Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Werewolf in a women’s prison (Jeff Leroy, 2006) 7/10

Leise geht der Mond auf über dem Frauengefängnis von Campuna, und nach einem langen Tag voller Folterungen und Prügeleien, voller Auspeitschungen und sadistischer Spielchen der Wärter, nach all dem Mühsal und Ärger können sich die Insassinnen nun endlich entspannen. Bebe und Kelly, die beiden mit den größten Möpsen, streicheln sich gegenseitig, küssen sich zärtlich und lecken sich voller Inbrunst. Die fiese Oberaufseherin Rita reitet den noch viel fieseren Direktor Juan brünstig von hinten. Rachel, die heute einen erfolglosen Ausbruchsversuch gestartet hatte, und darum lange gefoltert wurde, wird gefesselt und von einem Bekannten der Familie vergewaltigt, und die böse Crystal lässt die männliche Wache ran, damit der sie in die Zelle von Sarah lässt und sie Sarah umbringen kann. Doch Sarah, die Neue, die heute bei der Prügelei auf dem Gefängnishof absolut alle Angreiferinnen zu Brei geschlagen hat, ist offensichtlich gar nicht in ihrer Zelle. Stattdessen liegt dort eine grausam zerstückelte Leiche. Und als Crystal sich umdreht und sieht, was die Leiche in ihre Einzelteile zerlegt hat, da ist es für sie auch bereits zu spät. Denn Sarah ist ein Werwolf (richtiger: Ein She-Wolf), und nachdem sie beim ersten Vollmond nach dem originären Biss im wahrsten Sinne des Wortes Blut geleckt hat, hat sie die Kontrolle über sich verloren, und verwandelt sich in stressigen Situationen in ein blutgieriges Monster mit herkulischen Kräften. Wie der gewaltige Hulk …

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Als Monster sieht Sarah ein wenig aus wie eine blutbespritze Mischung aus einem Osterhasen und einem verschimmelten Stückchen Fell mit rotleuchtenden Augen (so wie in Jeff Leroys Erstling EYES OF THE WEREWOLF auch), aber davon darf man sich nicht täuschen lassen. Als Juan Sarah auf einer Art Jahrmarkt ausstellt und ihre Verwandlung erzwingt, indem er ihre einzige Freundin Rachel auspeitschen lässt, da zeigt sich, dass Sarah definitiv keinen Spaß versteht. Das folgende Blutbad ist dann ziemlich umfassend, aber Juan hat vorgesorgt und sechs silberne Kugel gegossen. Wird eine davon Sarahs Blutrausch beenden können?

Eingebettet in eine Landschaft, die so auch aus Jess Francos FRAUEN IM LIEBESLAGER stammen könnte, werden wir lustvoll Zeugen eines Frauenknasts, den sich Onkel Jess wahrscheinlich immer erträumt hat. Die Frauen sind entweder fast nackt oder komplett unbekleidet, die Wärter sind fies, und die Stimmung ist auf dem Höhepunkt. Tatsächlich habe ich mich mehrmals in einem Franco-Exploiter aus der Erwin C. Dietrich-Zeit gewähnt, die ganze Atmosphäre ist irgendwo zwischen FRAUENGEFÄNGNIS und sagen wir KILLER BARBYS angesiedelt. Letzterer hat zwar keine Monster im Cast, aber diese überbordende und völlig verquere Stimmung, die würde gut passen.

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Was allerdings gar nicht zu Jess Franco passen würde ist das große Sterben, das ausgesprochen blutig ins Bild gesetzt wird, freilich nicht ohne einen gewissen Hang zur grotesken Übertreibung. Eine Gefangene wird vom Monster durch die Gitterstäbe gezogen: Ein Bein links, das andere rechts, und Hauruck. Das Ergebnis steht der Vervielfältigung John Steiners in CUT AND RUN nicht nach, nur die Tricktechnik ist vielleicht nicht ganz so überzeugend. Macht aber nichts, es funktioniert, vor allem weil das sowieso alles nicht ernst gemeint sein kann. Die Schauspieler gehen völlig in ihren Rollen auf, die von allen Hemmungen befreiten Brüste wackeln dass es nur so eine Freude ist, und Rita weht in Unterwäsche und langem Lackmantel durch die Gefängnisgänge auf der Suche nach einem weiblichen Opfer zum Peitschen oder einem männlichen zum Vögeln - Alles nur und ausschließlich zur Freude des (männlichen) Zuschauers, der vor lauter attraktiven Damen, denen gleich reihenweise die Gedärme rausfallen, gar nicht mehr weiß wo er hinschauen soll. Vor allem die extrem hübsche Yurizan Beltran, die im Evaskostüm mit Unmassen von Blut bekleckert wird, und sich vorher mit der nicht minder hübschen Sindy Lange vergnügt, macht viel Laune. Wer die Filmographien der beiden Damen studiert könnte sich dann höchstens noch darüber ärgern, dass WEREWOLF.. den Schwerpunkt doch eher auf das spritzende Blut legt, anstatt auf andere ebenfalls spritzende Körpersäfte …

Habe ich schon Jack erwähnt, der Sarah regelmäßig als Geist besucht, und sich im Lauf des Films immer mehr in seine Einzelteile auflöst? Ein Auge landet beim Husten versehentlich auch mal in Sarahs Mund … Oder das Telefon, das angeblich eine Direktleitung zur amerikanischen Botschaft hat, in Wirklichkeit aber eine Direktleitung zur Steckdose. Oder Badger, der fette Söldner, der gut dafür bezahlt wird flüchtige Mädchen wieder einzufangen. Oder Werwölfe … WEREWOLF.. befriedigt niedrigste Instinkte und macht einfach ziemlich Spaß, und zwar auf einem absolut unintellektuellem Niveau. Was zu einer fetten Empfehlung meinerseits führt …

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Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Waltz with Bashir (Ari Folman, 2008) 8/10

Der einstige Soldat Ari Folman versucht sich zu erinnern was er im Krieg getan hat. Da ist ein schwarzes Loch in seiner Erinnerung, und nun besucht er einstige Kameraden, um herauszufinden was damals geschah. Damals, das heißt im Libanonkrieg 1982: Israelische Soldaten marschieren in den Libanon ein, um die Infrastruktur der dortigen PLO zu zerstören.

