Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Grusel & Gothic, Kannibalen, Zombies & Gore

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 8906
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von karlAbundzu »

Endlich auch diesen Film der Fulci Reihe "Insel, Seil, Stadt, Haus" auf großer Leinwand und bei dreien auf 35mm. Und Fulci gewinnt ja sowas von im Gegensatz zur schraddeligen Kopiekopie auf VHS.
Hier ein Geisterfilm. Ein Reporter und ein widererwcktes Medium kommen in eine Stadt, die seit dem Selbstmord des Pfarrers mit Unheil belegt ist.
Was der Fulci hier zusammenschmeißt, Verweise: Lovecraft, Southern Gothic, Rosemaries Baby. Und was für einen Rausch er daraus zusammenbastelt, mit allerlei angerissenen Themen: Das Außenseitertum, die Stadt vs. Dorf Problematik... Aber trotz allem und zuvorderst ein ganz toller Horrorfilm, der erschreckend ist, spannend, mitreißend und eklig.
Klar, über die eine oder andere Szene kann man den Vorwurf der Selbstzweckhaftigkeit (Bohrer!) loslassen, und Logik ist auch nicht immer vorhanden. Aber wie gut das alles ist und wie atmosphärisch das von der Leinwand in unsren Kopf plumpst, ist hervorragend, großes Kino. Toll! Allein über die Figur des Bob und der Mary Woodhouse läßt sich lange nachdenken.
Hier fehlten wohl ein paar Handlungsszenen, was insbesondere bei zwei Figuren ein wenig schade ist, aber ansonsten eine brauchbare Kopie.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Benutzeravatar
Onkel Joe
Forum Admin
Beiträge: 17972
Registriert: Sa 28. Nov 2009, 08:40

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von Onkel Joe »

Bild

Aus einer Cinema Zeitschrift.
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
Benutzeravatar
fritzcarraldo
Beiträge: 3260
Registriert: Sa 22. Okt 2016, 22:39
Wohnort: Bremen
Kontaktdaten:

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von fritzcarraldo »

Ein Zombie hing am Glockenseil
Deliria över Nürnberg.
35mm.
Mittlerweile zum 4. Mal gesehen. Zweimal davon sogar auf 35 mm.
Und er gewinnt dabei jedesmal. Wobei er nicht meinen liebsten Zombie-Fulci GEISTERSTADT DER ZOMBIES vom Thron stoßen kann Dieser bleibt in seiner Endzeit-Atmosphäre einfach unerreicht. Aber das nur am Rande.
GLOCKENSEIL geht dabei aber schon klar in dieselbe Richtung. Das Aufheben jeglicher Logik. Unlogisches logisch machen. Das Städtchen Dunwich ist wahrscheinlich Lovecraft entliehen und auch sogar das "antike Salem" wird benannt. Und auch eine gewisse Mrs. Woodhouse taucht auf. Die Woodhouses gab es ja auch schon in Rosemarys Baby. Zufall? Wer weiß. Und warum hat der Psychiater dieses schöne Dämonenbild an der Wand hängen?
Dazu wirken alle Menschen im Städtchen seltsam entrückt. Bei Gefahr ist man zwar entsetzt, aber anscheinend der Schockstarre verfallen, denn niemand kann vor den "Zombies" flüchten. Und wenn ganze Wände einreißen, nimmt man dies fast achselzuckend zu Kenntnis. Dunwich ist schon dem Tor der Hölle verfallen so scheint es. Fast lethargisch nehmen die Einwohner ihr Schicksal hin.
Und alles wird untermalt vom Fabio Frizzis Fabel-Score, der einem das letzte Blut in den Eingeweiden vibrieren lässt. Wenn diese sich denn noch an Ort und Stelle befinden.
"Das Leben ist noch verrückter als Scheiße!" (Joe Minaldi -Burt Young- Es war einmal in Amerika)

"J&B straight and a Corona!"
(Patrick Bateman, American Psycho)

https://www.latenight-der-fussball-talk.de
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 2992
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Mein persönliches Fundstück des Forentreffens:

Nie zuvor ist mir das Gemälde aufgefallen, an dem Janet Agrens Charakter Sandra in einer Szene von Fulcis PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI herumpinselt: Ein gigantischer Rhinozeros-Kopf, der, einem Felsmassiv gleich, rumpflos über einer Küstenlandschaft schwebt, der Blick leicht irre, unter sich die über den Sand hinwegrollenden Ozeanwellen. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn Fulci (oder wer auch immer die Idee dazu hatte, Agrens Figur ausgerechnet dieses Bild unterzujubeln) sich mit dem bizarren Kunstwerk nicht auf ein Gemälde des belgischen Surrealisten René Magritte beziehen würde, nämlich sein 1959 entstandenes "Château des Pyrénées": Statt eines Nashornhauptes ist es dort ein ebenso grauer, von einer Steinburg gekrönter Felsblock, der über der schäumenden See in der Luft hängt. Die Analogien zwischen Magrittes und Sandras Bild enden jedoch nicht bei einer ähnlichen Farbpalette, einer ähnlichen Szenerie, der Kongruenz zwischen robustem Rhino-Kopf und steinernem Pyrenäenschloss. Beziehen soll sich der Titel "Le Château des Pyrénées" zunächst einmal auf die französische Redewendung vom "châteaux en Espagne", die im im Französischen abstruse, jedweder menschlichen Vernunft spottende, das Unmögliche wahrmachende Träume bezeichnen, (im Deutschen etwa mit "Luftschlössern" vergleichbar), - also genau die Dinge, die uns Fulcis Splatterfilme der frühen 80er mit ihrer wüsten Traumlogik permanent vor Augen führen. Des Weiteren bezieht sich Magritte mit dem Motiv der hermetisch von der Außenwelt abgeschirmten, quasi über der ordinären Alltagswelt dahingleitenden, vehement uneinnehmbaren Burgfeste deutlich auf eins der Steckenpferde des französischen Surrealismus: Die Gothic Novel um 1800, und vor allem Romane wie Ann Radcliffes "Mysteries of Udolpho" (1794) oder Matthew Gregory Lewis' "The Monk" (1796), beschäftigen die Gruppe um André Breton seit jeher: Breton selbst gießt über Lewis' "Mönch" das höchste Lob im "Ersten Manifest des Surrealismus" von 1924; Antonin Artaud, auf den sich Fulci in einem Interview mit dem Fanzine "L'Ecran fantastique" 1981 enthusiastisch bezieht, besorgt 1931 eine freie Übersetzung des "Mönchs" ins Französische; Max Ernst wiederum rezipiert in seinen Collageromanen wie "Une Semaine de bonté" (1934) mit ihren schnurrbärtigen Patriarchen, hysterischen Frauen, unterdrückter Sexualitäten das Motivarsenal des gotischen Romans genauso stark wie der tschechische Surrealist Vítězslav Nezval in seinem 1935 verfassten, jedoch erst 1945 publizierten "Schauerroman" "Valerie a týden divů". Neil Matheson schreibt in seiner luziden Studie "Surrealism and the Gothic" zu den "Castles of the Interior" des Surrealismus über den Konnex zwischen Magrittes Gemälde und der Gothic Novel: "If, as Breton claims then, the human psyche discovers in the Gothic castle such a precise ‘point of fixation’ that we should seek its contemporary equivalent, we should first consider why the castle should have such a powerful resonance for surrealism and the various ways in which it has found expression within surrealist art and writing. The primary function of any castle was to provide defence against assault or invasion, hence its association with security and protective retreat, whether physical or psychic, while in another direction the castle is associated with fairy-tale and the magical. But it also signifies that which endures – the continuation of the past in the present, or the return of some haunting remnant of the past. In his Château des Pyrénées (1959), René Magritte conjures up the very image of
impregnability, the ideal to which all castles aspire – an utterly unassailable bastion, carved from a single, vast and craggy rock, hovering impossibly
above a choppy sea, yet paradoxically set against an untroubled sky. Magritte’s title plays on the French idiom ‘bâtir des châteaux en Espagne’, or its English equivalent ‘castles in the air’, hence the defiance by Magritte’s castle of the laws of gravity, hovering above the earth like some Platonic ideal of the type ‘castle’. The title also references Les visions du château des Pyrénées (1809), a gothic novel wrongly attributed in translation to Ann Radcliffe. Painted on commission for Harry Torczyner, Magritte wrote to him that: Castle in the Pyrenees is a romantic ‘Gothic’ novel which has the charm and the faults of a rather extravagant literary school. You may be disappointed by the book when you read it, but delighted by the atmosphere it conjures up. Magritte conceived the hovering rock as a kind of spectral remnant of the old order, informing Torczyner that: ‘this apparition will leave the Old World for the New. Your office will be haunted by it'. Part of a series of images on the theme of ‘petrification’ – again a form of preservation of the past – Magritte’s composition also suggests the relationship of the conscious to the unconscious mind, where consciousness, figured in the castle, constitutes only the ‘tip of the iceberg’, below which lurks the vast, unformed mass of the unconscious. Such a psychic model is similarly articulated by Peter Brooks, who observes that: ‘The Gothic castle, with its pinnacles and dungeons, crenellations, moats … realised an architectural approximation of the Freudian model of the mind’." Gewiss, in PAURA NELLA CITTÁ DEI MORTI VIVENTI mag kein Gothic-Kastell vorkommen, gerade jedoch das Finale in den Katakomben, wo verwesende Leichen von den Decken baumeln, wo feiste Ratten einem ins Gesicht springen, wo sich unterirdische Gänge labyrinthisch verästeln, atmet unverhohlen den Spriti gotischen Grusels und veranschaulicht ziemlich genau das, was Matheson in seiner Kurzanalyse von Magrittes Bild andeutet: Dass die architektionischen Bauten im Schauerroman dazu dienen, Verdrängtes, Unbewusstes, Ungewolltes im wahrsten Wortsinne in Stein zu gießen, während unter diesen weithin sichtbaren Monumenten Tiefenschichten lauern, in denen es nur so vor wimmelt von dem, was es bislang nicht geschafft hat, in irgendeiner Form fixiert zu werden.

