bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Texas Chainsaw 3D

„Du wurdest in einem Haufen Scheiße geboren!“

Mit der „The Texas Chainsaw Massacre”-Reihe ist es ähnlich unübersichtlich geworden wie mit den „Halloween“-Filmen, woran u.a. dieser Film aus dem Jahre 2013 schuld ist: Diese von Tobe Hooper, Regisseur des unübertroffenen Originals und Backwood-Terror-Subgenre-Begründers aus dem Jahre 1974, mitproduzierte und von John Luessenhop („Takers“) inszenierte Fortsetzung ignoriert nicht nur Remake samt Prequel, sondern auch alle drei vorausgegangenen Fortsetzungen des Originals. Damit bildet der für 3D-Kinos gedrehte, aber auch in herkömmlichen 2D-Fassungen erhältliche „Texas Chainsaw 3D“ einen neuen Ast innerhalb der Mythologie um die ikonische, kettensägenschwingende und Masken aus Menschenhaut tragende Horrorfigur Leatherface aus, die ursprünglich an den realen Serienmörder Ed Gein angelehnt worden war.

„Sie waren nie wirklich weg!“

Nachdem die Untaten der degenerierten Sawyer-Familie bekanntgeworden waren, hatte eine Bande benachbarter Rednecks das Grundstück gestürmt und der Familie den Garaus gemacht. Einer der Angreifer entriss der Familie dabei ein Neugeborenes, das er an sich nahm und selbst aufzog. Jahrzehnte später ist aus dem Baby eine attraktive junge Frau geworden: Heather (Alexandra Daddario, „Bereavement – In den Händen des Bösen“) weiß nichts von ihrer Adaption und aus welcher Familie sie eigentlich stammt, bis sie darüber informiert wird, das alte Familienanwesen geerbt zu haben. Zusammen mit ihrer Clique macht sie sich auf den weitentfernten Weg nach Texas, um sich mit ihrer Erbschaft vertraut zu machen. Doch das Haus steht nicht komplett leer: Im Keller vegetiert der die damaligen Lynchmorde überlebt habende Leatherface (Dan Yeager, „Metal Heads“) vor sich hin – und kommt angesichts des eintreffenden Frischfleischs bald wieder auf den Geschmack…

„Ein richtiges Herrenhaus, wie geil!“

Tobe Hooper hatte sich seinerzeit für eine ganz andere Form der Fortsetzung entschieden, die zwar recht originell ausgefallen, sich aber derart stark vom Original und dessen grimmiger Stimmung unterschied, dass sie nicht auf ungeteilte Zustimmung gestoßen war. Dieser neue Versuch beginnt mit einem Rückblick aufs Original und knüpft an dieses unmittelbar an, wenn er nahtlose in neue Szenen übergeht: Die Polizei trifft am Tatort ein, dem die von Leatherface gejagte Sarah in letzter Sekunde entkommen konnte. Lynchgeile Rednecks stoßen hinzu und entfachen ein Inferno – womit sich die Sawyers plötzlich in der Opferrolle befinden. Nach dem Babyklau Szenenwechsel und Zeitsprung: Ein paar Mädels planen einen Ausflug nach New Orleans, eines von ihnen ist Heather. Nachdem sie von ihrer Erbschaft erfahren hat, lautet das neue Reiseziel Texas.

„Auf die Sawyers!“

Diese Prämisse macht einerseits neugierig, fühlt sich andererseits mit den Sawyers in der Opferrolle aber auch ein wenig seltsam an und folgt grob dem Konzept von Slasher-Fortsetzungen wie „Halloween 4“, wenn neue Verwandtschaftsverhältnisse aus dem Hut gezaubert werden (was indes – s. ebenfalls „Halloween 4“ – keinen Qualitätsabfall bedeuten muss). An einer Raststätte fährt unsere Reisegruppe versehentlich einen Anhalter an, den sie daraufhin nach Texas mitnimmt. Diese Sequenz ist nicht nur eine von vielen Reminiszenzen ans Original, sondern auch ein Spiel mit der Erwartungshaltung des Publikums, das natürlich sofort die ähnliche Szene aus Hoopers Film vor Augen hat. Nach der Ankunft in Texas spulen Luessenhop und sein Team jedoch in erster Linie diverse Genreklischees ab, von denen die sich dämlich verhaltenden und weitestgehend oberflächlich charakterisiert bleibenden Mitglieder der Clique nur eines ist. „Texas Chainsaw 3D“ gibt jeglichen Backwood-Terror-Aspekt zugunsten einer typischen Slasher-Handlung auf. Somit ist das, was passiert, recht vorhersehbar, wenngleich man sich gekonnt an grafisch expliziten Tötungsszenen austobte: Da wird fröhlich aufgespießt, zersägt, gehäutet und zerhäckselt und somit all das gezeigt, was Hooper anno 1974 eher im Verborgenen beließ.

„Es geht nichts über die Liebe der Familie...“

Weniger vorhersehbar ist indes, dass es Leatherface in einer herrlich bizarren Sequenz auf einen Rummelplatz verschlägt, und ab diesem Moment wird’s tatsächlich spannend. Der damalige Rädelsführer des Anschlags auf die Sawyers ist jetzt Bürgermeister (Paul Rae, „True Grit“), der damalige Sheriff (Thom Barry, „Cold Case – Kein Opfer ist je vergessen“) bekleidet sein Amt noch immer. Eines der Opfer wird nicht von Leatherface gerichtet, sondern von der Polizei erschossen. Der Terroraspekt wird zumindest ein Stück weit bedient, als der Sheriff Jagd auf Heather macht, für wirkliche Backwood-Terror-Stimmung wirkt der Ort aber mittlerweile zu suburban. Die Sawyers in eine Opferrolle zu drängen und somit zu verharmlosen, erweist sich zunehmend als ziemlicher Quatsch, die gesamte Entwicklung im letzten Filmdrittel ebenfalls. Heather solidarisiert sich also mit dem Mörder ihrer Freundinnen und Freunde, die ihr plötzlich scheißegal sind…?! Vielleicht wäre „Texas Chainsaw 3D“ gern ein Film über Familie und Sippenhaft gewesen – und darüber, dass man eventuell nicht, ähem, „aus seiner Haut kann“. Der Intention des Originals wird man damit jedoch nicht gerecht. Und dass man rund 20 Jahre nach den Ereignissen des Jahres 1974, also inmitten der 1990er-Jahre, mit modernen Smartphones hantiert, ist ein derart ärgerlicher Fehler, dass es schwerfällt, wohlmeinend über ihn hinwegzusehen.

Immerhin verfügt der Film über ein ordentliches, knackiges Timing und kann mit Original-Lederfratze Gunnar Hansen, hier als einer der Rednecks, und Marilyn Burns, der Hauptdarstellerin Hoopers Films, als Heathers Großmutter, in netten Cameos aufwarten. Die Hauptdarstellerin dieser Fortsetzung, Alexandra Daddario, hat heftig charismatische Augen und trägt permanent bauchfrei, ist also ein echter Hingucker. Fazit nach Verklingen des Rocksongs mit verzerrter Klampfe im Abspann: Eigentlich zumindest okayes Genre-Popcornfutter, die Anachronismen werden jedoch mit einem Punktabzug getadelt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Zwei Leben

„Mein Gott, das ist ja schrecklich!“

Für den siebten Fall der Essener „Tatort“-Ermittler Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) arbeitete Karl Heinz Willschrei, einer der damaligen Stammautoren der öffentlich-rechtlichen Krimireihe, erstmals mit Regisseur Wolfgang Staudte („Die Mörder sind unter uns“) zusammen, der nach dem famosen „Tatort: Tote brauchen keine Wohnung“ seinen zweiten „Tatort“ inszenierte. Am 14. März 1976 wurde „Zwei Leben“ erstausgestrahlt.

