Das Wiener Kettensägenmassaker - Martin Nechvatal (1993)

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Salvatore Baccaro
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Das Wiener Kettensägenmassaker - Martin Nechvatal (1993)

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Originaltitel: Das Wiener Kettensägenmassaker

Produktionsland: Österreich 1993

Regie: Martin Nechvatal

Cast: Martin Nechvatal, Martin Tropper, Michael Ettmann, Stefan Schichor, Josip Markovic, Manuela Fitz


Der Wiener Martin Nechvatal ist zarte siebzehn Lenze alt, als er 1993 mit Freunden und Bekannten aus der örtlichen Ministrantengruppe und unter Zuhilfenahme eines Budgets von Null Schilling diese gerade mal sechzehn Minuten umfassende Hommage an Tobe Hoopers Horrorklassiker von 1973 inszeniert – wobei, zumindest laut der IMDB-Trivia-Section, die karge Laufzeit dem Umstand geschuldet sein soll, dass die Videokassette, auf der sich ein Großteil des Originalmaterials befunden hat, während der Post-Production versehentlich überspielt worden ist. Ob die inkohärente Struktur der verbliebenen Viertelstunde nun damit zu tun hat, dass diesem Unglück sämtliche plotrelevanten Szenen zum Opfer fielen, oder ob DAS WIENER KETTENSÄGERMASSAKER auch in seiner ursprünglichen Gestalt eine bloße Nummernrevue von möglichst blutigen Body-Counts gewesen ist, kann ich dementsprechend nicht sagen, - in seiner heute vorliegenden Fassung jedenfalls wirkt der Film, als habe sich jemand wie Andreas Schnaas an TEXAS CHAINSAW MASSACRE vergriffen, um all die alptraumhaften Momente, die im Original ganz ohne explizite Gewaltdarstellung auskommen, mit Kunstblut, Tiereingeweiden und fingierten Kotzfontänen zuzukleistern, wobei es natürlich ein besonderes, ehm „Schmankerl“ darstellt, dass sämtliche Akteure etwa gleichalt wie Nechvatal (oder sogar noch jünger) sind, und wir somit in den Genuss kommen, dabei zusehen zu dürfen, wie halbwüchsige Knaben von einem Wiener Leatherface mit (sichtlich ausgeschalteter) Kettensäge durch die triste Landschaft eines Brachlands im 22. Bezirk gejagt und zu Hackfleisch verarbeitet werden.

Inhaltlich bemüht DAS WIENER KETTENSÄGENMASSAKER dreimal in Folge dieselbe dramaturgische Struktur: Irgendein Bub stolpert durch Hecken und Gebüsch, (beispielweise, weil ihm sein Hündchen namens Pluto entlaufen ist; zuweilen anscheinend aber auch einfach nur, um sich die Beine zu vertreten); bald darauf findet er entweder die Überreste eines vormaligen Opfers des Kettensägenkillers oder dieser heftet sich ihm gleich höchstselbst an die Fersen; nach kurzer Flucht stürzt der jeweilige Knabe über die eigenen Füße und muss es sich gefallen lassen, dass das kreisende (beziehungsweise: eben sichtbar nicht kreisende) Sägeblatt ihm den Bauch öffnet, ihm die Haut vom Gesicht zieht (!), oder ihm die eine oder andere Extremität stiehlt. Variationen gibt es im Grunde nur bei einem kleinen Fulci-Gedächtnismoment, wenn der österreichische Leatherface einem Bübchen vor der Zerhackstückung das Auge in einen rostigen Nagel drückt, oder wenn ein anderer Halbstarker, bevor Leatherface überhaupt irgendwas von sich hat sehen lassen, beim Baumklettern einen falschen Griff tut und sich beim Zu-Boden-Stürzen erhebliche Platzwunden zuzieht. Am Ende gelingt es zwei Jünglingen, dem Schlächter mit ihrem Radl zu entkommen, der wiederum berserkerisch auf einem Erdhügel tobt, weil die verdiente Beute ihm durch die Lappen gegangen ist.

Erwartungsgemäß rangieren die Splatter-Effekte nicht auf hyperprofessionellem Niveau: Deutlich sind in Nahaufnahmen die Puppenköpfe zu erkennen, mit denen Nechvatal operiert, und so manche anatomische Fragwürdigkeit muss man sich freilich ebenfalls gefallen lassen. Andererseits komme ich nicht umhin, doch ein bisschen darüber zu staunen, wie viel Mühe und Sorgfalt die Teenager in ihre Grand-Guignol-Schmoddereien à la blutspeiende Armstümpfe oder platzende Mägen investiert haben – (und vor allem frage ich mich, wie die Minderjährigen dem Metzger ihres Vertrauens die Bestellung von kiloweise Schweine- und Rinderdärmen erklärt haben wollen.) Darstellerisch gibt es nicht viel zu tun und daher auch nicht viel zu erwarten: Schreiend wegrennen, das können Nechvatals Freunde jedenfalls schon ziemlich gut, wenn es auch teilweise noch damit hapert, genuine Panik zum Ausdruck zu bringen. Besonders gefallen hat mir das Sounddesign des Films: Tontechnisch ist DAS WIENER KETTENSÄGENMASSAKER eine atonale Collage aus permanentem Kettensägenlärm, atmosphärischen Synthie-Klängen, eingestreuten Rocksongs, (die, wie mir das Netz verrät, zumindest in einem Fall von der Band „The Ministry“ stammen sollen), und in einer kurzen Szene, in der wir Leatherface in sein privates Schlachthaus begleiten dürfen, hat Nechvatal gar akustisch verfremdetes Hühnergackern verwendet – herrlich.

Interessant ist vielleicht noch eine Anekdote, die Regisseur Nechvatal viele Jahre später in einem VICE-Interview zum Besten gibt: „In den 90ern ist man nicht so einfach an Kameras gekommen wie heute. Aber ich hatte das Glück vom Medienzentrum unterstützt zu werden, was dazu führte, dass der Film bei den Wiener Video- und Filmtagen uraufgeführt wurde - unter Entsetzen des Publikums und mancher Eltern meiner Stars. Meinen miteingeschlossen.“

Ebenso hat die Recherche zu vorliegendem Streifen meinem Wortschatz ein neues Idiom offenkundig sowohl österreichischer wie bayrischer Provenienz hinzugefügt, nämlich "Gstettn" oder "Gstetten", was die (überschaubare) Sekundärliteratur zum WIENER KETTENSÄGENMASSAKER hochdeutsch als "Brachland" übersetzt. Die bayrische Wikipedia erklärt folgerichtig: "A Gstettn oda Gstetten is a Grund, dea wo ned gnuzt bzw. ned bewiatschofted wead."
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