Terror in der Oper - Dario Argento (1987)

Bava, Argento, Martino & Co.: Schwarze Handschuhe, Skalpelle & Thrills

Moderator: jogiwan

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karlAbundzu
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Re: Terror in der Oper - Dario Argento (1987)

Beitrag von karlAbundzu »

Sonntag, den 12.2.2024 mal wieder auf großer Leinwand.
OmU
In Bremen, Cinema Ostertor.
Hier der Link zur VA
http://weird-xperience.de/weird-xperien ... alien-1987
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Salvatore Baccaro
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Re: Terror in der Oper - Dario Argento (1987)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Ein paar Gedanken zu Dario Argentos OPERA, den ich gestern seit geraumer Zeit wieder- und zum ersten Mal auf der Großleinwand gesehen habe, beim (hoffentlich nicht letzten) Bremer Weird-Xperience:

1. Der oft kolportierte Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, Argentos mittlerweile zehnte Langfilm-Regiearbeit sei so etwas wie ein audiovisuelles Mixtape, in dem der Maestro all das recycelt, was seine Werke in den vorangegangen mehr als fünfzehn Jahren bereichert hat. Ohne das despektierlich zu meinen, besitzt OPERA den Charakter einer Nummernrevue, eines Best-Of’s, eines Sammelsuriums an Dingen, die sich in der Vergangenheit als bewährt erwiesen haben – und denen man zu einem Zeitpunkt, als das italienische (Genre-)Kino im Sterben liegt, einen wehmütigen letzten Besuch abstattet: Schwarze Handschuhe, die Messer umkrallen; eine entfesselte Kamera, möglicherweise noch weniger um Stasis bemüht als in allen Argentos zuvor; prominent in Szene gesetzte Tiere, die am Ende dabei helfen, den Schlächter zu überführen; pathologische sexuelle Obsessionen aus den untersten Schubladen von Freuds Giftschrank usw. Kurzum: wäre OPERA ein Popmusikalbum, dann wäre es dasjenige, in der die verantwortliche Band zum ersten Mal innehält, ihre etablierten Tugenden rekapituliert, ohne ihnen entscheidende Innovationen beizumengen, ein Geschenk an die treuen Fans kredenzt, bevor sie dann bei der nächsten Platte den Sprung ins Ungewisse wagt: entweder in Gefilde, die die Tugenden progressiv fortspinnen, oder aber in seichtesten Mainstream, wo die Tugenden so lange glattgebügelt werden, bis nicht mehr viel von ihnen übrig ist.

2. Bei OPERA handelt es sich einmal mehr um einen metareflexiven Film Argentos. Zum einen thematisiert im Grunde jede einzelne Mordszene das Sehen selbst – sei es, wenn zu Beginn einer der Bühnentechniker mit dem Kopf gegen einen (unglaublich phallischen!) aus der Wand ragenden Metallhaken gestoßen wird, und wir sein Sterben aus der Ego-Perspektive des Tötenden erleben; sei es, wenn Daria Nicolodis Figur ihr Leben lässt, als sie ihr Gesicht dicht an einen Türspion drückt, um eine davor stehende Person genauer zu erkennen, die ihr dann eine Pistolenkugel durch den Kanal besagten Spions mitten ins Auge jagt; sei es, wenn im Finale dem Killer, wie bereits erwähnt, von Krähenvögeln ebenfalls ein Auge aus der Höhle gezupft wird, oder wenn Heroine Betty – in bester CLOCKWORK-ORANGE-Manier – mit unter die Augen geklebten Metallspitzen mehrfach geknebelt und gefesselt mitanschauen muss, wie ihr mehr oder minder nahestehende Menschen zur Schlachtbank gebeten werden, (und wir das natürlich mitunter ebenfalls per POV präsentiert bekommen). Gewissermaßen dekliniert Argento etliche Modi der Gewaltrezeption durch: Er versetzt uns in die Perspektive dessen, der tötet; er versetzt uns in die Perspektive ohnmächtiger Zeugenschaft; er attackiert – mehr als in seinen anderen Filmen – fast schon fulci-esque die Sehorgane selbst, wenn diese von Kugeln, Metallspitzen, Vogelschnäbel traktiert werden.

3. OPERA ist aber auch deshalb ein metareflexiver Film, weil Argento, wie schon in TENEBRE, viel über sich selbst erzählt. Man muss gar nicht wissen, dass Argento im Vorfeld der Produktion tatsächlich RIGOLETTO hatte inszenieren wollen, was dann daran scheiterte, dass der Maestro und die verantwortlichen Produzenten unterschiedliche Vorstellung davon besaßen, wie viele Horror-Elemente (inklusive Stromstöße aussendende Auditoriumssitzen, heißt es!) man der Verdi-Oper und dem Publikum zumuten könne. Folgerichtig bekommen wir es auch beim Opernregisseur in OPERA mit einem Horrorregisseur zu tun, der Grind- gegen Arthouse einzutauschen versucht, indem er sich an Verdis MACBETH wagt – wobei das Bühnenbild der einen Szene, die wir von der Aufführung erhaschen dürfen, mit seinem offenbar zerschellten Weltkriegsflugzeug, seinem wabernden Kunstnebel, seinen lebenden Raben mehr als nur sacht schauerromantisch duftet. Konstatiert werden muss hier aber, dass die Selbstbespiegelung Argentos bei TENEBRE, wie ich finde, wesentlich organischer gewirkt hat: Während es dort integraler Teil der Handlung, letztlich sogar Triebfeder der Mordserie ist, dass als Hauptfigur ein Schriftsteller blutiger Romane agiert, der von seinen eigenen derangierten Visionen eingeholt wird, wirkt der Umstand, dass als Regisseur in OPERA ein weiteres alter ego Argentos fungiert, mehr wie eine autobiographische Anekdote, die mit dem Kern des Plots nur sacht in Beziehung steht. Das Thema bleibt weitgehend ungenutzt - so wie auch das Opern-Setting, das der Film ja gerade im Mittelteil über weite Strecken verlässt. Anders gesagt: Mehr Verdi hätte ich mir gewünscht, und weniger Umherirren in Wohnungen, denen der Strom abgedreht wurde.

4. Strukturell sieht es schon anders aus, verbindet Argento in OPERA doch auf überaus interessante Weise jene beiden Polen, die gemeinhin dichotom als Hoch- und Trivialkultur gesetzt werden. Diese dem Film immanente Schizophrenie unterstreicht allein schon der Soundtrack: Auf der einen Seiten haben wir Verdi, der in Italien den Status eines Nationalhelden besitzt, und von dem wir nicht bloß Auszüge aus MACBETH, sondern auch aus LA TRAVITATA zu hören bekommen, (zwischendurch gibt es quasi als Bonus auch noch ein paar Takte von Puccinis MADAME BUTTERFLY); auf der anderen Seite führt Argento seine Vorliebe für zeitgenössischen Heavy Metal fort, die er ja bereits in PHENOMENA ausgelebt hat, und deren Ergebnis es auch in OPERA ist, dass insbesondere Tötungs- und Verfolgungsszenen von treibenden Gitarren, polternden Drums, schrillen Männerschreien unterlegt sind. Dabei ist gerade das Tondesign einer der Aspekte von OPERA, die mich erneut am wenigsten abgeholt haben: Diese rein zur Atmosphärenerzeugung eingesetzten elektronischen Soundflächen im Hintergrund bei Szenen, die ansonsten still sind oder bloß aus unaufgeregten Dialogen bestehen, zum Beispiel empfinde ich als ausgesprochen störend, selbst die Metal-Songs scheinen mir in PHENOMENA sinnvoller eingeflochten, und davon, dass, wie am formidabelsten wohl in SUSPIRIA, der Score im Gleichklang mit der überbordenden Inszenierung dazu beiträgt, die Kohärenz der erzählten Welt zu verschlingen, kann, meiner Meinung nach, keine Rede sein. Eher bringt mich der im Hintergrund vor sich hin plätschernde Muzak immer wieder zurück auf den Boden der Tatsachen, indem er mir in manchen Szenen regelrecht verwehrt, mit Haut und Haar in die Diegese einzutauchen und darin zu ersaufen.

5. Apropos disruptive Brüche: Großer Streitapfel dieses Films dürfte sein Finale sein, mit dem Argento uns brüsk aus der artifiziell-theatralen Welt herausreißt, in der wir bis dahin festgesteckt haben, und an den Schauplatz von PHENOMENA zurückkehrt – (wobei der Bezug zum Vorgängerwerk schon allein dadurch explizit wird, dass unser Opernregisseur, der sich offenbar seiner eigentlichen Profession besonnen hat, nunmehr Insekten filmt, die er mit an den Fühlern befestigten Fäden vor der Kameralinse dirigiert, eben genau so, wie es Argento selbst laut eigener Aussage mit all den Krabbelviechern in PHENOMENA getan hat): Bis hierhin haben wir uns in lichtlosen Opernkatakomben bewegt, in üppig bestückten Appartements, die fast schon wie Paläste wirken, in die die Sonne aber ebenfalls kaum hereinschielt, in nächtlich belebten Großstadtstraßen, derart voll, dass die Präsenz der vielen Menschen nicht beruhigend, sondern bedrohlich wirkt – und plötzlich reißt uns ein Schnitt zu saftig grünen, blühenden Alpenwiesen, zu verschneit aus der Ferne winkenden Berggipfeln, zu Holzhütten wie aus dem Tourismuskatalog. Ich persönlich mag das Ende von OPERA sehr, weil ich eine ganz eigene, auf seltsame Weise berührende Poesie in der Finalszene wahrnehme, wenn Betty sich mit einer verunfallten Eidechse identifiziert, und sie aus ihrem Missgeschick befreit – (eine Eidechse, die eine Verwandte jener armen Kreatur sein dürfte, die der Rotschopf in PROFONDO ROSSO malträtiert) -, weil die Kontraste, die Argento zuvor meist zwischen ganzen Filme spannte, (wenn zum Beispiel auf die kunterbunte Komplettdekonstruktion von Logik, Narration, Psychologie in INFERNO der unterkühlte, rational operierende Bauhaus-Style von TENEBRE folgt), auf einmal in einem einzigen Film hart (und fruchtbar) miteinander kollidieren, und weil mich diese wunderhübsch heimatfilmischen Aufnahmen, ehrlich gesagt, an einen meiner liebsten Filme, nämlich Zulawskis etwa zeitgleich gedrehten und zuweilen sogar thematisch und motivisch deckungsgleichen L’AMOUR BRAQUE erinnern, in dem ein Ausflug in die Alpen ebenfalls als Ruhepol und Wendepunkt in einem ansonsten hektisch-hysterischen Treiben daherkommt, bei dem die Kamera quasi niemals stillsteht.

Meine liebste Szene in OPERA dürfte spätestens seit gestern Abend folgende sein: Betty hat sich mit ihrem Crush von der Premiereparty losgeeist; man versucht, in einer dieser beinahe schon barock ausstaffierten Stadtwohnungen Sex zu haben, was an Betty scheitert, bei der einfach keine Lust aufkommen mag; ihr Loverboy bietet ihr einen Tee an, während Betty, wie aus einem Traum erwacht, sich in dem sie umgebenden Raum umschaut, so, als habe sie ihn beim Hereinkommen gar nicht richtig wahrgenommen. Sie fragt den Gastgeber (sinngemäß): Wo sind wir hier eigentlich?, und er erklärt ihr irgendwas davon, dass das Appartement seinem Onkel oder irgendeinem anderen Verwandten gehöre, und, ja, schon fast einer Villa ähnle, und so weiter. Wie weird dieser Moment ist, merkt man erst, wenn man ihn sich mal auf der Zunge zergehen lässt: Weil der Weg, den Betty und ihr Freund zum Bett, in dem sie eigentlich miteinander schlafen wollten, zurückgelegt haben, nicht gefilmt wurde, hat es ihn nie gegeben, nicht für uns, nicht für die Figuren, scheint es. Sie sind dorthin gebeamt worden, scheint es, vom Drehbuch, von der Regie. Wo sind wir hier eigentlich gelandet?, kann man sich indes auch bei Sichtung dieses und anderer Argentos regelmäßig fragen - sofern jedenfalls, dass man es schafft, sich von der immersiven Kräfte seines Kinos zu lösen, und für einen kurzen Moment in die Falle der Vernunft tappt, die ansonsten für neunzig Minuten oder mehr ausgekugelt am Rande der Leinwand liegen sollte.
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Arkadin
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Re: Terror in der Oper - Dario Argento (1987)

Beitrag von Arkadin »

Schönes Wiedersehen auf der großen Leinwand. Wie immer bei Argento gibt es auf dem großen Format ständig Neues zu entdecken. Diesmal fiel mir beim ersten Mord in der Loge auf, dass man wirklich das Gefühl hatte, dass man von dort auf eine Bühne blickt. Leider fielen mir diesmal auch ganz besonders einige ungelenke Ungereimtheiten auf. Insbesondere, wie alle mit den Morden umgehen. Kaum wird jemand brutal abgemetzelt, schon scheint die Person auch komplett aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht zu sein. Zudem fand ich die Metalmucke bei den Morden sehr unglücklich. Viel zu leise und nicht wirklich zum Rhythmus der Bilder und des Schnitts passend. Hier hätte ich sehr viel effektiver und schöner gefunden, wenn Argento den Simonetti von der Leine gelassen hätte. Ansonsten war es aber ein Fest, wenn die Kamera ständig entfesselt durch die Gegend flog. Und auch die vielen, vielen Anspielungen an andere Argento-Filme und wie er immer wieder auf seine Themen zurückkommt hat mir sehr gefallen. Die schauspielerischen Leistungen gehen auch alle in Ordnung. Ich habe mich im Nachhinein gefragt, was wohl aus der bezaubernden Cristina Marsillach geworden ist - und habe festgestellt, dass sie 1994 in 12 Folgen der ARD-Serie "Schwarz greift ein" als "Rita Blum" neben Klaus Wennemann gespielt hat. Aber zurück zu "Opera". Der Film gewinnt sehr, wenn man ihn im Kino erlebt/erfühlt (und über oben angesprochene Holprigkeiten, wie dass niemand auf Anhieb eine verbrannte Puppe von einem verbrannten Menschen unterscheiden kann großzügig hinwegsieht). Und auch das italienische Original ließ den Film noch einmal ganz anders (und wertiger) erscheinen als die schlechte und inkonsistente deutsche Synchro. Ein toller Abend in einem gut besuchten Kino!
Früher war mehr Lametta
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