Only God Forgives - Nicolas Winding Refn (2013)

Moderator: jogiwan

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Blap
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Re: Only God Forgives - Nicolas Winding Refn (2013)

Beitrag von Blap »

Da ich die frühen Werk von Refn schätze, landete nun auch dieser Streifen in meiner Sammlung.

Bilder, oft gemäldeartig erstarrt, Spiel mit Farben, Licht und Schatten, ein Drehbuch abseits davon sein Publikum zu pampern, sich anzubiedern. Bizarre Momente erinnern an David Lynch, rüde Gewaltausbrüche und Kälte an Cronenberg. Die Charaktere -ich möchte sie lieber Figuren nennen- gehen in Refns Inszenierung auf, lediglich Kristin Scott Thomas und Vithaya Pansringarm erheben sich zeitweise aus dem behäbigen -aber gnadenlosen- Strudel. Dackelgesicht Ryan Gosling passt perfekt in die Rolle des stumpfen Zahnrädchens im Mahlwerk des Grauens.

Interessant? Durchaus.

... fast hätte ich ihn unterschlagen, den großartigen Score von Cliff Martinez. Jener Cliff Martinez, der mich bereits mit seinen Klängen zu Soderberghs wundervollem "Solaris" verzaubert und hypnotisiert hat!
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Adalmar
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Re: Only God Forgives - Nicolas Winding Refn (2013)

Beitrag von Adalmar »

So, ich hab ihn nun auch mal gesehen (BD) und fühle mich doch sehr angesprochen! Vielleicht bleibt der Film im Gesamteindruck ein wenig hinter "Drive" und "The Neon Demon" zurück, aber die Intensität ist doch auch hier beachtlich und ich muss den Stimmen hier im Forum à la "Mal klaut er hier, mal da" entgegensetzen, dass aus meiner Sicht ein individueller Stil doch vor allem in diesen drei Filmen klar hervortritt, was aber auch an der fortgesetzten Kollaboration z. B. mit Cliff Martinez (Musik, die z. B. in der späteren Boxkampfszene enorm wichtig ist) oder Matthew Newman (Schnitt) liegt. Wahrscheinlich stört den einen oder anderen die Langsamkeit mancher Szene, die ich aber als ein genussreiches Auskosten der jeweiligen Stimmung empfunden habe. Alles in allem sehr empfehlenswert.
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Maulwurf
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Re: Only God Forgives - Nicolas Winding Refn (2013)

Beitrag von Maulwurf »

 
Only God Forgives
Only god forgives
Dänemark/Frankreich/Schweden/USA 2013
Regie: Nicolas Winding Refn
Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Tom Burke, Yayaying, Vithaya Pansringarm, Byron Gibson, Gordon Brown, Sahajak Boonthanakit, Joe Cummings, Charlie Ruedpokanon, Oak Keerati


Only God Forgives.jpg
Only God Forgives.jpg (77.95 KiB) 153 mal betrachtet
OFDB
Maulwurf hat geschrieben: Ein Mann (Tom Burke) vergewaltigt und schlachtet eine 16-jährige. Ein Polizist (Vithaya Pansringarm) schlachtet daraufhin den Mann. Die Mutter des Mannes (Kristin Scott Thomas) will, dass der Bruder (Ryan Gosling) den Mann rächt und den Polizisten tötet, doch der Bruder mag die Spirale der Gewalt nicht weiterdrehen. Daraufhin versucht die Mutter den Polizisten töten zu lassen, was den wiederum auf die Spur des Bruders führt.
Tja, der ist noch reichlich frisch, und deswegen ist die Bewertung unter Vorbehalt. Unter dreimal anschauen wird der wahrscheinlich ein Rätsel bleiben. Aber er hat was, er hat was …
Soweit die Überlegungen nach der Erstsichtung. Nun sind seit damals acht Jahre und Sichtungen von vielen hundert Filmen vergangen. Ich habe Dario Argento gesehen und Sion Sono, genauso wie Johnny To und Stanley Kubrick. Ich habe Unmassen von Genrefilmen gesehen und viele wahre, vermeintliche oder tatsächlich versteckte Juwelen der Filmgeschichte, und meine Rezeption hat sich doch erheblich gewandelt. Wie mag diese Verwandlung ONLY GOD FORGIVES bekommen sein?