the-castle-of-the-pyrenees.jpg
the-castle-of-the-pyrenees.jpg (88.62 KiB) 405 mal betrachtet
fulci-city-of-the-living-dead-rhino-painting.png
fulci-city-of-the-living-dead-rhino-painting.png (564.3 KiB) 405 mal betrachtet
Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 8906
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von karlAbundzu »

Das Nashorn fiel mir diesmal auch ins Auge, da ich vorher im Germanischen National Museum eine kleine Sonderausstellung zum Thema frühe Darstellungen eben dieses Tieres ging. Biblische Themen und die tragische Reise von Clara waren im Mittelpunkt. Auch das in der Vorstellung Mitteleuropäer Rhinozerosse und Elefanten sich heftigste Kämpfe lieferten, fand ich erstaunlich.
Wirkliche Bezüge zu Fulci fand ich nicht, aber dieser Zufall war schon bemerkenswert.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 2992
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI (Lucio Fulci, 1980)
Wenn sich Lucio Fulci in einem Interview mit dem Fanzine „L‘Écran fantastique“ bezüglich L’ALDILÀ auf den französischen Schriftsteller und Schauspieler Antonin Artaud und sein „Theater der Grausamkeit“ bezieht und behauptet, er habe mit seinen Splatter-Streifen der frühen 80er ganz bewusst Vertreter eines „Cinéma absolu“ schaffen wollen, ist das natürlich ziemlich hochgestapelt: Weder kaufe ich Dottore Fulci ab, dass er, wie er behauptet, Artaud kurz vor seinem Tode persönlich getroffen habe, noch stimmt es, dass, wie er ebenfalls erklärt, all seine Filme eine „Hommage an Artauds Konzept“ seien – und von einem wirklich „Absoluten Kino“ unterscheidet Werke wie L’ALDILÀ oder eben PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI natürlich, dass die Filme, trotz aller inhaltlicher Inkohärenz, immerhin noch mehr oder minder benennbare Handlungsstränge und Figuren besitzen, auch wenn das Zusammenspiel all dieser Handlungsstränge und Figuren keinen logischen Sinn im klassischen Sinne ergibt. Dennoch muss ich nach meiner Erstsichtung des Glockenseilzombies auf der Großleinwand weiterhin konstatieren: Gewaschen mit allen möglichen Avantgarde-Sensibilitäten schafft es Fulci tatsächlich, einen Film zu drehen, der an der Oberfläche zwar eine Horror-Trope nach der andern abklappert – Gothic-Grüfte; Begräbnisse Lebender; zombieähnliche Geistwesen; Priester, die Höllenpforten per Suizid eröffnen – und eine Handvoll abjekter Entgleisungen ins Feld wirft – ein Hagel echter Leichenwürmer; Damen, die ihre Eingeweide erbrechen; menschliche Köpfe, die in Matsch verwandelt werden; Bohrer, die in Schläfen vordringen -, jedoch zumindest auf der Montageebene eine mehr oder weniger zufällige Kombination mehr oder weniger zufälliger Ereignisse darstellt. Selbst in ruhigen Szenen irritiert der Film ungemein, nähert sich immer nur einem intelligiblen Zugriff, um sich ihm dann wieder sogleich zu entziehen. Vollends überzeugt von Fulcis Affinität für surrealistische Kombinationstechniken à la Lautréamonts berühmtem Diktum von der Zufallsbegegnung zwischen Nähmaschine und Regenschirm auf einem Seziertisch hat mich ein