bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Night Angel – Die Hure des Satans

„Sie wollen mich ja nur nackt sehen!“

Der Schweizer Regisseur Dominique Othenin-Girard drehte zwischen zwei Fortsetzungen, nämlich dem unterbewerteten „Halloween V – Die Rache des Michael Myers“ (1989) und „Omen IV: Das Erwachen“ (1991), den erotischen Horrorfilm „Night Angel – Die Hure des Satans“. Dieser feierte seine Premiere im Mai 1990 in Cannes, lief im Juni auf dem Seattle International Film Festival und schaffte es für kurze Zeit ins Kino, bevor er im Rest der Welt direct to video ausgewertet wurde.

„Warum bist du nur so dumm, Junge?!“

Lilith ist ein altorientalischer weiblicher Dämon sumerischer Herkunft, der in einigen alttestamentarischen Auslegungen Adams erste Frau gewesen sein und es sogar geschafft haben soll, den Herrgott persönlich zu foppen. Ihre Verführungskünste sind legendär, doch bringt sie ausschließlich Unheil und Tod über diejenigen, die ihr verfallen. Im Jahre 1990 inkarniert Lilith in die Gestalt einer rassigen Gothic-Schönheit (Isa Jank, „Verbotene Liebe“) und versucht, die Redaktion des Modemagazins „Siren“ zu unterwerfen, um auf dessen Titelblatt zu landen und damit die ganze Welt ins Unglück zu stürzen. Tatsächlich scheint die oberflächliche, schwanzfixierte Mode- und Fotomodellbranche prädestiniert für ihr vorhaben, doch an Art Director Craig (Linden Ashby, „Schatten der Leidenschaft“), dem Bruder der Redaktionsleiterin Rita (Karen Black, „Easy Rider“), scheint sie sich die Zähne aufzubeißen – dieser ist nämlich noch zu echten romantischen Gefühlen fähig und seine Liebe zur astrologisch veranlagten Schmuckdesignerin Kirstie (Debra Feuer, „Leben und Sterben in L.A.“) ist noch jung und frisch…

„Sie ist des Satans Hure! Lust ist ihre Lebenskraft!“

Für ein deutsches Publikum dürfte „Night Angel“ allein schon aufgrund der mit „Verbotene Liebe“-TV-Seifenoper-Darstellerin Isa Jank besetzten Hauptrolle ein Kuriosum sein, die ihre Sache hier im Übrigen ganz ausgezeichnet macht. Zunächst jedoch führt ein reißerischer Sprecher aus dem Off in den Film ein und Lilith erhebt sich bei Vollmond aus einem Tümpel (oder etwas Ähnlichem). Atmosphärische ‘80er-Synthies bilden den akustischen Hintergrund und werden später um Synthie-Pop, Pop-Rock und sogar etwas Rock’n’Roll ergänzt. Der Soundtrack kann also schon mal was und passt prima zum für Horrorfilme eher ungewöhnlichen urbanen Ambiente. Die blutige Visualisierung eines bösen Traums stellt sich sodann als wahr heraus: „Siren“-Herausgeber Joseph (Sam Hennings, „Helden USA III – Die Abrechnung“) und seine Familie werden von Lilith ermordet, nachdem er mit ihr fremdgegangen war.

Die Redaktion tangiert das allerdings nicht weiter, sie feiert trotzdem eine Party. Auf dieser taucht Lilith verführerisch auf, tanzt aufreizend und verdreht den Kerlen den Kopf. Gleich zwei Typen, Rod (Gary Hudson, „Cameron“) und Ken (Doug Jones, „Honey – Horror Moon“), versucht sie telekinetisch zu killen, doch zumindest Ken überlebt schwerverletzt. Wir lernen also: Den Modeschnöseln ist alles scheißegal und der Tod des Herausgebers eher ein Grund zu feiern, aber auch: Für Lilith läuft nicht immer alles perfekt nach Plan. Die Handlung konzentriert sich anschließend erst einmal auf die Romanze zwischen Craig und Kirstie, die ein Rendezvous während eines Gewitterabends zu besagter Rock’n’Roll-Musik haben und während ihrer Liebesszene ein schönes Pop-Rock-Stück spendiert bekommen. Lilith macht sich derweil an Chefred Rita ran, die sie bald komplett unter ihrer Kontrolle weiß, und beginnt für die Titelseite zu posieren.

Eine ältere schwarze Dame namens Sadie (Helen Martin, „Repo Man“) tritt als gottesfürchtige Warnerin auf den Plan, die sich des Liebespaars annimmt und Lilith‘ Hintergrundgeschichte kundtut. In einer mit schönen SFX gespickten Rückblende erfährt man, weshalb sie sich so gut auskennt: Lilith nahm einst ihrem Mann das Leben. Craig wird von einem weiteren visionären Alptraum heimgesucht, in dem ihm Lilith als ein Monster begegnet, aus dessen Mund bissige Schlangen schießen. Und wie auf einem Drogenhorrortrip gerät er in eine bizarre, spezialeffektreiche Szenenabfolge. Wie gut, dass Kirsties Amulett ihn vor Lilith beschützt, während diese bereits die ganze übrige Redaktion beherrscht. In einem unwirklich erscheinenden Waldgebiet außerhalb der Stadt (New York? Wird leider nie genannt.) findet die finale Konfrontation statt, für die die Spezialeffektabteilung noch einmal tief in die Trickkiste greift und in guter alter ‘80er-Latexmanier eine Verwandlung Lilith‘ in ein fieses Monster zeigt. Und der Epilog hält, wie damals nicht unüblich, noch einen weiteren kleinen Schreck parat.

„Night Angel – Die Hure des Satans“ ist ein kurzweiliges End-‘80er-Vergnügen, das in der ersten Hälfte viel auf artifizielle, schwüle Softsex-Atmosphäre setzt, wie sie ab „Basic Instinct“ im Mainstream der 1990er angekommen war. In der zweiten Hälfte wird zunehmend ein Kreaturenspektakel mit okkultem Hintergrund daraus und das Tempo zieht deutlich an. Othenin-Girard und sein Kamera-Team arbeiten mit surrealen Szenen innerhalb eines bisweilen gar an den Neo-noir erinnernden Erscheinungsbilds, mit Perspektivenreichtum, beschleunigten Point-of-View-Fahrten, Farbeffekten und dramatischen Zeitlupen. Lilith ist (in Menschengestalt) mit ihren langen schwarzen Haaren und ihrer schwarzen Kluft ein feuchter Gothic-Traum und die Besetzung setzt sich, von Isa Jank einmal abgesehen, aus erfahrenen US-Genre-/Unterhaltungsfilmdarsteller(inne)n zusammen.

Als Allegorie auf die Verführbarkeit der Männer, männermordende Vamps und das oberflächliche Modegeschäft funktioniert „Night Angel“ passabel und überrascht und erfreut zugleich mit seiner vollständigen Ironieabstinenz, wenngleich sich das etwas mit der einen oder anderen grotesken Szene beißt (von der absurden Prämisse ganz zu schweigen). Mythologisch hätte man jedoch wesentlich mehr aus dem Stoff herausholen können. Überlieferungen zufolge ist dieses Ergebnis dem Produzenten geschuldet, der wiederholt den Rotstift angesetzt haben und das Drehbuch verknappt haben soll. Kurz bevor sich in den verdammten 1990ern alles änderte und Filme wie dieser als überholt und gestrig galten, war „Night Angel“ mutmaßlich ohnehin schon etwas spät dran, lohnt aber insbesondere in Zeiten des ‘80er-Retro-Kults zumindest für Genrefreunde und Videothekenkinder eine Wiederentdeckung, wenn man die Horrorperlen des Jahrzehnts längst abgeerntet hat. Und dem Unbekannten, der meinem auf einem Flohmarkt mitgenommenen deutschen VHS-Tape im Anschluss an den Abspann noch von der niederländischen Kassette die eine geschnittene Szene als Bonusmaterial angefügt hat, sei an dieser Stelle einmal ausdrücklich gedankt!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer

„Wir sind viele!“

Für Axel Milberg war es bereits das 36. Mal, dass er als Kieler Kommissar Klaus Borowski vor der Kamera stand, für dessen junge Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) war‘s mittlerweile auch schon der fünfte Einsatz: „Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer“, geschrieben von Peter Probst und Daniel Nocke, inszeniert von Nicole Weegmann („Ein Teil von uns“) und gedreht von März bis Juni 2020, wurde anlässlich des internationalen Weltfrauentags an dessen Vorabend, dem 7. März 2021, erstausgestrahlt.