„Ach Scheiße, ich weiß es eben…“

Franz Scheller (Heinz Bennent, „Nea – Ein Mädchen entdeckt die Liebe“), ehemaliger Kronzeuge in einem US-amerikanischen Prozess gegen die Mafia und US-Bürger mit deutschen Wurzeln, befindet sich seit seinen Aussagen in einem Zeugenschutzprogramm und lebt unter neuer Identität als Fotolaborant in Essen. Dort ist er glücklich verheiratet, doch gibt es dummerweise auch noch seine Ex-Frau aus Mafiazeiten, Vivian Hamilton (Gisela Uhlen, „Drei Männer im Schnee“). Diese sucht fieberhaft nach ihm und weiß genau, wo sie nach ihrem Ex-Mann Ausschau halten muss: In den illegalen Pokerhinterzimmern der Republik. Ihre einzige Chance, ihn zurückzugewinnen, ist, ihn an die Mafia zu verraten, damit er aus seinem bürgerlichen Leben fliehen muss. Genau das tut sie, nachdem sie ihn hat ausfindig machen lassen, und prompt liegt der erste Fall eines toten Mafiosos (Günther Stoll, „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“) auf Kommissars Haferkamps Schreibtisch. Dieser muss erst einmal die unübersichtliche und zudem geheime Gemengelage sortieren, während Scheller zu allem Überfluss auch noch von seiner Angestellten (Susanne Beck, „Bitte keine Polizei“) erpresst wird. Wird der ebenso tollkühne wie teuflische Plan seiner Ex-Frau aufgehen? Werden weitere Mitglieder der Mafia auf den Straßen Essens sterben? Oder müssen gar Hamilton und/oder Scheller ihr Leben lassen…?

Der Prolog vermittelt Einblicke in Vivian Hamiltons detektivisches Vorgehen, Kamera und Licht spielen gekonnt und passend zu den verborgenen Pokerrunden mit schummrigen Ausleuchtungen. Es folgen Schellers Enttarnung und dessen zunächst, da man noch kaum etwas über diese Figur weiß, überraschende Flucht nach vorn: Er verfolgt den Mann, der zu viel weiß, und bringt ihn um. Ein Foto aus dessen Kamera bringt Haferkamp auf Schellers Spur, doch dieser versteht es, seinen Kopf auch aus der Schlinge der Essener Bullen zu ziehen. Haferkamp ist einmal mehr auf die Unterstützung seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum) angewiesen, wir haben es also mit einem sehr Ex-Frauen-lastigen „Tatort“ zu tun. Zusätzlich holt sich Hafi Informationen beim Kieler Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) ein. Ingrid recherchiert kräftig und erfolgreich, erfolgreicher als Haferkamp, und auch der unvermittelt zum Nichtraucher gewordene Kreutzer wuselt sich so durch diesen Fall um eine skrupellose geschasste ehemalige Mafioso-Gattin und einen Kronzeugen, der über Leichen geht und somit Opfer und Täter zugleich ist.

Über weite Strecken bietet der mitunter etwas zeitgenössisch betulich erzählte „Zwei Leben“ eine gelungene Mischung aus Spannung und aus dem Informationsvorsprung des Publikums resultierender Suspense. Zuschauerinnen und Zuschauer dürften in erster Linie recht lange um Vivian Hamilton und ihre Rolle in diesem Spiel rätseln, denn diese wird erst recht spät aufgedeckt – und kulminiert in einem kaltschnäuzig konstruierten Finale. Dieses setzt einen schönen Schlusspunkt unter einen Mafiakrimi der etwas anderen Art, denn er kommt weitestgehend ohne Hypergrausamkeit und Action aus und überzeugt allein mit seinem Ensemble, seiner wohlgestalteten Handlung und nicht zuletzt den augenschmeichelnden Kamerafahrten und -perspektiven Gernot Rolls. Für die musikalische Untermalung wird auf den ersten Satz der Sinfonie in Fis Erich Wolfgang Korngolds zurückgegriffen und, ja: das musste ich erst recherchieren.

7,5 von 10 starken Ex-Frauen für diesen sehr sehenswerten „Tatort“, der im Jahre 2017 übrigens eine Episode gleichen Titels zur Seite gestellt bekam.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Treffpunkt Friedhof

„Haben Sie schon einen Verdacht?“ – „Nein, keine Spur.“

Wolfgang Beckers vierte Regiearbeit für die öffentlich-rechtliche „Tatort“-Krimireihe, genauer noch: deren Essener Ast um Kommissar Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und dessen Assistenten Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge), bedeutete für ihn erstmals die Inszenierung eines Drehbuchs, das nicht aus der Feder Karl Heinz Willschreis stammt: „Treffpunkt Friedhof“ wurde von Werner Kließ geschrieben. Die Erstausstrahlung erfolgte am 12. Oktober 1975.

„Wie ein Profi!“

Fahrzeugtuner Robert Geffken (Matthias Fuchs, „Ulrich und Ulrike“) überfällt Fabrikant Zangemeister (Peter Oehme, „Angeklagt nach § 218“) in dessen Haus, erschießt die ihn überraschende Haushälterin Frau Naumann (Erna Sellmer, „Klein Erna auf dem Jungfernstieg“) und erpresst ihn um 450.000,- DM. Zangemeister lässt sich notgedrungen und zähneknirschend darauf ein, wird aufgrund der krummen Summe aber stutzig: Es handelt sich um exakt den Betrag, den Schaßler (Karl Maria Schley, „Tatort: 3:0 für Veigl“), Chefkonstrukteur in Zangemeisters Fabrik, für eine Erfindung aufgerufen hatte, die das Unternehmen vor dem Bankrott bewahrte – die Zangemeister aber für überzogen hielt und Schaßler nicht auszahlte. Unabsichtlich brachte Schaßler in seinem Frust Robert und seien Tochter Ellen (Krista Keller, „Tatort: Kressin und die zwei Damen aus Jade“), die einst mit Robert in einer toxischen Beziehung liiert war und seit einem Sprung aus dem Fenster an der Krücke geht, auf die Idee zu dieser Tat. Für die Polizei würde er als Drahtzieher gelten, sodass Robert auch ihn in der Hand hat. Ellen, die auch mit dem Mord an der Haushälterin hadert, sucht nach einem Plan, Robert ein für allemal loszuwerden, während die Ermittler Haferkamp und Kreutzer zwar auf Roberts Spur geraten, aber noch keine Beweise haben…

„Als Liebhaber bist du ja ganz brauchbar…“

Der Auftakt, der Robert beim Manipulieren eines Telefongeräts, weiteren Vorbereitungen und schließlich der Durchführung der Tat in schwachen Ausleuchtungen zeigt, ist fulminant umgesetzt und sogar ein bisschen unheimlich. Anfänglich wissen die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht mehr als das Gezeigte und haben keinerlei Informationen zu Täter und Motiv. Dies ändert sich mit der Zeit, denn schön nebeneinander werden die polizeilichen Ermittlungsarbeiten und der Täter samt seinem Umfeld präsentiert, was nach und nach alles aufdröselt. Relativ früh wird dem Publikum sogar ein vollständiger Wissensvorsprung gewährt, was die Spannung zeitweise sehr herausnimmt. Das Figurenensemble indes ist interessant und irgendwie haben alle mindestens ein bisschen Dreck am Stecken, wenngleich hier bei Weitem niemand so cool ist, wie es der an der actionreichere Kinoproduktionen jener Zeit erinnernde, groove-funkige Soundtrack suggeriert.