Es sind die Bilder. Diese oft symmetrisch genau ausgezirkelten Bilder, die einem ihren Symbolgehalt und ihre Message um die Ohren hauen bis auch die Letzten begreifen, dass hier etwas von Bedeutung gezeigt wird. In diesem Bild befinden wir uns in der Hölle, in jenem ist Julian ein Engel, und dort ist die Mutter ein unnachgiebiger Führer. Doch keine fein ausstaffierten Tableaus sind zu bewundern wie bei Lucio Fulci, keine verspielt-verschnörkelten Fährten zum Zuschauer-auf-den-Leim führen wie bei Dario Argento, sondern nüchterne und kühle Kulissen, in denen sich nüchterne und kühle Charaktere nüchtern und kühl anschweigen. Oder, noch besser, gegenseitig merkwürdige Dialoge um die Ohren hauen. Wenn es bei den Dialogen bleibt, denn an sich ist Gewalt das Mittel der Wahl. Nicht die Worte, die oft genug hohl und überflüssig sind, kennzeichnen die Welt in ONLY GOD FORGIVES, sondern die Intensität des zugefügten Schmerzes ist das was maßgeblich ist. Auch wenn die Gewalt oft genug im Off stattfindet, und somit der Fantasie des Zuschauers überlassen bleibt, so ist das Resultat der exzessiven Gewalt in Ton und Bild das beherrschende Stilmittel.

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Eine durchkalkulierte Bilderwelt also, die sich in hemmungslosen Gewaltfantasien aalt, und mittendrin Schauspieler, die wenig Dialog haben. Über langgezogene Blicke kommunizieren. Und dabei gleichzeitig keine Miene verziehen. Der Bruder ist tot? Julian schaut. Die Mutter erniedrigt seine Freundin? Julian schaut. Er fordert den Polizisten zum Kampf? Julian schaut. Ryan Gosling als Julian lässt keinerlei Gefühle zu, so wie keiner der Charaktere Gefühle zulässt. Die Szene nach dem Abendessen mit Julians Mutter, wenn die Gefühle von Mai eigentlich Achterbahn fahren müssten, und Julian sogar beim Spazierengehen nochmal einen drauf legt, diese Szene ist symptomatisch für die Stimmung des gesamten Films: Julian bietet Mai an, das Kleid, das er ihr geschenkt hat, zu behalten. Mai reagiert aber ablehnend, woraufhin er sie an die Wand drückt, ihr in geharnischten Worten erklärt, dass sie, wenn sie das Kleid nicht behalten will, es doch sofort auszuziehen hat. Mai zieht sich also nach einigem Geschaue das Kleid aus – und die Szene ist vorbei. Schöne Bilder, viele ätherische Nahaufnahmen, unsinnige Dialoge, und ein Symbolismus, der sich zumindest meinem Verständnis entzieht.

Vielleicht sollte ich den Film mit einem Audiokommentar des Regisseurs anschauen, um herauszufinden, was die Absicht der jeweiligen Szenen war. Warum zum Beispiel bei der Verstümmelung des Attentäters im Nachtclub die Damen alle fein mit geschlossenen Augen dasitzen, obwohl der Gemarterte sich wahrlich die Seele aus dem Leib schreit und jammert. Aber da zuckt keines der Mädchen, wie Statuen sitzen sie mit ihren Puppengesichtern da und lauschen der Zerstörung eines menschlichen Lebens. Eine zutiefst artifizielle Szene, die nur durch ihren Symbolgehalt oder durch Intuition zu erfassen ist. Oder eben durch die Bilder, denn narrativ hat der Moment keinerlei Nährwert.
Oder Julian – Der stellt mich nämlich in seiner Gesamtheit vor ein Rätsel. Seine Mutter gibt ihn irgendwann einmal als Rauschgifthändler aus, aber Julian ist soviel Rauschgifthändler wie ich es bin. Seine Augen sind zu weich, sein Habitus zu verständnisvoll, seine Seele zu empfindsam. Der Mann soll mit seinen eigenen Händen den Vater umgebracht haben? Diese Geschichte der Mutter ist zum Zeitpunkt der Erzählung bereits als mutmaßliche Lüge zu entlarven, vermutlich hat Julian seinen Papa totgeguckt. Bloß: Was ist Julian eigentlich? Wenn er und seine Helfershelfer den Vater der toten Hure in seiner Hütte besuchen ist deutlich zu spüren, dass Julian nicht in diese Szenerie passt, und die Aktion nur durchführt, weil hinter ihm die Wachhunde der Mutter stehen. Was aber bei der Frage nach Julian trotzdem nicht weiterhilft …