„Das Netz ist die Wirklichkeit!“

Duschanka Tomi (Vidina Popov, „Lissabon-Krimi“), Büroleiterin der Politikerin Birte Reimers (Jördis Triebel, „Ich und Kaminski“), wird in einer Tiefgarage von einer in weißen Schutzanzügen gekleideten Männergruppe betäubt und vergewaltigt. Kurze Zeit später wird die übel zugerichtete Leiche einer jungen Frau unweit einer Discothek gefunden, in ihrem Blut können K.O.-Tropfen nachgewiesen werden. Der Verdacht fällt auf Mario Lohse (Joseph Bundschuh, „Little Thirteen“), einen einsamen, verunsicherten jungen Mann, der, wie die Überwachungsvideos des Clubs beweisen, kurz zuvor Kontakt zu der Frau hatte. Lohse ist Anhänger des frauenverachtende Reden schwingenden Autors Hank Massmann (Arnd Klawitter, „Allein gegen die Zeit“) und versucht, in verborgenen Internetforen Anerkennung bei Gleichgesinnten zu finden. Ausgerechnet als Lohse doch einmal ein Rendezvous hat, nimmt man ihn fest. Borowski stößt zudem auf Neonazi-Symbolik am Tatort – und seine Kollegin Sahin auf Hass-Listen im Internet, in denen zahlreiche Frauennamen aufgeführt sind. Borowski beginnt, investigativ bei Massmann zu ermitteln…

„Vielleicht genügte es, dass sie eine Frau ist.“

Am Beispiel der fiktionalen Figur Mario Lohse widmet sich dieser „Tatort“ dem Phänomen misogyner, ungefickter Jammerlappen, die sich selbst als Incels bezeichnen (zusammengesetzt aus involuntary celibate, was so viel wie „unfreiwilliges Zölibat“ bedeutet) und sich in Internetforen zusammenrotten, um ihrem Frauenhass freien Lauf zu lassen und sich in ihren Echokammern immer weiter in ihr unheilvolles Welt- und Menschenbild hineinsteigern. Frauenfeindliche Jammerlappen? Richtig, da gibt es natürlich zahlreiche Überschneidungen zum Rechtsextremismus, mit dem sich die Incel-„Bewegung“ fröhlich vermischt. Mehrere feige Attentäter und Mörder der jüngeren Geschichte sind Incels.

Bei der Charakterisierung Mario Lohses wird seine Sozialisation ausgespart, man erfährt lediglich, dass der hagere, nie lächelnde junge Mann im Parkhaus arbeitet, unter mangelndem Selbstbewusstsein leidet und nicht nur von seiner Chefin untergebuttert wird, sondern sogar Schwierigkeiten hat, unter den Incels im Netz Anerkennung zu finden – die er u.a. mit albernen selbstgedrehten „Panikvideos“, in denen er auf seinem Fahrrad Fußgängerinnen umzufahren droht, zu erlangen versucht. Als er im Parkhaus von der jungen, attraktiven Vicky (Mathilde Bundschuh, Schwester des Mario-Darstellers, „Tatort: Klingelingeling“) angesprochen und gebeten wird, ihr beim Ausparken behilflich zu sein, kommt er dieser Bitte nach, was einen Rüffel seiner Chefin nach sich zieht, aber auch ein privates Treffen mit Vicky, die ihn nett findet. Zuvor hatte er es, nachdem er gerade so in die Discothek hineingelassen wurde, mit dem Mordopfer versucht, doch ist er nun einmal nicht der von Massmann und Konsorten so sehr propagierte dominante, „männliche“ Typ – und dumme Sprüche helfen da schon gar nicht weiter. Das Gequatsche dieser sog. Pick-up-Artists, die er aus diversen Online-Tutorials im Ohr hat, ist jedoch sein ständiger Begleiter, für die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Off hörbar gemacht.

So sehr man auch hofft, dass der Mörder der jungen Frau überführt und geklärt wird, ob dieser im Zusammenhang mit der Vergewaltigung Tomis steht, so sehr dürfte nicht nur Mario, sondern auch das „Tatort“-Publikum die jähe und hochnotpeinliche Störung Marios Kennenlernens mit Vicky durch die Polizei als Affront empfunden haben. Bis hierhin bestand nämlich noch die Hoffnung, dass sich Marios Leben zum Guten wendet und er sich durch die Bekanntschaft mit Vicky vom Incel-Mist lossagt. Angesichts seines heftigen psychotischen Wutausbruchs in der Zelle kommen da jedoch schnell wieder Zweifel. Bis hierhin ist dieser „Tatort“ eine spannende und weitestgehend plausible Angelegenheit, bei der man zwischen Mitleid und Verachtung für den von Bundschuh intensiv geschauspielerten Mario Lohse hin- und hergerissen ist. Seltsam erscheint lediglich das Klischee der nicht ausparken könnenden Frau als Aufhänger für die Figurenbeziehung zwischen Mario und Vicky. Liegt’s an den männlichen Autoren?

Wie schnell Borowski auf die Neonazi-Symbolik der „14 words“ kommt, mutet jedoch ebenso unrealistisch an wie das simple Erraten eines Forenpassworts. Borowskis Inkognito-Auftritt als Journalist auf einer von Massmanns Veranstaltungen, auf der er erst einmal runtergeputzt wird, ist Anlass, die frauenfeindliche Demagogie aufzuzeigen, die sich Massmanns reale Epigonen zu eigen machen. Dass dieselbe Figur im Verborgenen eine Art antifeministischen „Fight Club“ anführt, ist recht starker Tobak und Ausgangspunkt für eine hoffentlich Dystopie bleibende Überspitzung hin zu organisiertem, militantem Terror gegen Frauen. Dieser rief auch den Staatsschutz auf den Plan, der eigens aus Berlin Nils Balde (Patrick Heinrich, „Er ist wieder da“) nach Kiel absandte, welcher wiederum Sahin zu deren Berliner Zeiten gemobbt hatte und seinen Sexismus mehr oder weniger offen heraushängen lässt. Als der in einer Rückblende fürs Publikum enttarnte Mörder der jungen Frau sich den Schädel kahlrasiert (eine Hommage an „Taxi Driver“?), wie der Hallenser Mörder scharfe Waffen mittels 3D-Drucker hergestellt hat und einen mit der Kamera selbst dokumentierten Terroranschlag zu verüben versucht, ist er nur einer von mehreren parallel agierenden Terroristen, die aufgrund des überraschend abrupten, offenen Endes unerkannt bleiben.

„Borowski und die Angst der weißen Männer“ greift sehr eindringlich die Terrorgefahr durch Incels und Artverwandte auf und besetzt damit ein leider recht aktuelles Thema. Aufgrund der spannenden, wenn auch mitunter motivisch etwas arg überladenen Dramaturgie bleibt man da sicherlich gern 90 Minuten bei der Sache, wenngleich man um den Zusammenhang mit Rechtsextremismus abzubilden etwas plump vorging und die Handlung mit realer polizeilicher Ermittlungsarbeit wohl kaum etwas zu tun haben dürfte. Und dass ausgerechnet in einem sich derart explizit gegen Antifeminismus richtenden „Tatort“ kein Halt vorm Auspark-Klischee gemacht wird und man die Freundinnen des Mordopfers als völlig verantwortungslos handelnde Idiotinnen zeichnet, die ihren Anteil am Ableben ihrer Freundin haben, ist durchaus diskussionswürdig.
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The Room

„Didn't you enjoy it?“

Für das Independent-Trash-Drama „The Room” aus dem Jahre 2003 zeichnet Regisseur, Drehbuchautor, ausführender Produzent und Hauptdarsteller Tommy Wiseau in Personalunion verantwortlich. Nachdem er „The Room“ erfolglos zunächst als Theaterstück konzipiert und anschließend als nie publizierten Roman umgesetzt hatte, hatte er mit der Filmadaption, die angeblich satte sieben Millionen Dollar verschlungen haben soll und mehrere Crew-Mitglieder verschlissen hat, zweifelhaften Erfolg: Filmliebhaber entdeckten den Film während seiner lokalen Aufführungen in Los Angeles und machten sich über ihn lustig, was immer mehr Menschen ins Kino lockte und ihn schließlich zum Kultfilm machte, der als „Citizen Kane“ des Trash-Films oder schlicht one of the worst films ever made bezeichnet wird. Darsteller Greg Sestero („Retro Puppetmaster“) veröffentlichte 2013 mit „The Disaster Artist“ sogar ein Buch über die Dreharbeiten, das von James Franco verfilmt wurde.