Haferkamp bittet einmal mehr seine Verflossene Ingrid (Karin Eickelbaum) um Mithilfe, was in einem witzigen Rollenspiel (der Bulle und die Bulette!) in einer Kneipe mündet. Hinterm Tresen: Marie-Luise „Mutter Beimer“ Marjan. Mit Ingrid landet Hafi gar wieder im Bett, ganz Aufmerksame sehen Eickelbaum eine Millisekunde lang oben ohne. Im letzten Drittel liegt der Fokus zunehmend auf Ellen, die sich nicht nur als versierte Waffenmanipulatorin, sondern auch als durchtriebene Fallenstellerin entpuppt, die Haferkamp ohne dessen Wissen zum Erfüllungsgehilfen macht. Diesem gelingt das Kunststück, aus weiter Distanz mit seiner Bullenknarre zielgenau zu treffen. Da ging es wohl etwas mit Autor Kließ durch. Zu viele Clint-Eastwood-Western geguckt? Generell wirkt die ganze Handlung ein wenig überkonstruiert, tritt dramaturgisch zuweilen auf der Stelle und hätte aus ihrer Femme fatale gern mehr herausholen können. Dennoch: Gute Unterhaltung!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Columbo: Todessymphonie

„Ich hab‘ dich wirklich gemocht, Bertie.“

Die dritte Episode der bis dahin kürzesten, weil nur drei Folgen umfassenden sechsten Staffel der US-TV-Krimireihe „Columbo“ ist die erste von zwei „Columbo“-Verfilmungen durch Regisseur Sam Wanamaker („Sindbad und das Auge des Tigers“), der hauptsächlich als Schauspieler in Erscheinung getreten war. Er inszenierte ein Drehbuch Robert Malcolm Youngs; „Todessymphonie“ wurde am 22. Mai 1977 erstausgestrahlt und trägt den schönen Originaltitel „The Bye-Bye Sky High IQ Murder Case“.

„Darüber denk‘ ich bestimmt noch nach, Mr. Brandt!“

Der Sigma-Club ist eine Vereinigung hochintelligenter Menschen, die nur Mitglieder aufnimmt, die zu den 2 % der Bevölkerung mit den höchsten Intelligenzquotienten gehören. Einer von ihnen ist Oliver Brandt (Theodore Bikel, „Flucht in Ketten“), der in Geldnot geraten ist, weil er das Luxusleben seiner Ehefrau Vivian (Samantha Eggar, „Das Unheimliche“) finanziert. Diesem begegnet er durch die Unterschlagung von Firmengeldern, bis ihm sein Clubkollege Bertie Hastings (Sorrell Booke, „Ein ganz verrückter Freitag“) auf die Schliche kommt. Bertie muss aus dem Weg geschafft werden, und so entwickelt Oliver einen ebenso ausgeklügelten und raffinierten wie komplizierten Plan, den er während eines Clubtreffens in die Tat umsetzt: Er erschießt Bertie mit einem schallgedämpften Revolver und sorgt dafür, dass laute Schussgeräusche wenige Minuten später ertönen, als er sich längst wieder unter den Clubmitgliedern tummelt. Inspektor Columbo (Peter Falk) wird auf den Fall angesetzt, hört sich unter den Intelligenzbestien um und setzt das Puzzle nach und nach zusammen…

Auch „Todessymphonie“, deren deutscher Titel sich von der Tschaikowsky-LP, die der Täter auflegt, ableitet, tritt den Beweis an, dass eine gut erzählte Geschichte, ein knuffiger Inspektor und interessante Figuren kein Whodunit? und auch kein Motivrätselraten benötigen, um mehr als ansprechend zu unterhalten. Rätsel gibt vielmehr der Prolog auf, der Oliver Brandt beim Präparieren von Tatutensilien zeigt, deren Zweck sich einem nicht gleich erschließt: Da wird mit einem Regenschirm ebenso hantiert wie mit einem luxuriösen Plattenspieler, Klammern und Draht, und ein dickes altes Buch spielt auch eine Rolle… Reichlich bizarr mutet es an, wie der hochgewachsene, kräftige Oliver Brandt den unscheinbareren, untersetzten Bertie ständig durchkitzelt – bevor er ihn erschießt…

Als Zuschauerin oder Zuschauer weißt man daraufhin zwar bald, was Brandts Präparationen bewirkt haben, noch nicht aber, wie genau all das funktionierte, ganz zu schweigen davon, was das eigentlich für eine Zusammenkunft verschiedener Menschen ist, in deren Rahmen Brandt die Tat in einem separaten Raum durchführte, aufgrund der verzögerten Schussgeräusche aber schlauerweise etliche Zeugen hat, die beschwören würden, dass er sich zum Tatzeitpunkt in ihrer Mitte befand. Und dann ist da noch die Denksportaufgabe, die Brandt dem von ihm – natürlich – unterschätzten Columbo beim ersten Aufeinandertreffen mit auf den Weg gibt. In den üblichen 70 Minuten, sprich: bei durchaus knackigem Tempo werden nach und nach alle Fragen geklärt und alle Rätsel gelöst, wobei Columbo mitunter richtiggehend unangenehm aufdringlich wirkt, aber Brandt nach und nach immer öfter die Gesichtszüge entgleiten.

Etwas plump erscheint es leider, dass Clubmitglied Caroline (Carol Jones, „Francesca, Baby“) den Fall im Prinzip rasch durchschaut und Columbo somit die technischen Abläufe weitestgehend kennt und den Täter nur noch zu überführen braucht. Köstlich allerdings der darauffolgende Dialog, als Columbo ihr ein Kompliment für ihr attraktives Äußeres macht und sie sich freut, endlich einmal nicht auf ihren Intellekt reduziert zu werden. Ein männliches Mitglied hingegen ist felsenfest davon überzeugt, dass Bertie Selbstmord begangen habe, und liegt dem Inspektor damit in den Ohren. Ansonsten aber wird auf allzu dankbare Witzchen auf Kosten der „Eierköpfe“ verzichtet, stattdessen erkennt Columbo ihre Schwächen in Form charakterlicher Makel und beginnt, diese für die Ermittlungen auszunutzen.

So verschlägt es Columbo kurioserweise in einen Discoclub, wo er Brandts ehemaligen Sekretär George (Howard McGillin, „Unerfüllte Träume“) ausfindig macht und an dessen Karrierismus appelliert, um von Brandts krummen Geschäften zu erfahren. Und Brandt gegenüber suggeriert Columbo wider besseres Wissen, Bertie habe Dreck am Stecken gehabt. Letztlich packt er Brandt bei dessen Eitelkeit, als er alles ganz genau aufdröselt und sich dabei einmal mehr dümmer stellt, als er ist. Das draußen mit Blitz und Donner tobende Unwetter, auf das Regisseur Wanamaker im Finale als dramaturgisches Klischee zurückgreift, hätte es nicht gebraucht; umso schöner die Entzauberung der ach so Intellektuellen als am Ende auch nur von typischen menschlichen Schwächen gebeutelte und eben mitunter niederen Instinkten folgende Mitmenschen, die sich in ihrer Welt nur allzu gern um sich selbst kreisen. Denn wer bitte schließt sich schon zu solchen Clubs zusammen? Eben.

