bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Tatort: Haie vor Helgoland

„Jetzt sind wir soweit!“

Der langlebige Hamburger „Tatort“-Kommissar Paul Stoever (Manfred Krug, „Spur der Steine“) debütierte am 23. April 1984 in der Episode „Haie vor Helgoland“, die 1983 von Hartmut Griesmayr nach einem Drehbuch Peter Hemmers inszeniert wurde. Griesmayr hatte bereits sowohl Erfahrungen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe – es handelte sich um seinen sechsten Beitrag (von insgesamt 26, was ihn bis heute zum Rekordhalter macht) – als auch mit Manfred Krug gesammelt, mit dem er zahlreiche „Auf Achse“-Episoden inszenierte. Stoevers langjähriger Partner Brockmöller ist hier noch nicht dabei.

„Ist Hamburg nicht ‘ne schöne Stadt, Heinz?“

Karl Lepka (Dietrich Mattausch, „Der Fahnder“) und Alfred Jüssen (Karl-Heinz Gierke, „Lindenstraße“) planen, frisch aus der Haft entlassen, direkt ihren nächsten Coup. Helfen soll ihnen ihr Komplize Volker Reinders (Hans Hirschmüller, „Aufforderung zum Tanz“), dessen Haftstrafe geringer ausgefallen war. Dieser sträubt sich zunächst, involviert dann jedoch sogar seine Verlobte Petra Kolb (Ilse Biberti, „Sesamstraße“). Sie haben die Fährverbindung von Hamburg nach Helgoland ins Auge gefasst und wollen diese auf der Rückfahrt überfallen. Die Waffen dafür soll Petra an Bord schmuggeln. Weil einer der Verbrecher beim grundsätzlich erfolgreich verlaufenden Überfall jedoch im Überschwang eine charakteristische Handverletzung seines Komplizen in Anwesenheit eines Besatzungsmitglieds erwähnt und damit die Gefahr besteht, dass dieser enttarnt wird, erschießen sie den unfreiwilligen Ohrenzeugen. Ebenfalls an Bord befinden sich indes auch die Junggesellen Uwe (Bernd Tauber, „Das Boot“) und Rolf (Ronald Nitschke, „Josefine, das liebestolle Kätzchen“), von denen Uwe aus amourösen Gründen ein Auge auf Petra geworfen hat und sie deshalb genauer beobachtet. Dabei fallen den beiden Ungereimtheiten auf, die sie schließlich herausfinden lassen, was an Bord passiert ist und welche Rolle Petra dabei spielte. Gegenüber dem neuen Hamburger Kriminalhauptkommissar Paul Stoever halten sie sich jedoch bedeckt. Während dieser noch wegen eines Schusses auf seinen pensionierten Vorgänger Lothar Mühlenkamp (Ferdinand Dux, „Unsere heile Welt“) ermittelt, gedenkt Rolf, aus seinem Wissen Kapital zu schlagen…

In den Dünen Helgolands sehen wir das Knacki-Trio fröhlich picknicken und sich über das touristische Potential der Insel unterhalten, dabei Paul Ankas „Diana“ aus dem Kofferradio hörend, ohne dass man als Zuschauerin oder Zuschauer bereits wüsste, mit wem genau man es hier zu tun bekommt. Als sich dies herausstellt, wird der Ton ernster und Volker zum Mitmachen überredet. Nach einem Schnitt sehen wir Petra, wie sie sich unterhalb ihrer Kleidung schwer bewaffnet – jedoch nicht mit den Waffen einer Frau… Angesichts der Überfahrt mit der Fähre, bei der sogar Livemusik geboten wird, dürfte manch einer nostalgische Gefühle entwickeln, denn wenngleich sich diese Strecke nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, hat sich seit damals doch einiges geändert. Doch die Freude währt nur kurz, denn der Überfall mit seiner tödlichen Zuspitzung ist beklemmend inszeniert, der Mord findet nichtsdestotrotz offscreen statt.

Erst jetzt wird KHK Stoever eingeführt, der den pensionierten Kollegen aufsucht – denn der Schuss auf ihn wurde offenbar aus derselben Waffe abgefeuert wie der tödliche Schuss auf der Fähre. Rolf sucht Stoever auf, hält sich aber derart bedeckt, dass er sich selbst verdächtig macht. Und während Uwe nur an Petra interessiert ist und ihr (reichlich dreist) nachstellt, will Rolf etwas von der Beute abhaben, wodurch eine weitere Partei mit unlauteren Absichten die Handlung erweitert und aufpeppt. Generell ist es dramaturgisch klug, wie hier zwei Fälle und verschiedene Parteien miteinander in Bezug gesetzt werden. In der direkten Konfrontation wird dann aber schmerzhaft der Unterschied zwischen skrupellosen Berufsgangstern und sich überschätzenden Gelegenheitsgaunern deutlich – wenn in letzter Konsequenz auch ebenfalls offscreen. Der Fall entwickelt sich zu einem Geiseldrama weiter und hält für Stoevers initiale „Tatort“-Verbrechensaufklärung ein Ende parat, das ihn als abgeklärten, lässigen Gewinnertypen skizziert.

An seiner Seite befindet sich hier Kriminalhauptmeister Nickel (Edgar Bessen, „Im Herzen des Hurrican“), der hinter (dem auch noch mit allzu viel Präsenz bedachten) Stoever eindeutig die zweite Geige spielt, während die Handlung mit ihrer reichlich konstruierten Liebesgeschichte unter Glaubwürdigkeitsproblemen leidet. Wie die Gier nach Geld Freundschaften zerstört und Leben auslischt, versteht sie dennoch, unterlegt von zahlreichen zeitgenössischen Radiohits, adäquat zu vermitteln, sensibilisiert zudem für die Unberechenbarkeit größerer Menschenansammlungen und warnt davon, zu viele dem Unterfangen eher kritisch gegenüberstehende Komplizen zu beteiligen, möchte man ein verdammt krummes Ding drehen.

Ein Beispiel dafür, wie die Realität das Fernsehen nachahmt, ist der kurz nach der Ausstrahlung begangene Überfall auf ein Helgoland-Butterfahrtschiff, bei dem zwei Ganoven 60.000 DM erbeuteten.
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Tatort: Was bleibt

„Mein Leben will ich von dir zurück!“

Die am Neujahrstag 2024 erstausgestrahlte „Tatort“-Episode „Was bleibt“ ist der bereits 19. Fall für BKA-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und der 13. – und leider letzte – für seine Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz). Regisseur Max Zähle („Schrotten!“) inszenierte seinen nach dem Münsteraner Beitrag „Limbus“ zweiten „Tatort“ im Herbst 2022 nach einem dramatischen Drehbuch Marija Ercegs.

Der Hamburger BKA-Ermittler Thorsten Falke wird ausgerechnet während der Feierlichkeiten anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums von einem ihm unbekannten jungen Mann (Malik Blumenthal, „König der Raben“) um ein Treffen gebeten, während dem er ihn mit einem angeblich vor 20 Jahren abgegebenen Versprechen konfrontiert, aber trotz aggressiven Auftretens vage und rätselhaft bleibt. Anschließen sucht er den Architekten Björn Timmig (Gerhard Garbers, „Adelheid und ihre Mörder“) auf und lässt sich Geld von ihm geben. Seine nächste Station: Björn Timmigs Sohn Oliver (Hanno Koffler, „Die Saat“), der als Schreiner auf dem Dorf arbeitet. Doch nur zwei Tage später wird der Leichnam des Manns aus der Bille gefischt: Er wurde erstochen. Eine Brandnarbe an seinem Körper erinnert Falke an einen rechtsterroristischen Brandanschlag auf ein Jugendzentrum vor 20 Jahren. Damals hatte er das Flüchtlingskind Denis Demirović aus den Flammen befreit und ihm versprochen, den Brandstifter dingfest zu machen – was ihm jedoch nie gelang… Seine Kollegin Julia Grosz überlegt derweil, ob sie das Angebot annehmen soll, zum BKA Wiesbaden zu wechseln, und ermittelt ebenso interessante wie rätselhafte Zusammenhänge: Björn Timmig und seine Ehefrau Katharina (Leslie Malton, „Possession“) leiten eine Flüchtlingshilfsorganisation, haben jedoch vor etlichen Jahren den Kontakt zu ihrem Sohn Oliver und dessen Ehefrau Jasmina (Janina Elkin, „Stubbe – Von Fall zu Fall“) abgebrochen…

Der mit Zeitraffer- und Blitzeffekten bildästhetisch aufgepeppte „Tatort“ beginnt mit einem SEK-Einsatz, der lediglich insofern von Belang ist, als der unbekannte Mann diesem am Rande beiwohnt und sich dem Zugriff der Truppe entziehen kann. Wesentlich gemütlicher geht’s derweil in der legendären Kiezkneipe „Zum Silbersack“ zu, wo eine Überraschungsfeier anlässlich Falkes Dienstjubiläum steigt und Grosz ziemlich versiert „Seven Nation Army“ und „Where Is My Mind“ mit einer kleinen Band für ihn singt. Doch ausgerechnet jetzt holt Falke die Vergangenheit ein – und egal, wo der unbekannte Typ auftaucht: niemand will ihn sehen. Auch, was man als Informationsvorsprung gegenüber Falke und Grosz erhält, ist sehr diffus und noch nicht richtig zuzuordnen. Plötzlich ist er tot und Falkes visualisierte Erinnerungsfetzen angesichts seiner Brandnarbe stellen einen Bezug zum lange zurückliegenden Brandanschlag her.