„What are these characters doing here?“

San Francisco: Der sensible Johnny (Tommy Wiseau, „Samurai Cop 2: Deadly Vengeance“) tut alles für seine Verlobte Lisa (Juliette Danielle, „Ghost Shark 2: Urban Jaws“), doch diese liebt ihn nicht mehr und betrügt ihn mit Johnnys bestem Freund Mark (Greg Sestero). Die Trennung schiebt Lisa immer weiter auf, weil ihre Mutter Claudette (Carolyn Minnott, „Crisis Line“) auf die Heirat besteht und Lisa immer wieder einredet, eine Ehe mit Johnny würde sie finanziell absichern. Doch irgendwann kommt auch der liebestrunkene Johnny hinter das böse Spiel…

„I don’t want to talk about it.”

Das Plakat zum Film, das Wiseau dunkel gekleidet und sein Antlitz mit einem halbgeschlossenen Auge zeigt, lässt eher auf einen Horrorfilm schließen, wenngleich es in etwa Wiseaus Look in seiner Rolle als Johnny entspricht: Lange schwarze Haare, ein etwas ausgemergeltes, narbiges Gesicht und Anzüge, die ihm ein bis zwei Nummern zu groß sind. Zudem mutet er beim Sprechen häufig leicht sediert an (was wohl auf Wiseaus eigene Nachsynchronisation zurückzuführen ist). Johnny wirkt wie jemand, der irgendetwas hinter sich hat, der anders ist als andere – was die Handlung jedoch nie aufgreifen wird und dadurch total irritiert. Man wartet auf etwas, das einfach nicht kommt. Stattdessen lernt man Johnnys Nachbarn Denny (Philip Haldiman, „Murder Inside of Me“) kennen, einen Studenten, um den sich Johnny wie ein Vater kümmert, der aber ständig gruseliges Zeug von sich gibt und, wie sich zwischendurch herausstellen wird, ein Drogenproblem hat, was für den weiteren Verlauf indes keine Rolle mehr spielt. Denny ist die jüngste Figur, wird jedoch vom ältesten Darsteller des Ensembles gespielt. In Zusammenhang mit seinen gruseligen Äußerungen erinnert er stark an Peter Bark aus „Rückkehr der Zombies“.

Claudette eröffnet ihrer Tochter beiläufig, an Brustkrebs erkrankt zu sein, was Lisa jedoch nicht sonderlich zu tangieren scheint und auch mit keiner Silbe mehr aufgegriffen wird. Damit nicht genug der Bizarrerie: Dass Mark sich seinen Bart abrasiert hat, wird als dramatisches Ereignis inszeniert, obwohl für den Film ohne jeden Belang. Mark versucht Johnnys Psychologen Peter (Kyle Vogt, „Romeo & Juliet Revisited“) vom Hausdach zu stoßen, überlegt es sich im letzten Moment jedoch anders und entschuldigt sich knapp, woraufhin beide unmittelbar wieder normal miteinander umgehen. Klar, Mordversuche unter Freunden sollte man nicht überbewerten… Wildfremde Menschen betreten den titelgebenden Raum und haben Sex miteinander oder mischen sich dort unters Partyvolk. Und die meisten Figuren wechseln von einem Moment zum anderen zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – und wieder zurück.

Die erste halbe Stunde lang wirkt „The Room“ wie ein hanebüchener Softporno, bevor sich dann doch eine Art SitCom-Ästhetik durchsetzt: „The Room“ spielt vornehmlich in Johnnys und Lisas Wohnzimmer, im Schlafzimmer ein Stockwerk höher und auf dem Hausdach. Ständig begrüßen sich Figuren oder verabschieden sich voneinander, die Wohnungstür scheint für alles und jeden offenzustehen. In einigen Momenten mutet „The Room“ wie eine Schmierenkomödie an, dann scheint er sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Und dann gibt’s einfach die nächste Softsexszene… Bei der dritten Szene dieser Art zwischen Johnny und Lisa handelt es sich offenbar schlicht um eine mies umgeschnittene, Anschlussfehler produzierende Version der ersten, da sich die zuvor oben ohne gezeigte habende Juliette Danielle unwohl fühlte und sich für keine weitere Sexszene mit Wiseau mehr hergeben wollte. Die wenigen Außenszenen werden in erster Linie dafür genutzt, sich gegenseitig Footballs zuzuwerfen. Ständige Einblendungen der Golden Gate Bridge erinnern das Publikum unablässig daran, wo der Film spielt. Die Dialoge sind enorm repetitiv, dieselben Aussagen und Floskeln wiederholen sich wieder und wieder.

Das alles ist in höchstem Maße unfreiwillig komisch. Angesichts der miserablen Qualität des Films, seiner eigentümlichen Ausstattung und des hauptsächlich aus Laien bestehenden Darstellerensembles fragt man sich zwangsläufig, wo all die Millionen geblieben sind, die „The Room“ gekostet haben soll. Ich hätte es auch kurz machen und den Film wie folgt beschreiben können: Ein Raum mit einem Sofa und Gemälde von Löffeln. Ständig geht die Tür auf, jemand kommt herein, wird freundlich gegrüßt und quatscht wirres Zeug. Des Öfteren haben manche dieser Personen Sex im anderen Raum über diesem Raum, der verfügt nämlich über ein Bett. Ab und zu geht's aber auch zum Footballspielen vor die Tür oder auch mal aufs Dach. Das ist „The Room“.

Die Ambitionen bei gleichzeitigem Dilettantismus des Herrn Wiseau erinnert tatsächlich ein bisschen an Ed Wood, der mit „Plan 9 From Outer Space“ seinerzeit einen Science-Fiction-Trashfilm realisiert hatte, der einen ähnlichen Kult heraufbeschwor. Zugleich wirkt Wiseau aber auch weniger sympathisch, eher ausgeprägt narzisstisch und sich selbst überschätzend – was eine Erklärung dafür sein könnte, weshalb „The Room“ derart bizarr ausgefallen ist. Die Fan-Gemeinde, die sich mittlerweile um den Film schart, macht aus dessen zahlreichen Wiederaufführungen gern eine Sause, die an die „Rocky Horror Picture Show“ oder „Troll 2“ gemahnt: Man verkleidet sich, wirft mit Plastiklöffeln und Footballs oder spricht laut Dialogzeilen mit. Mir war es vergönnt, „The Room“ im Uni-Kino zu sehen und, ja, verdammt: Es war ein großer Spaß. Wer hätte gedacht, dass ein nominelles Drama (!) dazu einmal taugen würde?
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Der neue heiße Report: Was Männer nicht für möglich halten

„Alles in diesem Film ist authentisch!“

In den 1970ern türmten sich im deutschen Erotiksektor die Pseudoreportstreifen. Meist ganz vorn dabei: Produzent Wolf C. Hartwig und seine Stammregisseure Ernst Hofbauer und Walter Boos. Etwas häufiger wechselten die Autoren, von denen sich jedoch kaum jemand mit Ruhm bekleckerte. Zwischen Streifen wie „Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt“ (Hofbauer), „Mädchen beim Frauenarzt“ (Boos) und dem zweiten „Schulmädchen-Report“ (Hofbauer) erschien im Jahre 1971 der von Manfred Purzer geschriebene „neue heiße Report: Was Männer nicht für möglich halten“ über Ehefrauen, die von ihren Männer ausgehalten werden, sich aber nicht mit ihrer Rolle als Hausfrau begnügen wollen – sog. „grüne Witwen“…

„Was Männer nicht für möglich halten – es geschieht!“

Der Off-Sprecher gibt sich pseudo-gesellschaftskritisch, zum Vorspann widmet sich ein nacktes Pärchen der Hausarbeit. Direkt die erste Episode konterkariert den Reportagenanspruch, denn hier gibt selbst der Sprecher zu, dass es sich um ein fiktionales Fallbeispiel handele. Es geht um Gustav (Oliver Domnik, „Urlaubsreport – Worüber Reiseleiter nicht sprechen dürfen“) und Gisela (Romana Lizalova), welche ihrerseits aus dem Off in die Handlung einführt: Ein frischvermähltes Paar in einer glücklichen Ehe. Kommt er von der Arbeit nach Hause, empfängt sie ihn fast nackt. Doch mit der Zeit nimmt die Zärtlichkeit ab und wird die Hausarbeit nerviger. Gisela ist als Hausfrau bald schwer gelangweilt. Zwischendurch gibt ein Scheidungsanwalt ein Interview und „Der neue heiße Report“ zeigt sich von seiner progressiven Seite, wenn er Hoffnung auf eine Viertagewoche schürt – leider umsonst, wie wir mittlerweile wissen.