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Manchmal gibt es Filme, die lassen einen einfach sprachlos zurück. Da fehlen dann die Worte, um das Gesehene adäquat auszudrücken, zu verarbeiten, und wiedergeben zu können, was da gerade über einen hereingebrochen ist. Dabei ist es ja nicht einmal so, dass WALTZ WITH BASHIR besonders brutal ist, außerordentliche Grausamkeiten oder gar einen Genozid zeigt oder beschönigt. Im Gegenteil, lange Zeit hält der Film, trotz düsterer Grundstimmung, eine gewisse Lockerheit bei. Die Erlebnisse der israelischen Soldaten am Strand, sowohl im Gefecht wie auch in den Pausen, tragen dazu bei, dass man sich den Krieg auch schön reden könnte (wenngleich spätestens das Baden im Meer nicht von ungefähr an APOCALYPSE NOW erinnert). Erst gegen Ende, wenn die Massaker von Sabra und Schatila greifbarer werden, und die mehr oder weniger unmittelbar Beteiligten (und ich meine das genau so) erzählen, dann schleicht sich allmählich das Grauen in das Unterbewusstsein des Zuschauers. Dabei ist WALTZ WITH BASHIR ein Trickfilm, und seine Bilder, die in ihrer Einfachheit und Eindringlichkeit manchmal an die Zeichnungen von Jacques Tardi erinnern, unterscheiden sich durch nichts von echten Bildern aus Srebenica oder Ruanda. Oder aus Kasimierz. Erst am Ende des Films wechselt der Trickfilm in einem fließenden Übergang zu echten Bildern der Opfer, und dem Betrachter wird dann erst schmerzhaft klar, wie kurz der Weg nach Theresienstadt sein kann.

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Mit diesem Vorgehen hat WALTZ WITH BASHIR das Zeug, kräftig zu polarisieren, und Freundschaften während der Diskussion zu zerstören. Dabei will der Film doch eigentlich nur den Blick der Welt auf ein Geschehnis richten, dass zum Entstehungszeitpunkt des Films runde 25 Jahre zurücklag, fast völlig vergessen ist, und durch seine Auswirkungen immer noch für Angst und Tod, für Terror und Schrecken sorgt. Und dies nicht nur am Ort des Grauens, sondern weltweit, den es kann mir keiner erzählen, dass diejenigen, die dieses Massaker überlebt haben, danach voller Frieden und Freude im Herzen normalen Bürojobs nachgegangen sind.

Das Spannende an dem Film ist, dass der Regisseur ein Israeli ist, der bei den geschilderten Ereignissen tatsächlich dabei war. Dadurch entfällt der Reflex, der jedes Mal zuschlägt wenn die israelische Regierung eine Militäraktion gegen die Palästinenser startet und Kritik per se als Antisemitismus gewertet wird. Als Resultat sitzt der (deutsche) Zuschauer dann vor dem Bildschirm seines Fernsehers und sieht sich in die Zwickmühle gedrängt, das, was er gerade gesehen hat, als Vorstufe zum Völkermord zu verurteilen, und sich dabei gleichzeitig schuldig zu fühlen, da Israelis so etwas per Definition nicht tun. Wenn ein Film solche Reaktionen und Gedankengänge auslösen kann, dann kann es kein schlechter oder billiger Film sein. WALTZ WITH BASHIR ist vieles, und vor allem ist er nicht schön, denn er entlässt den Zuschauer mit dem Gefühl eines leichten Brechreizes. Was ihn nur umso wichtiger und wertvoller macht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Libanonkrieg_1982
https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_ ... d_Schatila

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Der Todesrächer von Soho (Jess Franco, 1971) 8/10

Prinzipiell erstmal eine Aneinanderreihung von Bausteinen aus dem Edgar-Wallace-Krimibaukasten, ist die Story sehr wohl flott und spannend, atmosphärisch erstklassig umgesetzt, mit tollen Schauspielern, und überhaupt macht der Film einfach Laune.


Soweit mein Kurzkommentar zum Original DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER, einem CCC-Krimi aus der klassischen Hochzeit der Wallace-Filme. Knapp 10 Jahre später hat Jess Franco dann ein Remake gedreht, schauen wir doch mal, was er aus der sehr guten, wenngleich auch konventionellen Vorlage gemacht hat.

In London geht die Angst um: Männer aus dem Ausland finden ihre Koffer gepackt vor, und wenn sie dann voller Schrecken abreisen wollen, landet ein Messer in ihrem Herzen. Inspektor Redford von Scotland Yard ist bereits am Verzweifeln, da findet sich doch noch eine Spur. Der Arzt Dr. Bladmore, der zufällig am letzten Tatort zugange war, hat den Koffer des Opfers gestohlen. Redford findet nicht nur den Arzt suspekt, sondern auch dessen Angestellte Helen ausgesprochen liebreizend. Da verschwindet plötzlich sein alter Freund, der Kriminalschriftsteller Charles Barton. Redford tappt im Dunklen, der Zuschauer aber weiß mehr: Barton ist gar nicht Barton, sondern hat sich den Namen von einem früheren Zellengenossen geliehen. Außerdem ist er schwer drogensüchtig, und wie er in seinem Stammclub, der Flamingo-Bar, ein Abenteuer mit Mizzi sucht, kreuzt er unglücklich die Wege der Drogenmafia in Form der Barbesitzerin Celia, und landet daraufhin tot im Hafenbecken. Vermeintlich tot, denn er hat den fiesen Mordanschlag überlebt und will jetzt Rache. Rache für ein verpfuschtes Leben als Drogenabhängiger …

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Klingt wirr? Ist wirr. Macht aber nichts, denn so halbwegs macht die Handlung durchaus Sinn, auch wenn das Original auf Logik und schlüssige Abläufe erheblich mehr Wert gelegt hatte. Was Franco aber dem älteren Film weit voraus hat ist die Stimmung die er aufs Tapet zaubert. TODESRÄCHER legt von Beginn an ein höllisches Tempo vor, welches alles und jeden beiseite fegt. Loch in der Handlung? Wurscht! Szenen die einander widersprechen? Egal!! Es wird gemordet und telefoniert dass sich die Balken biegen, und mittendrin mit Elisa Montés und Barbara Rütting zwei extrem gutaussehende Frauen, die beide sehr viel Erotik ausstrahlen – Die eine eher unschuldig und mit verweintem Mascara, die andere mehr lasziv-dominant im Lackmantel. Ein Traum, vor allem wenn Horst Tappert die Rütting zwischen zwei Bettpfosten fesselt, mit Parfüm bespritzt und droht ein Streichholz anzuzünden wenn sie nicht redet …

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Zu diesem Tempo kommt noch eine fetzige und stimmige Musik (das Hauptthema aus Alfred Vohrers PERRAK treibt unaufhörlich nach vorne und bügelt jeden Gedanken an Langeweile einfach nieder), und die Fotografie ist glaube ich mit die Schönste, die ich jemals in einem Jess Franco-Film gesehen habe. Fischauge, Weitwinkel und Zoom treiben wildeste Spiele mit der Wahrnehmung des Zuschauers und führen ihn in eine Welt voller grafischer Überraschungen und Geheimnisse.