Detail, das mir bislang völlig entgangen ist: In einer Szene malt die Figur Janet Agrens an einem Gemälde; eine flüchtige Einstellung zeigt uns den Inhalt der Leinwand: Ein gigantischer Nashornkopf, der rumpflos über einer Strandszenerie zu schweben scheint, und auf den ersten Blick wie ein massiver Felsblock wirkt. Ich würde meine Jochen-Taubert-Box darauf verwetten, dass Fulci das 1959 entstandene Gemälde „Le Château des Pyrénées“ des belgischen Surrealisten René Magritte gekannt hat, und dass es ihm Modell für sein Rhinozeros-Haupt stand, - zumal Magritte, wie beispielweise Neil Matheson in seiner fundierten Analyse „Surrealism and the Gothic. Castles of the Interior“ (erschienen bei Routledge 2020) schön herausstellt, mit seinem Bild durchaus auf (Pyrenäen)schlösser der Gothic Novel des 18. und 19. Jahrhundert anspielen wollte, der ja auch Fulci im Finale von PAURA seine Reverenz erweist. Einmal ganz abgesehen davon birgt das Nashorngemälde das Montageprinzip des Films in der Nussschale: Da werden Dinge kombiniert, die gemäß menschlicher Logik erst einmal nicht zusammengehören. In den Worten entrüsteter Eltern: „Völlig sinnlos! Sowas Sinnloses! Ein reines Verbrechen, sowas auszuhecken, ohne Geist, ohne Verstand, nur Zerstörung, nur Schlimmes, Grauenvolles!“ In den Worten eines entzückten Salvatores: Welch Glück, dies Meisterwerk endlich einmal auf 35mm besehen zu haben!
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 2992
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Das nun mehrfach live und virtuell erwähnte Interview, in dem Fulci sich zum Artaud-Adepten hochstilisiert, wurde 1981 von Robert Schlockoff für das französische Fanzine "L'Écran fantastique" aus Anlass von Fulcis aktuellem Film L'ALDILÁ geführt und unter dem "Entretien avec Lucio Fulci” veröffentlicht. Eine englische Übersetzung der fraglichen Passage hat Roberto Curti für den dritten Band seiner Geschichte des "Italian Gothic Horror Films" besorgt, (erschienen 2019 bei McFarland; das Zitat ist zu finden auf Seite 65): "To me, it’s an absolute Artaudian film. I personally met Antonin Artaud, he looked at me with his crazy eyes, 30 years ago. My idea was to make an absolute film, with all the horrors of the world. It’s a film without a story: a house, some people and the dead returning from the beyond, there is no logic inside the movie, which is just a series of images… . I had studied Artaud a lot before he became trendy again in Italy: L’aldilà, like most of those I made, is a homage to Artaud’s concept, besides, horror becomes such when one is aware of it, which justifies the presence of atrocious scenes in my film. The viewer is always aware of the horror of these images, this to reply to those people who speak of gratuitousness regarding my movies. There is always a value judgement in my films about such horror, since the viewer is always terrified, thus always in reaction against the very existence of these crimes."
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38557
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von buxtebrawler »