„Was man auch lesen will – Sex, Sex, Sex!”

Die eigentlichen „Reportagen“ beginnen mit einer Frauenrunde, die den Bierkutscher Florian (Max Grießer, „Polizeiinspektion 1“) aufreißt, nachdem dieser ein paar Yuppies im Straßenverkehr gemaßregelt hat. Man empfängt ihn splitterfasernackt, seine Artikulationen sind unverständlich, weil in breitestem Bayrisch, aber er ruft sicherheitshalber seinen Kollegen Franz hinzu. Mehr wird nicht gezeigt. Tonio von der Meden („Josefine Mutzenbacher 2. Teil - Meine 365 Liebhaber“) tritt als Reporter in Erscheinung, dem der ehemalige Masseur Herr Zülsdorf (Hellmuth Haupt, „Zieh dich aus, Puppe“) im Ruhrpottdialekt Rede und Antwort steht. Was er erlebte, zeigt der Film in bewegten Bildern: Er massierte ein anscheinend rolliges Mädchen. Mehr wird auch hier nicht gezeigt, nun allerdings verdingt er sich als „Körperberater“ (ist das ein Ausbildungsberuf?).

„Eine Sexfalle!“

Industriellengattin Annette Westberg (Marlene Rahn, „Prostitution heute“) lässt sich wiederum von Alfons massieren. Das scheint sie sehr zu stimulieren, denn sie zappelt dabei unentwegt herum. Dieses eigentlich alberne Episödchen sticht dadurch hervor, dass es sich bei Marlene Rahn um eine ausgesprochen hübsche Frau handelt, von der man gern mehr gesehen hätte. Gertraut Klose (Elfie Helfrich) ist einen Schritt weiter und hält sich einen Liebhaber, den Herrn Hübner (Carl Möhner, „Zu dumm zum…“). Gertraud hat jedoch eine neidische Tochter, Silvia (Karin Götz, „Obszönitäten“), die Hübner kurzerhand verführt. Mehr als eine Altherrenfantasie der Marke „Schulmädchen-Report“ ist das nicht.

„Luder!“

Der indiskrete Reporter quatscht, wie auch aus anderen Reportfilmen gewohnt, nun auch Passantinnen und Passanten an, bevor man von der kriselnden Ehe Jochen (Jürgen Emanuel) und Biggi Alberts (Marianne Sock, „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“) erfährt, die ihren Sohn Detlef genannt haben. Jochen will seinen Geschäftsfreund Dr. Henkel treffen, obwohl er mit seiner Frau bei den Nachbarn, den Andags, eingeladen ist. Diese kann er nämlich ohnehin nicht leiden. Also geht Biggi allein auf deren Party, und dort geht’s hoch her: Nackttänzerinnen üben sich in Freikörperkultur und libidinöser Stimulation. Die Andags stehen hier für sexuelle Revolution, APO usw., und dass drei Männer versuchen, Biggi in der Küche zu vergewaltigen, mutet in einem Film, der die Errungenschaften sexuellen Revolution exploitativ ausschlachtet, verlogen und reaktionär an. Für die Albers handelte es sich offenbar um eine heilsame Erfahrung, denn sie vertragen sich wieder…

Der Film läuft nun schon eine ganze Weile, hat es bisher aber tatsächlich geschafft, jegliche Sexszene zu umschiffen. Stattdessen werden nun wieder Leute auf der Straße belästigt, bevor Senta, der im Krankenhaus der Magen ausgepumpt wurde, Krankenschwester Elisabeth ihre visualisierte Geschichte erzählt: Vor drei Monaten kam Norbert, ein Studienfreund ihres Mannes Walter, zu Besuch. Seitdem begegnen sie sich immer wieder; Senta verknallt sich in ihn und masturbiert, während sie an ihn denkt. Endlich kommt es zur ersten Softsexszene, wenn sie es schließlich auf einer Weise miteinander treiben. Allerdings hat Norbert kein weitergehendes Interesse an Senta…

Diplompsychologe Knut Nielsen gibt seinen Senf dazu, bevor Franz Dobermann (Karl-Heinz Otto, „Schulmädchen-Report – Was Eltern nicht für möglich halten“) sich weigert, seiner Frau Karla (Michaela Martin, „Die Vergnügungsspalte“) ein Kleid für 1.000,- DM zu kaufen. Deren Freundin empfiehlt ihr, sich auch einmal anderweitig umzusehen. Franz ist selbst kein Kind von Traurigkeit und besucht regelmäßig Prostituierte. Eines Tages begegnet er seiner Frau im Bordell, als Hure Mary (Monika Rohde, „Beim Jodeln juckt die Lederhose“) sie dazuholt… Diese Episode punktet tatsächlich mit ihrem sarkastischem Humor.

Auf weitere Straßenbefragungen folgt ein Interview mit einem Postbeamten (Hans Bergmann, „Schüler-Report – Junge! Junge! Was die Mädchen alles von uns wollen!“), der neben Briefpost auch seine Manneskraft zustellt. Auszüge seiner sexuellen Abenteuer werden von Zitaten aus seinen Dienstvorschriften konterkariert. Das ist nett gemacht, letztlich aber auch nicht mehr als ein Herrenwitz. Die eigentlich Episode zeigt im Anschluss Frau Tönnisen (Helen Vita, „Jürgen Roland's St. Pauli-Report“), die ein Einschreiben von der Vertretung des gewohnten Zustellers überreicht bekommt: einem Jüngling mit Macken und gesegnetem Appetit. Sie versucht, ihn zu verführen, doch er ziert sich. Da jagt sie einen Hund auf ihn, der ihm die Hosen zerreißt. Sie zieht ihn aus, doch er flieht durchs Fenster. Eine komödiantische Episode, albern und nicht weiter bemerkenswert.

Kommen wir zum Fall Irma Fricke (Astrid Frank, „Laß jucken, Kumpel!“): Rosl Mayr, die Oma aus den „Schulmädchen-Report“-Filmen, mimt hier die Putzfrau Meyer, aber das nur am Rande. Irma, verheiratet mit einem wesentlich älteren Mann (Helmut Früchtenicht, „Der nächste Herr, dieselbe Dame“), lockt ihren Frauenarzt herbei und versucht, ihn zu verführen, doch dieser reagiert professionell und lässt sich nicht darauf ein. Eine weitere Episode also, in der eine Frau Sex will, ihn aber nicht bekommt – was natürlich dem Sexgehalt des Films nicht zuträglich ist. Dies ändert sich mit der nächsten Geschichte, der vom streitenden Ehepaar Dr. Rademacher. Kurt Rademacher (János Gönczöl, „Stehaufmädchen“) arbeitet zu viel und vernachlässigt seine Frau Maria. Da springt die heiße Nachbarin in die Bresche und der Film bekommt die Gelegenheit, eine Lesbenszene zu zeigen, bevor es wieder für indiskrete Fragen auf die Straße geht. Und als Kurt ein Haus kauft, ist auch Maria wieder glücklich. Merke: Wenn’s kriselt, kauf deiner Frau einfach eine „Kleinigkeit“…

„Das Buch adelt den Menschen!“

Otto von Pasleske (Josef Fröhlich, „Mädchen, die nach München kommen“) belästigt Frauen als Buchvertreter, indem er versucht, erst Thomas Mann an die Frau zu bringen, dann Sexheftchen und schließlich übergriffig wird. Seiner Kundin Christine gefällt’s jedoch… Dafür, dass dieser Beitrag sexuelle Belästigung rechtfertigt, ist er eigentlich recht harmlos, aber auch unspektakulär ausgefallen. Nach weiteren Straßen-Interviews werden Gisela und Gustav wieder aufgegriffen Er befürchtet, sie gehe fremd, und stürmt nach Hause – und tatsächlich erscheint ein Klempner zum Rohrvorlegen, jedoch im nichtübertragenden Sinne. Somit ist alles wieder gut.