Wer spielt da sonst noch so mit? Horst Tappert ist genial und abgründig als Charles Barton auf seinem Rachefeldzug, Rainer Basedow mimt einen Sergeant der Jacky Chans Telefonstunt aus POLICE STORY fast vorwegnehmen könnte, und hat zusammen mit Fred Williams eine Sequenz beim Öffnen zweier Türen, die mich zum lauten Lachen animiert hat. In einem Jess Franco-Film etwas, was ich so fast nie erwartet hätte … Fred Williams ist nett und macht seine Sache als Inspektor sehr gut, und Luis Morris nervt mit der Stimme von Hans Clarin bei weitem nicht so sehr wie Eddi Arent im Original. Dafür hat es aber ein herrlich knuffiges Sproioioingggg auf der Tonspur, wenn die Messer ihr Ziel treffen. Herzallerliebst …! Der damals schwer angesagte Giallo wird referenziert (ein Mord mit schwarzen Handschuhen, in Großaufnahme und mit den Augen des Mörders aufgenommen, sehr liebevoll inszeniert), und der Tod von Mizzi dürfte Brain Clemens inspiriert haben zum fast identischen Tod in der DIE PROFIS-Folge EVEREST WAS ALSO CONQUERED (auf deutsch SIR ARDENS GESTÄNDNIS) …

Wie würde dann also die Kurzkritik zur Franco-Version lauten? Prinzipiell erstmal eine wilde Ansammlung von Bausteinen aus einem Krimi-Baukasten, ist die Story extrem schnell, wenngleich auch nur bedingt spannend. Dafür aber atmosphärisch hinreißend umgesetzt, macht TODESRÄCHER mit tollen Schauspielern und fetziger Musik unglaublich Stimmung. Einer von Francos besten Filmen. Wenn man bereit ist, sein Hirn vollständig auszuschalten, und sich diesem Rausch rückhaltlos hinzugeben!

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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

House of Flying Daggers (Zhang Yimou, 2004) 6/10

Pünktlich zum ersten Schneefall des Winters gab es HOUSE OF FLYING DAGGERS zu sehen. Draußen wie drinnen Märchenland und Realitätsverlust. Auf beiden Seiten der Fensterscheibe kein Schmutz und keine Arglist mehr zu sehen, sondern weiße Unschuld und Reinheit. Nun gut zumindest was den Film betrifft stimmt das nicht ganz.
Der Held ist Kommissar Jin, der auf die Tänzerin Mei angesetzt wird, steht diese doch im Verdacht, mit der Widerstandsgruppe House of Flying Daggers im Kontakt zu stehen, eventuell gar deren Anführerin zu sein. Jins Vorgesetzter Leo hat einen Plan ausgetüftelt: Jin befreit Mei aus dem Gefängnis und flieht mit ihr. Im Laufe dieser Flucht rettet Jin Mei ein paar Mal das Leben, woraufhin sie ihm vertraut und ihn zu den Rebellen führt. Leo ist immer in der Nähe und kann dann endlich zuschlagen – So der Plan. Nicht in diesem Plan berücksichtigt ist, dass Jin sich allmählich in die kluge und zarte Mei verliebt, genauso wie Mei sich in den ungestümen und gutaussehenden Jin verliebt. Und es ist auch zu berücksichtigen, dass manche Figuren in diesem Schachspiel eine Doppelbödigkeit an den Tag legen, durch die die fragile Komplexität schnell zerbrechen kann.

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Der Versuch, die wesentlichen Bestandteile der einfach gestrickten Handlung nicht zu spoilern, endet in Satzkonstrukten, die fast mit dem Film verglichen werden können: Schöne Worte, wenig Inhalt. Oder anders ausgedrückt: HOUSE OF FLYING DAGGERS ist ein visuelles Meisterwerk, ein opulentes Gemälde vor dem Hintergrund der Liebe und der Pflichterfüllung. Wuxia für Arthouse-Fans, auch wenn der Tod ausgesprochen häufig kommt, und aussieht wie in Filmen von Demofilo Fidani – Unter mindestens einer Rolle seit- und rückwärts gleichzeitig wird hier nicht gestorben. Bilder wie Kunstwerke, die von einer entfesselten Kamera und diszipliniert und dabei gleichzeitig entfesselten Schauspielern punktgenau gemalt werden und geradezu betäuben in ihrer Pracht und ihrer Schönheit. Auch wenn ich des Öfteren einmal den HERR DER RINGE vermeinte zu sehen – Die Waffenbeherrschung von Jin und seine Ausstrahlung erinnern nicht von ungefähr an Legolas …

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Aber hinter den schönen Bildern, den überwältigenden Kämpfen und den herrlichen Naturbildern (gedreht wurde in der Ukraine!) kommt nicht mehr viel. Die Handlung ist wie gesagt eher dürftig und komplett dazu ausgelegt, ansprechende Schauspieler vor ansprechenden Kulissen zu zeigen, Schwertkämpfe mit atemberaubender Artistik (und vielen Schnitten) abzubilden, und allein schon Meis Tanz im Pavillon ist ein Höhepunkt cinematografischer Kunst. Eine opulente Ausstattung, die einem Hollywood-Film aus der goldenen oder silbernen Ära in nichts nachsteht, und deren wunderbaren Märchengehalt noch bei weitem übersteigt. Aber es ist halt alles so schrecklich künstlich und abgehoben. Hübsch anzuschauen und doch so leer. Kein Film, der wirklich satt macht, sondern nur für kurze Zeit Nahrung anbietet, dies dann aber zugegeben umso reichhaltiger. Und wie der Schnee auch wieder schmelzen wird, und es so sein wird als ob nie einer lag, so werden auch die Eindrücke von HOUSE OF FLYING DAGGERS spurlos verschwinden. Meine Erstsichtung vor vielen Jahren hinterließ außer einer deutlich höheren Wertung jedenfalls kaum Erinnerungen. Vielleicht ist Film doch etwas mehr als nur schöne Menschen in schönen Bildern …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Fall of the eagles (Jess Franco, 1989) 4/10

Herbst 1939: Die Sängerin Lillian Strauss liebt den Komponisten Karl Holbach. Doch Karl muss in den Krieg, sehr zur Freude von Lillians patriotischem Vater, und muss in Nordafrika kämpfen. Während er der Stimme seiner Geliebten im Radio lauscht fällt er einem Angriff zum Opfer und wird schwer verletzt. Lillian, die von Karl nichts mehr hört, meldet sich zur Truppenbetreuung und wird an die Ostfront versetzt. Nach wilden Erlebnissen mit Partisanen und der neuen Freundschaft zu einem homosexuellen Kommandeur trifft sie Peter Fröhlich wieder, der sie immer heimlich verehrt hat. Sie heiratet ihn auf dem Sterbebett und ist nicht mal eine Minute später eine Witwe. Mittlerweile ist Karl wieder gesund und kämpft ebenfalls an der Ostfront. Werden sich die beiden Liebenden jemals wieder treffen? Wird der Krieg irgendwann vorbei sein und alles wieder so sein wie früher? Wird Lillians Vater Walter Strauss seine Verblendung erkennen und den Glauben an das Dritte Reich verlieren? Wird das überhaupt jemals jemanden interessieren?

