Ein Schuss zuviel - Rafael Romero Marchent (1968)

Helden, Halunken, staubige Dollars, Pferde & Colts

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sid.vicious
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Ein Schuss zuviel - Rafael Romero Marchent (1968)

Beitrag von sid.vicious »

Originaltitel: Dos hombres van a morir
Regisseur: Rafael Romero Marchent
Kamera: Emanuele Di Cola
Musik: Francesco De Masi, Manuel Parada
Drehbuch: Eduardo Manzanos Brochero, Mario Caiano
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Der Sezessionskrieg ist beendet! Die Konföderation hat kapituliert! Aber nicht Bill Anderson, der fortan gemeinsam mit seinen Halsabschneidern marodierend durch Missouri zieht. Der Dixielandterror wirkt sich freilich auf den industriellen Aufschwung aus und Missouri hinkt den anderen Unionsstaaten deutlich hinterher. Um dem Stagnierungsprozess Einhalt zu gebieten beauftragen die Stadtväter die Pinkerton-Agentur, sich der Sache anzunehmen. Kurze Zeit später tauchen zwei Unbekannte in Springfield (?) auf, die für weiteren Ärger sorgen. Handeln die ominösen Fremden im Auftrag von Allan Pinkerton? Oder sind sie zwei blutdurstige Abgesandte von Bill Anderson?

Das Ende des Sezessionskriegs bedeutete das Ende der Verwilderung sowie den einhergehenden Aufbruch. Eroberung und Zivilisierung wurden fortgesetzt, auf das sich Amerika neu schaffen und die frontier weiter ausdehnen konnte. Der Eisenbahnbau boomte und aus den Erdböden schossen neue Städte und Industrien empor. So besagt es jedenfalls die eine Seite der Medaille, denn auf der anderen Seite reflektierte das Ende des Sezessionskriegs ein Weiterregieren der alten Feindschaften und längst nicht das Ende aller Kämpfe. Schließlich wurden viele Konföderierte mit Kriegsende zu heimat- und perspektivlosen Veteranen, die sich nicht den Siegern fügen wollten. Für sie avancierte William Quantrill (in den Balladen gefeiert, in den Lichtspielen meist zum Schweinehund degradiert) zu einem Indikator, um über das Jahr 1865 sowie Quantrills Ableben hinaus einen Kleinkrieg zu führen und im Namen der, inach ihrem Dafürhalten, unbesiegbaren Konföderation zu rauben und zu morden. Um die Rekrutierungschancen zu maximieren und harte Dollars in Aussicht zu stellen, kreierte Fletcher Taylor, in dessen Abteilung auch Jesse James ritt, den Schlachtruf „Join Quantrill and rob the banks“.

Rafael Romero Marchent orientierte sich lose an den umrissenen historischen Fakten und konstruierte jene Outlaws, die in seinem 1968er Western-Vehikel („Ein Schuss zuviel“) ihr Unwesen treiben. Die Gestaltung ihres Anführers, Bill Anderson, ist allerdings weniger an William Quantrill angelegt als wesentlich eher an William T. Anderson, besser bekannt als Bloody Bill. Da der Partisanenführer (Bloody Bill) jedoch während des Sezessionskriegs in die Ewigen Jagdgründe einmarschierte, und die Handlung des Films nach den kolossalen Gefechten (zwischen 1861 und 1865) spielt, sollte jedem klar sein, dass es sich um eine rudimentäre Personenzeichnung handelt.

Von einer annähernd einschläfernden Musikkomposition begleitet treten wir in Marchents Westernvehikel ein und lassen unser Auge von einer sehenswerten Landschaftsfotografie verwöhnen. Wir sind im Nachkriegs-Missouri angelangt und müssen feststellen, dass die Luft von Blei durchzogen und der Erdboden mit Blut getränkt ist, denn Bill Anderson und seine Rebellen piesacken das Land mit ihrem unbarmherzigen Habitus, da sie die Niederlage der Konföderation nicht akzeptieren. Auch manch pfiffiger Geschäftsmann wie beispielshalber Major Corbett hat seine Probleme mit dem Sieg des Nordens. Schließlich waren die Geschäfte im Süden einst wesentlich ergiebiger und niemand besaß die Vorstellung, dass Schwarze genauso viel wert seien wie Weiße. Und wer (wie Corbetts Tochter Lucy) nicht mit dieser Meinung konform geht, der hat (lt. Corbett) wahrscheinlich zu intensiv Harriet Beecher Stowes literarische Auflehnung gegen die Sklaverei „Onkel Toms Hütte“ (allein der Besitz des Buchs wurde in den Südstaaten als äußerst heikel etikettiert, da Tom keinen Aufrührer, sondern das bemitleidenswerte Opfer darstellt, über dessen Schicksal selbst mancher Rassist eine Träne vergießen konnte und kann) gelesen.

