fortsetzt, während ihr Kopf immer wieder kurzzeitig in seinem gläsernen Gefängnis beleuchtet wird, und die Kamera die Nachtphasen nutzt, um sich immer näher an die Schauspielerin heranzupirschen. Wie? Keiner da?, wundert sich Bohnen, nachdem sie ihren Auftritt absolviert hat und die verwaisten Plätze bemerkt. Na, wenn das Publikum schon nicht zu uns kommen will, kommen wir eben zum Publikum – mit dieser Devise werden der Assistenz die Fledermausflügel anvertraut und man entert zusammen mit ihr sowie dem Kameramann einen Fahrstuhl runter ins Erdgeschoss, in dem als weiteres absurdes Gimmick wie zufällig eine Ukulele herumliegt, auf der Bohnen ein bisschen zu zupfen beginnt.

Erst jetzt erkenne ich übrigens, wo wir uns die ganze Zeit aufgehalten haben: Im Roten Saal des Braunschweiger Schlosses nämlich, wo ich einst viele schöne Stummfilme von Eisenstein, Murnau und Wiene mit experimenteller Live-Untermalung erleben durfte. Vor dem Schloss breitet sich sinnigerweise der Schlossplatz auf – und auf dem steht wiederum bereits eine blaue Plastikmuschel, (eins dieser muschelförmigen Kinderplanschbecken), die darauf wartet, dass Bohnen in sie hineinsteigt und damit nunmehr den Schritt aus der Selbstisolation der Bühne hin zum gemeinen Straßenvolk unternimmt. Hierfür schält sich die Künstlerin aus ihrem Schneeanzug, unter dem sich die ganze Zeit ein Bodysuit mit Brüsten (nebst enormen Brustwarzen) und per Feigenblatt verschämt verhüllter Vagina befunden hat. Die Assistenz lässt einen Popsong von Madonna über den Platz schallen – (meinen Recherchen zufolge handelt es sich um den Track „Vogue“) –; Bohnen tanzt, in der Muschel stehend und halb umhüllt von einem passenderweise madonnenhaften Umhang, gezielt fremdschaminduzierend und durchaus lasziv; die Passanten bleiben stehen, gucken irritiert, oder fangen an, wie vor allem ein sichtlich amüsierter Herr, der sich dauernd vors Objektiv drängelt, das Spektakel mit ihren Smartphones zu filmen. Die Heilige Caligula-Venus soll es sein, was Bohnen nunmehr Fleisch werden lässt, - wobei ich allerdings einen roten Faden in der Aufeinanderfolge der Zwiebelhäute längst verloren habe. Ein Megaphon hilft Bohnen, nachdem Madonna verklungen ist, noch mehr Flaneure auf ihre Performance hinzuweisen, und auf Englisch über folgende Sachverhalte zu unterrichten: Whole Germany will be Art!; es wird nur noch ein Land geben und dieses soll ART heißen, (von ihr aus auch Coca Cola, denn Namen sind ja sowieso Schall und Rauch); was ihr vorschwebt, sei kein Operettenstaat, sondern ein Opernstaat, in dem die schmerz- und leidvolle Realität konsequent durch die Lügen der Kunst und der Fiktion ersetzt werden sollten, denn: Mauern in der Kunst können viel brutaler sein als in der Wirklichkeit, und trotzdem viel weniger Schaden anrichten. Zuletzt: Art is the Führer!, und mit dem Slogan schließt dieser nunmehr dritte Monolog, der sich gerade angesichts der vorherigen beiden die Kritik gefallen muss, doch ein bisschen viel mit Worthülsen zu jonglieren und reichlich affektiert daherzukommen – zumal sich die Zuschauerschaft dann doch nach kurzer Zeit zumeist wieder ihren Shopping-Touren widmen und von einer wirklichen Interaktion mit dem Publikum, (wie sie möglicherweise angedacht gewesen ist), keine Rede sein kann.