Ein Hingucker übrigens die junge Jamie Lee Curtis („Halloween“) als offenbar nicht gerade ihrem Traumjob nachgehende Café-Kellnerin – eine ihrer ersten Rollen. Eine sehenswerte „Columbo“-Episode, in der Hochmut einmal mehr vor dem Fall kommt und die noch ein wenig raffinierter hätte ausfallen können, wäre unser Inspektor auch ohne den Großteil des genauen Tathergangs bereits ausplaudernde Streberin auf denselben gekommen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Die Mörder sind unter uns

Der etwas andere Weihnachtsfilm

„...einer der weiß, dass es sich nicht lohnt, diese Menschheit zu kurieren.“

Wir schreiben das Jahr 1946: Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, die ehemalige Reichshauptstadt Berlin liegt zerbombt in Schutt und Asche, Deutschland ist in verschiedene Besatzungszonen aufgeteilt. Die NS-Vergangenheit ist noch längst nicht aufgearbeitet, noch nicht einmal das reale Ausmaß der Nazigräuel bekannt. Wolfgang Staudte, bereits zu Zeiten der NS-Diktatur als Regisseur und als Schauspieler – als Nebendarsteller auch im antisemitischen NS-Propagandafilm „Jud Süß“ – aktiv gewesen, geht in die Geschichtsbücher als Regisseur und Autor des ersten deutschen Nachkriegsfilms ein, dessen Dreharbeiten sogar noch vor Gründung der DEFA begannen, ein, einem düsteren Porträt der damaligen Zeit, wenngleich es sich auf nur wenige Figuren fokussiert. Staudte weiß: „Die Mörder sind unter uns“.

„Krieg ist immer was Entsetzliches!“

Die Handlung spielt im Jahre 1945 nach Kriegsende: Der Arzt und Ex-Offizier Dr. Hans Mertens (Ernst Wilhelm Borchert, „Der ewige Klang“) kehrt als gebrochener, kriegstraumatisierter Mann nach Berlin zurück, ebenso die junge Fotografin Susanne Wallner (Hildegard Knef, „Unter den Brücken“), die das KZ überlebt hat. Zu ihrer Überraschung muss sie feststellen, dass ihre Wohnung zwar nicht zerbombt wurde, mittlerweile aber von Mertens bewohnt wird, der dort Unterschlupf suchte. Beide arrangieren sich miteinander und unterstützen sich gegenseitig in ihren kargen Leben, nachdem Hans „angekommen“ ist – und mit der Zeit gar zarte Gefühle für Susanne entwickelt, die diese erwidert. Seinen ehemaligen Hauptmann Ferdinand Brückner (Arno Paulsen, „Blaubart“) hält Hans für tot und fällt aus allen Wolken, als er erfährt, dass sich dieser nicht nur bester Gesundheit erfreut, sondern bereits ein eigenes Unternehmen aufgebaut hat, in dem er Stahlhelme zu Kochtöpfen verarbeitet. Mit seiner Frau und seinen Kindern führt er eine bürgerliche Existenz als wohlhabender Fabrikant. Dass er ein Kriegsverbrecher ist, der drei Jahre zuvor ein Massaker an 121 Zivilistinnen und Zivilisten verübte, belastet sein Gewissen kein bisschen. Hans beschließt, Brückner am Weihnachtsabend den Garaus zu machen…

„Ratten... Ratten... überall Ratten... Die Stadt belebt sich wieder!“

In kaum einem Regisseur spiegelte sich die frühe Entwicklung des Kalten Krieges in Deutschland so sehr wider wie in Wolfgang Staudte, der bereits mit seinem ersten Nachkriegsfilm nicht nur persönliche Haltung bewies und Stellung bezog, sondern geradezu visionär die ausbleibende Entnazifizierung, das rasche Übergehen zur Tagesordnung, als sei kaum etwas gewesen, die Besetzung gutbürgerlicher gesellschaftlicher Positionen durch Nazischergen und Kriegsverbrecher, anhand eines Exempels beschrieb – und zwar inmitten der ebenso beeindruckenden wie erschreckenden, authentischen Kulissen des zerstörten Berlins. Während die Trümmer noch mahnen und die überlebenden Kriegsversehrten ihre Wunden lecken, machen Täter wie Brückner schon wieder Reibach.

„Wir haben doch Weihnachten!“

Staudte tat gut daran, Brückner nicht als Monster darzustellen, sondern als jemanden, der oberflächlich betrachtet sogar recht sympathisch wirkt. Brückner hadert nicht, quält sich mit keinen Schuldgefühlen herum oder tut Buße, sondern findet sich unter den neuen Umständen schnell zurecht und versteht es, diese für sich zu nutzen. Für Hans ist das unerträglich mitanzusehen. Er wird von Kriegserinnerungen geplagt, die Staudte akustisch umsetzte. Hans guckt viel aus dem Fenster, aus Skepsis gegenüber der Gesellschaft wahrt er Distanz. An Weihnachten passt Hans Brückner ab, um ihn zu richten – denn es war auch Weihnachten, als Brückner 121 Menschen erschießen ließ und mit seinem Regiment anschließend unbeschwert feierte. Staudte inszeniert eine Rückblende zu den damaligen Ereignissen als Kontrast zu einer Weihnachtsansprache Brückners und zu Weihnachtsgesang. Das ist extrem starker Tobak und schwer erträglich. Eine weitere Rückblende zeigt den Sieg über Brückner und sein Regiment sowie die Pistolenübergabe Hans‘ an Brückner im Angesicht des Todes.

„Ich bin doch unschuldig!“

Mit den genannten Rückblenden verlässt Staudte das Feld der Andeutungen und breitet Brückners ganzen mörderischen Zynismus vor den Zuschauerinnen und Zuschauern aus, um ein Finale einzuleiten, das ursprünglich anders geplant war. Statt Selbstjustiz siegen Vernunft und Hoffnung in den Rechtsstaat. So hatten es die Sowjets verfügt. Und, ja: Dieser Ausgang steht dem Film tatsächlich gut. Staudte orientierte sich stilistisch stark am deutschen Expressionismus mit dessen Schattenspielen und wählte einige ungewöhnlich, gar gewagte, etwas schlüpfrige Kameraperspektiven, die „Die Mörder sind unter uns“ nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell herausstechen lassen. In Kombination mit seinem gebrochenen Protagonisten und der düsteren Grundstimmung entstand so eine Art deutscher Film noir, zugleich einer der besten und ernstzunehmendsten Filme dieses Bereichs, obwohl auf manch gängiges Genre-Topos verzichtet wurde. Auch schauspielerisch ist der Film stimmig besetzt. „Die Mörder sind unter uns“ ist zweifelsohne einer der wichtigsten deutschen Filme, doch war er zu nah an der schmerzhaften Wahrheit, sodass die bundesdeutsche Filmproduktion schnell dazu überging, das Publikum mit restaurativen Heimatfilmen und Geschichtsverdrängung zu unterhalten respektive abzuspeisen, während die Politik sich auf den neuen alten Feind aus dem Osten konzentrierte und in antikommunistischen Ressentiments erging. Die Mörder indes waren noch lange, lange Zeit unter uns.

8,5 von 10 Punkten für dieses nicht nur als Zeitdokument großartige Pionierwerk, das einen Grundstein für Krieg und Faschismus ver- und aufarbeitendes, anspruchsvolles Kino legte, dem es in der Folge mitunter gelang, je nach Gewichtung die emotionale oder politische Ebene noch stärker herauszuarbeiten.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Ist das Leben nicht schön?

„Er hasst die Menschen, weil er nicht anders kann.“

„Ist das Leben nicht schön?“, jene vom italienischstämmigen US-Regisseur Frank Capra („Hier ist John Doe“) inszenierte, auf der Kurzgeschichte „The Greatest Gift“ Philip Van Doren Sterns basierende Fantasy-Tragikomödie aus dem Jahre 1946, gilt jenseits des Atlantiks als einer der beliebtesten Weihnachtsfilme und genießt auch hierzulande viel Renommee. Dem in Schwarzweiß gedrehten Original wurden drei verschiedene nachkolorierte Varianten zur Seite gestellt, von denen die dritte aus dem Jahre 2007 den Segen der Capra-Nachlassverwaltung erhielt.