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Jess Franco hat mich schon oft überrascht. EL MIRÒN Y LA EXHIBICIONISTA zum Beispiel mit seinen doppelten Böden und der kunstvoll eingezogenen Metaebene war etwas vollkommen andersartiges, der freche FALO CREST fällt mir ein, der so sonnig und herzig daherkommt, oder die Video-Studie PAULA-PAULA, die sehr sinnlich mit den Möglichkeiten digitaler Bilder spielt.

Und auch dieses Mal überrascht mich Jess Franco - Allerdings im negativen Sinne! Denn eine Kriegsromanze auf technisch hohem Niveau hätte ich von ihm nie im Leben erwartet. Über lange Strecken wähnte ich mich bei der Sichtung einer Vorabendserie über das Schicksal eines jungen Paares, das vom Krieg auseinandergerissen wird. Schicksalswolken im Osten hätte man das dann nennen können, auf der Basis eines Romans von Konsalik. Absolut alles, was filmisch jemals mit Jess Franco in Verbindung gebracht wurde, fehlt hier: Zooms, Schwenks, meisterhaft geführte Wackelkamera, das Meer, nackte Frauen … Stattdessen mehr als nur ein Flair der GULDENBURGS in Verbindung mit jeder Menge Kitsch und Liebesschmonzes, und für die Actionszenen Material aus Alfredo Rizzis HIMMELFAHRTS-KOMMANDO ZUR HÖLLE (was man ja aus OASE DER ZOMBIES schon kennt) sowie aus FOLTERZUG DER GESCHÄNDETEN FRAUEN und CONVOI DES FILLES. Außer beim hanebüchenen Schluss hatte ich in keiner Sekunde das Gefühl, einen Jess Franco-Film zu sehen, sondern einer Produktion der ARD beizuwohnen. Technisch wie erwähnt auf hohem Niveau, ist die Story über weite Strecken schlicht und ergreifend uninteressant und schwülstig. Lillian, die in schwarzer Unterwäsche vor deutschen Soldaten ihr Lied singt (und dabei offenbart dass sie keine wirklich gute Sängerin ist), Lillian die in schwarzen Strapsen vor amerikanischen Soldaten ihr Lied singt (und immer noch emotionslos und schlecht singt), Herzschmerz-Szenen zwischen Liebenden vor dem Hintergrund des alles zerstörenden Krieges (der macht zum Beispiel Autos kaputt, und Häuser, aber manchmal auch Menschen) …

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Der einzige Grund sich diesen Flick anzuschauen ist Christopher Lee als Lillians Vater Walter Strauss. Ein Kriegsspekulant und überzeugter Nationalsozialist, der in seiner eigenen kleinen Welt lebt und nicht erkennt, was die Menschen um ihn herum wirklich bewegt. Über die Jahre spielt Strauss mit Karls Vater (immer wieder schön, Craig Hill zu sehen!) Billard, und selbst als der eines Abends nach seinem Fronteinsatz überraschend mit nur noch einem Arm erscheint, ist Strauss zwar fassungslos, gibt aber seine Haltung nicht auf. Lee spielt souverän, Craig Hill spielt kein Billard, und der Zuschauer spielt mit dem Gedanken diesen Unfug ganz schnell abzuschalten. Für Franco-Komplettisten interessant, ansonsten würde ich die Finger von dieser Soap-Opera lassen.

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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Je suis à prendre (Francis Leroi, 1978) 7/10

Hélène hat den gutaussehenden und reichen Bruno geheiratet und geht mit ihm auf sein Schloss auf dem Land. Doch Bruno ist ständig geschäftlich unterwegs, der Stallknecht hat Instruktionen von Bruno bekommen (die nichts anderes besagen, als Hélène kräftig durchzureiten), und das Hausmädchen, nennen wir es vielleicht einmal Mrs. Danvers, reicht Hélène jeden Tag ein Glas Milch.

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Ich gebe gerne zu, dass mich die ersten 30 Minuten ausgesprochen irritiert haben. Für einen Porno gibt es erheblich wenig Explizites zu sehen, die Landschaftsaufnahmen sind schön, die Pferde ebenfalls, und irgendwie passiert relativ wenig von dem, was man mit einem Porno in Verbindung bringt. Aber es zeigt sich, dass nicht das Gepoppe hier den Kern des Films ausmacht, sondern die sonderbare und vergiftet wirkende Atmosphäre im Haus. Mrs. Danvers (die natürlich anders heißt, aber genauso wirkt) reicht Milch, und danach passiert mit Hélène etwas: Ihre Hormone spielen verrückt und sie wird geil wie Nachbars Lumpi. Woraufhin alle Insassen des Hauses, das Hausmädchen, der Stallknecht und der alte Butler, über Hélène herfallen – Heimlich beobachtet von Bruno, der mitnichten auf Geschäftsreise ist, sondern zuschaut, wie Knecht und Butler seine Frau verführen, während die Danvers ihm gleichzeitig einen bläst …

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Die Auflösung dieses ungewöhnlichen HCs ist dann leider sehr platt und bedient billigste Männerphantasien, aber bis dahin wird Hitchcocks VERDACHT reichlich hommagiert, an einer Stelle sogar bildgenau übernommen, und die Atmosphäre ist kalt und befremdlich. Während der HC-Szenen hat es keine Musik, der Soundtrack besteht meistens aus dem Heulen des Windes, und sogar die sehr sexy Szene mit zwei Frauen und dem Butler ist einfach anders als man das aus anderen Filmen kennt. Es schwingt immer so ein klein bisschen das Unheimliche mit, das Surreale, und das Mysteriöse. Ein Psycho-Thriller mit HC-Elementen, wenn man so will. Ein ausgesprochen interessanter Porno, der ganz andere Wege geht als das Hochglanzgelangweile der heutigen Zeit, der narrativ etwas zu bieten hat, und mit Brigitte Lahaie und Karine Gambier definitiv alles in feuchte (anstatt in trockene) Tücher bringt.

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Machtlos (Gavin Hood, 2007) 8/10

Der arabischstämmige US-Chemiker Anwar El-Ibrahimi betritt in Kapstadt ein Flugzeug, verlässt es aber in Washington nicht mehr. Offiziell war er nie auf diesem Flug, und die Südafrikaner haben einen Fehler gemacht. Das behaupten die amerikanischen Behörden steif und fest, doch El-Ibrahimis Frau Isabella kann hieb- und stichfest belegen, dass ihr Mann tatsächlich an Bord dieses Fluges war, aber die Frage ist natürlich: Wohin ist er verschwunden? Isabella stößt auf eine Mauer des Schweigens.
Sie kann sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, dass ihr Mann in einem US-amerikanischen Geheimgefängnis in Ägypten sitzt und verhört wird. „Verhört“, das bedeutet dass er gefoltert wird, um die Hintermänner eines vor ein paar Tagen erfolgten Selbstmordanschlags in Nordafrika zu verraten, von denen er selbstredend nicht die geringste Ahnung hat. Und niemand glaubt seinen Unschuldsbeteuerungen …

Nach den Ereignissen im September 2001 dauert es nicht mehr lange und die Nachricht ging durch die Medien der Welt, dass die USA in aller Herren Länder Geheimgefängnisse unterhalten. Dort werden Gefangene mit barbarischsten Methoden gefoltert um den „Kampf gegen den Terror“ weiterzuführen. Da aber diese Gefängnisse nicht auf amerikanischem Boden liegen, unterliegen sie auch nicht der amerikanischen Gerichtsbarkeit. Wer dort landet ist verloren. Bis heute sollen vor allem in einigen osteuropäischen Staaten diese Gefängnisse existieren. HOSTEL anyone …?

Diesen Zeitbezug muss man aber parat haben, um MACHTLOS richtig einsortieren zu können. MACHTLOS ist kein ewig gültiger Politthriller à la AUGENZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG, sondern bezieht sich eben sehr stark auf damals aktuelle Nachrichten und Vorkommnisse, die zwar heute wahrscheinlich immer noch bestehen, aber eben nicht mehr in den Medien gehandelt werden. Durch diesen Zeitbezug kann es aber schnell passieren, dass man den Film als Flickwerk abhandelt, welches einige Löcher im Ablauf aufweist und vor allem gegen Ende hin unlogisch und krampfhaft mainstreamig wird.

Dabei wird aber gerne das Drama übersehen, um welches sich die eigentliche Erzählung rankt. Mehrere Ebenen werden hier parallel aufgefächert, und der deutsche Titel Machtlos passt zu jeder dieser Ebenen geradezu perfekt. Da ist einmal natürlich El-Ibrahimi, der in den Händen der Folterer ist, die ihm seine Unschuld nicht glauben wollen (und nicht glauben dürfen, weil ihnen dies untersagt wird), und denen er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist bis es ihnen gefällt ihn irgendwann, in gefühlten 1000 Jahren, einmal endlich zu töten. Dann ist da der junge Analytiker und Schreibtischtäter Douglas Freeman, der diese Folterungen berufsmäßig beobachten muss, und daran zunehmend verzweifelt. So kalt wie er tut ist er nicht, und das, was er da sieht was „sein“ Land anderen Menschen antut, beginnt ihn aufzufressen. Diese Dinge wurden in der Agentenschule nicht gelehrt, und er beginnt immer mehr, den Sinn seines Jobs in Frage zu stellen. Aber auch Freeman (man beachte das Wortspiel des Namens) ist machtlos gegenüber den Anweisungen seiner Vorgesetzten einerseits, und den Ausführungen des Folterers andererseits, denn er darf in die „Verhöre“ nicht eingreifen.

Dann ist da El-Ibrahimis junge Frau Isabella, die in Washington versucht herauszubekommen was ihrem Mann zugestoßen ist, und die zunehmend gegen immer höher wachsende Mauern läuft. Zwischen dem Wunsch nach Wiederwahl und der Notwendigkeit des Schutzes der Nation (durch Folterung Verdächtiger in anderen Ländern! Aber die USA foltern nicht, das wird von der CIA-Verantwortlichen Corrine Whitman klar und deutlich festgestellt), zwischen diesen beiden Polen kann und darf es keine Aussage über das Schicksal eines armen Tropfes geben, der zwischen die Mühlsteine der großen Menschenvernichtungsmaschinerien gekommen ist. Auch Isabella ist hilflos, und die Menschverachtung die ihr entgegenschlägt, ist die gleiche, die ihrem Mann angetan wird. Alles im Namen des Schutzes von Menschen, wohlgemerkt …

Parallel dazu wird die Geschichte der jungen Fatima erzählt, die sich in Khalid verliebt hat, wo doch ihr Vater einen anderen Mann für sie ausgewählt hat. Ihr Vater, das ist der verantwortliche Folterer im Gefängnis, der seine Familie liebt, aber die Prinzipien seines Lebens und seines Glaubens sind für ihn wichtige Säulen und geben ihm Halt, und darum darf die Tochter keinen anderen Mann haben als denjenigen der er auswählt. Fatima flüchtet zu Khalid und kann nicht mehr nach Hause – Sie ist ebenfalls machtlos, und muss sich nun mit Khalid zusammen eine Zukunft aufbauen. Was nicht so ganz einfach ist, denn ebendieser Khalid ist ohne ihr Wissen Mitglied einer islamistischen Bruderschaft, die mit Selbstmordattentaten die Welt verändern will. Auch Khalid ist machtlos gegenüber den Einflüsterungen der falschen Propheten, die denken, dass Tod und Leid Heil bringen. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass auf der Seite der Ungläubigen die gleiche Meinung herrscht, nur dass Tod und Leid dort in einem anderen Maßstab verbreitet werden, nämlich durch die Folterung einzelner, anstatt durch möglichst grausam ausgeführte Sprengstoffanschläge auf viele Menschen. Aber Feuer und Schwert sind auf beiden Seiten auf jeden Fall die bevorzugten Mittel zum Bringen der gerade aktuellen Heilsnachricht …

Und das Entsetzlichste ist, dass die Argumentation Corrine Whitmans durchaus schlüssig ist. Wenn durch das Leid eines Einzigen das Leid von Tausenden vermieden werden kann, ist es das Leid dieses Einzigen wert? Diese Frage durchzieht den Film, und es ist eine hochgradig spannende Frage, die all den Unfug der letzten Viertelstunde locker überdauert und hinterher leuchtend im Raum steht: Wie kann man die Menschen, für deren Schutz man zuständig ist, am Besten schützen? Und es ist gleich, ob es um die Bürger eines Landes geht, oder um die eigene Familie. Und weil diese Frage so wunderbar gar nicht beantwortet wird, und weil die Personen, so plattitüdenhaft sie auch angelegt sein mögen, so realistisch wirken, weil zwar die amerikanische Produktion sich nicht einigen konnte ob der Anschlag jetzt in Tunis stattfand und die Folterungen von den Ägyptern ausgeführt werden (halt irgendwo in Nordafrika, das sind ja laut irgendeinem US-Präsidenten der letzten Jahre eh alles Dreckslöcher), die Atmosphäre in den Straßen und Gassen aber perfekt und vor allem realistisch getroffen wird, und weil so einige kleine und kleinste Dramen, die vielleicht auch nur angerissen werden, zum Nachdenken und Reflektieren anregen, deswegen ist MACHTLOS ein Film dem man ruhig eine Chance geben sollte. Er hat einige Fehler, aber er trifft eine (politische) Aussage und regt an zum Nachdenken und zum Diskutieren. Und solche Filme gibt es heutzutage nicht mehr so viele …

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Doctor X (Michael Curtiz, 1932) 7/10

Die Presse nennt ihn den Moon Murder, denn er tötet nur bei Vollmond, und er verstümmelt seine Opfer auf furchtbarste Weise. Aufgrund von Indizien weiß die Polizei, dass der Mörder aus dem Umfeld des Chirurgischen Instituts von Dr. Xavier kommen muss, der von dieser Anklage aber gar nicht begeistert ist, und um den Ruf seiner Anstalt fürchtet. Er erbittet von der Polizei 48 Stunden, die er nutzen will, um mit Hilfe eines wissenschaftlichen Experiments den wahren Mörder zu finden. Gemeinsam mit vier Kollegen und seiner Tochter Joanne zieht er sich in sein Landhaus auf Long Island zurück, um das Experiment durchzuführen: Alle Teilnehmer sind mit Handschellen an ihre Stühle gefesselt, alle Türen sind abgeschlossen, und der Butler Otto soll von den Augen der entsetzten Teilnehmer so tun als ob er Joanne ermordet. Doch zu diesem Zeitpunkt steckt bereits jemand anderes in Ottos Kleidung. Der wahre Mörder …

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Gesehen wurde die Originalfassung in Zweifarb-Technicolor, und es ist kaum zu glauben, was so ein bisschen Farbe ausmacht. Prinzipiell erstmal ein Mad Scientist-Fest in gotischem Ambiente, geben die Farben der Geschichte eine Tiefe, die sie eigentlich gar nicht verdient hat. Bei der Sichtung wähnte ich mich ein paar Mal fast im KABINETT DES DR. CALIGARI, so raffiniert und fantasievoll wird hier mit dem Technicolor umgegangen. Die Szenen in denen der Mond scheint und die Wissenschaftler alle so richtig nervös werden, das ist schon fortgeschrittene Gruselkunst.

Überhaupt, die Gruselkunst. William K. Everson schreibt über DOCTOR X „… vollgestopft mit zupackenden Händen, einem unheimlichen Laboratorium, einem vermummten Killer, Gasdüsen, Geheimtüren, einer wundervollen Ansammlung von Verdächtigen …“ (1), und damit hat er die Stimmung und den Inhalt des Films perfekt beschrieben. Ich persönlich mag Lee Tracy als komischen Journalisten Lee Taylor überhaupt nicht – Sein Humor kommt deutlich vom zeitgenössischen Slapstick, den Slowburn hat er sich von Oliver Hardy abgeschaut, und seine dummen Sprüche und sein Verhalten gegenüber der starken Fay Wray schaden dem Film in der ein oder andere Szene sogar eher. Dafür hat es mit der erwähnten Fay Wray als Joanne Xavier eine toughe und selbstbewusste Heldin mit Hang zur Schrecksekunde, die in ihren Szenen den Bildschirm deutlich beherrscht, und den affigen Lee Taylor schnell in seine Schranken weisen kann.

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Aber eigentlich ist das alles eitles und intellektuelles Geschwätz über einen Film, der mit seiner Atmosphäre und seinen Farben einfach erstklassig unterhält und eine Menge Spaß macht. Klassischer Grusel in einem gotischen Ambiente mit verrücktem(?) Wissenschaftler, erstklassigen Schauspielern und wunderbarer Atmosphäre – Da hat dann sogar Nervensäge Lee Tracy eine tolle Szene, wenn ein Plastikskelett am Nylonfaden auf- und abwippt, und er lächelnd dazu den Takt klatscht … Großes Kino!

(1) William K. Everson: Klassiker des Horrorfilms, München 1980

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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Der Weg ins Verderben (Henri Verneuil, 1955) 7/10

Ein einsames Haus in der Ödnis. Wind weht Dreck durch die Luft, ein paar Lastwagen stehen herum: Ein Truck Stop, irgendwo im Wilden Westen zwischen Paris und Bordeaux. Jean Viard ist einer der Lastwagenfahrer die dort regelmäßig absteigen, eine Tasse Kaffee runterkippen, anderthalb Stunden schlafen, und weiterfahren. Familienleben? Jean hat zwar eine Frau und drei Kinder in Paris, aber wenn er mal zuhause ist gibt es nur Streitereien und gegenseitige Vorwürfe. Wie anders ist da Lou, die in Emiles Absteige als Bedienung malocht. Die ist nicht auf den Mund gefallen und lässt sich von dem barschen Jean nichts gefallen, behält dabei aber immer die Fasson. Die beiden finden Gefallen aneinander und verlieben sich. Lou kündigt die Stellung bei Emile und geht nach Paris, um als Stubenmädchen in einem Stundenhotel zu arbeiten, Jean verlässt seine Familie um mit Lou ein neues Leben zu beginnen. Als Lou von ihm schwanger wird und zu einer Engelmacherin gehen muss, bahnt sich eine Katastrophe an …

Ein einsames Haus in der Ödnis. Wind weht Dreck durch die Luft, ein paar Lastwagen stehen herum. Es könnte auch ein Western sein der hier seine Geschichte beginnt, und genauso wie die Charaktere in den Wildwestfilmen entwurzelt sind und sich treiben lassen, genauso ist auch Jean entwurzelt. Mehr oder weniger ziellos lässt er sich treiben, je nachdem wohin sein Chef ihn schickt. Ein moderner Cowboy, lange bevor die Cowboy-Romantik die Fernfahrer erfasste. Allerdings einer von der unromantischen Sorte, kein Marlboro-Mann: Jean ist barsch, um nicht sogar zu sagen grob, und behandelt seine Umgebung mit ausgesuchter Unhöflichkeit. Nur Lou lässt sich von ihm nichts sagen, und das imponiert ihm mehr als er zugeben mag.

Lou hat sich für ein Leben am unteren Ende der sozialen Rangleiter entschieden. Sicher nicht ganz freiwillig, aber sie weiß genau, dass sie auch noch viel tiefer fallen könnte. Zumindest muss sie nicht ihren Körper verkaufen. Sie hat ihren Stolz, und den verliert sie auch dann nicht, wenn sie als Stubenmädchen in einem Stundenhotel das Trinkgeld erbetteln muss und der hochnäsigen Wirtin zu Dank verpflichtet ist. Anders als Jeans Tochter Jacqueline, die von einer Karriere als Filmstar träumt, und es immerhin auf den Deckel einer Käseschachtel schafft, ist Lou dabei grundlegend realistisch. Sie weiß, dass sie nie die Sterne vom Himmel holen wird. Weiß sie das wirklich? Die Beziehung mit dem wesentlich älteren Jean gibt ihr Auftrieb und Mut, aber seine, dem Beruf geschuldete, Unstetigkeit holt sie bald wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Lou erinnert mich oft an Sandrine Bonnaire in Agnes Vardas VOGELFREI: Sie hat sich für ein Leben außerhalb der Bürgerlichkeit entschieden, und zieht diese Entscheidung bis zur letzten Konsequenz durch, auch wenn das Ziel dieser Reise völlig unbekannt ist.

Wenn wir heute an das Paris der 50er-Jahre denken, dann denken wir romantisch: Bummeln am Montmarte, im Kino RIFIFI, einen Pastis in einem Bistro am Boulevard St. Michel, und dann eine Liebesnacht mit Madeleine. Das Elend der Hinterhöfe, die Arbeits- und Lebensbedingungen der einfachen Menschen, daran denkt niemand. Das Verdienst solcher Filme wie DER WEG INS VERDERBEN ist, dass eine historische Wahrheit aufgezeigt wird, an die sich höchstens die Alten noch erinnern können, und die möchten sich oft gar nicht mehr erinnern. Darum kann rein formal gesehen DER WEG INS VERDERBEN dem Neorealismus zugerechnet werden: Das Leben der kleinen Menschen, der Menschen ohne Bedeutung, dargestellt in unromantischen und oft harten Bildern. Sozialromantik ist hier keine zu finden, und die Bilder von Paris sind schmutzig, grau und hässlich. Es ist das gleiche Paris, das nur wenige Jahre später die Nouvelle Vague gebären wird. Und das bereits Mitte der 50er vor Lebenslust schier platzt: Jazz, Existenzialismus, Jean-Paul Sartre und Simone Beauvoir. Chet Baker, Leo Malet und die Stadt der Liebe. Aber davon wird in diesem Film nichts gezeigt. Wenn wir Jean auf dem Heimweg begleiten, dann laufen wir durch schmutzige Straßen und durch Bahnunterführungen hin zu kleinen Häusern mit herabgekommenen Fassaden, in deren Hinterhöfen die Arbeiterfamilien versuchen das Elend zu verdrängen. Wir sehen eine abgearbeitete Frau mit drei Kindern, und eine Existenz die nur dadurch zu ertragen ist, dass sie gar nicht erst gelebt wird. Selbst der kleine Junge von Jean muss schmerzhaft erfahren, dass es den Weihnachtsmann nicht (mehr) gibt.

Die Liebe zwischen Jean und Lou scheint Abhilfe zu schaffen, scheint für kurze Zeit ein kleines bisschen Glück zu versprechen. Jeans Alltag ist durch etwas gekennzeichnet, was heute als Stress bekannt ist: Kommt er zu spät zur Spedition zurück wird er angeschnauzt, mit seiner Frau gibt es nur laute Streitereien, und das unerbittliche Zeitmaß in seinem Leben ist der Fahrtenschreiber. Nicht einmal zum Pinkeln kann unterwegs angehalten werden. Lou ist der erste Mensch der ihm zuhört. In Gegenwart von Lou kann er sogar einschlafen, kann sich entspannen.

Aber es ist auch von vornherein klar, dass diese Liebe unter keinem guten Stern steht. Die beiden sehen sich zweimal die Woche für fünfzehn Minuten, wenn überhaupt, und wenn Jean zu früh oder zu spät zu Emile kommt sehen sie sich gar nicht. Jean ist zudem erheblich älter als Lou, er könnte, das wird deutlich gesagt, ihr Vater sein. Und auch im in Liebesdingen ach so liberalen Frankreich werden solche Dinge nicht gerne gesehen. Die Arbeit im Stundenhotel ist auch nicht dazu angetan die Beziehung zu vertiefen, und die Schwangerschaft Lous ist dann der Endpunkt des kleinen Hoffnungsschimmers. Lange vor dem Ende ist klar, was mit Lou geschehen wird, und ohne eine Möglichkeit eingreifen zu können ist der Zuschauer dazu verdammt, den Weg bis ins Verderben mitzugehen, so sehr er auch Jean zurufen möchte das Umleitungsschild doch endlich zu beachten und einen anderen Weg zu nehmen.

Ist das Ende moralistisch? Gönnt Verneuil den unbedeutenden Menschen nicht einmal das kleine Glück einer unmöglichen Liebe? Mag sein, immerhin sind 1955 die Moralvorstellungen noch um einiges rigider. Aber ich denke, in erster Linie möchte Verneuil eher die Lebens- und Arbeitsbedingungen zeigen, unter denen die Menschen damals gezwungen waren ihre Brötchen zu verdienen. Die Ausbeutung derjenigen die sich nicht wehren können, weil sie keine Alternative dazu haben ausgebeutet zu werden, dies ist das zentrale Thema des Films, eingebettet in eine unglückliche Liebesgeschichte, eine Romanze im Stil der Zeit. Und dass Verneuil kein Moralist war zeigen nicht nur einige seiner späteren Filme (I … WIE IKARUS, um nur einen zu nennen), sondern auch der Umstand, dass er in DER WEG INS VERDERBEN das Thema Abtreibung klar anspricht und in aller Deutlichkeit aufzeigt, was ein Verbot der Abtreibung bewirken kann. Nicht als moralinsaures Drama wie es in bundesdeutschen Filmen der Zeit öfters mal der Fall war, sondern eben als realistisch-düsteres Tränenbild einer Wirklichkeit, die schreckliche Lebensumstände hervorbringt. Und verdammt gute Filme.
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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Midnight Blue (Raimondo Del Balzo, 1979) 7/10

Drei Frauen und drei Männer. Die Frauen sind Rita, Elena und Francesca. Junge Sportlerinnen, die sich für ein Wochenende abseilen, um in der Villa der Mutter zu relaxen und sich am Meer vom harten Trainingsalltag zu erholen. Die Männer sind Pier Luigi, Mario und Bruno - Mehr oder weniger attraktive und anständige Männer, die zufällig am Strand waren wie die Mädels dort gebadet haben, und man hat sich dann halt angefreundet. Vor allem haben die Herren der Schöpfung nicht gar zu unanständig-penetrant auf die nackten Brüste der Schönheiten gestarrt, darum durften sie mit in die Villa, wo es dann auch schnell zu zarten und durchaus erwünschten Kontakten kam.
Doch durch einen dummen Zufall kommt heraus, dass die drei Männer mitnichten anständige Urlauber oder Traumstecher für das ersehnte Kuschelwochenende sind, sondern aus dem Gefängnis geflüchtete Verbrecher. Schluss mit der Idylle, ab sofort wird der Sex mit Waffengewalt erzwungen. Und was passieren wird, wenn Enzo mit den neuen Pässen kommt und die Abreise ins Ausland bevorsteht, das weiß noch niemand so genau …
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Wie aus der Inhaltsangabe klar zu erkennen ist, wandeln wir auf den Spuren von Filmen wie JUNGE MÄDCHEN ZUR LIEBE GEZWUNGEN oder KILLER SIND UNSERE GÄSTE: Eine Gruppe Männer, die absolut nichts zu verlieren hat, nistet sich bei freundlichen Durchschnittsitalienern ein und terrorisiert diese. Was allerdings bei den genannten Filmen in Psychoterror der gehobenen Art und in exzessiver Gewalt mündet, wird bei MIDNIGHT BLUE eher ein wenig … ich möchte mal sagen familienfreundlicher dargestellt, der Sleaze bleibt hier deutlich außen vor. Stattdessen behält der zumindest halbwegs anständige Pier Luigi im Wesentlichen immer die Übersicht, und Mario und Bruno haben seinen Befehlen zu gehorchen, Punkt. Der erste versuchte Übergriff Marios auf Rita wird von Pier Luigi gnadenlos unterbunden – Es gibt keinen erzwungenen Sex im gemeinschaftlichen Wohnzimmer! Erst später, wenn Wein und Whisky ihre Wirkung getan haben, gibt Pier Luigi nach und gibt den Zugang zum Schlafzimmer der drei Mädchen frei. Aber auch hier findet dann nicht das erwartete Sleaze-Massaker statt, sondern Regisseur Raimondo Del Balzo versucht einen Weg zwischen der stattfindenden körperlichen Grausamkeit und dem damit einhergehenden seelischen Drama zu finden. Ob das dem Film gut tut sei mal dahingestellt, der Voyeur jedenfalls wird nicht wirklich befriedigt. MIDNIGHT BLUE ist vieles, aber sicher kein reinrassiger Rape and Revenge-Film.

Wobei besagter Voyeur sich andererseits zumindest in den ersten 40 Minuten über jede Menge ansprechend gefilmter nackter Frauen und schön dargestellten Sex unter der Dusche freuen kann. 40 Minuten bei einer Gesamtlänge von 73 Minuten – Ups, das ist mehr als die Hälfte der Laufzeit, die der Film mit einer Heile Welt-Idylle und ansprechenden Gefühlen füllt. Erwähnte ich schon, dass MIDNIGHT BLUE eher in Richtung eines Dramas tendiert? Raimondo Del Balzo war ganz allgemein eher dem anspruchsvollen Film zugeneigt, seine bekanntesten Arbeiten DER LETZTE SCHNEE DES FRÜHLINGS und BIANCHI CAVALLI D’AGOSTO sind beides reinrassige Dramen, die „beim Zuschauer Emotionen wecken sollen“, wie es die italienische Wikipedia so hübsch ausdrückt. Schmuddel ist also bei MIDNIGHT BLUE tatsächlich nicht zu erwarten, und die ein wenig ruppigere zweite Hälfte könnte dann wahrscheinlich eher dem Einfluss des Produzenten zuzuschreiben sein als der Absicht des Regisseurs.

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Emotionen wecken, das funktioniert hier allerdings ziemlich gut. Schon zu Beginn, wenn die Mädchen die Villa entern, wähnt der Zuschauer sich tatsächlich in einem wunderbaren und perfekten Italienurlaub. Die Hitze ist geradezu spürbar und der Schatten tut gut, gerade dass das Planschen im Meer kein Salz auf der Haut des Zuschauers hinterlässt. Del Balzo schafft es mit einer geschickten Kamera, erstklassigen Darstellern und einem träumerischen Score von Stelvio Cipriani mühelos, den Zuschauer in die Geschichte hineinzuziehen. Der Auftritt der Männer lässt von vornherein nichts Gutes ahnen, aber durch die langsame Erzählweise wird auch die Spannung sehr allmählich aufgebaut. Ständig wartet der Zuschauer darauf, dass die Mädchen die Wahrheit über die Männer erkennen oder erfahren, und ständig wird diese Erwartungshaltung noch ein wenig verlängert.

Umso brachialer ist dann der Bruch nach dem Verkünden der Wahrheit. Schluss mit Lustig, das Knutschen ist vorbei, die Waffen werden gezückt und die Gewalt beginnt. Kein Schockmoment, sondern geschickt und flüssig in die Story eingebaut, was dann aber in der Folge dazu führt, dass MIDNIGHT BLUE ein wenig der Biss fehlt. So interessant der Film aufgebaut ist, so schön er anzusehen ist, und so abgrundtief böse der Schluss ist, aber in Summe fehlt einfach ein klein wenig, nämlich das Quäntchen Härte, dass aus einem nett anzuschauenden Filmchen einen ernsthaften Film macht. Und dieses Quäntchen Härte müsste ja beileibe nicht im Bereich der Exploitation gesucht werden, es hätte auch gereicht, wenn den Männern ein wenig mehr Brutalität in den Charakter geschrieben worden wäre. Immerhin sind das gesuchte Mörder und Vergewaltiger, die nach einer unbekannten Zeit im Knast sicher ausgehungert sind nach jungem Fleisch. Die Weinflaschen köpfen sie auch entsprechend, aber selbst die erwähnte Vergewaltigung schaut eher nach einer Kissenschlacht aus denn nach dem Schlimmsten, was einer Frau passieren kann. Antonio Cantafora hat einige erstklassige Momente, in denen seine Augen in Großaufnahme böse-nachdenklich in die Welt schauen, und da kann einen schon das Frösteln überkommen. Aber Giancarlo Prete macht diesen Eindruck dann wieder zunichte, wenn er sich einen Stuhl nimmt und Monica Como beim Duschen zuschaut, sichtlich immer aufgeheizter wird – und doch nichts passiert. Das Drehbuch schafft es problemlos, Marios ungenutzte Geilheit zu unterdrücken, und die Erwartungshaltung des Zuschauers, dass da gleich brutaler Sex auf ihn zukommen wird, ad absurdum zu führen. Gut gemeint, aber ob das filmisch auch wirklich sinnvoll ist?

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Filmisch gut gemacht ist auf jeden Fall der Revenge-Teil. Auch wenn das alles leider im Halbdunkel spielt, und damit die Optik ein wenig leidet, so ist die Idee, dass Francesca als Speerwerferin sich mit ihren Sportinstrumenten an den Männern rächt sehr schön umgesetzt. Wie sie da am Strand steht, in wunderschönster Leni Riefenstahl-Pose, bereit zum Wurf auf den heranrennenden Schänder, das ist eindrucksvoll und, da haben wir es wieder, emotionsgeladen. Auch der Tod von Pier Luigi ist reine Emotion, denn er stirbt nicht nur einfach, nein, sein toter Körper wird zur Projektionsfläche für die ganze durchstandene Angst und für alle erlittenen Demütigungen. Stark gemacht, allerdings mit einem klitzekleinen Problem behaftet: So bösartig waren die Männer überhaupt nicht! Gerade im Vergleich zu dem im Vorjahr entstandenen JUNGE MÄDCHEN ZUR LIEBE GEZWUNGEN fällt auf, wie vorsichtig und letzten Endes harmlos Del Balzo seine Schurken ausgestattet hat. Auch wenn die Mädchen am Ende so tun als ob, die erwartete Gewaltorgie ist MIDNIGHT BLUE definitiv nicht.

In Summe ist MIDNIGHT BLUE ein guter Film, der vor allem auch dank seines bösen Schlusses im Gedächtnis haften bleibt. Aber ein klein wenig mehr Härte hätte ihm gut gestanden, und hätte ihn wohlmöglich sogar aus der Geheimtipp-Ecke herausgeholt.

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