Die Reise Bohnens durch die Braunschweiger Innenstadt endet hier allerdings noch nicht: In die nächste Straßenbahn am Bohlweg wird gesprungen, wobei sich die Deklamationen auf Deutsch fortsetzen: Das, was sie tue, sei nötig, weil die Menschen zu wenig ans Theater glauben; dabei wohne doch jedem Individuum die Möglichkeit inne, die heiligen Tragödien des Himmels zu spielen und Gott zu werden. In der Straßenbahn wird auch wieder das Megaphon ausgepackt und den Mitfahrenden wohl ein gehöriger Schrecken eingejagt, als es auf einmal durchs Abteil dröhnt, dass man Kunst als totale Hingabe ohne Ideologie verstehen müsse, und dass das große Problem des modernen Menschen es sei, dass er immer alles anfassen und immer etwas erleben müsse, dabei könne man doch gerade in der Kunst tatsächlich alles machen, und zwar völlig ohne Bezug zur Realität. Die Realität indes bricht sich Bahn, indem plötzlich eine Truppe Kontrolleure auftaucht und zunächst um die Fahrkarten unseres Trios aus Bohnen, Assistentin und Kameramann bittet, und sie sodann aus dem Off heraus angesichts ihres Aufzugs und ihres Geschreis von der Weiterfahrt ausschließt.(Dass es sich bei den Kontrolleuren um gedungene Schauspieler handeln könnte, habe ich zwar zuerst in Erwägung gezogen, halte ich inzwischen aber für reichlich unwahrscheinlich.) Zum Glück ist der Kulminationspunkt des Films von der Georg-Eckert-Straße, wo man vor die Straßenbahntür gesetzt wird, fußläufig zu erreichen: Der Löwenwall mit seinem prächtigen Obelisken, einst zu Ehren der in den Befreiungskriegen gegen Napoleon gefallenen Herzögen Karl Wilhelm Ferdinand und Friedrich Wilhelm errichtet, soll als Schauplatz des Performance-Finales herhalten. Über die Herzöge allerdings verliert Bohnen auf dem Fußmarsch am Rande des Magniviertels entlang kein Wort. Stattdessen wiederholt sie gebetsmühlenartig, dass das Leben ein einziges großes Spiel sei, ein Kindergeburtstag, bei dem man mit Spielgeld bezahlen müsse. In einem zugleich komischen wie rührenden Moment stimmt sie zusammen mit ihrer Assistentin, (bei der es sich übrigens offenbar um ihre Schwester handelt), außerdem Matthias Claudius‘ Abendlied an.

Weiter geht es auf Stelzen, die Bohnen ein hinzutretender Jüngling neben dem Städtischen Museum umschnallt – wobei ich einmal mehr die Kamera loben muss, die es schafft, uns so wenig wie möglich von dem Vorgang mitbekommen zu lassen, sodass es ziemlich überraschend wirkt, wenn Bohnen, nachdem wir ein paar Momente lang ihr Gesicht in Großaufnahme gesehen zu haben, beim Zurückfahren der Kamera auf einmal um mehrere Meter gewachsen scheint. Als bewege sie sich in einer Zirkusmanege, stakst die erstaunlich sicher auftretende Schauspielerin unter den wachsamen Augen ihrer Helfer dem Löwenwall entgegen. Der Monolog, den sie dabei zum Besten gibt, gehört wiederum zu den interessanteren, die wir in LUNA zu hören bekommen: Erkannt habe ich literarische Versatzstücke erneut aus der Feder von Albert Camus und Judith Schalansky; im Zentrum steht ein inniges Loblied auf den Mond (Luna, sic!), den Bohnen als Objekt erotischer Begierde vom nächtlichen Himmelszeit in ihr Bett hinablockt, wo es zur sexuellen Vereinigung kommt. Ein ähnlich intimer Moment folgt kurz darauf, nachdem Bohnen ihre Stelzen bereits wieder verlassen hat und sich um den Obelisken herum, erneut zu Vivaldi-Klängen, die Seele aus dem Leib getanzt hat: Schaffen oder Nicht-Schaffen, das sei völlig egal!, versichert sie uns, bevor sie sich unter ihr Gewand wie unter ein Zelt zurückzieht, und Souffleuse des Kameramanns spielt. Flüsternd sagt sie ihm vor, welche Fragen er ihr wiederum zu stellen habe: Die große Bühne des Beginns hat sich in einen Mikrokosmos verwandelt, in dem Bohnens Gesicht derart dicht an die Kameralinse herangerückt scheint, dass es nahezu wirkt, als könne kaum noch ein Keil zwischen den Film und mich als rezipierendes Subjekt getrieben werden. Augenzwinkernd ergreifend gestaltet sich indes auch der Abspann, bei dem Kameramann, der Herr der Stelzen und die Assistentin auf einer Parkbank Platz nehmen, und Bohnen eigenhändig ein rotes Tuch – (den sich schließende Bühnenvorhang) – sowie eine Texttafel mit der Aufschrift „Fin“ vors Objekt hält. Man applaudiert sich gegenseitig; man verschnauft; man grinst einander zu, erleichtert darüber, die Perfomance endlich in den Kasten bekommen zu haben – (und ich mag gar nicht wissen, wie viele Anläufe nötig gewesen sind, um all das quasi in einer einzigen Plansequenz zu drehen.)