„Die Jugend von heute ist doch zu dämlich!“

Nachwuchsengel Clarence (Henry Travers, „Drachensaat“) bekommt an Weihnachten die Möglichkeit, sich seine Flügel zu verdienen, indem er auf Erden, genauer: in der Kleinstadt Bedford Falls, George Bailey (James Stewart, „Tanz auf dem Eis“) vom Selbstmord abhält. Dieser ist ob seiner finanziellen Nöte vollkommen verzweifelt und wäre am liebsten gar nicht erst geboren worden. Clarence nimmt sich seiner an und zeigt ihm, was aus seinem Heimatort und dessen Bewohnerinnen und Bewohnern geworden wäre, hätte es ihn tatsächlich nie gegeben…

„Sentimentales Gefasel!“

Zunächst erklingen Stimmen aus dem Off, es wird zu Gott für Mr. Bailey gebetet. Im Weltall unterhalten sich zwei Galaxien über ihn, schließlich wird Engel Clarence entsandt. Diesem gewährt Gott Einblicke in George Baileys Leben, beginnend mit dessen Kindheit. Capra visualisiert diese in ausgedehnten Rückblenden à la „Citizen Kane“ und Konsorten, die einen Großteil des Films ausmachen. So sehr der Prolog auch im von christlicher Mythologie geprägter Fantasy angesiedelt ist, so sehr ist Georges persönlicher Werdegang in der Realität und somit der jüngeren Geschichte der USA verwurzelt. Die Rückblenden setzen im Jahre 1919 ein, als der zwölfjährige George seinem Bruder Harry das Leben rettet, dadurch aber auf einem Ohr das Gehör verliert. Nach der Schule arbeitet er in einem Drogeriegeschäft, dessen Chef Mr. Gower (H. B. Warner, „Blutrache“) ihn ohrfeigt. Dank seiner Achtsamkeit rettet George dort einem weiteren Jungen das Leben und bewahrt Gower vor schwerwiegenden Problemen.

„Willkommen zu Hause, Mr. Bailey.“

Im jungen Erwachsenenalter fängt George in der Bausparkasse „Building and Loan“ seines Vaters (Samuel S. Hinds, „Lebenskünstler“) an und übernimmt das Geschäft nach dem überraschenden Tod seines Vaters. Miethai Henry F. Potter (Lionel Barrymore, „Dr. Kildare“) beginnt, in der Bausparkasse eine unliebsame Konkurrenz zu sehen, und hat es auf sie abgesehen. George verteidigt das Unternehmen erfolgreich, muss jedoch dessen Leitung übernehmen, um den Fortbestand zu sichern. Dafür stellt er seine eigenen Pläne, Bedford Falls zu verlassen, zu studieren und die Welt zu sehen, hintenan. Sein Bruder Harry (Todd Karns, „The Courtship of Andy Hardy“) besucht indes das College, heiratet in eine reiche Familie ein und lässt George mit „Building and Loan“ und all seinen unerfüllten Träumen allein.

„Sie sind ja tot mehr wert als lebendig!“

George heiratet seine Jugendfreundin Mary (Donna Reed, „Schnellboote vor Bataan“), doch die geplante Hochzeitsweltreise platzt, als die USA in der Depression versinken. „Building and Loan“ steht dadurch vor dem Kollaps und kann nur gerettet werden, weil George und Mary ihr für die Weltreise gedachtes Privatvermögen ins Unternehmen stecken. Sie beziehen ein bescheidenes Heim und bekommen vier Kinder. Für Mr. Potter ist George weiterhin ein Dorn im Auge, insbesondere, weil dieser durch sozialen Wohnungsbau seine Macht gefährdet. Potter versucht, George zu kaufen, doch dieser bleibt standhaft. Den Zweiten Weltkrieg verbringt George an der Heimatfront, während sein Bruder als Kriegsheld zurückkehrt. Ausgerechnet an Heiligabend des Jahres 1945 geschieht das Unglück: George verliert versehentlich 8.000 Dollar an Mr. Potter, der die Summe unterschlägt und hofft, dass die am selben Tag stattfindende Buchprüfung „Building and Loan“ und George aufgrund des fehlenden Betrags wegen vermeintlicher Bilanzfälschung den Garaus macht. Potter zeigt George gar polizeilich an und entspinnt eine schmierige Rufmordkampagne gegen ihn. Als der tieftraurige George dann auch noch verprügelt wird und einen Autounfall baut, ist er des Lebens überdrüssig.

So werden also die wichtigsten Stationen im Leben eines Mannes abgeklappert, der nie egoistisch handelte und immer wieder zurücksteckte, um Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen und zu helfen. Sein Antipode ist der raffgierige alte Kapitalist Potter, der auch nicht vor unlauteren Methoden zurückschreckt, um sich seinen eigenen Vorteil zu sichern, aus dem heraus er seine Mitmenschen ausbeutet. Georges Geschäftsmodell hingegen ist auf Gemeinnützigkeit ausgerichtet, er bereichert sich nicht an hohen Zinsen oder Säumniszuschlägen bei verzögerten Ratenrückzahlungen. Entsprechend niedrig ist sein Gewinn, dafür kann er aber seinen Kundinnen und Kunden unter die Arme greifen, unbürokratisch Notlagen durchzustehen helfen und dazu beitragen, dass Bedford Falls für möglichst viele Menschen ein Ort bleibt, in dem es sich zu leben lohnt. Einen entsprechend guten Leumund genießt er in der Kleinstadt. Und doch erscheint ihm am Ende alles so schrecklich sinnlos.

Dass dem nicht so ist, tritt Engel Clarence ihm zu zeigen an. In der Vision eines Bedford Falls, das einen George Bailey nie gekannt hat, ist aus der beschaulichen Kleinstadt ein Sündenpfuhl geworden, der ganz auf Profitmaximierung ausgerichtet ist und kaum noch glücklich Menschen kennt. „Ist das Leben nicht schön?“ ist nicht nur die persönliche Geschichte George Baileys, die suggeriert, man habe mehr Einfluss, als man oft zu glauben geneigt ist, sondern auch eine sehr direkte Parabel auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen. Ein Thema wie das Recht auf eine Wohnung wird lediglich gestreift, in den unterschiedlichen Geschäftsmodellen Baileys und Potters lässt sich jedoch auch mit wenig Fantasie eine Gegenüberstellung von sozialistischer und kapitalistischer Wirtschaft herauslesen. Das sah auch das FBI zu Zeiten der Kommunismusparanoia so, das dem Film seine Kapitalismuskritik vorwarf. Nicht übel für einen „Wohlfühlfilm“.

Kapitalist Potter trägt Züge Mr. Scrooges aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte, wird jedoch nicht geläutert. Auch dass ein Fantasiewesen dem Protagonisten Einblicke gewährt, die ihm sonst verborgen blieben, erinnert an Dickens. Capra schuf aus der (mir unbekannten) Vorlage Van Doren Sterns dennoch etwas sehr Eigenes, dessen Ende (das zur bis heute andauernden Popularität der Weihnachtslieder „Hark! The Herald Angels Sing“ und „Auld Lang Syne“ beigetragen haben dürfte) vielleicht etwas sehr dick aufgetragen ist – aber wenn nicht an Weihnachten, wann dann?

Unabhängig davon, als wie dominant man die politische Ebene des Films empfindet oder werten möchte, ist „Ist das Leben nicht schön?“ ein zu Herzen gehender Appell an ein solidarisches Miteinander. Die Rezeptionsgeschichte des Films klingt dabei fast selbst wie eine Episode aus Baileys Leben: Der sorgfältig inszenierte und hochkarätig besetzte Film floppte zunächst an den Kinokassen, avancierte insbesondere durch seine regelmäßigen Fernsehausstrahlungen jedoch zu einem angesehenen Klassiker, der aus dem Geschichte des Weihnachtsfilms nicht mehr wegzudenken ist.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Die Geister, die ich rief...