„Der neue heiße Report: Was Männer nicht für möglich halten“ ist eine Ansammlung leidlich kreativer Episödchen, die überraschend arm an Softsex sind und, wie bereits knapp drei Monate zuvor der unsägliche „Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt“, den Anschein erwecken, bei anderen Erotikreports vom Schneidetisch gefallen zu sein. Er verbreitet wie erwartet ein sehr fragwürdiges Frauenbild, nach dem die Damen nichts mit sich anzufangen wüssten und daher lieber mit anderen Männern herumvögeln würden, zählt andererseits aber zu den harmloseren Vertretern seiner Art. Zwei, drei Episoden wissen tatsächlich für sich betrachtet zu gefallen, beleidigender Sexismus ist weit weniger stark ausgeprägt als in vergleichbaren Produktionen und billigen Klamauk auf Kosten von Minderheiten findet sich erst gar nicht. So helfen die wenigen lichten Momente sowie natürlich die meist attraktiven Darstellerinnen, den Reigen durchzustehen, wenngleich es sich um ein reichlich liebloses Massenprodukt vom Sexreportfließband handelt, das unter keinen Umständen mehr als 3,5 von 10 Thomas-Mann-Ausgaben verdient hat.
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Tatort: Auf offener Straße

„Dir brennt wohl der Kittel, was?!“

Nach den Kommissaren Trimmel (Hamburg), Liersdahl (Saarbrücken) und Kressin (Kölner Zoll) führte der vierte Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimireihe „Tatort“ Kommissar Eugen Lutz (Werner Schumacher, „Der Hauptmann von Köpenick“) ein, der von 1971 bis 1986 im Südwesten der Bundesrepublik ermittelte. Sein erster Einsatz fand in Mannheim statt, wo er sich nach einem Drehbuch Leonie Ossowskis und Gunther Solowjews unter der Regie Theo Mezgers („Der Fall Liebknecht-Luxemburg“) eines Kriminaldramas anzunehmen hatte. Mezger sollte im Laufe seiner Karriere noch 15 weitere „Tatort“-Episoden inszenieren. Mit nur rund 70 Minuten Laufzeit handelt es sich um einen der kürzesten "Tatorte".

„Einen auf Polizeispesen!“

Matrose Huberts (Peter Weis, „Die Räuber“) Schiff legt am Mannheimer Hafen an. Mit Lohn und einem Vorschuss begibt sich Hubert auf Landgang. So richtig ist der Job eigentlich nichts für ihn, er möchte lieber sesshaft werden. Dazu gehört auch eine feste Freundin, die er in Milly (Irmgard Riessen, „Die Engel von St. Pauli“), einer Animierdame in der Cha-Cha-Cha-Bar, gefunden zu haben glaubt. Dabei ahnt der leichtgläubige junge Mann jedoch nicht, dass Milly ihn lediglich von Berufswegen becirct, wie sie es im Team mit ihren Kolleginnen mit allen Gästen tut, um die sündhaft teuren Getränke an den Mann zu bringen. Nach einer feierlichen Nacht in der Bar, die aufs Huberts Kosten ging, zieht Milly ohne Hubert ab und lässt ihn verdattert und enttäuscht zurück. Ernüchterung macht sich breit, die zu Frust und Wut wird. Im Vorbeigehen stiehlt er ein Jagdmesser, mit dem er später einen Passanten (Erwin Geisler, „Bel Ami“) erstechen wird, der ihn verfolgt, nachdem er den Hund eines gassigehenden älteren Ehepaars getreten hat. Ein Fall für Kommissar Lutz, der nach dem Flüchtigen fahndet und sich selbst ein Bild von der Situation, u.a. in der Cha-Cha-Cha-Bar, macht…

Der „Tatort“ eröffnet unmittelbar mit der Verfolgungsszene und dem Gerangel auf der Straße, aus dem heraus Hubert den tödlichen Stich verübt. Ein Voice-over-Sprecher erklärt kurz, wer das Opfer war – den Täter lernt man fortan in einer rund 40-minütigen Rückblende kennen, die mit zwei zankenden jungen Männern auf einem Boot beginnt. Einer von ihnen ist Hubert, der sich auf seinen Landgang freut und mit seinem Job hadert. Nach den frustrierenden Ereignissen, aber noch vor der im Affekt verübten Tat schlägt er in den frühen Morgenstunden Zeit im Bahnhofswartesaal tot, stromert durchs morgendliche Mannheim und legt sich auf einer Parkbank schlafen. Diese Sequenzen zählen zu den stärksten dieses „Tatorts“, drücken sie doch die Melancholie und die Enttäuschung nach einer durchzechten Nacht aus, wie man sie sicherlich selbst schon einmal empfunden hat – und sei es nur beim Ausnüchtern während des Wartens auf die erste Bahn, obwohl man eigentlich nur endlich nach Hause ins Bett wollte.

Bis hierhin ist eigentlich noch nicht viel passiert, doch Hubert trifft die falschen Entscheidungen und verrennt sich in seine fixe Idee, Milly könne dasselbe für ihn empfinden wie er für sie, statt seine Lehren zu ziehen und es dabei zu belassen. Es zieht ihn am späten Nachmittag sofort wieder ins Cha-Cha-Cha, wo er endgültig abblitzt. Jetzt erst wird Kommissar Lutz (zusammen mit Assistent Schroth, gespielt von Wolfgang Hepp) Teil dieser Episode, über den man jedoch noch recht wenig erfährt. Stattdessen erhält man Einblicke in klassische Polizeiarbeit mit Zeugenbefragungen vor Ort, Information der Witwe (Renate Pistor), Phantombilderstellung und Ähnlichem. Parallel dazu sieht man Hubert in einer Art Zeitschleife gefangen, denn ein weiteres Mal sucht er den Kontakt zu Milly, aber auch ein Eishockey-Spiel auf, was zu unerwarteten Stadionbildern führt. Dabei hätte er eigentlich längst an Bord seines Schiffsführers (Horst-Werner Loos, „Ein Toter stoppt den 8 Uhr 10“) zurückkehren müssen, dessen Vorschuss er bereits verjubelt hat. Am Ende hat Lutz dann gar nicht so viel zu tun, denn ein Missverständnis treibt Hubert direkt in dessen Arme.

Dieser atmosphärisch stimmige Fall warnt davor, auf Abzockläden hereinzufallen und sein Herz an „professionelle“ Damen zu verlieren, wenngleich es hier nicht im Prostitution im eigentlichen Sinne geht. Die Struktur dieses „Tatorts“ mit seiner ausgedehnten Rückblende, die Täter und „Motiv“ offenbart und erst danach die Polizei zuschaltet, ist ungewöhnlich und gewöhnungsbedürftig, hat aber ihren Reiz, allein schon, weil sie sich doch stark davon unterscheidet, wie sich die Reihe bis heute entwickelt hat. Die Kehrseite der Medaille ist, dass Kommissar Lutz in seinem Debüt unheimlich blass bleibt. Für viel mehr Irritationen sorgt jedoch das äußere Erscheinungsbild Huberts, der in einer Lack-Knickerbocker oder dergleichen herumrennt und sich dann noch wundert, dass Milly ihn lieber von Weitem sieht. In den Dialogen wird viel Dialekt gesprochen, sodass ich mehrmals ans Komikerduo Badesalz denken musste: „Du sprichst so komisch, fast Mannheimerisch!“ – „Ei, ich hatte die Fischvergiftung…“
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Polizeiruf 110: Sabine

„Wir müssen die Anständigen bleiben in der Öffentlichkeit! Nur so können wir unsere Arbeit retten und die Schließung verhindern!“ – „Und das glaubst du wirklich, oder was?!“

Der bereits 23. Rostocker „Polizeiruf 110“ um das ermittelnde Duo Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander Bukow (Charly Hübner) wurde im August und September 2020, also in den in Deutschland „ruhigeren“ Wochen der Covid-19-Pandemie, gedreht und am 14. März 2021 erstausgestrahlt. Das Drehbuch Florian Oellers inszenierte Stefan Schaller („5 Jahre Leben“), der damit erstmals innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe in Erscheinung trat.