Kürzlich habe ich mich in einer Kritik über Susanne Heinrichs konsum- und kapitalismuskritischen Feuilletonerfolg DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN echauffiert: Zu emotionslos sei mir ihre Studie neoliberaler Glücksversprechungen gewesen, zu pseudo-intellektuell überladen, zu sehr darauf gebürstet, das Publikum eher zu verschrecken als wirklich in seine Agenda zu involvieren. LUNA könnte man dem MELANCHOLISCHEN MÄDCHEN als direkte Antipodin entgegenstellen: Bohnen hält mit ihren Emotionen nicht hinterm Berg, seien sie nun tatsächlich physisch ausagiert oder sich in (zugebenermaßen stellenweise doch zur Plattitüde tendierenden) Tiraden äußernd; Bohnen rekurriert zwar vor allem auf Camus, und arbeitet abseits von dessen Texten in einer Weise mit Slogans, die die frühen Tocotronic stolz gemacht hätten, doch der überhebliche Belesenheitsgestus, den Heinrich an den Tag legt, sucht man tatsächlich vergebens; nicht zuletzt befleißigt sich LUNA, wie nun schon mehrmals lobend erwähnt, einer Form, bei der zumindest ich nicht anders kann, als mich von der Performance förmlich aufsaugen zu lassen: Die von Max Ranft geführte Kamera könnte lebhafter kaum sein, und bringt es dennoch fertig, sich nie so sehr in den Vordergrund zu spielen, dass Bohnens One-Woman-Show hinter den technischen Skills zurücktreten müsse, sondern prononciert Bohnens Schauspiel vielmehr noch in erheblichem Maße. (Lediglich einen einzigen offensichtlichen Schnitt habe ich bemerkt, und selbst wenn dieser bedeuten sollte, dass LUNA in Wirklichkeit aus mindestens zwei Takes zusammengeschnitten worden ist, wirkt er innerhalb der Performance schon allein deshalb nicht als Störfaktor, weil Bohnen und ihre Mitstreiter ihn explizit thematisieren, und somit quasi zum metareflexiven Bestandteil der eigenen Arbeit machen - was, wenn es sich wirklich um einen Fauxpas handeln sollte, von der intelligenten Spontaneität der Beteiligten zeugen würde.)

Sicherlich kann man einem Performance-Film wie LUNA vorhalten, er posaune seine Thesen, seien sie nun ästhetischer oder tatkräftiger Natur, aus dem berühmten Elfenbeinturm heraus. Was Bohnens Projekt indes zumindest partiell durchaus bravourös meistert, ist, sich einem solchen weltenthobenen Gestus zwar einerseits affirmativ zu verschreiben, ihn aber andererseits genauso oft ironisch zu durchbrechen. Auch das ist freilich etwas, was man zeitgenössischen Auswüchsen der Kunst ankreiden kann: Eine Haltung einzunehmen, die einem Vexierspiegel gleicht, weil nie ganz klar wird, was an ihr nun mit Augenzwinkern zu genießen ist und was bitteren Ernst meint - ein Vorwurf, den ich bei meinem Federnrupfen von DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN zumindest implizit ins Feld geführt habe. Aber den Inhalt von LUNA, - (den ich, wie gesagt, auch gar nicht festnageln könnte: Geht wirklich, wie es an der Oberfläche scheint, um eine Fundamentalkritik an der Schauspielprofession?; geht es vielleicht gar darum, das, was ich der modernen Kunst soeben als Kritik vor die Füße geschmissen habe, anzugreifen?; steht eher die zwar vordergründig verleugnete, aber insgeheim doch tiefempfundene Lust am Rollenspiel im Zentrum der Performance?) - einmal gänzlich beiseitegeschoben: Wie glorreich ist das denn, in Echtzeit einer Plansequenz beizuwohnen, die in einer Theatergarderobe beginnt und auf einer historischen Wallanlage endet, und dabei fast eine Stunde in Anspruch nimmt? Oder bin ich bereits von sich hinter kalter Stasis und ostentativ nach außen gekehrter gelangweilter Attitüde versteckender Inhaltsleere, wie sie DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN, meiner Meinung nach, zelebriert, derart abgestumpft, dass ich mich um jeden Brotkrumen, den man mir hinwirft, einen Veitstanz aufführe? Was soll's: Das war eine vergnügliche Stunde mit einer Handvoll zurückgewonnenem Glaube, die mir LUNA bereitete.

Zu sehen ist das Video in Gänze hier:

https://vimeo.com/426613277
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