„Ich sehe ein… Glockenseil!“

Nachdem der italienische Regisseur Lucio Fulci nach Komödien, Western und Gialli mit der inoffiziellen „Dawn of the Dead“-Fortsetzung „Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies“ das Horrorgenre für sich entdeckt hatte, folgte im Jahre 1980 in diesem Film mit dem blumigen (und etwas albern klingenden) deutschen Titel „Ein Zombie hing am Glockenseil“ der Auftakt seiner losen „Gates of Hell“-Trilogie. Durch seine exemplarische Hervorhebung in der Anti-Horrorfilm-TV-Dokumentation „Mama, Papa, Zombie“ avancierte „Paura nella città dei morti viventi“ (so der Originaltitel) zu einem der berüchtigsten, aber auch populärsten und beliebtesten Opfer bundesdeutscher Kunstzensur: Nach der Ausstrahlung jener Dokumentation wurde Fulcis Film zunächst indiziert und später gar nach § 131 aufgrund seiner Gewaltdarstellung beschlagnahmt.

„Ich sehe Leichen! Eine Stadt voller Leichen!“

Das Medium Mary (Catriona MacColl, „Über dem Jenseits“) sieht während einer Séance in New York, wie Pater Thomas (Fabrizio Jovine, „Ein Mann auf den Knien“), der Priester des weit entfernt gelegenen, auf keiner Karte verzeichneten Dorfs Dunwich, sich an einem Glockenseil erhängt. Wie im Buch Henoch beschrieben, öffnet er damit eines der Portale zur Hölle. Mary erleidet daraufhin eine Katalepsie, wird für tot gehalten und in einem Sarg bestattet. Gerade noch rechtzeitig wird der Journalist Peter (Christopher George, „Grizzly“) auf sie aufmerksam und kann sie befreien. Gemeinsam reisen sie nach Dunwich, das sich als das ehemalige Hexen-Dorado Salem entpuppt. Vor Ort geht es tatsächlich nicht mit rechten Dingen zu: Tote kehren als geisterhafte Zombies zurück und an Allerseelen soll es für alle zu spät sein. Viel Zeit bleibt Peter und Mary nicht mehr, um zusammen mit dem einheimischen Gerry (Carlo De Mejo, „Der Pfaffenspiegel“) das Grab des Priesters zu finden und zu versuchen, dem Schrecken Einhalt zu gebieten…

„Vielleicht hat ein Flugzeug die Schallmauer durchbrochen…“

Nach einem herrlich morbiden Auftakt mit der Séance und dem titelgebenden Suizid wird aus dem angeblich über 4.000 Jahre alten Buch Henoch zitiert und fortan zunächst zwischen zwei Handlungsorten und Erzählsträngen changiert: New York und Dunwich. Während in New York Peter auf Mary durch ihren vermeintlichen Tod während einer spiritistischen Sitzung aufmerksam wird und Fulci eine perfekte, klaustrophobische Lebendig-begraben-Szene umsetzt, in deren Zuge Peter an zwei gewerkschaftlich organisierte Totengräber gerät und daher selbst zu Schaufel und Spitzhacke greifen muss, geht es in Dunwich bereits wesentlich höher her. Gebäude erhalten geheimnisvolle Mauerrisse, Pater Thomas spukt umher, eine junge Frau erbricht ihre Eingeweide. Beide Handlungsebenen werden zusammengeführt, als es Peter und Mary gelingt, den Ort ausfindig zu finden, nachdem ihnen ein Medium geraten hat, dort das Tor zur Hölle noch vor Allerseelen zu schließen.