„Oh mein Gott – ist das schlecht!“

Eine der meistverfilmten Weihnachtsgeschichten ist Charles Dickens‘ klassische Weihnachtsgeschichte. US-Regisseur Richard Donner verfilmte zwischen „Zwei stahlharte Profis – Lethal Weapon“ und „Brennpunkt L.A.“ ein Drehbuch Mitch Glazers und Michael O’Donoghues, das den Stoff in gruselkomödiantischer Form in die Gegenwart des Jahres 1988 transportiert. Bei der Namensgebung überzeugen sowohl der Originaltitel „Scrooged“ in Anspielung auf die Hauptfigur als auch das gut passende Goethe-Fehlzitat der deutschen Fassung. Im Folgenden wird gespoilert, sofern davon angesichts einer Adaption altbekannten Stoffs die Rede sein kann:

„Du magst Weihnachten nicht besonders, oder?“

Frank Cross (Bill Murray, „Ghostbusters“), der eigentlich Francis Xavier Cross heißt, ist ausführender Produzent eines Fernsehsenders und gerade mit der Planung des Weihnachtsprogramms beschäftigt. Er ist ein herzloser Zyniker, der seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlecht behandelt, wenn er sie nicht gleich feuert, und auch seine Programmpläne sind wenig besinnlich. Eines Nachts nimmt unvermittelt sein ehemaliger Vorgesetzter Lew Hayward (John Forsythe, „...und Gerechtigkeit für alle“) Kontakt zu ihm auf – dabei weilt dieser bereits seit einigen Jahren gar nicht mehr unter den Lebenden. Damit nicht genug: Er avisiert Frank, dass ihn die Geister der vergangenen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Weihnacht heimsuchen werden. Und so kommt es tatsächlich: In Gestalt eines Taxifahrers (David Johansen, „Die Mafiosi-Braut“), einer sich wenig fairylike gebärdenden Fee (Carol Kane, „Hundstage“) und eines stummen Monsters (Robert Hammond, „Der Blob“ (1988)) erteilen sie Frank eine Lektion nach der anderen…

„Charles Dickens hätte sicher ihre Nippel sehen wollen!“

Das Intro klingt fast wie das „Geschichten aus der Gruft“-Titelthema, was wenig verwundert, da auch hier Danny Elfman für den Score verantwortlich zeichnet. Balleraction mit Lee Majors in der Weihnachtswerkstatt entpuppt sich als Trailer für das geplante Weihnachtsprogramm des TV-Senders Franks, weitere parodistische TV-Teaser laufen im Rahmen einer Präsentation, gefolgt von einem Weihnachtsgeschichte-Werbespot. Frank findet’s alles scheiße und zeigt daraufhin seinen eigenen reißerischen Werbespot für eine nicht minder reißerische Aufführung der klassischen Weihnachtsgeschichte Dickens‘, von der nur noch ein Zerrbild übrigbliebe. Er feuert seinen Angestellten Elliot Loudermilk (Bobcat Goldthwait, „Police Academy 2“), der ihn hierfür zu kritisieren gewagt hatte, sperrt Gratifikationen und benimmt sich generell wie ein empathieloses Arschloch. Seine Sekretärin Grace (Alfre Woodard, „Mandela“) zwingt er zu Überstunden, ihr kleiner Sohn leidet darunter und spricht bereits kein Wort mehr.

Der darauffolgende Besuch seines mumifizierten Ex-Bosses offenbart eine überaus gelungene Maskenarbeit, die ein Publikum, das weniger auf Familienweihnachtsfilme, sondern mehr aufs Horrorgenre schwört, abholen dürfte. Für Freundinnen und Freunde der gepflegten Romanze gesellt sich Franks Jugendfreundin Claire (Karen Allen, „Jäger des verlorenen Schatzes“) zum Ensemble. Eigentlich will Frank weiter an der Umsetzung seiner größenwahnsinnigen Vision einer Scrooge-Show arbeiten, doch Visionen ganz anderer, nämlich unheimlicher und verstörender Art, führen zu Irritationen im Alltag und für eine Mischung aus wohligem Grusel und Schadenfreude beim Publikum. Diese sind jedoch lediglich der Auftakt für Franks Begegnungen mit den berühmten drei Geistern. Derjenige der vergangenen Weihnacht fährt ein Zeitmaschinentaxi und stellt damit zugleich eine Karikatur von New Yorker Taxifahrern und den mit ihnen verbundenen Klischees dar. Im Jahre 1955 zeigt er Frank dessen Eltern, Franks Vater ist ein Tyrann. 1968 geht’s zur Weihnachtsfeier im Büro, ein Jahr später zur glücklichen Weihnacht mit Claire – doch die Beziehung zu ihr wird nach seiner Anstellung beim Fernsehen zugunsten seiner Karriere aufgeben. Im Schnelldurchlauf bekommen wir hier also die Ursache für Franks charakterliche Fehlentwicklungen und deren Auswirkungen auf sein Privatleben präsentiert.

In Claires Hilfsorganisation wird Frank mit einem Schauspieler verwechselt. Der schmierige Brice (John Glover, „Die unglaubliche Geschichte der Mrs. K“) sägt an seinem Stuhl. Slapstick-Einlagen. Und dann auch noch der Geist der gegenwärtigen Weihnacht! Dieser ist weiblich, tritt Frank in die Eier und prügelt ihn, bevor er Frank Grace‘ Familie und die Weihnachtsfeier Franks Bruders (John Murray, „Caddyshack – Wahnsinn ohne Handicap“) zeigt. Die Szene um den erfrorenen Obdachlosen Herman (Michael J. Pollard, „Die wilden Engel“) in der Kanalisation ist wieder starker Tobak. Der Running Gag um die am Showset immer wieder in Unfälle verwickelte Zensorin (Kate McGregor-Stewart, „Tattoo – Jede große Liebe hinterläßt ihre Spuren“) könnte ein Seitenhieb Donners in Richtung US-Sittenwacht sein. Zudem nutzt Donner seinen Film, um durch die im Hintergrund mehr oder weniger subtil gezeigte Forderung „Free South Africa“ das dortige rassistische Apartheid-Regime anzuprangern.

Mit dem Geist der zukünftigen Weihnacht dreht Donner noch einmal kräftig an der Horrorschraube, denn bei diesem handelt es sich um ein waschechtes Monster. Das Creature Design ist beachtlich, Grace‘ Sohn laut dessen Zukunftsvisionen in der Klapse, Claire versnobt und Frank mausetot. Deftig ist auch seine klaustrophobische Sargszene ausgefallen. Nein, „Die Geister, die ich rief…“ ist seiner komödiantischen Ausrichtung zum Trotz in Sachen Härte nicht von schlechten Eltern; Donner scheint es einmal mehr Spaß zu machen, mit Horrorcharakteristika zu spielen. Tatsächlich kehrt der von Frank gefeuerte Loudermilk zurück und trachtet seinem ehemaligen Chef nach dem Leben.