Grosz‘ Kontaktaufnahme zur Flüchtlingshilfsorganisation verdeutlicht deren Überlastung und Misstrauen gegenüber der Polizei, womit Ercegs Drehbuch auf für „Tatort“-Verhältnisse eher zurückhaltende Weise zwei polizeikritische Punkte untergebracht hat: unaufgeklärte rechtsextremistische Terrorakte und die Drangsalierung von Flüchtlingen, die man sich als Grund für das Misstrauen Katharina Timmigs denken kann. Dabei verfällt die Handlung keineswegs in naives Gutmenschentum, denn der mittlerweile nicht mehr unbekannte Tote war zwar Flüchtling, aber kein guter Mensch. Doch wenn man glaubt, dass nach spätestens einer Stunde die Lösung des Falls eigentlich klar auf der Hand liegt, setzt das Drehbuch noch einen drauf, stellt Identitäten infrage und offenbart schließlich eine Geschichte, bei der sich unglückliche Entwicklungen derart fügten, dass sie ein 20 Jahre lang stabil gebliebenes, abenteuerliches Konstrukt ermöglichten, von dem nahezu alle Beteiligten zu profitieren schienen.

Bis hierhin haben wir einen wirklich guten „Tatort“, der – wieder einmal – klasse aussieht, schauspielerisch stark und dramaturgisch sehr gelungen ist, indem er die richtige Balance zwischen Rätselhaftigkeit, Motivation zum Mitraten auf dem heimischen Sofa und kaum vorhersehbarer Auflösung bietet und zudem politisch und gesellschaftlich relevante Themen verarbeitet. Doch dann muss ja noch Julia Grosz verabschiedet werden, da Franziska Weisz leider beschlossen hat, der öffentlich-rechtlichen Krimireihe den Rücken zu kehren. Grosz gibt gegen Ende ein weiteres Konzert im Silbersack und wird schließlich Opfer eines bösen, tragischen Ausgangs, den es nun wirklich nicht gebraucht hätte und derart übertrieben und unnötig wirkt, dass er „Was bleibt“ abwertet.
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Schicksalsspiel

„Typisch Ostler, ey!“

Der jugend- und subkulturell interessierte Filmemacher Bernd Schadewald („Verlierer“) schrieb und inszenierte im Jahre 1993 für die ARD die Liebestragödie „Schicksalsspiel“, die er im Spannungsfeld rivalisierender Fußballfans des FC St. Pauli und des FC Hansa Rostock ansiedelte. Der Film wurde am 31. August 1994 erstausgestrahlt.

„Fußball ist Krieg, ist normal!“

Roland (Niels-Bruno Schmidt, „Ein unmöglicher Lehrer“) fährt zusammen mit weiteren Fans des FC St. Pauli zur Zweitligapartie gegen den FC Hansa Rostock in die mecklenburg-vorpommersche Küstenstadt. Es handelt sich dabei um eine brisante Begegnung, denn die sich politisch eher progressiv verortende St.-Pauli-Fanszene ist mit der in größeren Teilen rechtsextremistische Tendenzen aufweisenden des FC Hansa verfeindet. Das fremdenfeindliche Pogrom im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen liegt noch nicht lange zurück und zeigte die hässliche Seite vieler Rostocker. Roland und seine drei Freunde geraten dann auch in einen Konflikt mit Hansa-Fans, nachdem sie sich inkognito in eine Rostocker Kneipe geschlichen haben. Roland verguckt sich dort in die Kellnerin Conny (Nicolette Krebitz, „Durst“), doch die Gruppe verrät sich versehentlich, muss fliehen und wird durch die Stadt gejagt. Nach dem Spiel trifft Roland Conny wieder und schenkt ihr seinen St.-Pauli-Schal. Einige Tage später fährt er sie gar in Rostock besuchen. Ihr Bruder Lalla (Jürgen Vogel, „Kleine Haie“), ein Hansa-Fan, hat jedoch den Schal in Connys Zimmer entdeckt und schlägt Roland am Abend in einer Disco zusammen. Die Zuneigung Rolands und Connys zueinander bleibt davon unberührt, doch als Roland sie mit nach Hamburg bringt, reagiert sein bester Freund Manni (Steffen Wink, „Boomtown“) eifersüchtig und ergreift lebensgefährliche Maßnahmen, um die beiden auseinanderzubringen. In Rostock trommelt Lalla derweil seine Freunde zusammen, um Roland vor dem Heimspiel des FC St. Pauli gegen Fortuna Düsseldorf aufzulauern…

„Du weißt wohl nicht mehr, wo du hingehörst!“

Nachdem „Verlierer“ zwar mit authentischen Darstellern aus der Metal- und Punk-Szene aufwarten konnte, aber eine nicht sonderlich realitätsnahe Geschichte erzählte, und er im „Tatort: Voll auf Haß“ mit der Unterscheidung von Skinheads und Neonazis überfordert war, bemühte sich Schadewald für „Schicksalsspiel“ verstärkt um Authentizität in Form dokumentarisch anmutender Schwarzweiß-Intermezzi, um das reale damalige Stimmungsbild zu transportieren. Der Film beginnt jedoch mit einem Shakespeare-Zitat aus „Romeo & Julia“, jenem Klassiker um eine verbotene Liebe, an die er sich mit „Schicksalsspiel“ anlehnt. Die Hamburger Punk-Institution Slime erlebte seinerzeit ihren zweiten Frühling und steuerte den exklusiven Titelsong bei, den der sein Zimmer mit Postern von Metal-Bands schmückende Roland zu Beginn auflegt (und der das musikalische Grundgerüst für den später auf der „Schweineherbst“ enthaltenen „Zusammen“ bildete). Die Auswärtsfahrt nach Rostock findet stilecht mit der Bahn und reichlich Karlsquell statt; der reale Fan-Beauftragte Sven Brux beschreibt zusammen mit anderen im ersten dokumentarischen Einspieler den besonderen Reiz solcher Exkursionen, weitere Statements behandeln speziell das Thema Rostock. Später eingestreute Statements, auch von Rostockern, thematisieren die (im Film gar nicht gezeigten) Ausschreitungen, mangelndes gegenseitiges Verständnis der rivalisierenden Fangruppen und die Unlust der Paulianer, ein weiteres Mal nach Rostock zu fahren sowie das Selbstverständnis als Fußball- und Vereinsfans.

Die Liebe auf den ersten Blick zwischen Roland und Conny hält die gesamte Handlung hindurch, es geht also sehr schnell mit den beiden – etwas zu schnell, um wirklich glaubwürdig zu wirken. Umso realistischer sind die Begegnungen von Hamburgern mit Rostockern voller Klischees über das jeweilige Gegenüber im Kopf, denen sich lediglich das Liebespaar entzieht, die authentischen Kulissen und Drehorte und das eindrucksvolle Zeitkolorit der ersten Hälfte der 1990er, in der so vieles den Bach herunterging. Dazu ist wohl auch der krasse Vokuhila zu zählen, den einer der Paulianer auf dem Kopf spazieren trägt… Schadewald thematisiert über die Fußballrivalität hinaus am Rande soziale und gesellschaftliche Probleme und schafft es, den Ost-West-Konflikt in einem Dialog zwischen Conny und Ronald prägnant auf den Punkt zu bringen. Die Balkonszene aus „Romeo & Julia“ adaptiert Schadewald, setzt ansonsten aber verstärkt auf Action und Zuspitzung: Schlägereien, eine Art erweiterter Suizidversuch und die desolate Psyche des von Verlustängsten geplagten und völlig feildrehenden Manni sind da noch nicht alles, denn am Schluss wird auch mit dem Messer zugestochen, was ein klassisches Happy End unmöglich macht.

Schadewald ist ein Porträt einer Zeit verhärteter Fronten gelungen, in der kein Raum für die Liebe war (und ist). Die Verquickung des „Romeo & Julia“-Topos mit zeitgenössischer Fußballrivalität, die wiederum stellvertretend für gesamtgesellschaftliche Konflikte steht, kann als geglückt betrachtet werden. Schadewald konnte mit einem spielfreudigen Ensemble an Jungmimen arbeiten, darunter in den Nebenrollen Namen wie Katja Woywood (später „Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei“) und Benno Fürmann (später „Und tschüss!“) in seiner damaligen Paraderolle als juveniler Delinquent, und auch „Verlierer“-Veteran Mario Irrek ist dabei. Natürlich ist diese Fernsehproduktion zuweilen etwas unbehauen und sicherlich hätte man einzelne nur grob angerissene Themen gern vertiefen dürfen, nichtsdestotrotz ist „Schicksalsspiel“ zurecht ein kleiner Kultfilm geworden.
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Und tschüss!

„Günni?! Bist du immer noch mit diesem Loser zusammen?“

Der deutsche Filmemacher Wolfgang Büld hatte seine Karriere mit Punk-Spielfilmen und -Dokumentation begonnen und sich in den 1980ern über den NDW-Film „Gib Gas, ich will Spaß“ und den „Formel Eins Film“ in musikalische Mainstream-Gefilde begeben, bei denen er aber stets am populärkulturellen Zeitgeist interessiert geblieben war. Mit seiner Komödie „Manta, Manta“ stieg er in die 1990er ein war damit voll am Puls der Zeit. Der Kfz-Komödie blieb er mit „Go Trabi Go 2 – Das war der wilde Osten“ treu und thematisierte damit zugleich die um fünf neue Bundesländer angewachsene BRD der Nachwendezeit. Im Jahre 1994 schrieb er zusammen mit Stefan Cantz, mit dem er bereits für „Manta, Manta“ zusammengearbeitet hatte, für den Fernsehsender RTL die Jugendvorabendserie „Und tschüss!“, deren 13 rund 45-minütige Episoden er auch inszenierte. Sie wurde von Mai bis August 1995 erstausgestrahlt.

„Armer Günni...“

Die Serie spielt im Essener Ruhrgebiet und handelt von einer Clique junger Erwachsener, die sich aus Günther alias Günni (Benno Fürmann, „Schicksalsspiel“), Petra (Gesine Cukrowski, „Der letzte Zeuge“), Jürgen (Christian Kahrmann, „Lindenstraße“), Eddie (Beatrice Manowski, „Nekromantik“), René (genannt „Zombie“) (Andreas Arnstedt, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“), Raoul (Tom Mikulla, „Rosenheim-Cops“) und Silke (Chrissy Schulz, „Fest im Sattel“) zusammensetzt. Günni ist mit Petra liiert, interessiert sich aber mindestens genauso viel für seinen windschnittigen Ford Mustang. Sein bester Freund Jürgen ist zunächst mit dem reichen Unternehmertöchterchen Saskia (Jessica Stockmann, „Wildbach“) liiert, die ihn für seine proletarische Herkunft belächelt und in ihre Kreise zu ziehen versucht, obwohl er eigentlich ganz gern im Pflegedienst arbeitet. Petra lebt mit der alleinstehenden Videothekarin Silke in einer WG zusammen und arbeitet zunächst wie Günni in einem Supermarkt. Es verschlägt sie jedoch bald in einen Bücherladen, während Günni an der Tankstelle und in der Reparaturwerkstatt Hugo Günzlers (Horst A. Fechner, „6 Richtige“) zu arbeiten beginnt, in der Jürgen und er gern an ihren Autos schrauben. Raoul ist mit seinem Vater (Günter Schubert, „Polizeiruf 110: Der Mann im Baum“) aus Ostdeutschland zugezogen und arbeitet in dessen Gaststätte, in der sich die Freunde regelmäßig treffen. Auch Zombie arbeitet im elterlichen Betrieb: einem Bestattungsunternehmen. Der etwas morbide veranlagte und durchgeknallte Heavy-Metal-Fan wirft ein Auge auf Eddie, eine Vollwaise, die auf der Flucht vor ihrem kriminellen Bruder Kalli (Werner Karle jr., „Die Sieger“) und dessen Kumpel Wampe (Frank Vockroth, „Ritas Welt“) zur Clique stößt und dort den langersehnten Halt findet. Unter ihrer Ägide eröffnet der alte Imbiss an Hugos Tanke neu, der zu einem weiteren Treffpunkt der Gruppe wird.

„Totgut!“

Das rockige, auf einem Transvision-Vamp-Song basierende Titelstück stimmt textlich („Hallo und tschüß – wir sind am Drücker, die Welt gehört uns“) auf die Clique junger Erwachsener in ihrer Sturm-und-Drang-Phase und damit einhergehende Veränderungen ihrer jeweiligen Lebenssituation ein. Die erste Episode führt direkt und in rasantem Tempo Eddie als Ladendiebin ein, die Stephen Kings „Trucks“ in der Taschenbuchausgabe stehlen will, Günni als Autonarr/-tuner und bauernschlauen Proleten, Petra als dessen smarte Freundin, die vom schnöseligen Sascha (Daniel Berger, „Nordkurve“) umgarnt wird, Zombie als gruftig-punkigen Metaller, Horrorfilm-Freak und Bestatter, Jürgen als Günnis Autoschraubkumpan, der etwas mit Saschas Schwester Saskia hat, Silke als Petras beste Freundin und Raoul als Wirt des Stammlokals. Die Figuren erscheinen zunächst eher oberflächlich gezeichnet; das Konfliktpotential innerhalb des Bekanntenkreises nicht etwa wegen unterschiedlicher Interessen und individueller Macken, sondern aufgrund von Klassenunterschieden wird bereits deutlich. Den „Prolls“, einfachen Angestellten und Freaks gilt die Sympathie, Bauunternehmersöhnchen Sascha die Antipathie und Saskia fungiert als ambivalentes Bindeglied zwischen den Welten. Versuche durch Angehörende höherer Klassen, einzelne Personen der Clique zu separieren und für sich zu gewinnen (beispielsweise als ein Vertreter (Simon Licht, „Elementarteilchen“) eines Buchverlags Petra angräbt und nach Paris einladen will, seine höhere soziale Herkunft dabei indes evtl. nur vorgibt – allzu hoch können die Unterschiede zwischen einem Verlagsvertreter und einer Einzelhandelsangestellten schließlich nicht sein), ziehen sich durch die gesamte Serie – und bleiben nicht immer erfolglos, werden aber stets problematisiert. Dabei fliegen wie im genannten Beispiel auch schon mal die Fäuste, was durchaus einschneidende Konsequenzen nach sich zieht, moralisch jedoch nicht verurteilt wird. Diese Form der Gewalt gilt als eine bodenständige, ehrliche Form der Notwehr gegen die Verschlagenheit Höhergestellter.

Die soziale Kompetenz der Freundesclique wird von Eddie auf die Probe gestellt, die sich von ihrem kriminellen Bruder und dessen Kumpel emanzipieren möchte, von ihm aber verprügelt wird, nachdem sie Günni & Co. geholfen hat. Sie weiß sich daraufhin nicht anders zu helfen, als die Nähe der Clique zu suchen, die sie zwar in Teilen skeptisch beäugt, sie letztlich aber so, wie sie ist, in ihrer ganzen rotzig-frechen Art, akzeptiert und aufnimmt sowie gegen Kalli und Wampe verteidigt, vor denen sie anfänglich permanent auf der Flucht ist. Klarzukommen gilt es darüber hinaus mit Eifersucht (Petra glaubt zunächst, Eddie wolle sich an ihren Günni heranschmeißen) und Zurückweisungen (mehrere männliche Mitglieder machen sich auf zum Teil übergriffige Weise an Eddie heran, die sich mitunter harsch dagegen wehrt und damit für eine Art ausgleichende Gerechtigkeit sorgt, die keine Tribunalisierung mehr erforderlich macht). Comic Relief Zombie kann auch richtiggehend gruselig werden, wie er bei einem Rendezvous mit Eddie beweist. Dass Günni und Jürgen Rot-Weiß-Essen-Fans sind, wird anhand eines Spielbesuchs in der zweiten Episode herausgestellt, spielt im weiteren Serienverlauf aber eine überraschend geringe Rolle – ein bisschen, als habe das Drehbuch dies schlicht vergessen. Die Freizeitaktivitäten haben fortan jedenfalls nichts mehr mit Fußball zu tun.

Ein damals auch für die Jugend omnipräsentes Problem, nämlich das der Arbeitslosigkeit, wird in den nächsten Episoden thematisiert, da Günni mittlerweile davon betroffen ist. Die Handlung verlagert sich daraufhin verstärkt zu Hugos Tankstellen-Areal hin, wo Eddie die Chance ergreift, eine Imbissbude zu eröffnen und die Clique zu Renovierungsarbeiten bläst, als Hugo einen Herzinfarkt erleidet. Hilfsbereitschaft und soziales Engagement auch innerhalb des erweiterten Bekanntenkreises scheinen für die Clique selbstverständlich zu sein, die sich dennoch gegen als feindselig konnotierte Institutionen durchsetzen muss: Bankdirektor Pape (Heinrich Schafmeister, „Die Katze“) muss erst mit einem Sextape erpresst werden, damit er den nötigen Kredit herausrückt. Günni übernimmt Hugos Job während dessen krankheitsbedingtem Ausfall und steht somit wieder in Lohn und Brot und auch Petra verändert sich beruflich, indem sie im Buchfachhandel anfängt.

Mit Zombies Gründung der „Necromaniacs“ greift die fünfte Episode die in der ersten Hälfte der 1990er grassierende Death-Metal-Welle auf. Dass Günni & Co. es gedeichselt kriegen, diese Band auf dem Sommerfest des schnöseligen Tennisclubs auftreten zu lassen, ist der große Witz dieser Folge, die darüber hinaus mit ein paar spaßigen Seitenhieben auf das Musikgeschäft aufwartet. Es scheint, als habe Büld hier verstärkt seine Erfahrungen als Subkultur- und Musikfilmer einfließen ließen und eine nette Metalploitation-Geschichte ersponnen. Silke als Sängerin in Leder- und Nietenkluft kann sich jedenfalls sehen lassen.

„Ich hasse campen!“ (Ich auch.)

In Episode 6 scheint sich das Beziehungskarussell zu drehen: Scheinbar geht Petra fremd, wenngleich mehr schlecht als recht kaschiert wird, dass es eigentlich um etwas anderes geht. Eddie und Jürgen beginnen sich näher füreinander zu interessieren. Eddies Brüder haben ihr Comeback und auch die beiden als trottelige Bullen konzipierten Polizisten (Martin Armknecht, „Manta, Manta“ und Horst D. Scheel, „Terror 2000 – Intensivstation Deutschland“) spielen wieder eine größere Rolle. Es geht auf einer höheren Ebene aber auch um alte Träume, die einst begraben wurden. Nach den eher klamaukigen Episoden 3 (um den entlaufenen Rammler von Günnis Eltern) und 5 steigt das allgemeine Serienniveau mit dieser nachdenklicheren Folge, bevor die siebte Episode wieder verstärkt dem Amüsement gilt: Diese „Urlaubsfolge“ beginnt mit einer witzigen Odyssee auf der Suche nach Campingmöglichkeiten, in deren Zuge man an eine Naturalistensekte und einen superspießigen Campingplatz gerät. Letztlich amüsiert sich der Großteil der Clique aber sehr, während Jürgen immer mehr mit seiner Beziehung zu Saskia hadert – als einzige sind sie nicht mitgefahren. Bei ihrem gemeinsamen Ausflug langweilt er sich zu Tode. Eine Villenstürmung gegen Ende lässt diese auf gelungene Weise spaßige und mit viel nackter Haut versehene Episode anarchisch ausklingen.

Kultverdächtig sind die Gebrauchtwagenhändler (Ludger Burmann, „Der bewegte Mann“ und Willi Thomczyk, „Kleine Haie“), die Zombie in Episode 8 über den Tisch ziehen, was natürlich nicht ungesühnt bleibt. Jürgen steht vor einer schweren Entscheidung – und Petra macht zu Günnis Überraschung den Führerschein. Noch wesentlich überraschendere Volten vollzieht die nächste Folge, in der zwischen Jürgen und Saskia wieder allen in Ordnung zu sein scheint und er tatsächlich eine neue Tätigkeit als Makler für das Unternehmen ihrer Eltern antritt. Daraufhin kommt es zum Zerwürfnis mit Günni, der zusammen mit Petra eine eigene Wohnung sucht. Die oftmals alles andere als einfache Suche nach einer ersten gemeinsamen Bleibe und die Emanzipation vom Elternhaus wird hier mit einer Abrechnung mit der Immobilienbranche vermengt und mit Eddies Liebeskummer und dem Zerbrechen der langjährigen Freundschaft zwischen Günni und Jürgen dramatisch abgeschmeckt. Doch als Jürgen Zeuge wird, wie sein Arbeitgeber eine Rentnerin durch Zwangssanierung aus ihrer Wohnung herausekelt, kommt er zur Vernunft. Eine inhaltlich starke Episode mit ausgeprägtem sozialen Gewissen, die jedoch die Nebenhandlung um Raoul nicht gebraucht hätte: Dieser renoviert in der Abwesenheit seines Vaters dessen Lokal und macht eine durchoptimierte, hippe Sushibar daraus, die zunächst floppt. Das passt zwar leidlich zum Thema der Emanzipation von den Eltern, trägt aber ansonsten bis auf ein paar Gags nichts bei, zumal das Lokal in den nächsten Episoden wieder exakt wie zuvor aussieht, gerade so, als sei nichts gewesen.

Schlüpfriger geht’s in der zehnten Folge zu, als Silke Aktfotos fürs Tittenheftchen „Sexy Hexy“ von sich machen lässt und Petra kurzerhand mitmacht, die Fotos aber lediglich für den Privatgebrauch haben möchte. Dabei kommt es zu einer folgenschweren Verwechslung, die eine Abfolge an Situationskomik auslöst, im Subtext aber auch verschiedene Haltungen zu dieser Form der Freizügigkeit verhandelt. Angesichts recht vieler Nacktheit in den bisherigen Episoden mutet es fast ein wenig seltsam an, dass ausgerechnet in dieser Folge lediglich ein paar wenige der entwickelten Fotos kurz zu sehen sind. Von größerer Bedeutung für den weiteren Verlauf ist es indes, dass Eddie und Jürgen wieder zueinander finden, diese sich über mehrere Episoden ziehende Liebesgeschichte also wieder aufgegriffen und fortgesetzt wird.

In Episode 11 ist es endlich so weit, Petra und Günni ziehen zusammen. Silke fällt auf einen schmierigen Erotikfilmproduzenten (Ralph Herforth, „Der Felsen“) herein, der in München-Schwabing einen Star aus ihr machen will, was nach der vorausgegangenen Aktfoto-Posse als Warnung für möglicherweise ähnlich ambitionierte Teile des Serienpublikum verstanden werden darf. Kalli entkommt aus dem Knast und sorgt erneut für Unruhe, allem voran, indem er bei Saskia einbricht – pikanterweise ausgerechnet mit jenem Schlüssel, den Jürgen noch von ihr besaß. Leider werden diese interessanten Aspekte vom Handlungsstrang um Zombie konterkariert, der glaubt, einen echten Zombie gesehen zu haben. Mit diesem unfassbar naiven und dümmlichen Humor sinkt das Niveau leider beträchtlich. Die Kurve bekommt die vorletzte Episode dann glücklicherweise doch noch, auch wenn sich nun, zum Finale hin, die Ereignisse in etwas arg hohem Tempo zu überschlagen drohen: Konflikte in Petras und Günnis gemeinsamer Wohnung aufgrund von Klassikern wie Haushaltsarbeit und Geschlechterrollenklischees führen direkt in eine existenzielle Krise, die Petra eine Affäre mit einem Zahnarzt (Christoph M. Ohrt, „Das Nest“) beginnen lässt; Eddie hat einen Job als Fotografin in Aussicht, muss dafür zu Jürgens Unmut aber erst einmal nach Hamburg; Zombie hat sturmfrei und erwartet einen Brieffreund aus Finnland, der sich als hübsche junge Frau (Line Kruse, „In China essen sie Hunde“) entpuppt, mit der trotz seiner clownesken Art dann auch tatsächlich mal etwas läuft. Mit dem Gewinn eines Luftgitarrenwettbewerbs kann er sie entsprechend beeindrucken. Vermutlich wäre es Frevel, hier jede weitere Entwicklung zu verraten, aber Licht und Schatten halten sich nicht unbedingt bei allen Protagonist(inn)en die Waage.

So ist es nur konsequent, dass im Serienfinale, das um ein entfernt an „Auf dem Highway ist die Hölle los“ erinnerndes Autorennen herum gestrickt wird, anscheinend alles den Bach heruntergeht. Beziehungen werden beendet, Treffpunkte plattgemacht und Pläne geschmiedet, der Heimat den Rücken zu kehren. Das ist mitunter richtiggehend ärgerlich, zumal Petras Affäre eher Seifenopernniveau aufweist. Ein romantisches Ende, für das man die Zuschauerinnen und Zuschauer bis zur letzten Sekunde auf die Folter spannt, entschädigt jedoch für vieles und bringt „Und tschüss!“ zu einem versöhnlichen Abschluss.

Die Serie lief seinerzeit mit einigem Erfolg und traf offenbar den Zeitgeist. Zwar sind auch zwei der Hauptprotagonisten Autoschrauber und werden ihre fahrbaren Untersätze häufig prominent in Szene gesetzt (was man bei einem Ford Mustang und einem hübsch gepflegten alten Käfer gern auch tun darf), dennoch rückten Büld und Cantz mit „Und tschüss!“ dem Finale zum Trotz deutlich vom Autofilm-Sujet ab und bewiesen ein Gespür für die Jugend und deren Alltag, Probleme und Träume. Über die inhaltliche Ebene hinaus dürfte sich die jugendliche Zielgruppe über die über Günni im offenen Hemd hinausgehende Freizügigkeit der Darstellerinnen und Darsteller gefreut haben, allen voran Beatrice Manowskis in ihrer Rolle als Eddie, die keine Gelegenheit auszulassen scheint, sich splitterfasernackt zu präsentieren. Aber auch Gesine Cukrowski und Chrissy Schulz sowie Christian Kahrmann geben sich in einer Selbstverständlichkeit in den passenden Szenen freizügig, wie sie im heutigen Vorabendprogramm absolut unüblich geworden ist. Trotz vieler ernster Themen bleibt der Tonfall überwiegend komödiantisch, wobei Petra eine der wenigen Figuren ist, die nicht karikierend überzeichnet wurden. Cukrowski ist in ihrer Rolle wahrscheinlich eines der schönsten TV-Gesichter jener Ära. Nebenrollen wie Tankstellenbetreiber Hugo oder Raouls Vater sind launig geschrieben und werden erstklassig von Charakterdarstellern gespielt, wohingegen manch Jungmime ein paar Abstriche machen muss und sich zwischen gehobenem Soap- und okayem Fernsehfilmniveau einpendelt. Eine große Rolle spielt auch die Musik, die sich vornehmlich aus dem Rock- und Metal-Bereich rekrutiert und insbesondere zu Beginn omnipräsent ist. Die vierte Episode kann sogar mit einem Motörhead-Gastauftritt protzen! Zombie hat authentische Aufnäher auf seiner Jacke und seine Bude entsprechend gestaltet, im Serienauftakt sitzt sogar jemand mit einem Sheer-Terror-Shirt auf dem Polizeirevier herum.

Wie stark sich die Musikauswahl auf den Seriengenuss auswirkt, zeigte auf beschämende Weise besonders eindrucksvoll eine Wiederholung der Serie ein paar Jahre später, als die komplette Musik ausgetauscht und durch billigen Eurodance und ähnlichen Dreck ersetzt wurde – „Und tschüss!“ wurde dadurch tatsächlich unguckbar. Im Original jedoch braucht man sich auf der Tonspur lediglich mit einem öfter mal schlechten Ton bei den Dialogen herumzuschlagen. Mit fast dreißig Jahren Abstand betrachtet, punktet „Und tschüss!“ mit einem gehörigen Nostalgiefaktor, aber auch mit einem Schaulaufen junger Darstellerinnen und Darsteller, die zu großen Teil anschließend ihren Weg im Schauspielgeschäft machten. Und vielleicht wird man ein wenig wehmütig, dass solch bei allen genannten Schwächen und allem reichlich naiven Humor doch sehr unterhaltsame, sympathische und charmante Produktionen leider längst nicht mehr im Fernsehen stattfinden.

Im Anschluss wurden noch drei abendfüllende Spielfilm-Spin-Offs produziert, die ich beizeiten separat besprechen werde.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Heißer Schnee

„Elendes Zuhälterpack!“

Helmut Fischers vierter „Tatort“ als Münchner Kriminalhauptkommissar Ludwig Lenz wurde im Frühjahr 1984 von Wilma Kottusch („Unter Verschluß“) und damit von einer der damals wenigen weiblichen Regisseure der öffentlich-rechtlichen Krimireihe inszeniert. Es sollte jedoch leider ihr einziger „Tatort“ bleiben. Der von Plym Pahl geschriebene Milieukrimi wurde am 9. September 1984 erstausgestrahlt.

„Die Organisation erledigt so was unauffällig…“

In München wird eine Prostituierte (Jessica Kosmalla, „Euch darf ich’s wohl gestehen“) brutal zusammengeschlagen, kurz darauf wird ein Mordanschlag auf einen desertierten US-amerikanischen Soldaten (William Mang, „Rockit – Final Executor“) verübt. Beide Gewaltopfer sagten etwas von einem „General“, woraus sich für Kriminalhauptkommissar Ludwig Lenz ein Zusammenhang zwischen beiden Taten ergibt. Wer ist dieser ominöse „General“ und was bezweckt er? Als man selbst im Krankenhaus dem GI nach dem Leben trachtet, kann Lenz eingreifen und den Attentäter verhaften. Dieser ist Teil des Rotlicht- und Drogenmilieus Münchens und hält sich über seine Hintermänner sehr bedeckt. So ist es an Lenz, das Rätsel um den „General“ und eine geheimnisvolle „Organisation“ zu lösen. Seine Ermittlungen führen ihn ins Nachtlokal Ingrid Elstners (Angela Stresemann, „Der Millionen-Coup“) und in ein lokales Studio des US-amerikanischen Militärradios AFN – und er realisiert, dass er auf eine Zusammenarbeit mit der US-Militärpolizei angewiesen ist…

Regisseurin Kottusch beweist viel modernistischen Stilwillen, der sich im Gebrauch einer Ästhetik manifestiert, die später als ikonisch für die 1980er betrachtet werden würde. Synthesizer-Stücke der Elektropioniere Tangerine Dream ziehen sich durch die gesamte Episode und erklingen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die Ausleuchtung tendiert in Richtung Neo-noir und die Kleidung der Figuren entspricht dem damaligen Zeitgeist. Aufgrund des US-Besatzungsmilitärumfelds wird zu Beginn viel Englisch gesprochen, im weiteren Verlaufe viel Deutsch mit breitem US-Akzent. „General“ und „Organisation“ werden stets englisch ausgesprochen, die zahlreiche Verwendung dieser Begriffe lädt fast zu einem Trinkspiel ein. Die Gemengelage ist zunächst sehr unübersichtlich und bleibt dies auch lange Zeit. Vor allem stellt sich die Frage, ob man mit dem „General“ ein Phantom jagt oder es sich tatsächlich um eine reale Person handelt. Es geht um harte Drogen, Prostitution und bald auch um ein Tonband, das ein entscheidendes Beweisstück wäre.

„Heißer Schnee“ bietet kurze Einblicke in den US-Soldatensender, wo popkulturelles Wissen vermittelt wird – „Relax“ von Frankie Goes To Hollywood wird gespielt und darüber informiert, dass die BBC ihn boykottiert – und wo kurioserweise „Kommune 1“-Hippie Rainer Langhans einen Gastauftritt als AFN-Mitarbeiter John McGready hat. Vor allem aber ist „Heißer Schnee“ ein Film darüber, wie sich ein kriminelles Milieu ansiedelt und nährt, wobei das US-Soldatenumfeld nicht immer gut wegkommt. Dramaturgisch ist diese Episode recht ungelenk, dank ihrer Überstilisierung ist aber viel Schönes, wenn auch nicht unbedingt Realistisches, dabei, wenngleich der gespielte US-Akzent der Schauspieler mitunter unfreiwillig komisch anmutet. Zudem agiert Lenz wesentlich rabiater als gewohnt – und muss sich am Schluss eingestehen, dass auch er an die Hintermänner nicht herankommt, womit der desillusorische Neo-noir-Touch dieses Falls konsequent zu Ende geführt wird.
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Howling II – Das Tier II

„Sie ist ein Werwolf!“

Joe Dantes „The Howling“-Verfilmung zählt zusammen mit „American Werewolf“ und „Wolfen“ zum Triumvirat der Werwolf-Film-Renaissance im Jahre 1981. Dessen erste Fortsetzung „Das Tier II“ folgte vier Jahre später unter der Regie Philippe Moras („The Beast Within“). Diese basiert zwar ebenfalls auf einem Roman Gary Brandners, der zusammen mit Robert Sarno auch das Drehbuch verfasste, ist aber doch ganz anders als Dantes erster Teil…

„Wenn die Füchse anfangen, die Hühner abzumurksen, dann murksen wir die Füchse ab!“

Während der Beisetzung seiner Schwester Karen erfährt Ben White (Reb Brown, „Captain America“) vom Okkultismusexperten Stefan Crosscoe (Christopher Lee, „Das Haus der langen Schatten“), dass Karens Seele verflucht und sie zu einem untoten Dasein als Werwölfin verdammt sei. Nachdem Ben von diesem Spuk überzeugt wurde, geht es zusammen mit Journalistin Jenny Templeton (Annie McEnroe, „Der Kampfkoloss“) nach Transsilvanien, um der Oberwerwöflin Stirba (Sybil Danning, „Der flüsternde Tod“) den Garaus zu machen. Das ist jedoch leichter gesagt als getan, denn Stirba hat noch große Pläne mit ihrem Werwolfrudel…

Der ehrenwerte Christopher Lee steht in seiner Rolle als Crosscoe zusammen mit einem Skelett vor einem Sternenhintergrund und zitiert bedeutungsschwanger aus einer dicken Schwarte. In L.A. wird eine Totenandacht in der Kirche abgehalten. Die Postpunk-Band Steve Parsons & Babel spielt ein Konzert, ihr Titelsong wird wiederkehrend den Soundtrack dominieren. Und eine barbusige Frau heult wie ein Wolf, verteidigt sich gegen eine halbstarke Motorrad-Gang und sorgt in ihrer Inkarnation als Werwölfin für etwas Gesplatter. Dieser Prolog sieht zunächst einmal vielversprechend aus und vermittelt den Eindruck, Regisseur Mora (respektive seine Schnittabteilung) wolle nicht viel Zeit verschwenden. Es folgt die für Genre-Stangenware typische recht holzschnittartige Skizzierung der Hauptrollen. Sensationsreporterin Templeton soll eine spektakuläre Story liefern und recherchiert im Fall der toten Karen, bei deren Bruder Crosscoe Überzeugungsarbeit in Sachen Okkultismus und Werwölfe leistet und ihm Ausschnitte aus Joe Dantes Film per Video vorführt, bevor es gemeinsam auf Werwolfjagd zu den tschechischen Drehorten geht, die das „dunkle Land“ Transsilvanien darstellen.

Und damit kann die Party steigen: Mora inszeniert seine Fortsetzung spätestens ab jetzt als inhaltlich wenig gehaltvolle, dafür umso spekulativere und auf Schauwerte bedachte Fetisch-Variante eines Werwolf-Films, in der „Zeremonien“ gefeiert werden, sich Werwölfe nackt im Bett räkeln und Stirba sich ihr Leibchen vom Körper reißt, um ihren sekundären Geschlechtsorganen die Freiheit zu schenken. Die Kostüme sind abgefahren, Masken und Spezialeffekte kostengünstig, aber gern blutig, und die von ständigem unfreiwillig komischen pathetischem Gesülze begleitete Handlung völlig gaga. Von der intelligenten Herangehensweise an die Werwolf-Thematik, die Joe Dante so formidabel verstand, ist unter Mora nichts mehr übrig, dafür bedient er die niederen Instinkte seines Publikums auf kuriose und durchaus unterhaltsame Weise, was für einen Genrefilm auch legitim ist. Schade nur, dass er dabei die narrative Ebene derart vernachlässigt, dass man verstehen kann, dass Teile des namhaften Schauspielensembles vom Ergebnis eher peinlich berührt waren.

Für solche Fortsetzungen wurde eigentlich Direct to Video erfunden; „Das Tier II“ hingegen hatte das Glück, im Kino zu laufen, stieß dort aber dem Publikum derart vor den Kopf, dass er sich den Ruf als eine der miesesten Fortsetzungen überhaupt einhandelte. Das ist allerdings ungerecht, denn seinen Spaß kann man mit diesem Spektakel durchaus haben, wie die Wiederentdeckung durch Genre- und Trash-Fans bewies. Auch wenn manche vielleicht nur den Abspann schauen, in dem sich Sybil Danning in schier endloser Wiederholung ihres Oberteils entledigt…
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Jungfrauen-Report

„Sie bekommen gleich 'ne Schelle!“

Da schau her, auch Jess Franco („Die Jungfrau und die Peitsche“), spanischer Viel- und oft Billigfilmer, beteiligte sich mit – natürlich – deutschen Produktionsgeldern unter dem Pseudonym Jess Frank (Huberts verschollen geglaubter Bruder?) an der Sex-Pseudoreportfilmwelle der 1970er. Sein „Jungfrauen-Report“ wurde 1971 gedreht und ein Jahr später veröffentlicht. Schauen wir doch mal rein…

„Sex macht frei und was frei macht ist gut.“

Eine nächtliche Autofahrt durch Berlin dient als Intro, woraufhin Passantinnen und Passanten von einem Reporter angequatscht werden, ob sie noch Jungfrauen seien. Der Voice-over-Sprecher schwadroniert vermeintlich seriös von der historischen Bedeutung der Jungfräulichkeit und der Defloration. Ein nacktes Paar (Christina von Blanc, „Das Geheimnis des gelben Grabes“ und Hans Hass Jr., „X 312 – Flug zur Hölle“) hält sich an den Händen und läuft in Zeitlupe kitschig über eine grüne Wiese, wozu die schmalzige Titelmusik erklingt. Der Sprecher holt weitestmöglich aus, nämlich bis zur religiösen Mythologie von der Vertreibung aus dem Paradies. Unser Pärchen soll demnach vermutlich Adam und Eva darstellen. Zu Schwarzweißbildern berichtet der Sprecher über die Steinzeit, jene Zeit also, als es noch keinen Farbfilm gab… Wieder in Farbe geht’s nach Südostasien zu Asketen, die allem abschwören, um ihren Geist zu stärken: Dürre, bärtige, nackte Turbanträger, die sich in Ameisenhaufen setzen. Reportfilm goes Mondo. Eine weitere Zeitreise führt erst ins Mittelalter und anschließend in 19. Jahrhundert, witzigerweise mit Spielszenen im Stummfilmstil, die aber dennoch synchronisiert wurden. Dann geht's um Möglichkeiten, Jungfräulichkeit vorzutäuschen und so weiter und so fort, man kommt mit dem Stenographieren kaum hinterher.

„Der Penis ist etwas sehr Wertvolles für diese Frauen.“

Spielszenen wirken wie Ausschnitte aus anderen Filmen und zeigen uns ein paar Nackedeis. Auf weitere Straßenumfragen folgt eine Spielsequenz in der Gegenwart, in der das junge Pärchen Georg und Christine (Birgit Tetzlaff, „Die jungen Ausreißerinnen“) bei seinem ersten Mal beobachtet wird. Das erinnert an den „Schulmädchen-Report“, ist aber ganz nett gemacht. Leider kann Georg nicht, woraufhin Christines Nachbar sie verführt. Dumm gelaufen. Die nächste Zeitreise führt erst zu den Römern, dann zu den „Indianern“, nun wieder vom Sprecher in seinem belehrenden Duktus begleitet, der von Selbstdefloration und Ritualen salbadert. Nächster Halt: Kambodscha, wo der Laberkopp während einer erotischen rituellen Tanzaufführung endlich mal die Klappe hält. Sein Comeback feiert er mit einer abgelesen klingenden pseudowissenschaftlichen Abhandlung, die Analogien zwischen Essen und Sex herstellt. Nackttanzszenen mit anschließender Entjungferung im afrikanischen Busch gehen über in eine weitere Zeitreise ins Mittelalter, wo ein Mädchen verheiratet werden soll. Ein notgeiler alter Pfaffe (Franco-Stammmime Howard Vernon, „Der Hexentöter von Blackmoor“) macht sich über sie her, was bizarr und abtörnend sowie komödiantisch und kirchenkritisch zugleich ist.

Im weiteren Verlauf geht’s um männliche Beschneidung und Amazonen, den Islam mit Polygamie und seltenen Riten, dann um Selbstdefloration in Südamerika. Plötzlich findet man sich im aktuellen Schulunterricht wieder – wie sprunghaft kann ein Film eigentlich sein? –, und in die Disco, unser Sprecher formuliert unbeantwortet bleibende und somit zum Nachdenken anregende (haha…) Fragen. Oh, schon wieder vorbei, nun also ein Liebespaar im Park. Er droht ihr, zu einer anderen zu gehen, wenn sie ihn nicht endlich heranlasse, woraufhin sich die Situation zu seinen Gunsten zu entwickeln scheint, was der Film nicht problematisiert, anscheinend normal findet. Hmm… „Du sollst nicht töten!“, betont der Sprecher noch mal – na gut!

Getötet habe ich gut 75 Minuten mit diesem für Reportfilm-Verhältnisse mitunter tatsächlich recht interessanten, leidlich unterhaltsamen und insbesondere durch den Sprecher nicht selten unfreiwillig komischen Sittenporträt, das auf jegliche explizite Szenen verzichtet und wie das völlig zusammenhanglose Ergebnis eines Brainstormings des Produzenten und Autors Artur Brauner wirkt; gerade so, als habe Franco dessen ungeordnete Notizen schlicht von oben nach unten heruntergefilmt und zusammen mit Archivmaterial aneinandergepappt. Nicht nur deshalb ist Francos Reportfilm-Exkurs weit davon entfernt, ein wirklich guter Erotik- oder Dokumentarfilm zu sein. Doch ist er mit seinem Mondofilm-Anleihen und Zeitreisen zuweilen erfrischend anders und weit weniger frauenfeindlich und chauvinistisch als so viele Konkurrenzbeiträge allem voran der Herren Hofbauer und Boos bzw. Hartwig.
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Tatort: Baranskis Geschäft

„Es ist etwas passiert, das unser Leben von Grund auf ändern wird.“

Für seinen dritten und letzten „Tatort“ musste MAD-Oberstleutnant Delius (Horst Bollmann) aus dem Ruhestand reaktiviert werden: Der erfahrene Krimi-Regisseur Jürgen Roland („Stahlnetz“, „Zinksärge für die Goldjungen“) inszenierte seinen sechsten von insgesamt zwölf Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe nach einem Drehbuch Friedhelm Werremeiers und Jochen Wedegärtners erneut als Spionage-Krimi innerhalb des Ost-West-Konflikts. Erstausgestrahlt wurde „Baranskis Geschäft“ am 1. Dezember 1985.

„Immer noch der gleiche Agenten-Schnickschnack!“

Das in Wien ansässige Exportunternehmen für osteuropäische Lebensmittel „Conex“ handelt unter der Hand auch mit Geheiminformationen, die es für die Staaten des Warschauer Pakts beschafft. Maran Baranski (Knut Hinz, „Lindenstraße“) arbeitet in diesem Unternehmenssegment für die Conex, plant aber, zum MAD überzulaufen und zusammen mit seiner Lebensgefährtin Anna (Nicolin Kunz, „Ringstraßenpalais“) ein neues Leben zu beginnen. Während einer Geburtstagsfeier seines Chefs Dr. Tschirwa (Karl Walter Diess, „Die Schwarzwaldklinik“) fotografiert er heimlich vertrauliche Bonner Dokumente und sucht den Kontakt zu MAD-Oberstleutnant Delius, um ihm ein Geschäft vorzuschlagen. Er weiß jedoch noch nicht, dass Delius aufgrund des Verdachts, an der MAD-Spitze habe sich ein Maulwurf eingenistet, seinen Ruhestand angetreten hat. Als Baranski ihn vom Hamburger Flughafen aus anruft, verabredet sich Delius dennoch zu einem Treffen mit ihm, zu dem es aber nie kommt: Baranski wird auf der Flucht vor seinen Jägern in einen tödlichen Autounfall verwickelt. Anhand des vereinbarten Erkennungszeichens identifiziert Delius den Toten und wird in diese Geheimdienstaffäre tiefer hineingezogen, als ihm eigentlich lieb ist. Anna wiederum weiß noch nichts vom Tod ihres Geliebten und schwebt fortan in Lebensgefahr…

„Allein der Maulwurf-Verdacht ruiniert die besten Geheimdienste!“

Zunächst befinden wir uns Wien auf der Geburtstagsfeier des Conex-Chefs, wo Baranski sich die vertraulichen Informationen aneignet und sich über Genf auf die Flucht nach Hamburg macht. Am Flughafen schüttelt er seine Verfolger ab. Diese Eröffnungssequenz ist toll gefilmt und lässt auf einen temporeichen Agenten-Thriller hoffen. Nach Baranskis trotz scheinbar geglückter Flucht plötzlichem Ableben – ein überraschender dramaturgischer Kniff – wird jedoch das Tempo („Nur keine preußische Hast!“) arg gedrosselt. Es geht für Delius nach Bonn und nach Wien (wo ihm Amtshilfe vom Wiener „Tatort“-Kommissar Marek (Fritz Eckhardt) zuteilwird); beide Seiten versuchen jeweils einen Schritt schneller zu sein als die andere. Roland schafft jedoch mehr Verwirrung als alles andere, wenn er Action und Emotion dabei rar sät, dafür aber eine schier unübersichtliche Vielzahl an Figuren einführt, bei denen es sich fast ausschließlich um grauhaarige weiße Männer handelt, was die Verwechslungsgefahr erhöht und einem beim Versuch, der spröden Handlung zu folgen, den Kopf rauchen lässt. Dass Delius plötzlich auch aus dem Off seine Gedanken mitteilt, wirkt hier wie ein Indiz für eine erzählerische Bredouille, in die sich Roland laviert hat.

„Viel Glück, Herr Delius!“

Dieser scheint er entkommen zu versuchen, indem er einen völlig überflüssigen Mord an einer etwas zu gutgläubigen, aber weitestgehend unbeteiligten Person einflicht und damit zudem die Skrupellosigkeit von Ost-Agenten im Vergleich zu ihren westlichen Kollegen ganz im Geiste des Kalten Kriegs herausstellt. Als dessen Zeitdokument sollte man „Baranskis Geschäft“ dann auch betrachten. Teile des Publikums könnte irritiert haben, dass sie Baranski-Darsteller Knut Hinz bereits als niedersächsischen „Tatort“-Kommissar Heinz Brammer aus den 1970ern kannten. Unterm Strich ist Delius‘ dritter Fall eine langatmig und kompliziert erzählte, politisch tendenziöse Spionagegeschichte, der es an Schauwerten und Pulp-Elementen mangelt und die ihre einzige Frauenrolle wenig vorteilhaft zeichnet. Ein höchst durchschnittliches, wenn auch historisch nicht uninteressantes „Tatort“-Vergnügen.
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Der zweite Kurzschluss

„Ich prüfe gerade verschiedene Angebote und will in Zukunft verstärkt auf meine Work-Life-Balance achten.“

Anlässlich des Jahreswechsels von 2022 auf 2023 hatte Regisseur Erik Haffner („Pastewkas Weihnachtsgeschichte“) für die ARD einen 28-minütigen Silvester-Kurzfilm mit Anke Engelke („Mutter“) und Matthias Brandt („Ein Mann, ein Fjord!“) nach einem Drehbuch Claudius Plägings und Max Bierhals‘ inszeniert. Ein Jahr später folgte eine inkl. Rückblende 29-minütige Fortsetzung, für die Haffner den Staffelstab an seinen Kollegen Michael Binz („Rudis Rasselbande“) übergab. Das Drehbuch stammt diesmal alleinig aus Plägings Feder. Bierhals ist aber in einer Nebenrolle als DJ zu sehen.

„Viel Alkohol bitte!“

Ein Jahr, nachdem Bettina und Martin an Silvester in der Moosbacher Bankfiliale eingeschlossen wurden, treffen sie auf der Moosbacher Silvesterfeier wieder aufeinander. Bettina ist nicht mehr die Bürgermeisterin und bei den Moosbacherinnen und Moosbachern nicht sonderlich wohlgelitten. Als es direkt zu Beginn der Feierlichkeiten zu Konflikten kommt und Martin einen beleidigend gewordenen Gast körperlich sanktioniert, schließen Bettina und Martin sich auf der Flucht vor Racheakten kurzerhand in einen kleinen Raum ein – ausgerechnet jenem, in dem das Feuerwerk lagert…

Diese Fortsetzung arbeitet – allein schon aufgrund der nun ja bereits vertrauten Figuren – mit weniger Überraschungseffekten und Situationskomik als der Vorgänger, dafür aber mit einer reizvoll umgekehrten Prämisse: Statt unfreiwillig eingeschlossen zu werden und sich befreien zu wollen, schließen Bettina und Martin sich selbst ein. Hintergrund sind unschöne gruppendynamische Effekte, wie sie auf vielen Dörfern üblich sind: Die Gemeinschaft schießt sich auf unliebsame Mitmenschen ein. Bettina hatte sich mit unpopulären Entscheidungen als Bürgermeisterin unbeliebt gemacht, rechtskonservative Partygäste schneiden sie und sticheln gegen sie (allen voran Julika Jenkins, („Dark“) und Thorsten Merten (Weimarer „Tatort“) als Vera und Oliver). Auf Martins Faustschlag versucht man mit Gegengewalt zu reagieren.

In den Dialogen zwischen Bettina und Martin, die nach den Ereignissen aus dem letzten Jahr eigentlich Kontakt zueinander halten wollten, sich aber erst jetzt wieder langsam einander annähern, steckt die Melancholie dieser eigenartigen Mischung aus gemeinsamen Jugenderinnerungen, Vergangenheitsbewältigung und der Einsam- und Orientierungslosigkeit Alleinstehender mittleren Alters. Der tragikomische Humor ist leiser geworden, aber nicht minder sympathisch. Erneut überzeugen Engelke und Brandt in ihren Rollen, die sie als Menschen mit Ambitionen, aber auch Fehlern, inkonsequentem Verhalten und fragwürdigen Entscheidungen zeichnen – als ganz normale Menschen also. Und um all dies gemeinsam in Ruhe zu erörtern, muss die Außenwelt eben einfach mal ausgesperrt werden – auch wenn diese mit dem vermeintlichen Dorfschläger „Nacken“ (Enno Kalisch, „Weil wir Champions sind“) droht.

7,5/10 teuren SUV-Parktickets lasse ich mich diesen zweiten Ausflug nach Moosbach kosten – und ich hoffe auf einen dritten Teil und damit auf eine neue TV-Silvestertradition.
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H.P. Lovecrafts Saat des Bösen

„Der liebe Gott liebt uns gar nicht, oder?“

Die italienische Low-Budget-Horror-Produktion „H.P. Lovecrafts Saat des Bösen“ aus dem Jahre 2008, inszeniert von Ivan Zuccon („Armee des Jenseits – Unknown Beyond“), ist die dritte Spielfilm-Adaption (eine französische Fernsehserienepisode nicht mitgerechnet) der Geschichte „Die Farbe aus dem All“ aus der Feder des berüchtigten H.P. Lovecraft.

„So ist das halt...“

Italien im Jahre 1943: Der Zweite Weltkrieg tobt, während Pietro (Michael Segal, „Armee des Jenseits – Unknown Beyond“) und Lucia (Troma-Stammmimin Debbie Rochon, „Terror Firmer“) eine kriselnde Farm im Niemandsland bewirtschaften. Im Gegensatz zu seinem Bruder wurde Pietro nicht als Soldat eingezogen, da er ein Knieleiden hat. Lucias jüngere, stumme Schwester Alice (Marysia Kay, „Forest of the Damned“) lebt mit auf dem Hof und ist aus unbekannten Gründen in totale Apathie verfallen. Was die drei nicht wissen: Ihr Brunnen beherbergt eine dämonische Macht, die eines Tages aktiv wird und zunächst die Situation zu verbessern scheint: Alice findet zur Sprache zurück, Pietros Knie heilt, Lucias Libido wird reaktiviert und das Brunnenwasser wirkt wie ein Superdünger auf das angebaute Gemüse. Doch schon kurz darauf ergreift das Dämonische Besitz von den Farmbewohnern, mit grauenvollen Konsequenzen…

„Dein Gott existiert nicht!“

Der wunderbar gruselig inszenierte Prolog um Alice, ihre Stoffpuppe, den Brunnen und einen blutigen Alptraum macht Lust auf den Film, dessen Handlung gegenüber Lovecrafts Vorlage aus dem Neuengland des auslaufenden 19. Jahrhunderts ins Italien des Jahres 1943 transferiert wurde und von mehreren Monaten auf wenige Tage gestrafft wurde. Einblendungen, um welchen Wochentag es sich gerade handelt (natürlich beginnt das Grauen an einem Montag) strukturieren den Film, der mit der ländlichen Tristesse, den ernsthaften Figuren sowie unheilvollem Klaviergeklimper und Zikadenzirpen gekonnt eine düstere Atmosphäre heraufbeschwört. Die Verquickung mit dem realen Horror des Zweiten Weltkriegs und der Judenverfolgung – eine Jüdin wird auf der Flucht vor den Faschisten erschossen – steigert das Unwohlsein. Auf der Farm indes ist dann Lucia die erste, derer sich der Dämon ermächtigt. In einer fiesen Szene reißt sie sich das Gesicht auf, etwas später bringt sie ihre Schwester um – die jedoch als Untote zurückkehrt und einen unliebsamen Besucher (Emmett J Scanlan, „Guardians of the Galaxy“) blutig zerhackt.

Zuccon zeigt davon dabei jedoch lediglich das spritzende Blut, einen Körperhorror- oder Splatter-Film, wofür sich Lovecraft-Adaptionen häufig anbieten, macht er aus „Colour from the Dark“ (so der Originaltitel) nicht. Das Ergebnis ist sehr ambivalent: Guter Maskenarbeit stehen billige CGI-Effekte gegenüber; tolle Bilder ländlichen Ambientes und von Sonnenauf- und -untergängen können nicht dauerhaft darüber hinwegtäuschen, wie langatmig und eintönig der schwermütige Film wird. Es gelingt Zuccon leider nicht, den grassierenden Wahnsinn, dem die Figuren verfallen, auf eine innere Logikebene zu hieven, sodass die Handlung zu beliebig und wirr erscheint, um bei der Stange zu halten. Zudem verweigerte man ihr ein richtiges Ende und eine Kulmination in etwas Größeres bleibt ebenso aus.

Wie der gegenüber Lovecraft abgewandelte Filmtitel bereits andeutet, handelt es sich im Gegensatz zur literarischen Vorlage nicht um eine außerirdische Macht, sondern um eine derart irdische, dass der Film eine stark religiöse Konnotation erhält, mit der er zuweilen wie ein Lovecraft/Exorzist-Crossover wirkt. Die zeitliche Neuansiedelung könnte einem Versuch geschuldet sein, die Geschichte zu einer Parabel auf den Krieg umzufunktionieren. Am stärksten in Erinnerung geblieben ist mir aber ein relativ subtil angewandter visueller Kniff: Während andere „Die Farbe aus dem All“-Verfilmungen ihren Look um eine artifiziell wirkende, grelle Farbe erweitern, scheint Zuccons Film immer blasser zu werden, bis hin zu Graufiltern und Schwarzweißbildern – irdische Farben scheinen im Laufe der Zeit immer mehr aus dem Film zu weichen…
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