„Sag mal, wen würdest du als nächstes killen?“

Rostocks älteste Werft, die Arunia, wurde erst von einem Großkonzern übernommen und soll nun geschlossen werden, rund 800 Arbeiterinnen und Arbeitern drohen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Besonders pikant: Der Konzern hat staatliche Hilfen eingestrichen und einen satten Gewinn gemacht, an dem auch die Werft mit einigen Millionen beteiligt war. Finanzchefin Anja Ritter (Lea Willkowsky, „Nur eine Frau“) erläutert jedoch, dass die Rendite zu gering sei, und Geschäftsführer Paul Lettcke (Lucas Prisor, „Im Feuer“) hat seine Schäfchen längst im Trockenen. Eine schwierige Situation für die Betriebsräte Evin Yilmaz (Sara Fazilat, „Die Füchsin“) und Hannes Hegeloh (Alexander Hörbe, „Kleinruppin Forever“), die der Belegschaft noch zu vermitteln versuchen, das Unternehmen könne gerettet werden. Schwierige Situationen ist die alleinerziehende Mutter Sabine Brenner (Luise Heyer, „Der Junge muss an die frische Luft“) gewohnt, ohne sich je an sie gewöhnt zu haben. Ihre Anstellung als Schweißerin wurde längst wegrationalisiert, ihre Ersparnisse sind dahin, seit sie sie vermeintlich sicher angelegt hatte. Sie hat mehrere Umschulungen hinter sich und verdingt sich nun als Zeitarbeits-Servicekraft in der Arunia-Werft, wo sie quasi unsichtbar ist, wenn sie sich nicht gerade anhören muss, dass sie die Zitronen fürs Mineralwasser anders schnitzen solle. Leben kann sie davon nicht, wie so viele ist sie Aufstockerin. Das Arbeitsamt behauptet, nichts mehr für sie tun zu können, ihre Bank dreht den Geldhahn zu. Ihr Sohn Jonas (Ilja Bultmann, „Detour“) soll es einmal besser haben als sie, doch dessen Lehrerin verweigert ihm trotz guter Noten die Gymnasialempfehlung, da sie Sabine nicht zutraut, ihn in seiner schulischen Laufbahn ausreichend unterstützen zu können. Sabine ist am Ende ihrer Kräfte angelangt und will mit allem schlussmachen. Die Pistole hat sie schon angesetzt, doch als sie ihren Nachbarn Jörg Funkel (Helge Tramsen, „Das Gesetz sind wir“) wieder einmal seine Frau terrorisieren hört, entscheidet sie sich spontan anders…

„Wir sind das Arbeitsvieh, die Gefickten.“

Dieser „Polizeiruf 110“ nimmt sein Publikum mit in Sabines Alltag, ihr Leben, ihre bedrückende Welt. Parallel dazu erhält man Einblicke in den Arbeitskampf der Werftbelegschaft, ihren Streit mit dem Betriebsrat und die Machenschaften hinter den Kulissen, während auf der horizontalen Erzählebene sich König und Bukow – endlich, möchte man meinen – als Liebespaar versuchen. Zuhause gibt Bukow ein kleines Fest seinem verstorbenen Vaters zu Ehren, zusammen mit König singt er eine Rio-Reiser-Karaoke, seine Halbschwester Melly (Lina Beckmann, „Tödliches Comeback“) ist extra zu Besuch gekommen. Erst relativ spät werden sie mit Sabines erstem Opfer konfrontiert, dem bald weitere folgen werden. Als Zuschauer(in) hat man gegenüber der Polizei einen enormen Wissensvorsprung, kennt Täterin und Tatumstände, wird gar ein wenig zu ihrer Komplizin – ihr Frust und ihre Wut lassen sich sehr gut nachvollziehen und ihre Opfer sind wahrlich keine Sympathieträger. Dies ändert sich erst im Finale, das in seinem Fatalismus zwar konsequent, aber auch etwas unbefriedigend ist.

Bis dahin zieht Schallers Film aber sehr gekonnt zahlreiche Register eines Sozialdramas, die die Krimihandlung dominieren. Es sieht düster und aussichtslos aus, Rostock wirkt trostlos und trist, jeder ist sich selbst der Nächste und wer in der gesellschaftlichen Hackordnung auch nur ein Stückchen über Sabine steht, lässt sie dies spüren und scheint alles dafür zu tun, dass dem auch so bleibt. Luise Heyer spielt ihre Rolle mit einer fast besorgniserregenden Glaubwürdigkeit, unterstützt von einer Kamera, die ihre leisen Emotionen in zahlreichen Nahaufnahmen einfängt. Heyer bildet hier die Speerspitze eines generell sehr eindringlich spielenden Ensembles.

Die sozialen Verwerfungen, denen sich Sabine ausgesetzt sieht, schlagen von Verzweiflung in Hass und Gewalt um. Sicherlich ist nicht intendiert, Sabine als isoliertes Einzelschicksal zu betrachten, vielmehr fungiert die Figur als Stellvertreterin für im kapitalistischen Klassensystem Abgehängte. Deren durch die Hartz-Gesetze und ähnliche Gängelungen ohnehin schon prekäre Situation hat die Covid-19-Pandemie noch einmal verschlimmert, ihren Abstieg und ihre Ausbeutung beschleunigt. Vor einer Eskalation, wie sie am Beispiel Sabines hier durchexerziert wurde, aber auch generell vor den negativen Folgen derartiger Abwärtsspiralen möchte dieser „Polizeiruf 110“ warnen, was ihm über weite Strecken gelingt. Einmal mehr deutlich wird: Eine Korrektur des politischen Systems hin zu einem sich stärker am Sozialismus orientierenden Gesellschaftskonzept scheint unabdingbar und überfällig.
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'Gator Bait

„Ain't much difference killin' gators or killin' coonies. Just a little messier, that's all.”

Der vierte Film der US-amerikanischen Low-Budget-Exploitationfilmer Beverly und Ferd Sebastian („Rocktober Blood – An der Schwelle zum Wahnsinn“) trägt den Titel „‘Gator Bait“, der deutsche Verleih machte „Hetzjagd im Sumpf“ daraus. Der Rape’n’Revenge-Streifen feierte im Jahre 1973 seine Premiere, also ein Jahr nach den artverwandten „The Last House on the Left“ und „Beim Sterben ist jeder der Erste“, aber noch deutlich vor „I Spit On Your Grave“ und „Die letzten Amerikaner“ – dabei wirkt er im Prinzip wie eine Art reduzierte Mischung aus den beiden letztgenannten.

Die junge Cajun Desiree (Claudia Jennings, „The Stepmother“) lebt in den Sümpfen Louisianas im Einklang mit der Natur. Während der Jagd mit dem Motorboot gerät sie an den Redneck-Nachwuchs Billyboy (Clyde Ventura, „Mir hat es immer Spaß gemacht“) – einem Deputy – und Ben (Ben Sebastian, „Rocktober Blood“), die ihr auflauern und sie so sehr belästigen, dass sie sich zur Wehr setzen muss. Als Billyboy daraufhin wild um sich schießt, trifft er versehentlich Ben tödlich. Der örtliche Sheriff (Bill Thurman, „Unheimliche Begegnung der dritten Art“) ist Billyboys Vater. Diesem berichtet er feige, Desiree habe Ben erschossen. Bens Vater sinnt daraufhin auf Rache und zieht mit seinen beiden Söhnen los, um Desiree zu Rechenschaft zur ziehen. Dabei treffen sie jedoch lediglich auf deren Schwester Julie (Janit Baldwin, „Columbo: Schwanengesang“) und den kleinen, stummen Bruder. Ihren Hass reagieren die Männer nun an der Schwester ab und ermorden sie grausam. Doch nun zieht Desiree in den Krieg und beweist mehr Härte und Geschick, als ihre Gegner für möglich gehalten hätten…

Das ehemalige Playmate Claudia Jennings ist die Hauptdarstellerin und -attraktion dieses kurzweiligen Films; in knappen Klamotten, barfuß und mit wallender roter Mähne erinnert sie ein wenig an Raquel Welsh in „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“. Die Kamera zoomt häufig auf ihre für ein Leben als Halbwilde in den Sümpfen ungewöhnlich gepflegten Füße, ihre Brüste bleiben jedoch stets verhüllt. Zweite Hauptattraktion ist die grüne Sumpflandschaft, durch die sich ein Fluss schlängelt, auf und in dem sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Handlung abspielt.

Positiv konnotierte erwachsene, männliche Figuren sucht man vergeblich. Der Deputy und sein Kumpel werden von vornherein als Volldeppen gezeichnet und eine irritierende Auspeitschungsszene relativ zu Beginn macht klar, wozu auch die älteren frauenhassenden Kerle hier imstande sind. Die von Janit Baldwin gespielte Julie gibt sich sogar etwas freizügiger als Jennings, in einer Nacktbadeszene trällert sie betont naiv „lalala“ vor sich hin, als gäb’s keine Bosheit auf dieser Welt, bevor das Unglück über sie hereinbricht. Ihre Vergewaltigung wird indes lediglich angetäuscht, das degenerierte Pack erschießt sie lieber direkt. Den Kontrast zu diesen harschen Gewaltszenen bilden im direkten Anschluss wieder betont idyllische Szenen Desirees mit ihrem kleinen Bruder inmitten der malerischen Natur, in der sie bezeichnenderweise dennoch auf Dosen im Fluss ballern – typischem Redneck-Freizeitvergnügen also gar nicht so unähnlich. Möglich, dass den Sebastians diese Analogie gar nicht aufgefallen ist.