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ONLY GOD FORGIVES bietet geübten Filmeschauern eine gute Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten zur Rezeption und der Abstraktion zu schärfen und ausgiebig zu testen. Fast jede Szene wird symbolisch aufgeladen und brachial beendet, wobei ich der Fairness halber zugeben muss, dass vor allem rund um den Attentatsversuch auf den Polizisten einige wirklich starke und spannende Momente entstehen.
Aber da habe ich endlich das Zauberwort genannt: Spannend. Etwas, was ich bei einem Film gerne genieße, und was auch zu meinen persönlichen filmischen Präferenzen gehört: Wenn es spannend ist, wenn ich mitfiebern kann, wenn die Geschichte nicht vor sich hin plätschert, sondern einen Spannungsbogen erzeugt der mich mitreißt. Und ONLY GOD FORGIVES bietet mir keinen Spannungsbogen und keine mitreißende Handlung. Stattdessen werden mir statische Szenen dargereicht, die sich in künstlicher Sinnlosigkeit wälzen und so tun als ob sie böse Menschen zeigen, die böse Dinge tun. Was aber an der (filmischen) Realität vorbeigeht, denn die Charaktere sind hohl, und die Dinge die sie tun sind leer. Aber, und das ist ganz wichtig, das ist eine persönliche Sicht! Nach vielen Jahren mit vielen Filmen stelle ich fest, dass ich mit dem Terminus Style over Substance zunehmend Probleme habe, und mir jede noch so billige Gangsterpistole im Normalfall lieber ist als ein bedeutungsschwangerer Bilderrausch. ONLY GOD FORGIVES ist so ein Bilderrausch, und das gebe ich auch gerne zu: Die Bilder sind betörend und beeindruckend. Sie ziehen den Zuschauer in ihr Innenleben, nur um ihn dann mit einem Wechsel der Perspektive vor völlig neue Aufgaben zu stellen. Internetkommentare wie
Kamera, Schnitt, Farbe, Licht, Schatten und Musik verschmelzen hier zu einer surreal anmutenden Ästhetik, welche man in dieser Form selten zuvor gesehen hat“, „ein visueller Rausch der Langsamkeit“ oder „Infernalischer Bilderrausch, der alle Sinne betört“ treffen die grafische Seite des Films perfekt. Alle diese Komponenten sind eine Ode an ein zärtliches Gedicht, sind technische Cinematografie in absoluter Reinheit. Das Problem, mein Problem, ist eben, dass danach nicht mehr viel kommt. Aber das ist eben genau der Punkt, an dem jeder einen Film nach anderen Maßstäben betrachtet. Die Tage habe ich in einer Kritik zu Zack Snyders ARMY OF THE DEAD gelesen, dass das Medium Film [..] in allererster Linie ein visuelles ist. Unter diesem Gesichtspunkt bekommt ONLY GOD FORGIVES 10 von 10 abgehackten Händen, zweifellos. Aber sobald auch noch Dinge wie eine Narration und glaubhafte Charaktere erwartet werden, sackt die individuelle Bewertung ins Bodenlose. Zwischen dem Vorgänger DRIVE, der noch mit einer starken und gut erzählten Geschichte aufwarten konnte, und dem Nachfolger THE NEON DEMON, der das Artifizielle ins Maßlose übertrieb und mehr Ähnlichkeit mit einem Hochglanzvideoclip hatte als mit einem Film, ist ONLY GOD FORGIVES interessant als Mittelstück einer Entwicklung des Regisseurs. Aufregend als bilderstürmerisches Experiment. Spannend als Gegensatz aus überbordender Gewalt und absoluter Gefühlsnegation. Aber Tarsem Singhs THE FALL hatte ebenfalls gigantisch schöne Bilder, und hat mir narrativ und emotional mehr gegeben als Refn dies in seinen letzten Arbeiten geschafft hat. Ich spreche es keinem Künstler ab, sich weiterzuentwickeln, und dass Refn sich von PUSHER oder BRONSON künstlerisch entfernt hat ist eine großartige und spannende Leistung. Aber als Konsument nehme ich mir das Recht heraus, dieser Entwicklung nicht auf Teufel komm raus folgen zu müssen. ONLY GOD FORGIVES hat mein Interesse am Künstler Refn erlahmen lassen, THE NEON DEMON hat es eliminiert. Und Sion Sono macht in den letzten 20 Jahren sowieso die abwechslungsreicheren Filme, sowohl grafisch wie auch narrativ …

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Zuletzt geändert von Maulwurf am Di 19. Jul 2022, 06:07, insgesamt 2-mal geändert.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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buxtebrawler
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Re: Only God Forgives - Nicolas Winding Refn (2013)

Beitrag von buxtebrawler »

Sehr schön geschrieben, Maulwurf.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Maulwurf
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Re: Only God Forgives - Nicolas Winding Refn (2013)

Beitrag von Maulwurf »

buxtebrawler hat geschrieben: Mo 18. Jul 2022, 09:13 Sehr schön geschrieben, Maulwurf.
Vielen herzlichen Dank!! :verbeug:
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Jack Grimaldi
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jogiwan
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Re: Only God Forgives - Nicolas Winding Refn (2013)

Beitrag von jogiwan »

ein durchaus polarisierendes Werk, welches bei mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hat :lol:
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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