Ungeachtet dieses süffisanten Einwurfs findet dass Thema Sklaverei keine weitere Erwähnung, sodass sich die zentrale Filmposition über Bill und seine „Aasgeier“ definiert. Die(se) Gesetzlosen werden mittels eines inneren Ansporns (dem Überlebenstrieb) zur Bewegung in Form von Raubzügen gezwungen. Ihre praktizierten Straftaten provozieren freilich ein stetiges Eskalieren der äußeren (ihre Existenz bedrohenden) Einflüsse, sodass die Outlaws wiederum zur topografischen Bewegung (die Bewegung als Flucht) gezwungen werden. Überdies bietet der Ort Missouri, an dem Aufbruch, Zivilisierung und der restliche Pipapo zur inflationären Ausbreitung ansetzen, eh keinen Platz für gesetzlose Kriegsveteranen! Keinen Platz für den gesellschaftlichen Abschaum! Folglich schwärmt Bill von einem Land, in dem es noch keine Landwege, keine Eisenbahn und keine Pinkertonspione gibt. Ein (noch!) zivilisationsfreies Areal, das irgendwo im Westen liegt. Die Wahl jener umrissenen Zielrichtung lässt sich wohlmöglich damit begründen, dass beispielsweise Nebraska, Montana, Wyoming und Utah nach Ende des Sezessionskriegs (1865) nicht als Bundesstaaten firmierten und somit den Outlaws ein interessantes Einsatzgebiet offerierten. Der Simmel würde diesen Sachverhalt wahrscheinlich mit: „Es muss nicht immer Mexiko sein“ umschreiben.

Um die Figuren und Charaktere (die später für mehr oder weniger überraschende Wendungen sorgen) vorzustellen, benötigt die Expositionsphase bereits ein Drittel der Filmspielzeit. Währenddessen stechen die außerhalb der Bande stehenden Figuren: Captain Blythe, ein ehemaliger Yankee-Offizier, Daniel G. Samuelson, ein Kopfgeldjäger, der sich als Geschäftsmann ausgibt, sowie das Bandenmitglied Kid, der divergierend zu seinen Kollegen Skrupel annimmt und zum Zweifler wird, besonders hervor. Das Spannende an diesen Personen ist, dass ihre wahren Identitäten sowie ihre Beziehung untereinander stets in der Schwebe bleiben, was manch Roten Hering behände um den Angelköder des Petrijüngers schlängeln lässt. Dieses Spiel zeigt sich als ein wichtiger Bestandteil des Films, da wilde Schießereien in Marchents Western eher sekundär geprägt sind. Die unmittelbare Wirkung der bleiernen Boten des Todes wird halt nicht immer visualisiert, sodass eine an das Massaker von Centralia angelehnte Tötungsarie nur auf der Metaebene abläuft.

Fazit: Wenn sich Quantrill und der Blutige Bill zu einem Tässchen Muckefuck in der vegetationsarmen Prärie treffen, dann schauen gar die Geister von Frank, Jesse, Cole und Billy the Kid vorbei, um anschließend gemeinsam mit ihren Gastgebern ein Kapitel der amerikanischen Geschichte zu illustrieren, welches nicht wirklich mit den historischen Fakten konform geht. Darüber kann, sollte, müsste jedoch jeder halbwegs erfahrene Wohnzimmer-Pistolero easy und entspannt hinwegsehen, denn ungeachtet dieser Lappalie macht Marchents 68er IW, der mit einer guten Landschaftsfotografie sowie einem ebenso gut agierenden Piero Lulli punkten kann, unter dem Strich einen besseren Eindruck, als es ihm sein doch eher bescheidener Ruf nachsagt.
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Maulwurf
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Re: Ein Schuss zuviel - Rafael Romero Marchent (1968)

Beitrag von Maulwurf »

 
Ein Schuss zuviel
Dos hombres van a morir / Ringo, il cavaliere solitario
Spanien / Italien 1968
Regie: Rafael Romero Marchent
Peter Martell, Piero Lulli, Dyanik Zurakowska, Paolo Herzl, Armando Calvo, Jesús Puente, José Jaspe, Giuseppe Fortis, Antonio Pica, Ángel Menéndez, Guillermo Méndez, Frank Braña, Alfonso Rojas, Luis Barboo, Miguel del Castillo, Jesús Tordesillas


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Die Bande von Bill Anderson, eine herabgekommene Truppe einstiger konföderierter Soldaten, terrorisiert das Städtchen Springfield in Missouri. Dem Richter der Stadt geht das irgendwann zu weit, und er organisiert Hilfe von der Detektei Pinkerton. Kurz darauf kommen zwei Fremde in die Stadt: Daniel G. Samuelson behauptet, dass er auf dem Weg nach Westen sei um Gold zu schürfen (oder richtiger: Welches zu organisieren), und Ringo legt sich mit allem und jedem an, rettet mal eben zwei Geiseln der Anderson-Bande vor dem Tod, und macht ansonsten ein großes Geheimnis aus seiner Person. Die beiden Männer raufen sich zusammen, um der Bande endlich den Garaus zu machen. Die unterschiedlichen Motive machen dabei gar nichts, Hauptsache man kann den Banditen endlich das Handwerk legen.
Die allerdings haben sich mittlerweile nach Colorado abgesetzt. Unterwegs trifft die Bande auf eine Gruppe Mormonen, woraufhin die Gangster dann, weil Bill Anderson gar nicht so dumm ist, fortan als Mormonen unterwegs sind, und die Ranch, die sich die gottesfürchtigen Männer zu Lebzeiten gekauft hatten, auch gleich in Besitz nimmt, um von dort aus Raubzüge zu unternehmen. Doch die wackeren Kämpfer Dan und Ringo sind schon unterwegs …

Schlecht ist EIN SCHUSS ZUVIEL ja eigentlich(!) nicht, bietet er doch auf der Habenseite einige wirkliche starke Actionszenen, harte Prügeleien, Dynaik Zurakowska in einer völlig verschenkten Rolle und, selten genug zu sehen, Piero Lulli als Good Guy. Die Musik geht gut ins Ohr, die Landschaft reizt zum Mitraten aus welchen Filmen man diese Kulissen bereits kennt, und man kann anderthalb Stunden auch bedeutend schlechter verbringen. Aber ach, das waren ja nur die guten Seiten des Films, da hat es leider auch noch den ein oder anderen Kritikpunkt. Die sauberen und wie frisch gewaschenen Charaktere, klar und sofort erkennbar in Gut und Schlecht aufgeteilt zum Beispiel. Außer einem gewissen Michael, der hier Kid genannt wird (oder vielleicht Kitt? Was ja gut zu Michael passen würde? Ach nee, falsche Baustelle), der sich zumindest eine Zeitlang eine gewisse Ambivalenz erhalten kann, außer diesem Michael Kid sind alle Figuren so platt und schablonenhaft wie in den amerikanischen Western vor 1940. Gerade dass die Guten nicht auch noch weiße Hüte aufhaben. Aber die zweifelhaften Charaktere und moralisch verkommenen Anti-Helden des gängigen Italo-Westerns des Jahres 1968 werden hier nicht einmal ansatzweise getroffen.
Da wäre aber auch die spannungsarme und vorhersehbar ablaufende Geschichte, die in ihrer ganzen Anlage ebenfalls in die Filmjahre vor 1940 verlegt werden könnte. Bis auf den Schluss gibt es keine Überraschungen, keine Twists, keine Volten, und die Narration ist so flach wie das Grasland in den Great Plains. Hübsch anzuschauen, aber eben unaufregend. Vielleicht könnte man sich über den ein oder anderen völlig unerheblichen Nebenplot aufregen, damit wenigstens ein klein wenig Adrenalin verströmt wird – So ist etwa die Geschichte um die hübsche Lucy, Michaels Freundin, vollkommen zweckbefreit, und generiert nur unnötige Laufzeit. Der Bösewicht, der sowohl in der Stadt als auch bei der Bande auf zwei Hochzeiten tanzt, ist so schnell identifiziert als hätte er ein Schild um, und auch seine Geschichte versandet irgendwann. Von der Nebenfigur Michael Kid dann ganz zu schweigen, der nebulös und unscharf eine interessante Storyline antäuscht, nur um dann im Staub der Prärie vergessen zu werden, genauso wie der Plot um die Detektei Pinkerton, der zu Beginn auf das Interessanteste angetäuscht wird, ab einem bestimmten Zeitpunkt dann aber einfach nicht mehr auftaucht.

Der Western, vor allem der Italo-Western, glänzt oft durch seine ikonischen Bilder. EIN SCHUSS ZUVIEL allerdings nicht. Es gibt diesen Moment, wenn die Bande die Mormonen massakriert, und nur Kid nicht mitmacht, weil er so ein Sensibelchen ist. Die Szene beginnt sehr stark mit dem Gesicht Kids zu den tödlichen Schüssen. Aber leider nur ein oder zwei Sekunden, danach wechselt der Schnitt auf die Colts und der großartige Moment des Grauens vergeht so spurlos wie ein Kojotenruf in der Nacht. Auch sonst gibt sich Kameramann Emanuele Di Cola sehr viel Mühe, die Landschaft rund um Almería so unauffällig wie möglich darzustellen, und überhaupt bloß keine Extravaganzen zuzulassen. Die Kameraführung ist ungefähr genauso langweilig wie die Figuren oder die Geschichte …

Klingt jetzt alles nicht so prickelnd, und das ist es auch nicht. Die positiven Aspekte habe ich angeführt, und an denen hängt man sich dann halt auf. Aber ehrlich gesagt gibt es selbst bei den Western aus der dritten Reihe ansprechendere Arbeiten. Für einen Western von Rafael Romero Marchent auf jeden Fall steckt hier deutlich zu wenig Herzblut und Sorgfalt drin.

5/10
Der Sieg des Kapitalismus ist die endgültige Niederlage des Lebens.
(Bert Rebhandl)
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