Das Blau der Hölle - Yves Boisset (1986)

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Das Blau der Hölle - Yves Boisset (1986)

Beitrag von Maulwurf »

Das Blau der Hölle
Bleu comme l'enfer
Frankreich 1986
Regie: Yves Boisset
Lambert Wilson, Tchéky Karyo, Myriem Roussel, Agnès Soral, Benoît Régent, Constance Schacher, Sandra Montaigu, Julien Bukowski, Gérard Zalcberg, Alex Descas, Philippe Dormoy, André Julien


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Genau genommen ist der Südwesten Frankreichs nicht weit weg vom Südwesten der USA. Eine weite und wilde Landschaft mit einsamen Ortschaften, in denen harte Männer sich gegen Gesetzlosigkeit und Selbstjustiz wehren. Oder diese ausüben. Ned zum Beispiel. Ned (Lambert Wilson) fährt mit seinem geklauten Auto auf den Hof einer Raststätte, legt sich mit einem Gast namens Frank (Tchéky Karyo) an, zündet auf dem Klo einen Haufen Papier an, und als der Wirt nach hinten rennt um das Feuer zu löschen, greift Ned beherzt in die Kasse und geht stiften. Draußen allerdings steht bereits Frank, dem die Sache gut gefallen hat, und der sich halt mal eben zu Ned in das Auto setzt, einfach weil er Lust dazu hat. Die Polizei ist auch gleich da, und es gibt eine ausgesprochen ruppige Verfolgungsjagd auf der Autobahn die damit endet – dass Frank Ned verhaftet, denn der entpuppt sich als Cop. Einer in der Tradition der Kopfgeldjäger aus den Italo-Western, und damit ist die weitere Marschrichtung auch gleich abgesteckt, denn Frank hat partout keine Lust, Ned auf dem örtlichen Kommissariat abzuliefern. Er fährt nach Hause, fesselt Ned an ein Heizungsrohr und schiebt eine Nummer mit seiner Frau Lily. Die ihn zwar gerade verlassen wollte, was durch die Vögelei allerdings nur ein wenig verschoben wird. Am Ende liegt Frank niedergeschlagen im Wohnzimmer, Lily und ihre Schwester befreien Ned, und gemeinsam reitet, nein Verzeihung: fährt man Richtung Grenze. Spanien, Mexiko, wo ist da schon der Unterschied? Ein sich allmählich annähendes gesetzloses Pärchen auf der Flucht vor einem halbirren Sheriff, der nichts anderes will, als seine Frau zurückhaben.

Lily von Frank wegzuholen, das ist wie wenn Du einem Neandertaler das Feuer klaust.

Ein Western im Süden Frankreichs. Eine Liebesgeschichte in der Tradition von Filmen wie GETAWAY: Ein Mann und eine Frau auf der Flucht. Vor dem Gesetz. Vor einem anderen Mann. Weil der andere Mann das Gesetz verkörpert. Ned ist genau der Typ Outlaw, der die Phantasien von Romanschreibern und Filmemachern seit Jahrhunderten beflügelt: Er sieht gut aus, hat einen gewissen raubeinigen Charme, sieht die Sache mit den Gesetzen nicht so eng, ist verlässlich, ein treuer Freund, und ein rücksichtsvoller Liebhaber. Und Frank ist genau der Typ Sheriff, der die Fantasien von Romanschreibern und Filmemachern seit Jahrhunderten beflügelt: Er ist hinterhältig, bösartig, besitzergreifend, und er hat kein Problem damit, das Gesetz, das er ja eigentlich vertreten soll, nach seinem Bedürfnis zu verbiegen.

Und so entfaltet sich eine wüste und wilde Story um Liebe und Hass, um einen gestohlenen und nicht ausgelieferten Ferrari (quasi das Gegenstück zu einem Appaloosa), um vorsichtige Annäherung und schmerzhaften Verlust. Irgendwo zwischen Toulon und Santa Fé, irgendwo zwischen BONNY und CLYDE, mit einem ordentlichen Schuss BETTY BLUE im Zelluloid.

Ich hab mal einem Typen ein Bein gebrochen, nur mit den Händen. So ist das eben.

Ja, und wenn Männer weinen, dann fließen keine Tränen sondern Blei. So ist das eben*. Der Wind des Todes durchweht leise den gesamten Film, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Wenn Frank am Ende mit dem Gewehr mit Zielfernrohr auf Ned und Lily losgeht, wird deutlich der gleichnamige englische Western-Klassiker von 1971 hommagiert, in dem Gene Hackman Jagd macht auf Oliver Reed, der ihm seine Frau gestohlen hat. Die gleiche grimmige Erbarmungslosigkeit auf der einen Seite, und die gleiche hoffungslose Räuberromantik auf der anderen Seite. Hier blanker Hass der den Tod sucht, dort verzweifelte Liebe die nur im Tod enden kann. Und das in einer Landschaft, die dem Monument Valley oder der Prärie zwischen Culver City und Almería in Nichts nachsteht. Wo jeder menschliche Kontakt einen Kampf bedeuten kann, wahre Freundschaft etwas Seltenes ist, und wo Vertrauen und Tod Hand in Hand gehen.

DAS BLAU DER HÖLLE ist ein moderner Western im Thriller-Gewand, ein Road-Movie der sich als Gangsterballade tarnt, ein Liebesfilm mit der Anatomie einer Todeshochzeit. Ein Mann und eine Frau wehren sich nach Leibeskräften gegen die Außenwelt, die ihnen nur Böses will. DAS BLAU DER HÖLLE ist wie die Wüstensonne, die auf die verblichenen Knochen der Liebenden scheint: Heiß, erbarmungslos, leidenschaftlich.

* Dieser wunderbare Aphorismus stammt nicht von mir sondern von Sano Cestnik und ist ursprünglich auf Mario Sicilianos Klassiker DER TAG DES SÖLDNERS gemünzt, passt hier aber wie der Finger auf den Abzug …

7/10

Und dass ich die Screenshots zu diesem wunderbaren Film nicht mehr finde ärgert mich maßlos ... :bang:
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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