In Dunwich wird zumindest in der deutschen Synchronisation viel Unfug geplappert, werden irre Behauptungen aufgestellt, die keiner Überprüfung standhalten – möglicherweise handelt es sich dabei ebenfalls bereits um Vorboten der Apokalypse, einer Vorstufe zur Zombifizierung. Wesentlich härter gehen dann die Zombies zu Werke, die mit Vorliebe derart brutal nach den Skalps ihrer Opfer grabschen, dass sie dabei gleich ein Stück Hirnmasse mitrupfen. Dieser Brutalität in nichts nach steht wiederum ein noch nicht zombifizierter Dorfbewohner, der den zurückgebliebenen Dorfperversling Bob (Giovanni Lombardo Radice, „Asphalt-Kannibalen“) für die vielen Todesfälle verantwortlich macht, sich kurzerhand zu Ankläger, Richter und Vollstrecker in Personalunion erklärt und Bob sadistisch hinrichtet, indem er ihm bei lebendigem Leibe eine fetten Bohrer durch die Schläfen jagt, bis er auf der anderen Seite wieder herauskommt. Selbstzweckhaftes Gesplatter? Vielmehr eine Parabel auf und Kritik am provinziellen latenten Faschismus. So zumindest wollte Fulci die Sequenz verstanden wissen, was durchaus nachvollziehbar erscheint. Als Dr. Joe Thompson gönnt sich Fulci einen kurzen Cameo.

Geisterzombies als Unheilbringer und Apostel des Untergangs, eine Welt am Abgrund. Das zumindest namentlich Lovecraft entlehnte Örtchen Dunwich wirkt wie aus der Zeit gefallen und verleiht dem Treiben einen Gothic-Horror-Touch. Die Suspense-Szenen sind von hoher Qualität; die Kamera zoomt italotypisch auf Augen- und Mundpartien, fängt aber auch Gianetto de Rossis fantastische, schmodderige, ekelhafte Spezialeffekte ohne falsche Scheu ein, während ein grandioser Soundtrack Fabio Frizzis das modrige Treiben musikalisch unterlegt. MacColl und George sind in ihrer Gegensätzlichkeit ein interessantes Duo, ihre Rollen (und somit auch das Publikum) sehen sich einer schaurig bedrückenden, morbiden Atmosphäre ausgeliefert, die neben den expliziten Spezialeffekten eines der großen Pfunde des Films darstellt. Seltsam oberflächlich und entmenschlicht wirkt indes die Interaktion anderer Figuren miteinander.

Für Handlungsfetischistinnen und -fetischisten ist „Paura…“ indes eher nix. Die Handlung dient hier mehr als lose Klammer, die die von Beginn an der Realität, wie wir sie kennen, entrückten Ereignisse zusammenzuhalten versucht. Fulcis Film wirkt, seiner Lovecraft’schen Inspiration folgend, ir- bis surreal und aber irritiert dabei mit einer derartigen Unschärfe, dass mitunter uneindeutig bleibt, was als Phantastik-Element Folge der Priesterselbstentleibung und was ganz herkömmlicher menschlicher Irrsinn ist, der möglicherweise zur Verzweiflung und Schwächung des Paters beitrug. Dessen Vorgeschichte bleibt nebulös bzw. wird schlicht nicht aufgegriffen. Leider fehlen, so heißt es, aufgrund eines technischen Defekts beim Ausgangsmaterial allen Fassungen die letzten Sekunden, die die apokalyptische Tendenz des Stoffs unterstreichen.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sich auf „Ein Zombie hing am Glockenseil“ einzulassen. Aufgrund des Rufs, der ihm vorauseilt, dürfte vorrangig jene sein, sich von den harschen Spezialeffekten erschrecken zu lassen respektive sich an ihnen zu erfreuen. Nicht selten lernt man bei Neusichtungen insbesondere die oben umrissene Atmosphäre und die eigenartige Stimmung zu schätzen, oder aber man beginnt, auf Handlungsdetails zu achten und die dargestellten Geschehnisse in Kontext zu „Über dem Jenseits“ und den Umtrieben eines Dr. Freudstein zu setzen. Aufgrund der Einführung Dr. Christoph Seelingers im Rahmen einer Wiederaufführung im Kino, der auf ein Zitat Fulcis verwies, in dem der Regisseur von einem „Artaudian film“ spricht, einem „absoluten Film“ nach Antonin Artaud, der bewusst ohne nachvollziehbare Handlung und innere Logik konzipiert worden sei, ergibt sich eine weitere Lesart, die sämtlichen Kritikerinnen und Kritikern, die eben jenes an „Paura…“ bemängeln, den Wind aus den Segeln nimmt, der dafür dann aber wiederum eigentlich sogar noch zu viel klassische Narration aufweist.