Den Rape’n’Revenge-Gesetzmäßigkeiten folgend dezimiert sexy Desiree die Mörder ihrer Schwester empfindlich, welche sich allerdings auch längst untereinander kräftig in den Haaren haben. Das hat man zwar alles schon mal spannender und spektakulärer gesehen, aber dieser aufs Wesentliche reduzierte, mit dem dicken Pinsel gezeichnete und sehr hübsch anzusehende Streifen bietet im Prinzip, was von ihm erwarten kann – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Hat Spaß gemacht – und dass ich in der von mir gesehenen Originalfassung nicht jedes Wort verstanden habe, schien weitestgehend nebensächlich.
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Tatort: Strandgut

„Bist du von der Heilsarmee oder ist das ‘ne Einladung zum Beischlaf?“

Der ein Jahr zuvor innerhalb der noch jungen öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimireihe „Tatort“ eingeführte Kieler Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) ging 1972 in Serie: Die Episode „Strandgut“ wurde sein zweiter von insgesamt sieben Einsätzen, von denen alle bis auf den letzten auf das bewährte Duo aus Herbert Lichtenfeld als Drehbuchautor und Wolfgang Petersen („Die unendliche Geschichte“) als Regisseur setzten.

„Zwei Kaffee und zwei Stück Kuchen, das macht dann 16,40 DM.“

Die Brüder Helmut (Dieter Kirchlechner, „Der Hitler-Ludendorff Prozeß“) und Karli Possky (Rolf Zacher, „Mädchen: Mit Gewalt“) haben ein ebenso einträchtiges wie kriminelles Geschäftsmodell für sich entdeckt: Auf der Insel Sylt setzen sie attraktive junge Damen wie Christa Kassdorf (Heidy Bohlen, „Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen“) und Manuela Borsdorf (Ingeborg Schöner, „Hexen bis aufs Blut gequält“) auf gutsituierte Herren mittleren Alters an, um diesen den Kopf zu verdrehen, während die Posskys kompromittierende Fotos schießen, mittels derer sie die meist verheirateten Herren um stattliche Summen Geld erpressen. Dieselbe Nummer probieren sie an Regierungsdirektor Warrlau (Ulrich Matschoss, Kriminalrat Königsberg der Schimanski-„Tatorte“), doch hat sich Christa tatsächlich in den Mann verliebt. Die Posskys setzen sie daraufhin unter Druck und prügeln Warrlau ins Krankenhaus, genauer: in die Privatklinik des Inselarztes Dr. Kühne (Wolfgang Kieling, „Bremer Freiheit“), was Hauptkommissar Finke und seinen Adjutanten Jessner (Wolf Roth) auf den Plan ruft. Kurz darauf wird Christa tot am Kampener Strand angespült. Und damit nicht genug: Wenige Tage später ereilt Manuela das gleiche Schicksal. Diese wollte ebenfalls aussteigen und mit Dr. Kühne eine ernsthafte Partnerschaft eingehen. Die Posskys sind dringend mordverdächtig, doch fehlen die Beweise – und Warrlau schweigt beharrlich…

„Ich hab‘ mir nun doch ‘ne Badehose gekauft…“

Die vollbusige Christa, mit der der Herr Regierungsdirektor im den Dünen knutscht und fummelt, bietet gleich zu Beginn nackte Tatsachen fürs Auge, und auch im weiteren Verlauf hält sich dieser „Tatort“ nur wenig bedeckt, wenn bei den Ermittlungen am Strand immer mal wieder Anhänger(innen) der Freikörperkultur durchs Bild huschen. Dass sich Finke und Jessner als Vater und Sohn ausgeben, um inkognito zu ermitteln, bietet humoristisches Potential, das jedoch kaum genutzt wird, da die beiden schnell enttarnt werden. Der Frankfurter „Tatort“-Kommissar Konrad (Klaus Höhne) hat einen kurzen Gastauftritt, als Jessner kurzerhand in die Mainmetropole reist, da das dort ansässige Erpressungsopfer Dr. Breitenbach ein wichtiger Zeuge sein könnte – doch dieser hüllt sich ebenfalls in Schweigen. Generell wird hier ständig nach Sylt und zurück geflogen, die Klimabilanz dieses Polizeieinsatzes ist bedenklich.

„Nase voll?“ – „Ja!“

Die große Frage, die es zu beantworten gilt, ist die, ob die Posskys die Mörder sind und wenn ja, beider Frauen oder lediglich einer, oder eine oder beide der Damen Selbstmord begingen. Als Zuschauer(in) ist man sehr nah an der Polizeiarbeit, doch letztlich scheinen zwei Jugendliche die Beamten auf die richtige Spur zu führen. Die Figur des Kommissars Finke gewinnt in diesem seinem zweiten Einsatz an Profil: Ein kleingewachsener, etwas gedrungener Mann, der sich nicht davon beirren lässt, bei der Konfrontation von Verdächtigen meist nach oben linsen zu müssen, und betont nüchtern und emotionslos gern in stakkatoartiger Befehlsform spricht, um sich nicht mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten und seiner Autorität Ausdruck zu verleihen.

„Von irgendwas muss der Mensch ja leben…“ – „Nur nicht von der Arbeit, was?“

Eine wahrlich überraschende, regelrecht gialloeske Wendung im Finale ist neben dem Sylter Lokalkolorit das größte Pfund dieses „Tatorts“. Leider war man offenbar der Ansicht, in einer Rückblende alles noch einmal haarklein aufdröseln zu müssen, was eigentlich überflüssig ist und zur Überlange von rund 105 Minuten führt. Die vielen gegensätzlichen Figuren entschädigen jedoch für dramaturgische Holprigkeiten, zumal der leichte Sleaze-Faktor auch nicht zu verachten ist. Oder wie heißt es hier so schön? „Auf Manuela wär‘ ich auch geflogen!“
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Tatort: Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer

„Ich hab‘ noch was vor…“

Am 9. Juli 1972, nur rund fünf Wochen nach der Erstausstrahlung des vierten „Tatorts“ um den Kölner Zolloberinspektor und Lebemann Kressin (Sieghardt Rupp) wurde bereits dessen fünfter Fall gesendet: „Kressin und der Mann mit dem gelben Koffer“ wurde im Gegensatz zum vorausgegangenen Einsatz Kressins wieder von Wolfgang Menge geschrieben, die Regie übernahm Michael Verhoeven (dessen zweite und bis dato letzte „Tatort“-Inszenierung auf das Jahr 2005 datiert: „Die Spieler“).

„Konkurrenz belebt das Geschäft!“

Ein Scharfschütze erschießt einen Mann vor dem Eingang des Bonner Bundeshauses, wird dessen gelben Koffers habhaft und gibt diesen unerkannt weiter, sodass er schließlich den Auftraggeber des Attentats erreicht. Bei diesem handelt es sich um niemand Geringeren als Sievers (Ivan Desny), der damit verhindern konnte, dass das im Koffer enthaltene, seine illegalen Waffengeschäfte dokumentierende Beweismaterial an die Öffentlichkeit gelangt – zum Unmut dessen Konkurrenten Nobiling (Paul Verhoeven, „Die Ratten“), der sich ebenfalls in Verhandlungen über Waffenlieferung an den afrikanischen Staat Abanda befindet. Doch Kressin, der eigentlich nur einer attraktiven Frau nachstellte, hat verdächtige Beobachtungen gemacht, die bald auf die richtige Spur führen…

„Ich hatte mir das etwas dramatischer vorgestellt…“

Dem „Tatort“-Vorspann wurde hier ein Prolog vorgeschaltet, in dem Kressin seine aktuelle Gespielin am Flughafen verabschiedet und sich direkt an den nächsten Rock heftet. Der bekannte Vorspann wurde zudem gekürzt und muss ohne das gewohnte musikalische Titelthema vorkommen – ein Sakrileg, das heutzutage undenkbar scheint. Der Mord geschieht im unmittelbaren Anschluss; den abgebrühten Schützen in auffälliger Kluft wird man im weiteren Verlauf nicht nur als Handlanger, sondern auch als jemanden, der knallhart seine eigenen Interessen vertritt, kennenlernen: Er wendet sich gegen seinen Auftraggeber und versucht, mehr für sich herauszuholen. Dies erweitert die Einblicke in den Ablauf illegaler Waffengeschäfte bietende Handlung (inkl. protziger Vorführung eines Amphibienpanzers) um eine weitere Partei, die etwas Unruhe zu stiften versteht.

Gewissermaßen selbstreferenziell wird dieser vom WDR produzierte „Tatort“, wenn er nicht nur den Kölner Sitz des WDR groß im Bild einfängt, sondern auch die realen WDR-Journalisten Friedrich Nowottny und Ernst-Dieter Lueg als sie selbst mitspielen und sich von der Polizei befragen lassen. Den Eindruck einer, wenn man es so nennen will, „Familienproduktion“ verstärkt dann auch der Umstand, dass Nobiling vom Vater des Regisseurs gespielt wird. Und „Tatort“-Star Götz Georges späterer Kompagnon in dessen Rolle als Kommissar Schimanski, Thanner-Darsteller Eberhard Feik, feiert hier als Wachtmeister seinen ersten Fernsehauftritt. Etwas arg erzwungen wirkt dagegen Fritz Eckhardts Gastauftritt als Inspektor Marek aus der gleichnamigen österreichischen Krimiserie, die 1971 in die „Tatort“-Reihe eingemeindet wurde. So bleibt es immerhin dabei: Kein Kressin-Fall ohne einem anderen „Tatort“-Kommissar als Gast.

Um die eine oder andere nicht ganz passende komödiantische Einlage um Schnapstrinken oder dümmliche Gangster ist man auch nicht verlegen, die damals zeitgenössisch nervigen Klick-Klack-Kugeln, ein kurzlebiger Jugendtrend, finden sich als Zeitkolorit ebenfalls wieder, dafür hat man aber an Action, Sex und markigen Dialogen gespart, die sonst die Kressin-Fälle bestimmten. Sievers hingegen ist so präsent wie seit Kressins erstem Einsatz nicht mehr und das Finale mit Knalleffekt stimmt einigermaßen versöhnlich. Dennoch überwiegt der Eindruck, dass man sich von den typischen Kressin-Zutaten ausgerechnet die verzichtbareren ausgesucht hat. Ob das eine Reaktion auf den vorausgegangenen „Kressin und die Frau des Malers“ war, dem es nicht nur bei seinem vermittelten Frauenbild an Ironie gemangelt hatte? Jedenfalls scheint, als habe man mit dem ursprünglichen Kressin-Konzept nicht mehr allzu viel anzufangen gewusst. Bis hierher leider der schwächste Teil der Reihe.
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BMX-Bandits

„Das ist Ärgernis öffentlicher Erregung!“

Der gebürtige Brite Brian Trenchard-Smith ging als 20-jähriger nach Australien, wo er eine Karriere als Drehbuchautor und Regisseur vornehmlich von Genre-Filmen einschlug, später aber auch Regie für US-Produktionen führte. Im Jahre 1983, ein Jahr nach seinem Ozploitation-Kracher „Insel der Verdammten“, wurde seine Jugend-Actionkomödie „BMX-Bandits“ veröffentlicht, der von 1984 bis 1987 zahlreiche internationale Kinostarts erfuhr, es in hiesigen Gefilden jedoch erst im Januar 1989 in die DDR-Kinos schaffte. Ein bundesrepublikanischer Kinostart blieb Fehlanzeige. Schauspielerin Nicole Kidman ist in „BMX-Bandits“ in einer ihrer ersten Kinorollen zu sehen (synchronisiert von Pippi Langstrumpfs deutscher Stimme).

„Ihr wart dämlich, das wisst ihr!“

Die beiden Teenies P.J. (Angelo D’Angelo, „Die Untersuchung“) und Goose (James Lugton, „Tanz der Schatten“) sind passionierte BMX-Fahrer, die regelmäßig die Verkehrsinfrastruktur von Manly (bei Sidney) unsicher machen und von einer Rennstrecke träumen. Damit sich ihre just aus ihrer Arbeit in einem Supermarkt gefeuerte Freundin Judy (Nicole Kidman, „The Others“) auch ein BMX kaufen kann, sie ihre eigenen reparieren und vielleicht sogar tatsächlich in einen Crossparcours investieren können, wollen sie zu dritt Fische fangen gehen. Statt Fischen geht ihnen jedoch eine Kiste voller Walkie-Talkies ins Netz, die sie im Freundes- und Bekanntenkreis wesentlich gewinnbringender veräußern können als ein paar Kiemenatmer. Doch diese Kiste gehört der Bande eines skrupellosen Gangsterbosses (Bryan Marshall, „Rififi am Karfreitag“), der sie dort für einen großangelegten Banküberfall deponiert hatte. Fortan machen seine Männer Jagd auf die Jugendlichen und deren Beute…

Was die Brisanz dieser Situation erhöht, ist der Umstand, dass die BMX-Bande beim Benutzer der Walkie-Talkies unbemerkt direkt auf der Polizeifunkfrequenz landet; die Bullen höre also sämtliche über die Geräte geführten Konversationen mit. Wesentlich schlimmer ist es jedoch, dass die Gangster Judy erwischen, sich als Polizisten ausgeben und sie fortan in ihrer Gewalt haben. So weit zum nominellen Inhalt des auf eine jugendliche Zielgruppe zugeschnittenen Films. Neben der Kriminalstory regiert hier jedoch der BMX-Overkill, der, von einem in Gruselmanier inszenierten Räuber-und-BMX-Bande-Spiel auf dem Friedhof abgesehen, in Bonbonfarben unter strahlend blauem Himmel stattfindet: Der Auftakt zeigt P.J. und Goose beim Biken, ungefähr in der Mitte führt Judy auf ihrem neuen Bike einige Tricks auf (für ihre Stunts wurde Kidman von einem Kerl gedoubelt) und eine Speichenkameraperspektive (später auf Autoreifen ausgeweitet) sorgt für aufregende Bilder, während Zeitlupen BMX-Sprünge zusätzlich ästhetisieren. Neben ohne Rücksicht auf Verluste und unter Inkaufnahme zahlreicher Karambolagen durchgeführten Kfz-versus-BMX-Verfolgungsjagden durch die Innenstadt inszenierte man eine spektakuläre Verfolgungsjagd auf einer Schwimmbadrutsche (!), die man mit eigenen Augen gesehen haben muss. Und zum Finale werden sämtliche BMX-Fahrer(innen) für einen Showdown gegen die fiesen Gangster zusammengetrommelt. Yeah!

Allerdings interessiert man sich nicht ausschließlich für BMX-Cross, sondern geht auch mal zusammen in die Videospielhalle, und Goose erzählt ständig von Horrorfilmen. Banden, BMX, Walkie-Talkies, Arcade-Games, Kofferradios, Kidmans Dauerwelle, Synthie-Soundtrack und Neonfarben – es fehlten nur noch Walkmen und Videorekorder, und eigentlich hätte es ein C64-Spiel zum Film geben müssen. „BMX-Bandits“ erinnert an „Fünf Freunde“, „TKKG“ und Konsorten in cool statt neunmalklug und pädagogisch. Zugegeben, der Humor ist recht simpel und ein paar arg infantil-alberne Gags sowie die Stigmatisierung von Fettleibigkeit (ein dicker Junge wird verarscht) haben sich eingeschlichen, übermäßig spannend ist das alles für ein erwachsenes Publikum nicht unbedingt und die Dialoge hätten auch etwas geschliffener ausfallen können. Sicherlich wär’s auch stimmiger gewesen, hätte es sich bei den bösen Buben nicht um Bankräuber, sondern um Drogenmafiosi oder ähnlich finstere Gesellen gehandelt. Dafür hat’s aber auch eine fette Explosion in den Film geschafft, ist das Tempo durchgehend relativ hoch und ist „BMX-Bandits“ in Sachen ‘80er-Ästhetik nur schwer zu toppen.

Trenchard-Smith‘ BMX-Fetischwerk ist einer der coolsten Kinder-/Jugend-/Familienfilme überhaupt und zugleich ein hierzulande verkannter Schlüsselfilm der populärkulturellen ‘80er-Spielfilmästhetik, auf den sich später diverse Retrofilmer beziehen sollten. Prominentestes Beispiel: Matt und Ross Duffer und ihre Netflix-Serie „Stranger Things“. Das BMX-Sujet wurde bereits 1986 ähnlich intensiv in Hal Needhams „Rad“ wieder aufgegriffen, während Trenchard-Smith mit dem Kinder-/Jugendabenteuer „Der Geisterjäger“ den „Goonies“ Konkurrenz machte und mit „Crabs ...die Zukunft sind wir“ einen dystopischen Ausblick ins Jahr 1990 wagte – als habe er bereits geahnt, dass die ‘80er nicht gut ausgehen werden…
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