Libido - Ernesto Gastaldi & Vittorio Salerno (1965)

Bava, Argento, Martino & Co.: Schwarze Handschuhe, Skalpelle & Thrills

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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Libido - Ernesto Gastaldi & Vittorio Salerno (1965)

Beitrag von jogiwan »

Libido

Bild

Originaltitel: Libido

Alternativtitel: Libido Terror

Herstellungsland: Italien / 1965

Regie: Ernesto Gastaldi & Vittorio Salerno

Darsteller: Giancarlo Giannini, Dominique Boschero, Luciano Pigozzi, Mara Maryl

Story:

Christian (Giancarlo Giannini) mußte als Kind mit ansehen wie sein perverser Vater, ein Bondage-Fanatiker, seine Mutter umbrachte und sodann von den Klippen sprang. Inzwischen erwachsen und anscheinend geheilt kehrt er mit Ehefrau Eileen (Dominique Boschero) am Ort des Geschehens zurück. Sein Anwalt und dessen junge eingebildete Frau begleiten das Paar. Es dauert nicht lange bis seltsame Ereignisse bei Christian einen Rückfall verursachen. Dieser ist inzwischen davon überzeugt, daß sein Vater, dessen Leiche nie gefunden wurde, noch lebt. (quelle: ofdb.de)
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Salvatore Baccaro
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Re: Libido - Ernesto Gastaldi & Vittorio Salerno (1965)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Ernesto Gastaldi hat in seinem Leben wohl für mehr italienische Genrefilme die Drehbücher verfasst oder die Storys geliefert als ich in meinem eigenen Leben bislang gesehen habe: Piratenabenteuer für Umberto Lenzi, Sandalenfilme für Alberto de Martino, Italo-Western für Giuliano Carnimeo, Gialli für Sergio Martino – obwohl die Filmographie Gastaldis wirkt wie eine Tour-de-Force quer durch die wichtigsten Filoni des italienischen Unterhaltungskinos, ist der Vielschreiber natürlich vor allem dafür in die Filmgeschichte eingegangen, dass er an den Skripten für einige frühe gotischen Filme Mario Bavas, Riccardo Fredas oder Renato Polsellis beteiligt war, und damit die spezifisch stiefelländische Ausprägung des Horror-Genres entscheidend mitgeprägt hat. Ein Satz auf der deutschen Wikipedia, wo ich Gastaldis Eintrag gestern einmal aufrief, ließ mich indes stutzig werden. Dort heißt es, nachdem Gastaldis Meriten als Drehbuchschreiber hervorgehoben worden sind: „Gelegentlich trat er selbst als Regisseur in Erscheinung, wobei die künstlerischen und kommerziellen Resultate enttäuschend waren.“ Es mag sein, dass fünf der sechs Filme, die die imdb entweder als von Gastaldi im Alleingang inszeniert ausweist, oder bei denen er immerhin als Co-Regisseur geführt wird, himmelschreiender Murks sind – das kann ich mangels Kenntnis derselben schlicht nicht beurteilen. Dass mich allerdings LIBIDO, den Gastaldi 1965 unter dem Pseudonym Julian Berry zusammen mit Vittorio Salerno (alias Victor Storff) in den Kasten bringt, in irgendeiner Weise enttäuscht hätte, kann ich beim besten Willen nicht behaupten…

LIBIDO zieht seinen besonderen Reiz aus der Verzahnung altmodischer Schauerromantik mit dem sich gerade seiner Blütezeit annähernden modernen Giallo-Thriller. Die Hintergrundfolie könnte aus einem Roman von Ann Radcliffe oder Clara Reeve stammen: Der Stammsitz einer jahrhundertealten Familie voller geschichtsträchtiger Räume, die, hätten sie Zungen, sicherlich nicht nur Loblieder auf die Menschen singen würden, die in ihnen gehaust haben; die sturmgepeitschte See direkt vor den salzkrustigen Mauern, deren Gischt als trister Nebel über dem entlegenen Gelände wabert; eine schreckliche Tat, die noch immer unausgesprochen durch die Gemächer geistert: In unserem Fall den Mord, den der einstige Schlossbesitzer im derangierten Sinnesrausch (Stichwort: BDSM) an der eigenen Ehefrau verübt hat, bevor er sich mit einem Sturz in den Ozean selbst das Leben nimmt. Was Gastaldi und Salerno dann allerdings als fiebriges Kammerspiel vor diesem Arsenal vertrauter Topoi aufziehen, atmet durch und durch gelbe Luft: Held ist ein noch sehr junger Giancarlo Giannini, bei dem es sich um Christian, den Sohn der beiden verschiedenen Eheleute, handelt, der einst unbemerkt mitansehen musste, wie der Vater die eigene Mutter meuchelt, und der nun, nach zwanzig Jahren der Abwesenheit, zum ersten Mal seinen Erbsitz wieder betritt. Mit von der Partie sind seine Angetraute Helene, sein väterliche Freund Paul, der nach dem Tod von Christians Erzeuger dessen Vormundschaft übernommen und sich um alle finanziellen und bürokratischen Fragen gekümmert hat, die das leerstehende Seeschlösschen betroffen haben, - (immer wieder eine Augenweide: Peter Lorres inoffizieller Zwillingsbruder Luciano Pigozzi) - sowie dessen klischeeblonde Freundin Brigitte – (verkörpert von Mara Maryl, die in der außerfilmischen Wirklichkeit wiederum mit Gastaldi verheiratet gewesen ist und nahezu ausnahmslos in Filmen ihres Ehepartners auftritt.) Mehr Figuren brauchen die beiden Regisseure auch gar nicht, um ihre zwar etwas gemächlich in Gang kommende, dann aber stetig an Fahrt aufnehmende und in einem absolut perfiden, trostlosen Finale kulminierende Geschichte zu erzählen, in der sich während des Schlossbesuchs unserer vier Freunde zunehmend rätselhafte Vorkommnisse häufen, Christian alsbald glaubt, sein eigener noch lebendiger Vater würde nachts durch die dunklen Hallen schleichen, Paul wiederum in den Verdacht gerät, er könne Christian in den Wahnsinn treiben wollen, um sich seinerseits dessen Erbe zu sichern, denn immerhin steht Christians Volljährigkeit doch kurz vor der Tür, und auch die undurchsichtige Helene und die klug wie eine Schiffsplanke wirkende Brigitte bald etwas zu verbergen zu haben scheinen. Der griffige Titel LIBIDO ist dabei mehr als bloße Makulatur: Während des Vorspanns rollt ein Freud-Zitat vorbei, unter dem die Meereswogen in endlosen Orgasmen schäumen, eingerahmt von phallisch in die Höhe ragenden Klippen, und auch wenn sich Christians Lebenstrauma in einem Kinderspielzeug kondensiert, nimmt das bereits spätere Gialli vorweg, in denen schockierende Kindheitserlebnisse mit pathologischer Sexualität gekoppelt werden und man als Symbol dafür gerne irgendwelche grusligen Puppen findet Andererseits könnten wir hinter den Mauern von Christians Familiensitz kaum weiter entfernt sein von der grellen, turbulenten, knallbunten Moderne, wie sie ebenfalls spätere Gialli so gerne portraitieren: Ein Wunder, dass es in diesem Schloss überhaupt ein Telefon gibt, wo ansonsten irgendwelche Sarkophage und verrostete Waffen herumstehen, und kaum irgendein Accessoire darauf hindeutet, dass wir uns nicht Mitte der 60er des 19. Jahrhunderts befinden würden.

Wer auch immer den oben zitierten Satz in die Wikipedia getippt hat: Kommerziell mag LIBIDO ja an den zeitgenössischen Kinokassen katastrophalen Schiffbruch erlitten haben – aber dass jemand, der sowohl ein Faible für derartige schwarzweißen Früh-Gialli wie auch für fledermauspelzigen Gothic-Horror italienischer Couleur hat, sich mit Grausen von diesem kleinen, feinen Streifen abwenden und ihn als künstlerisches Desaster abkanzeln wird, das halte ich nun wirklich für außerordentlich unwahrscheinlich.
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sergio petroni
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Re: Libido - Ernesto Gastaldi & Vittorio Salerno (1965)

Beitrag von sergio petroni »

Wirklich ein sympathisches, kleines Filmchen, das in einer gescheiten Veröffentlichung
sicher noch einiges dazugewinnen würde. Salvatore arbeitet sich durch Keßlers gelbes Buch,
so hat es den Anschein. :D
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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Salvatore Baccaro
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Re: Libido - Ernesto Gastaldi & Vittorio Salerno (1965)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

sergio petroni hat geschrieben: Mi 27. Jan 2021, 12:04 Salvatore arbeitet sich durch Keßlers gelbes Buch,
so hat es den Anschein.
Dieser Verdacht könnte sich erhärten! :ugeek:
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jogiwan
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Re: Libido - Ernesto Gastaldi & Vittorio Salerno (1965)

Beitrag von jogiwan »

Erscheint demnächst von Severin in den Staaten
Time to announce another Mid-Year Sale title! This time it's Ernesto Gastaldi's LIBIDO!
The screenwriter of classics that include SO SWEET… SO PERVERSE, THE STRANGE VICE OF MRS. WARDH, ALL THE COLORS OF THE DARK and TORSO, Ernesto Gastaldi made his directorial debut with one of the most groundbreaking yet criminally underseen gialli of them all: When a small boy witnesses his father kill a woman during an S&M session, he’ll grow into a disturbed young man (Oscar® nominee Giancarlo Giannini in his film debut) tormented by images of violence, perversion, madness and murder. Dominique Boschero (WHO SAW HER DIE?), Luciano Pigozzi (WEREWOLF IN A GIRLS’ DORMITORY) and Gastaldi’s beloved wife/muse/co-writer Mara Maryl (SCREAMS IN THE NIGHT) co-star in this Freudian gothic freak-out, now featuring a 2K scan from the dupe negative and an all-new interview with the writer/director.
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