Für mich persönlich ist „Ein Zombie hing am Glockenseil“ das Äquivalent zu einem doomigen Death-Metal-Song, für den ich sicherlich nicht immer in Stimmung bin, von dem ich mich aber dann und wann gern niederwalzen lasse. Sogar noch einmal eine Klasse besser gelang Fulci die Verfilmung einer mit Zombieterror einhergehenden höllischen Endzeitvision nur ein Jahr später mit „Über dem Jenseits“ – wobei es auch Stimmen gibt, die den Glockenseil-Pater gegenüber jenem Meisterwerk favorisieren.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 2992
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Nunmehr bin ich endlich (durch die freundliche Unterstützung des verdienten Chronisten des italienischen Genrefilms Roberto Curti!) in Besitz der 16. Ausgabe des französischen Fanzines "L'Écran fantastique" vom Januar 1981 gelangt, in dem sich ein ausführliches Interview Robert Schlockoffs mit Lucio Fulci befindet, das mich vor allem wegen der Bezüge reizt, die Fulci dort zwischen seinen Splatterfilmen der frühen 80er (und insbesondere L'ALDILÀ) sowie den ikonoklastischen (Theater-)Theorien des französischen Schriftstellers und Künstlers Antonin Artaud herstellt.

Die komplette Passage liest sich (in meiner eigenen holprigen Übersetzung) wie folgt:

"Schlockoff: Sprechen wir nun über L'ALDILÀ. War der Film als eine Fortsetzung von PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI gedacht?

Fulci: Nein, für mich ist es ein Film ganz im Geiste Artauds. Ich habe Antonin Artaud vor 30 Jahren persönlich kennengelernt, er hat mich mit seinen verrückten Augen angesehen. Meine Idee war es, einen absoluten Film zu machen, mit all den Schrecken dieser Welt. Es ist ein Film ohne Handlung: ein Haus, ein paar Menschen und die Toten, die aus dem Jenseits wiederkehren. Es gibt keine Logik, nach der man in diesem Film suchen könnte, er ist lediglich eine Abfolge von Bildern.

Schlockoff: Artaud schreibt in "Das Theater und sein Double": "Es gibt keine Grausamkeit ohne angewandtes Gewissen, es ist das Gewiss, das jedem Lebensakt die Farbe des Blutes, die grausame Nuance verleiht, wobei das Leben immer der Tod eines Menschen ist..."

Fulci: Absolut! Das Leben ist immer der Tod von jemandem! Ich hatte mich intensiv mit Artaud beschäftigt, bevor er in Italien wieder in Mode kam: Dieser Film ist, wie die meisten meiner Filme, eine Hommage an dieses Konzept von Artaud. Außerdem wird der Horror erst dann so groß, wenn man sich dessen bewusst ist, was die grausamen Szenen in meinem Film rechtfertigt. Der Zuschauer ist sich des Horrors dieser Bilder immer bewusst, was eine Antwort auf die Leute sein soll, die von der Willkür meiner Filme sprechen: Es gibt in meinen Filmen immer ein Werturteil über diesen Horror, da der Zuschauer immer entsetzt ist, also immer eine Reaktion auf die bloße Existenz dieser Verbrechen zeigt.

Schlockoff: Artaud sagt auch etwas, das L'ALDILÁ treffend kommentiert: "Eine Sprache aus Zeichen, aus Schreien, nicht aus Worten: ein direkter Druck auf die Sinne."