„Ich war ein Schmock!“

Natürlich überlebt Frank den Angriff und im Finale übertreibt man es dann etwas sehr mit Franks Läuterung. Die grimassierende Zensorin, die ihre Libido entdeckt, hätte es ebenso wenig gebraucht wie die kitschigen Szenen mit dem kleinen Schwarzen. Und dann fangen auch noch alle zu singen an… Am Schluss durchbricht Frank die vierte Wand und verabschiedet sich von einem Filmpublikum, das eine bis auf das dick aufgetragene Finale richtig gute, schrille Variation der Weihnachtsgeschichte Dickens‘ gesehen hat. Tempo und Timing sind sehr angenehm und mit der Modernisierung gehen Medien- und Gesellschaftskritik einher, verkörpert von einem freidrehenden Bill Murray (dessen Filmbruder James übrigens sein echter Bruder ist – und James‘ Hund ist Buck von den Bundys). Die Verquickung von Parodistischem und Komödiantischem mit Horrorelementen funktioniert über weite Strecken hervorragend und erinnert nicht zuletzt dank Murrays Engagement hin und wieder an das „Ghostbusters“-Erfolgsrezept. Zudem ist der Film durch die Bank weg toll besetzt. Die Königsdisziplin allerdings wäre gewesen, auch im Finale jeglichen Kitsch konsequent zu umschiffen…

Retrospektivisch reiht sich „Die Geister, die ich rief…“ in den Kanon liebgewonnener, sympathischer Mainstream-Kinofilme der 1980er-Dekade ein, die die damalige Populärkulturell widerspiegeln und im Zuge der Rückbesinnung auf jenes Jahrzehnt wiederentdeckt werden.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Die Muppets Weihnachtsgeschichte

„Wenn es nach meinem Willen ginge, würde jeder Narr, der mit ,Fröhliche Weihnachten‘ auf den Lippen herumrennt, mit dem eigenen Truthahn gebraten und lebendig begraben – mit einem Stechpalmenzweig im Herz!“

Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte wurde bereits unzählige Male in verschiedensten Formen verfilmt, doch eine Muppets-Variante fehlte lange Zeit – bis ins Jahr 1992. Kurz nach der Übernahme durch den Disney-Konzern und dem tragischen Tod des Muppet-Erfinders Jim Henson verfilmte dessen Bruder Brian das Drehbuch Jerry Juhls. Nach anfänglicher Zurückhaltung an den Kinokassen avancierte auch dieser Muppets-Film zu einem Klassiker, der zur Weihnachtszeit gern wieder angeschaut wird.

„Humbug!“

Es handelt sich um kein reines Puppenspiel, denn Ebenezer Scrooge wird von niemand Geringerem als Michael Caine („Dressed to Kill“) gespielt, dessen Neffe von Steven Mackintosh („Frau in Schwarz“), Freds Ehefrau von Robin Weaver („Frau in Schwarz“) und auch einige Statistinnen und Statisten tummeln sich zwischen den bekannten Muppets. Von diesen schlüpft Gonzo in die Rolle des erzählenden Charles Dickens, dem Rizzo the Rat zur Seite steht. Zugleich werden sie Teil der Geschichte, indem sie mitunter mit den Figuren interagieren.

„Wollt ihr wohl still sein, ihr Melonen?“

Mit einer Kamerafahrt über schneebedeckte Häuserdächer beginnt der visuell aufwändig und sorgfältig gestaltete Film, der ein winterliches London nachbildet und mit detailreichem Interieur überzeugt. Scrooges Angestellte sind Muppets, darunter Kermit als Buchhalter Bob Cratchit, der mit der von Miss Piggy dargestellten Emily verheiratet ist und Kinder mit ihr hat. Scrooges verstorbener Geschäftspartner Jacob Marley bekommt einen Bruder Robert zur Seite, damit die Meckeropas Statler und Waldorf beide als Geister verkörpern können. Zahlreiche weitere Muppets bis hin zu singendem Gemüse besiedeln die Szenerie, in der die klassische Geschichte mittels einiger Slapstick- und eigens für den Film geschriebener Musical-Einlagen aufgepeppt wird.

Das ist alles sehr niedlich gemacht und Michael Caine gelingt das Zusammenspiel mit den Puppen über die gesamte Distanz sehr gut, doch vermisse ich den anarchischen Muppets-Witz. Das Ende biegt etwas holterdiepolter um die Ecke und verzichtet keinesfalls auf den typischen Kitsch, dafür aber, wie in so vielen Dickens-Verfilmungen, auf die Systemfrage: Wie ist es überhaupt möglich, dass jemand wie Mr. Scrooge sich derart seinen Angestellten und Mitmenschen respektive -muppets gegenüber verhalten kann?

„Die Muppets Weihnachtsgeschichte“ lässt sich für Kinder und Erwachsene gut schauen, unterhält weihnachtlich und macht durchaus Spaß. Ich hoffe aber, ich tue niemandem unrecht, wenn ich den gebremsten Humor und die weitestgehende Harmlosigkeit dieser Verfilmung angesichts des Fehlens Jim Hensons und des Einflusses des stets sehr auf Familienfreundlichkeit bedachten Disney-Konzerns für mehr als eine Koinzidenz halte…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Munsters fröhliche Weihnachten

„In Transsilvanien war Weihnachten schöner!“

Auf die gruselkomödiantische US-SitCom „Die Munsters“ aus dem Jahre 1964 folgten ein Kinofilm, eine Neuauflage der Serie in den 1980ern und bis dato vier Fernsehfilme, von denen der dritte das Weihnachtsspezial „Munsters fröhliche Weihnachten“ ist. Ian Emes („Rock Fighting“) inszenierte ein Drehbuch Ed Ferraras und Kevin Murphys. Der Film wurde 1996 erstausgestrahlt.

„Dieser Früchtekuchen ist auf ihrer Seite!“

Familie Munster lebt im sonnigen Kalifornien, stammt aber eigentlich aus Transsilvanien. Während alle anderen Kinder das Weihnachtsfest herbeisehnen, vermisst Sohn Eddie (Bug Hall, „Die kleinen Superstrolche“) die Kälte seiner Heimat und ist alles andere als glücklich. Die Versuche seiner Familie, ihm trotzdem schöne Festtage zu bescheren, richten ein heilloses Chaos an: Der Weihnachtsmann (Mark Mitchell, „Bigfoot und die Hendersons“) wird mitsamt seiner Elfen Larry (Ed Gale, „Chopper Chicks in Zombietown“) und Lefty (Arturo Gil, „Bill & Ted's verrückte Reise in die Zukunft“) herbeigezaubert, die Elfen werden abtrünnig und Santa in einen Früchtekuchen verwandelt, während Familienoberhaupt Herman Munster (Sam McMurray, „Schöne Bescherung“) sich erfolglos um einen Nebenjob bemüht. Plötzlich ist Weihnachten nicht nur für Eddie in Gefahr…

Bei diesem Film handelt es sich um eine modernisierte Variante der Munsters, die die gewohnte Rollenverteilung der ungleichen, bis auf die bildhübsche Tochter Marilyn (Elaine Hendrix, „Lover's Knot – Liebe mit Hindernissen“) monsterhaften Familie jedoch beibehält. Im Mittelpunkt steht zunächst Sohnemann (und Werwolf) Eddie, der von seinen Mitschülern gemobbt wird und mit der neuen US-amerikanischen Heimat fremdelt. Dass seine Familie ihm die schönsten Weihnachten überhaupt bieten möchte, ist ein bekanntes Familienfilm-Topos, dessen Witz sich daraus ergibt, dass Familie Munster nun einmal so ganz anders als andere Familie ist, ohne dass ihr dies bewusst wäre.

So verschreckt Herman die Kekssinger, als er sie an der Haustür mit einem Tanz à la James Brown begrüßt. Eddie und Mutter Lily (Ann Magnuson, „Susan... verzweifelt gesucht“) dekorieren das Haus wunderbar morbide – und nehmen zum Leidwesen der konkurrierenden Nachbarn an einem Dekorationswettbewerb teil. Viele der Gags sind bereits aus der Serie bekannt, werden hier aber in eine grob in zwei Erzählstränge strukturierte Weihnachtsgeschichte eingebettet: Hermans Jobsuche und die versehentliche Verirrung des Weihnachtsmanns zu den Munsters. Herman Chef ergeht sich in köstlichem Overacting, als Herman ihn um einen Vorschuss bittet. Doch die Suche nach einer Nebeneinnahmequelle bleibt genauso erfolglos: Ob als Aktmodell oder Blutspender, Herman scheint für nichts geeignet. Zu allem Überfluss wird er von Großvater (Sandy Baron, „Birdy“) auch noch unter Drogen gesetzt.

Die Mythologie um den Weihnachtsmann wird hier insofern weitergesponnen, als Hermans Urgroßvater mit ihm nach Grönland gegangen sei, um dort Spielzeugfabrikant zu werden. Nun ist er also bei den Munsters gelandet, was seine geplante Route durcheinanderbringt. Auf diese will Großvater ihn per Alchemie zurückbringen, doch den überraschend unweihnachtlichen Elfen gefällt’s in Los Angeles. Sie wollen sich amüsieren, Weihnachten daher sabotieren – und verwandeln ihren Chef kurzerhand in einen Früchtekuchen. Als dieser landet er bei Nachbarin Edna. Die bizarren Versuche, ihn zurückzuverwandeln, haben jedoch irgendwann den gewünschten Erfolg und so muss Herman nicht die restlichen vierzehn Millionen Geschenke anstelle Santas ausliefern.

Marilyn lernt unterdessen einen jungen Mann kennen, den Rockmusiker Tom (Jeremy Callaghan, „Police Rescue – Profis unter Verdacht“), was dem Film auch eine Romanze angedeihen lässt. Diese geht hier ausnahmsweise einmal nicht in die Hose: Die ganze Verwandtschaft der Munsters wurde eingeladen, darunter klassische Universal-Monster wie der Wolfsmensch, der Schrecken vom Amazonas und das Phantom der Oper, gemeinsam landet man in einer Rockerbar bei Toms Auftritt. Zusammen mit hilfsbereiten Rockerkomparsen retten die Munsters schließlich das Weihnachtsfest, womit der Film seine Botschaft, Menschen (und Monster…) nicht nach Äußerlichkeiten zu beurteilen, auf diese Gruppe ausweitet.

Eddies Hausmonster wurde leider ziemlich billig umgesetzt, dafür sind die Masken und das Make-up des Schauspielensembles aber gut gemacht und zollen die Darstellerinnen und Darsteller mit ihrem Spiel dem Original Tribut. Musikalisch variiert man die bekannte Titelmelodie, die sich auch im weihnachtlichen Klanggewand gut macht. Sicherlich ist hier vieles etwas gefällig oder albern und längst nicht jeder Gag ein Brüller, aber wir reden hier über einen FSK-6-Film. Ich mag diesen Quatsch und für Freunde der Addams Family, der Munsters und artverwandter Stoffe dürfte „Munsters fröhliche Weihnachten” ein netter saisonaler Spaß sein.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38553
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Der Polarexpress

„Du hast, wie mir scheint, ein kritisches Jahr...“

Robert Zemeckis, US-Regisseur der „Zurück in die Zukunft“-Trilogie, des Zeichentrick-/Realfilm-Crossovers „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ und von auf Tom Hanks zugeschnittenen Filmen wie „Forrest Gump“ und „Cast Away – Verschollen“, arbeitete mit letzterem auch für den im Jahre 2004 veröffentlichen Familienweihnachtsfilm „Der Polarexpress“ zusammen, für den die damals neue Motion-Capture-Technologie zum Einsatz kam. Bei dieser werden Schauspielerinnen und Schauspieler real abgefilmt, um anschließend Digitalanimationsfiguren aus ihnen zu machen. „Der Polarexpress“ basiert auf dem gleichnamigen Kinder-Bilderbuch Chris van Allsburgs aus dem Jahre 1985, der mit Tom Hanks zum Produzentenstab der Verfilmung zählte. Zudem wurde sie als erster Hollywood-Film in das IMAX-3D-Format für entsprechende Kinovorführsäle transferiert.

„Der wahre Geist der Weihnacht wohnt in deinem Herzen.“

Ein kleiner Junge (Tom Hanks) zweifelt an der Existenz des Weihnachtsmanns, da es ihm unplausibel erscheint, wie dieser in einer einzigen Nacht derart viele Kinder weltweit mit Geschenken versorgen will. Doch an Heiligabend steht plötzlich der Polarexpress vor seiner Tür, dessen Zugführer (ebenfalls Tom Hanks) ihn zusammen mit anderen Kindern auf eine aufregende Reise mitnimmt, um ihn nicht nur von der Existenz Santa Claus‘ (noch mal Tom Hanks) zu überzeugen, sondern ihm auch den wahren Geist der Weihnacht zu vermitteln…

„Welcher Hebel ist die Bremse?!“

Der namenlose Junge berichtet seine Erlebnisse aus dem Off im Präteritum, während diese in atemberaubender Tricktechnik vor den Zuschauerinnen und Zuschauern ausgebreitet werden. Faszinierende Fahrkartenflug-Kettenreaktionen gehen einher mit äußerst gelungenen Musical-Einlagen und einem opulenten Orchester- und Weihnachtslieder-Soundtrack Alan Silvestris. Was sehr ruhig beginnt, avanciert zu einem chaotischen, adrenalingeschwängerten Wahnsinnstrip, bei dem die Deutsche Bahn schon längst den Dienst quittiert hätte. „Seht alleine zu, wie ihr zum Nordpol kommt“, hätte es geheißen, und Taxikosten wären auch keine erstattet worden. Das rasante, turbulente Abenteuer führt unter anderem in eine Spielzeug-Wiederaufbereitungswerkstatt, was den Nachhaltigkeitsgedanken fördert. Die Sets sind detailverliebt gestaltet, der Humor, wie beispielsweise beim an Big-Brother-Überwachung gemahnende Artig/unartig-Check mit großer Wichtelbelegschaft, bringt auch ein erwachsenes Publikum zum Schmunzeln, und der Auftritt des Weihnachtsmanns am Nordpol mündet in ein Riesenspektakel wie bei Popstars, was einen solchen Starrummel köstlich aufs Korn nimmt.

Die eingewobene Glaubensbotschaft – es könne nur sehen und erleben, wer glaube – erscheint hingegen etwas fragwürdig, lässt sie sich doch nur allzu leicht auf religiös verbrämten Erleuchtungshumbug übertragen. Alles andere ist aber aufregendes großes Kino für die ganze Familie, das technisch einiges zu bieten hat und in schierem Bombast seine Erfüllung findet. Bei den Kamerafahrten kann einem schon mal schwindelig werden; wer davon unbeeindruckt genauer hinsieht, kann Aerosmith-Sänger Steven Tyler zwischen den Wichteln entdecken. Für die deutsche Fassung bemühte man sich sogar um deutschsprachige Inserts, wenn auch nicht sonderlich konsequent. Ganz am Schluss erklingt wieder die Erzählstimme aus dem Off und ist man, obwohl sich hier viel um Geschenke dreht, um eine im Grunde positive Weihnachtsbotschaft reicher. Und wer sich aus dem ganzen Weihnachtsbrimborium nichts macht, aber neuen Technologien gegenüber offen und neugierig ist, kann hier einem technischen Meilenstein beiwohnen, ähnlich wie seinerzeit bei „Tron“, dem „Rasenmäher-Mann“ oder auch „Terminator II – Tag der Abrechnung“.

Unerwünschter Nebeneffekt dieser Technologie war jedoch die Uncanny Valley genannte Akzeptanzlücke bei Teilen des Publikums, das mit den grafisch relativ realistisch menschlichen Figuren bei zugleich sichtbarer Künstlichkeit haderte – ein Phänomen, das auftritt, sobald künstliche Figuren wie beispielsweise Roboter sich zu nah an menschlicher Imitation bewegen. Dieses Empfinden hatte ich nicht; möglicherweise zahlte es sich aus, mit Trickfilmen verschiedenster Stile, filmischen Spezialeffekten und der rasanten Weiterentwicklung von Computerspielen aufgewachsen zu sein. Möglicherweise war aber auch die Handlung schlicht nicht geeignet, Unwohlsein bei mir auszulösen. Nichtsdestotrotz handelt es sich um ein spannendes Thema, das diesen Film noch ein wenig interessanter, aber auch ambivalenter macht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten