David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: David und Zorro

Produktionsland: Österreich 1968

Regie: Ernst Schmidt jr.

Darsteller: Limpe Fuchs, Paul Fuchs, David Fuchs, Zor(r)o Fuchs sowie ein Filmstreifen knusperndes Kätzchen
Nein, DAVID UND ZORRO ist keine Fortführung eines Sandalen- und Mantel/Degen-Hybriden à la Umberto Lenzis ZORRO CONTRO MACISTE…

David und Zorro heißen vielmehr die beiden kleinen Söhne des Pärchens Paul und Limpe Fuchs. Die wiederum leben Ende der 60er auf einem Bauernhof im bayrischen Hinterland, wo der Bildhauer und die ausgebildete Musikerin sich mit Vorliebe in freien Klangimprovisationen ergehen. Zum Einsatz kommen nicht nur ein schepperndes Schlagzeug, ein schiefgestimmtes Klavier, sondern auch ein Instrumentarium an Selbstgebasteltem wie die Fuchsgeige oder die Fuchszither, und natürlich Limpes etwas schrille Stimme, die über dem amorphen Klanggemisch in Phantasiesprache singt, schreit, stöhnt.

Festgehalten hat das gegenkulturelle Landleben der österreichische Experimentalfilmer Ernst Schmidt jr, der im Schicksalsjahr 1968 zu Besuch bei den Füchsen weilt, und dabei das halbstündige Zeitdokument DAVID UND ZORRO verfertigt, das auf der Ton-Ebene aus einer Klangperformance des unter dem Namen „Amina“ firmierenden Duos besteht, und auf der Bild-Ebene aus scheinbar wahllosen Momentaufnahmen, die home-video-gleich die kleine Familie, ihre Freunde, ihre Haustiere wie ein Dackel und ein Kätzchen in (mehr oder weniger) alltäglichen Situationen zeigen: Man turnt auf den Feldern herum; man führt die selbstgezimmerten Instrumente vor; man genehmigt sich zum Abendessen ein paar halbe Hähnchen; man sitzt mit Gästen plaudernd im Hof; zwischendurch spielt man Verkleiden, schminkt sich, zieht sich nackt aus, stülpt sich komische Hüte und Fräcke über, maskiert die eigenen Kinder – eben all das, was man als Aussteiger-Kommune Ende der 60er in der pastoralen Bayernprovinz so den ganzen Tag getan hat.

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Ernst Schmidt wäre freilich nicht Ernst Schmidt, wenn er sein 16mm-Material nicht nachträglich zumindest ein bisschen verfremdet und mit einer künstlerisch-rebellischen Attitüde versehen hätte. Bekanntgeworden ist Schmidt – (wobei „bekannt“ auch in diesem Fall natürlich in äußerst dicke Anführungszeichen gesetzt werden muss) – durch die filmische Aufbereitung von Aktionen der Truppe um Otto Muehl wie BODYBUILDING (1964) oder KUNST UND REVOLUTION (1967) – und zwar zu einer Zeit, als es Mühl und seine Jünger noch nicht für eine gute Idee hielten, nackte Frauen in Kombination mit Schweinedärmen und ihren eigenen Exkrementen in den Kunstkontext zu überführen. Schon dort ist ein wiederkehrendes Stilmittel, dass Schmidt mittels einer rapiden Montage die Realität in winzige Partikel zerteilt, die am Rezipienten vorbeiziehen wie Schüsse aus einer Maschinenpistole. Auch in DAVID UND ZORRO arbeitet Schmidt mit Juxtapositionen, Diskontinuitäten – was aber allein deshalb nicht so sehr ins Gewicht fällt, weil das Setting so herzallerliebst ist. Tatsächlich besitzen die primitiven Spezialeffekte und Tricks in DAVID UND ZORRO eine überaus verspielte Qualität: Als ob sich Schmidt als Kinomagier im Stile Méliès fühlen würde, lässt er mal das Bild rückwärts laufen, sodass sich ein Stapel von Paul Fuchs umgestoßene Metallfässer von alleine wieder auftürmt, oder schneidet so, dass es den Anschein hat, unseren Protagonisten würde in Sekundenschnelle die Garderobe wechseln. Zum Einsatz kommen allerdings auch derart viele delirierende Zooms, wie ich sie jenseits eines Jess-Franco-Films wohl noch nie gesehen habe: Wie oft Schmidt beispielweise - so, als wollten die Stoßbewegungen der Kamera ihn penetrieren - an einen wohl aus Pappe ausgeschnittenen und im Garten der Füchse hängenden Grinsemund heran- und dann wieder zurückzoomt, habe ich aufgehört zu zählen.

Was anstrengend klingt, habe ich indes eher als eigentlich ganz gemütlich empfunden. Ob DAVID UND ZORRO nun wirklich mehr ist als ein interessanter Schlüssellochblick in eine bestimmte Epoche der Mentalitätsgeschichte, wage ich zu bezweifeln. Andererseits kann man den Film aber auch als frühes, (wenn auch reichlich unorthodoxes) Musikvideo verstehen – was jemandem wie mir, der vor vielen Jahren günstig die CD-Ausgabe von „Stürmischer Himmel“, Animas 1971 auf dem Ohr-Label veröffentlichter LP, schoss, schon deshalb zupasskommt, weil mir das rustikale Sound-Chaos, mit denen die Füchse sich tagaus tagein umgeben, weniger in den Ohren schmerzt, sondern meine Gehörgänge vielmehr schmeichelt. Außerdem bietet DAVID UND ZORRO eine der schönsten Szenen, die ich in letzter Zeit in einem Film gesehen habe: Das Hauskätzchen entdeckt einen Filmstreifen, greift mit den Pfötchen danach, beginnt, an ihm herum zu knabbern. Hach, das könnte ich mir den halben Tag anschauen! So putzig kann Guerilla-Filmemachen im erweiterten Umkreis des Wiener Aktionismus sein!

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florianignaz
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Re: David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Beitrag von florianignaz »

Ich bin ganz überrascht, hier auch einen Thread über Ernst Schmidt Jr. vorzufinden. Noch dazu über eine seiner schwer erhältlichen Raritäten.
Wurde dieser Kurzfilm je für eine breitere Masse veröffentlicht? Das mumok Vienna listet ja einen DVD-Transfer als Teil seines Inventars, genauso wie die auch von mir gesuchten DENKWÜRDIGKEITEN EINES NERVENKRANKEN. Nur ob das Einzelstücke sind, oder womöglich Teil einer sehr seltenen Auflage, über die sonst nichts mehr zu finden ist, ist leider unklar.

Jedenfalls ein heute kaum noch erwähnter, aber wirklich interessanter Regisseur von experimentellen Arbeiten. Ich freute mich wie ein Schnitzerl, als vergangenes Jahr sein skurriler Film DIE TOTALE FAMILIE erstmals auf DVD veröffentlicht wurde.
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Salvatore Baccaro
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Re: David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

florianignaz hat geschrieben: Di 5. Okt 2021, 10:03 Wurde dieser Kurzfilm je für eine breitere Masse veröffentlicht?
Das kann ich nicht sagen. Ich hatte ihn jedenfalls seinerzeit im Rahmen eines Filmprogramms an der "Hochschule für Bildende Künste" in Braunschweig gesichtet, (in Verbund mit dem einen oder anderen Otto-Mühl-Kurzfilm, bei denen meinem unmittelbaren Sitznachbar beinahe die Galle überkochte: Wenn Otto Mühl nackt eine Leiter besteigt, unter der eine nackte Frau und ein frischgeschlachtetes Schwein liegen, und sich auf der obersten Sprosse in die Hocke begibt, kann man sich ja ausmalen, was gleich passiert...) Sofern mich meine Erinnerung nicht trügt, dürfte es von DAVID UND ZORRO sogar eine Analogkopie gewesen sein. Etwa zur gleichen Zeit, (vielleicht sogar am selben Abend?) gab sich auch Limpe Fuchs, die ja mit dem Duo "Anima" den furiosen Soundtracks beisteuerte, die Ehre, und legte eine ohrenbetäubende Klangperformance in der Aula hin...
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buxtebrawler
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Re: David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Beitrag von buxtebrawler »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Di 5. Okt 2021, 11:31 Wenn Otto Mühl nackt eine Leiter besteigt, unter der eine nackte Frau und ein frischgeschlachtetes Schwein liegen, und sich auf der obersten Sprosse in die Hocke begibt, kann man sich ja ausmalen, was gleich passiert...)
Otto Mühl hat einen Film gedreht, in dem er auf eine Frau und ins Essen kackt? Handelte es sich um einen Spezialeffekt...? :angst:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Salvatore Baccaro
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Re: David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

buxtebrawler hat geschrieben: Di 5. Okt 2021, 12:01
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Di 5. Okt 2021, 11:31 Wenn Otto Mühl nackt eine Leiter besteigt, unter der eine nackte Frau und ein frischgeschlachtetes Schwein liegen, und sich auf der obersten Sprosse in die Hocke begibt, kann man sich ja ausmalen, was gleich passiert...)
Otto Mühl hat einen Film gedreht, in dem er auf eine Frau und ins Essen kackt? Handelte es sich um einen Spezialeffekt...? :angst:
Bei dem fraglichen Film handelte es sich "nur" um die Film-Dokumentation einer Performance (aka "Materialaktion"), die Ende der 60er unter dem Deckmantel des Vietnamkriegs-Protestes an der HBK Braunschweig stattfand, in der Mühl tatsächlich auf Frau und Schwein schiss, und die nicht nur einen Skandal nach sich zog, sondern letztlich auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief. Aber falls Du auch mal beim Eisberg ganz weit nach unten tauchen möchtest, empfehle ich Mühls Kurzfilme mit sprechenden Titeln wie SCHEISSKERL, SODOMA oder DER GEILE WOTAN... :-|
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Re: David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Beitrag von buxtebrawler »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Di 5. Okt 2021, 12:19 Bei dem fraglichen Film handelte es sich "nur" um die Film-Dokumentation einer Performance (aka "Materialaktion"), die Ende der 60er unter dem Deckmantel des Vietnamkriegs-Protestes an der HBK Braunschweig stattfand, in der Mühl tatsächlich auf Frau und Schwein schiss, und die nicht nur einen Skandal nach sich zog, sondern letztlich auch die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief. Aber falls Du auch mal beim Eisberg ganz weit nach unten tauchen möchtest, empfehle ich Mühls Kurzfilme mit sprechenden Titeln wie SCHEISSKERL, SODOMA oder DER GEILE WOTAN... :-|
Der GG Allin der Arthouse-Szene also, der Herr Mühl...
Auf die Filme bin ich jetzt nicht so erpicht. "6.64 - Mama und Papa" habe ich übrigens von Mühl, fühlte mich dadurch aber nicht unbedingt angefixt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: David und Zorro - Ernst Schmidt jr. (1968)

Beitrag von Dick Cockboner »

buxtebrawler hat geschrieben: Di 5. Okt 2021, 12:35

Der GG Allin der Arthouse-Szene also, der Herr Mühl...
Auf die Filme bin ich jetzt nicht so erpicht. "6.64 - Mama und Papa" habe ich übrigens von Mühl, fühlte mich dadurch aber nicht unbedingt angefixt.
Völlig :offtopic:
:D
Der Vergleich mit GG Allin ist durchaus statthaft, denn in beiden Fällen ist das Erlebnis nur live, das heißt als "Dabeigewesener" wahrhaftig, sich das Ganze später auf Film anzuschauen ist Quatsch mit Sauce. Von Mühl hab ich hier auch noch zwei Aktionen auf VHS, es wird geplärrt, geschissen & "irgendwat mit Tiere"...boring! (Das lustigste ist dann doch als, möglicherweise Mühl himself, auf die eingeblendete "Ende"-Tafel ein kleines Häufchen setzt)
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