Fulci: Ist Ihnen bewusst, dass er dies vor 50 Jahren geschrieben hat? In diesem Satz ist die Essenz des Kinos enthalten. Anders als man denken könnte, war Artaud letztlich eher ein Mann des Kinos als des Theaters."

Einmal abgesehen davon, dass ich es wirklich süß finde, wie der Interviewer und Fulci sich hier gegenseitig in ihre Artaud-Begeisterung hineinschaukeln, scheint es mir mehr und mehr lohnend, dieser vom Meister höchstselbst ausgelegten Spur weiter zu folgen. Anders gefragt: Wo treffen sich die (Theater-)Theorien mit den apokalyptischen Visionen Fulcis jenseits gewisser ins Auge springender Oberflächlichkeiten à la Szenen von Gewalt und Exzess? Was Fulci anscheinend völlig entgangen zu sein scheint, ist beispielweise, dass Artaud, bevor er sich dem Theater in die Arme warf, durchaus utopische Hoffnungen bezüglich des Kinos hegt, das er in diversen kurzen Schriften, die freilich erst posthum gebündelt veröffentlicht worden sind, gar zu einem neuen transzendenten Medium und als Heilbringer für eine anti-logozentrische Gesellschaft hochstilisierte - doch selbst wenn Fulci diese konkreten Überlegungen Artauds zum Film nicht gekannt haben sollte, hat er offenbar doch einen recht genauen Begriff zumindest von seinem theoretischen Hauptwerk, der 1938 publizierten Essaysammlung "Le Théâtre et son double", und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn er nicht auch Kenntnis davon gehabt hätte, dass Artaud seine wilden Gedankenkonstrukte zumindest einmal (und zwar reichlich erfolglos) in die Tat umzusetzen versuchte, nämlich 1935 mit dem nach 17 Vorstellungen aufgrund mangelnden Zuspruchs eingestellten Stück "Le Cenci", ein historischer Stoff aus dem Renaissance-Italien rund um Vatermord, Inzest und Folter, den Fulci selbst immerhin 1969 unter dem Titel BEATRICE CENCI verfilmt hat. Dann noch all die Details: Artauds Notizen zum Sounddesign einer idealtyischen Grausamkeitstheatervorstellung, praktisch realisiert bei "Le Cenci" als regelrechte Vorwegnahme eines Dolby-Surround-Systems, bei dem das Publikum zu Beispiel mit dem ohrenbetäubenden Lärm realer Kirchenglocken überfallen wurde vs. die filigrane Tonspuren von Fulcis Horrorfilmen der frühen 80er mit Affenschreien und sonstigem Tiergekreisch; das dezidierte Spiel mit vertrauten Zeichen, bei denen Signifikat und Signifikant dekonstruktiv voneinander entkoppelt werden, sodass, kurz gesagt, Handlung und Bedeutung komplett arbiträr zueinander stehen, und tatsächlich das Wort (aka die menschliche Logik) kein bisschen mehr zählt; ein generelles Interesse für Zustände der Hysterie, der physischen wie psychischen Entgrenzung, der Götterdämmerung. Ich habe mich, glaube ich, längst festgebissen wie ein Hund in ein Postbotenbein...
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38557
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Ein Zombie hing am Glockenseil - Lucio Fulci (1980)

Beitrag von buxtebrawler »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mi 20. Sep 2023, 16:53 Nunmehr bin ich endlich (durch die freundliche Unterstützung des verdienten Chronisten des italienischen Genrefilms Roberto Curti!) in Besitz der 16. Ausgabe des französischen Fanzines "L'Écran fantastique" vom Januar 1981 gelangt, in dem sich ein ausführliches Interview Robert Schlockoffs mit Lucio Fulci befindet, das mich vor allem wegen der Bezüge reizt, die Fulci dort zwischen seinen Splatterfilmen der frühen 80er (und insbesondere L'ALDILÀ) sowie den ikonoklastischen (Theater-)Theorien des französischen Schriftstellers und Künstlers Antonin Artaud herstellt.

Die komplette Passage liest sich (in meiner eigenen holprigen Übersetzung) wie folgt:
Großartig, vielen Dank für deine Mühen! :thup:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten