Der Wolf von Malveneur - Guillaume Radot (1943)

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Salvatore Baccaro
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Der Wolf von Malveneur - Guillaume Radot (1943)

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MV5BMjE0YzlhMTktOTVmNy00ZTFmLTgwMDktODU1YmNiMWNiNzg5XkEyXkFqcGdeQXVyMjA0MzYwMDY@._V1_.jpg (1.91 MiB) 172 mal betrachtet

Originaltitel: Le loup des Malveneur

Produktionsland: Frankreich 1943

Regie: Guillaume Radot

Cast: Madeleine Sologne, Pierre Renoir, Gabrielle Dorziat, Michel Marsay, Marie Olinska, Marcelle Géniat, Louis Salou, Yves Furet, Jo Dervo


Als ob der klassische Universal-Horror der 30er und 40er durch den Filter eines französischen Arthouse-Dramas mit extensivem Hang zur Gothic Novel betrachtet werden würde…

Eine Legende berichtet vom jahrhundertealten Fluch, der auf dem Geschlecht derer von Malveneur lasten soll: Zur Zeit, als Frankreich zum größten Teil noch von undurchdringlichen Wäldern bedeckt gewesen sei, habe jener Adliger, der den Stammbaum der Malveneurs begründen sollte, eine Obsession für die Wölfe entwickelt, die die finsteren Forste bevölkerten und eine ernsthafte Bedrohung für die ländliche Bevölkerung außerhalb der befestigten Städte bildeten. Eines Tages beschließt der leidenschaftliche Jäger, ein paar Wolfwelpen aus dem Bau ihrer Mutter zu entführen und sie auszubilden, als seien sie Jagdhunde. Den Bauern der umliegenden Ortschaften bietet sich bald das alptraumhafte Bild des grimmigen Malveneur, wie er mit seinem Rudel Wölfe die Wälder der Region durchstreift, um Beute zu machen. Es dauert nicht lange und das Gerücht wandert von Mund zu Mund, der Gutsherr sei mit dem Teufel im Bunde, und würde gar selbst in Vollmondnächten seine Menschenhaut abstreifen und sich einen dampfenden Wolfspelz überziehen…

Im Frankreich der frühen 40er ist die Familie der Malveneurs indes nahezu erloschen. Im fürstlichen Stammsitz des Geschlechts residiert Reginal de Malveneur, ein Wissenschaftler, der sich in seinem unterirdischen Laboratorium Tag und Nacht seinem Steckenpferd widmet: Dem Versuch, menschliche Zellen künstlich zu verjüngen. Den Haushalt teilen mit ihm seine ungleich jüngere Frau Estelle, die sich hauptsächlich um die Erziehung der siebenjährigen Tochter Geneviève kümmert, sowie Reginalds Schwester Magda, eine überzeugte Altjungfer, die den Verlockungen der modernen Welt bewusst entsagt hat, um das Malveneur-Schloss nicht verlassen zu müssen. Umgeben ist die in nahezu kompletter Isolation ihr Dasein fristende Familie einzig und allein von einer Handvoll verschrobener Bediensteter wie einer knöchernen, verbitterten Magd, einem geistig zurückgebliebenen Boten sowie einem verschlagenen Jagdpächter.

Zuwachs erhalten sie zu Beginn von LE LOUP DE MALVENEURS allerdings durch Monique Valory, eine junge Frau aus der Stadt, die die Rolle von Genevièves Gouvernante übernehmen soll, und aus deren Perspektive wir den mindestens seltsamen Hausstand der Malveneurs kennenlernen: Noch vor ihrer Ankunft im Schloss wird Monique mit den Vorurteilen konfrontiert, die die Landbevölkerung gegenüber dem Adelsgeschlecht hegt. So weigert sich der Kutscher, der sie zum Anwesen hat bringen sollen, sich dem weit über die Landschaft ragenden Gemäuer allzu sehr zu nähern, und setzt unsere Heldin kurzerhand mit ihren Koffern vor die Tür, auf dass sie die restliche Wegstrecke zu Fuß zurücklegen muss. Zum Glück sitzt im selben Gefährt auch Philippe, ein adretter Maler, den es in den entlegenen Landstrich zieht, um die unwirtliche Natur in pittoresken Gemälden festzuhalten, und der Monique bis zur Pforte des Schlosses begleitet. Hinter dieser erwarten Monique indes schlechte Nachrichten: Seit Wochen nun seien sowohl ihr Mann Reginald wie der Jagdpächter spurlos verschwunden, klagt Estelle, und bekundet zugleich ihre Freude darüber, dass Monique sich nun um Geneviève kümmern würde, denn sie könne vor lauter Sorge um ihren Gatten kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Es dauert nicht lange und Monique wird klar, dass das Verschwinden Reginalds nicht das einzige Geheimnis sein dürfte, das hinter den verwitterten Schlossmauern herumgeistert: Die Magd sowie Magda begeben sich regelmäßig in die Katakomben, wo sich Reginalds Labor befunden hat, Monique selbst jedoch jedweder Zutritt verwehrt ist; gegenüber Philippe, der es einmal wagt, das Schloss für eins seiner Gemälde zu malen, verhalten sich Estelle und Magda auffällig abweisend, so, als fürchteten sie die Anwesenheit Fremder im Umkreis ihres Grundstücks; auch die kleine Geneviève erzählt Monique kindlich-naive, zugleich aber auch unheimliche Geschichten von Wolfsgeheul, das besonders in Vollmondnächten außerhalb der Schlossmauern zu hören sei. Als schließlich auch noch Estelle tot aufgefunden wird, beschließt unsere Heldin gemeinsam mit dem inzwischen zu ihrem Augenstern gewordenen Philippe, den mannigfaltigen Rätseln ihrer Arbeitgeber auf den Grund zu gehen…

Tapetentüren. Kellerlaboratorien. Wolfsheulende Wälder. Kutscher, die in ihre Bärte abergläubische Ängste murmeln. Ein Familiengeheimnis, eng verbunden mit den Mauern, in denen diese Familie seit Jahrhunderten haust. Ein junges Heldenpärchen als Detektive wider Willen. LE LOUP DE MALVENEURS bedient sich nicht nur freimütig beim reichhaltigen Motivarsenal der klassischen Schauerromantik, sondern mixt relativ unbekümmert und dabei durchaus originell Elemente des Werwolf-Horrors mit denen des Murder Mysterys und des Familiendramas, sodass das Ergebnis tatsächlich wirkt, als würden wir einer Mischung aus weiblichem Sherlock Holmes und Jane-Austen-Heroine dabei zuschauen, wie sie die Leichen aus dem Keller einer Familie holt, in deren Mitgliedern sich die Spuren Doktor Frankensteins genauso finden lassen wie diejenigen derer von Baskerville. Weshalb dieser kurzweilige Film bislang ein stiefmütterliches Dasein selbst innerhalb der französischen Kinohistorie fristet und offenbar derzeit nicht einmal auf einem Heimmedium zu erwerben ist, erschließt sich mir vor allem dann nicht, wenn ich mir zum wiederholten Male die Beerdigungsszene Estelle de Malveneurs anschaue, bei der ich mehrere Wolfszähne darauf verwetten würde, dass der (mir gänzlich unbekannte) Regisseur Guillaume Radot (oder vielleicht auch der die Produktion überwachende ehemalige Avantgardist Marcel L’Herbier?) nicht geringe Wertschätzung entweder für Carl Theodor Dreyers VAMPYR oder Jean Epsteins LA CHUTE DE LA MAISON USHER empfunden haben dürfte: In irrealer Nebelverschlungenheit ist das inszeniert, wenn die Trauergemeinde Estelles Sarg zu Grabe trägt, sodass wir plötzlich herauskatapultiert werden aus der märchenhaft-gotischen Stimmung, die den Film ansonsten durchzieht, und mitten hineingeraten in eine gespenstische Parallelwelt: Für wenige Minuten bricht hier feinste Filmpoesie in den doch stellenweise ziemlich kolportagehaften Streifen, den ich trotz einer gewissen Steifheit dennoch allen empfehle, die immer noch nicht genug haben von obskuren Gruselstoffen der frühen Tonfilmzeit.
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