bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Mutronics – Invasion der Supermutanten

„Die gefährlichste Erfindung seit Entwicklung der Atombombe!“

Die Anime-Realverfilmung „The Guyver“ alias „Mutronics – Invasion der Supermutanten” entstand in US-amerikanisch-japanischer Koproduktion, bei der Brian Yuzna als Produzent fungierte. Die Regie des 1991 veröffentlichen Film teilten sich die Spezialeffekt-Experten Screaming Mad George und Steve Wang, die damit beide in dieser Eigenschaft debütierten.

Der skrupellose, größenwahnsinnige Milliardär Fulton Balcus (David Gale, „Re-Animator“), Oberhaupt der „Chronos Corporation“, lässt den Wissenschaftler Dr. Tetsu Segawa (Greg Joung Paik, „Silent Assassins“) ermorden, weil er in Besitz einer außerirdischen Technik namens „Guyver-Einheit“ gelangen möchte, mithilfe derer man sich in eine Art unzerstörbare Kampfmaschine verwandeln kann. Als dem jungen Mann Sean Barker (Jack Armstrong, „Was macht der Tote auf der Wäscheleine?“), der Freund Dr. Segawas Tochter Mizky (Vivian Wu, „Jenseits der Schatten“), am Tatort nichts Böses ahnend eben jene Technik die Hände fällt, ist fortan nichts mehr, wie es einmal war: Die „Guyver-Einheit“ geht eine Symbiose mit seinem Körper ein und verwandelt ihn in den „Guyver“. Nun gilt es, den Kampf gegen Balcus aufzunehmen, bei dem es sich eigentlich um den Anführer eine aggressiven, imperialistischen außerirdischen Rasse, den „Zoanoiden“, handelt, die auf der Erde in Menschengestalt auftreten und sich die Erde untertan machen wollen. Sie können sich in Mutanten verwandeln, die auch dem „Guyver“ gefährlich werden können… Wird es dem eigentlich so gar nicht heldenhaften Sean gelingen, die Gefahr abzuwenden?

Animes als Vorbild, Yuzna als Produzent, Screaming Mad George und Steve Wang als Regisseure – da lässt sich bereits erahnen, womit man es hier zu tun bekommt: Latexmonster-Action galore! Ein Scrolltext erklärt zu Beginn grob, worum’s geht, im weiteren Verlauf spielt die Handlung dann keine allzu große Rolle mehr. Ein cooler Synthie-Titelsong bringt die tiefe Verbundenheit mit den ‘80ern zum Ausdruck, mit David Gale und Jeffrey Combs als Dr. East (!) ist quasi das halbe „Re-Animator“-Ensemble mit von der Partie, und dass David Wells‘ Rolle „Dr. Gordon“ heißt, ist auch kein Zufall (sondern eine Anspielung auf „Re-Animator“-Regisseur Stuart Gordon). Unter den Schurken gibt sich zudem Michael Berryman („Hügel der blutigen Augen“) ein Stelldichein; und irgendwann platzt man in einen „echten“ Filmdreh, in dem Linnea Quigley („Return of the Living Dead“) ihrer Berufung folgend die Scream Queen mimt. Parallelen zu den „Teenage Mutant Ninja Turtles“ und den „Power Rangers“ sind ebenfalls erkennbar, obwohl letztere ja erst später produziert wurden.

Insider-Zitatekino und Hommage bzw. Parodie im Science-Fiction-Horror-Action-Komödien-Gewand also? Nicht ganz. Mit seinen abgefahrenen Szenenübergangseffekten und seinen teilweise wirklich beeindruckenden handgemachten Bodymelt-, Gore- und Mutationsspezialeffekten (darunter ein positiv an Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ gemahnender) setzt „The Guyver“ auch davon losgelöste Akzente. Die vielen Prügeleien in (mitunter an die Gremlins erinnernden) Ganzkörpermonsterkostümen sind auf Dauer indes etwas ermüdend und die Komik wird in Form viel dämlichen und albernen Gequatsches, das an die Stelle echten Dialogwitzes tritt, etwas überstrapaziert. Ein tuntiger Schwarzer mit überdrehter Stimme spricht ausschließlich in Reimen, eine Marotte, die er auch nach seiner Verwandlung in ein Monster beibehält. Respekt für diese hartnäckige Konsequenz, als Gag hat es sich aber bald abgenutzt. Der düstere Ton der Vorlage bleibt bei alldem natürlich vollends auf der Strecke.

Ja, „Mutronics – Invasion der Supermutanten“ ist bisweilen eben auch ein bisschen langweilig, an die ‘80er-Großtaten des grafischen (Science-Fiction-)Horrors reicht man nicht mehr heran. Dafür erinnert diese Produktion mit ihrem derben Bossfight im Finale angenehm an Arcade-Videospiele. Alles in allem ist dieses trashige Asia-meets-US-Kreaturenspektakel nicht unsympathisch, gerade für Genrefans gibt es einiges zu entdecken. Den Humoranteil hätte man jedoch besser zurückgefahren und es bei einer augenzwinkernden Ironie belassen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Ein achtbarer Mann

„Ich habe nicht zwei Jahre auf dich gewartet, um das alte Leben wieder anzufangen. Ich will nicht mehr.“

Italo-Regisseur Michele Lupos („Arizona Colt“) „Ein achtbarer Mann“ aus dem Jahre 1972 ist eine der seltenen in Hamburg spielenden italienisch-deutschen Koproduktionen. Der Heist-Film mit Film-noir-Anleihen ist mit Kirk Douglas („Wege zum Ruhm“), Florinda Bolkan („Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“) und Giuliano Gemma („Der Tod ritt dienstags“) hochkarätig besetzt und wurde mit einigen aufsehenerregenden Actionszenen angereichert.

„Du spielst, wie du kochst: das Gelingen hängt vom Zufall ab.“

Tresorknacker Steve Wallace (Kirk Douglas) wird nach zwei Jahren aus dem Gefängnis entlassen, in das ihn einst ein misslungener Coup gebracht hatte. Eigentlich möchte er nur schnellstmöglich zu seiner Ehefrau Anna (Florinda Bolkan) zurück, doch nicht nur sie wartete ungeduldig auf seine Entlassung: Vorm gemeinsamen Haus am Hamburger Stadtrand fangen ihn die Handlanger des Unterweltbosses Müller (Wolfgang Preiss, „Ein schwarzer Tag für den Widder“) ab und bringen ihn zu ihrem Anführer. Müller hat Wallace gedanklich bereits fest in seinen jüngsten Plan integriert: Mit dessen Hilfe als Spezialist zum Überwinden von Sicherheitstechnik will er an den Safe der Eurobank, der durch ein neuartiges System namens „Big Ben“ computergesichert ist. Sehr zu Müllers Unmut lehnt Steve dankend ab, plant jedoch, den Safe auf eigene Faust zu knacken. Das wiederum stößt Anna sauer auf, die ihren Mann viel lieber in Gangsterrente sähe und von einer gediegenen Zweisamkeit träumt. Steve lernt unterdessen den jungen italienischen Artisten Marco (Giuliano Gemma) kennen, den er zu seinem Adjutanten ausbildet und ihn in seinen Plan einbezieht: Während er die Bank ausräumt, soll Marco in ein Pfandhaus einbrechen. Steve wird daraufhin zum Pfandhaus eilen, Alarm auslösen und sich der Polizei ausliefern, um ein Alibi für den Eurobank-Coup zu haben. Eine geringe Strafe für den vermeintlichen Pfandhauseinbruch zu kassieren ist dabei einkalkuliert. Doch es soll anders kommen…

Der ehrwürdige Kirk Douglas als Gentleman-Gangster in Hamburg, der ein letztes großes Ding drehen will und dabei in einen üblen Schlamassel gerät. Der Tonfall ist fast durchgehend ernst, wenngleich Gemma mit seiner Rolle etwas neckischen jugendlichen Eifer einbringt und einige Prügelszenen mit Müllers namenlosem Schläger (Romano Puppo, „Knie nieder und friss Staub“) sowie Actionszenen wie die minutenlange, ausufernde, ja, spektakuläre Verfolgungsjagd durchs Hamburger Hafenviertel vornehmlich auf ihren Unterhaltungswert hin inszeniert wurden. Das geballte Lokal- und Zeitkolorit geht ans Nostalgikerherz und sorgt für einige unvergessliche Bilder. Dass aus der Kneipe „Onkel Max“ (seit den Hausbesetzerzeiten die rustikale selbstverwaltete Punkkneipe „Onkel Otto“) im Inneren plötzlich eine Weinhandlung wird – geschenkt.

In erster Linie ist „Ein achtbarer Mann“ jedoch eine ungesund verlaufende Dreiecksbeziehung zwischen den Hauptfiguren, in deren Abgründe man am Ende überraschend tief eintaucht. In der filmischen Umsetzung steuert diese auf gleich zwei Höhepunkte zu: den nach allen Regeln der Heist-Filmkunst den Atem stocken lassend inszenierten eigentlichen Coup, der gewohnt minutiös abgebildet wird, und das tragische, nicht minder spannende Drama, das sich an ihn anschließt und dem Film seinen Noir-Touch verleiht. Allen Blech- und Personenschäden zum Trotz wird einem „Ein achtbarer Mann“ mitnichten als Action-Thriller in Erinnerung bleiben, sondern als ein letztlich existentielles, düsteres Drama um Ver- und Misstrauen, Verrat und dysfunktionale Beziehungen, das Steve Wallace zwingt, sich seiner Ideale zu entledigen.

Maestro Ennio Morricones Musik veredelt diesen raren Geheimtipp des Heist- und Italo-Kinos, dessen einzige Schwächen die letztlich bedeutungslose Nebenhandlung um den plötzlich keinerlei Rolle mehr spielenden Syndikatsboss Müller sowie die – wenn man sie denn bemerkt – recht deftigen Kontinuitätsfehler während der Autoverfolgungsjagd sind.

Es war wunderbar, diese Perle mit vereinten Kräften einmal vom ungeschnittenen originalen 35-mm-Material zur Kino-Wiederaufführung in Hamburg gebracht zu haben. Von der unvollständigen und in Bild- und Tonqualität unzureichenden, zudem mutmaßlich unlizenzierten Schröder-Media-DVD sollte man hingegen unbedingt die Finger lassen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Der New York Ripper

„Wir haben circa neun Morde pro Tag. Durchschnittlich sind sechs Frauen dabei, also passen Sie auf.“

Im Jahre 2008 notierte ich knapp:

Italienischer Slasher von Lucio „Ein Zombie hing am Glockenseil“ Fulci mit deutlichen Giallo-Elementen wie dem Whodunit? und dem brutalen Aufschlitzen zahlreicher attraktiver leichtbekleideter bis nackter junger Frauen.

Zunächst einmal kommt der Film ob seiner selbstzweckhaft anmutenden Darstellung nackter Tatsachen und harter Gore-Effekte ziemlich schmuddelig rüber und der mit „Donald Duck“-Stimme sprechende Mörder wirkt mehr komisch als alles andere. Im weiteren Verlauf des Films lernte ich allerdings die fast schon beleidigende Darstellung der im Film vorkommenden New Yorker als allesamt triebgesteuerte, sexuell verirrte bis abartige und irgendwie alle Dreck am Stecken habende Klientel zu schätzen und bei der Auflösung des Tatmotivs vermag einem das anfängliche Lachen über die Stimme des Mörders durchaus im Halse stecken zu bleiben.

Nachdem ich mittlerweile in den Genuss einer Wiederaufführung im Kino gekommen bin und etliche Filme mehr aus jenem Segment gesehen und reflektiert habe, möchte ich anmerken, wie eigen und auf positive Weise bizarr Fulcis Charakterisierung New Yorks als neurotisch durchsexualisierte Stadt gelungen ist, die ihm oft fälschlicherweise als Misogynie ausgelegt wird. Und, mitentscheidend für die Wirkung des Films: Das „Gequake“ des Täters scheint auf der heimischen Glotze gern mal unterzugehen; seine volle Wirkung entfaltet es über die Soundanlage eines Kinos, in der es in seiner überverhältnismäßigen Lautstärke Terror stiftet und verstört.
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Der Fälscher - Die Geschichte des Michael Born

„Guck dir die Programme an, was heute so läuft. Da weiß ich gar nicht mehr, warum ich eigentlich verurteilt wurde.“ - Michael Born 2011 im einem Interview mit Anja Reschke

Mit dem deutschen Journalisten Michael Born wurde ich erstmals Mitte der 1990er konfrontiert, als das RTL-Infotainment-Magazin „Stern TV“ berichtete, auf einen Fälscher hereingefallen zu sein: Es hatte mehrere mit Laiendarstellern gedrehte Reportagen vom freien Journalisten Michael Born eingekauft und ungeprüft gesendet. „Stern TV“ sah sich als Betrugsopfer, die Causa Born landete vor Gericht, Born wurde zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Immer wieder der „Stern“: Nachdem das Wochenprintmagazin, dessen TV-Ableger „Stern TV“ ist, in seiner Sensationsgeilheit bereits auf gefälschte Hitler-Tagebücher hereingefallen war, sendete es in den 1990ern Borns Filme über konspirative Treffen des deutschen Ku-Klux-Klans beim Abhalten von Zeremonien in einer Waldhöhle in der Eifel, stilecht in Kutten gewandet, über eine erfolgreiche Geisterbeschwörung mit nackter Haut und Geschrei und über einen krötenleckenden Drogenfreak, der den Tierchen ihr halluzinogenes Sekret abmelkt. Der Grund liegt auf der Hand: Eigentlich ist der „Stern“ ein stinklangweiliges, profilloses Spießerblättchen, dem es an eigenen Inhalten eklatant mangelt, und sein TV-Pendant ist keinen Deut besser. Ähnlich erging es artverwandten TV-Formaten wie „Spiegel TV – Das Magazin“ und „Zak“. Moment mal, „Spiegel“ – war da nicht was? Stichwort Relotius…?

Born war kein ausgebildeter Journalist, sondern Seefahrer, der in den 1980ern eine Karriere als Dokumentarfilmer in Krisen- und Kriegsgebieten begonnen hatte – und seinen Geldgebern später reichlich Seemannsgarn auftischte. Als ein Team des SWR um Autor, Regisseur und Sprecher Christoph Würzburger ihn für diese 2018 erstausgestrahlte, rund 45-minütigen Dokumentation ein Jahr lang begleitet, verdingt er sich als vollbärtiger Olivenbauer in Griechenland, ist er gewissermaßen ein Aussteiger aus Medienrummel und hektischem Alltag. Born nimmt bereitwillig Stellung zu den damaligen Ereignissen, klappert mit dem Drehteam diverse Stationen seines Lebens ab, trifft sich mit alten Weggefährten und gewährt intime Einblicke in seine Lebensgeschichte und seine Gefühlswelt. Statt von Fälschungen spricht er lieber von Kreationen.

Diese Kreationen, so Born, habe „Stern TV“ regelrecht von ihm verlangt. Auch seine ehemalige Freundin und Kameraassistentin Claudia Bern berichtet, die Sender hätten krassere, geschmacklosere Bilder gefordert, als die Realität hergegeben hatte oder Born hätte einfangen können. Im Prinzip hatte er Bildmaterial geliefert, das nicht existierte, aber unbedingt gewünscht gewesen war. Und als „Stern TV“ eine Reportage über Ku-Klux-Klan-Umtriebe in Deutschland nur dann als spektakulär genug empfand, wenn Rassisten ritualisierend in ihren albernen Kutten zu sehen seien, ließ sich Born diese von seiner Mutter schneidern und drehte die Szenen kurzerhand selbst. Dem Antifaschismus, dem sich Born verbunden fühlte, erwies er damit jedoch einen Bärendienst: Statt rechtsextremistischer Terrororganisationen standen eine karnevaleske Inszenierung und die Unglaubwürdigkeit derartiger Reportagen im Fokus – eine Unglaubwürdigkeit, auf die sich Rechtsextremisten seither immer wieder berufen können.

Andere, noch unglaubwürdigere Filme wie die vermeintliche Geisterbeschwörung bezeichnet als er Witze – und man kann ihm nur beipflichten und den Kopf darüber schütteln, dass sich die Abnehmer tatsächlich hinterher beschwerten, dass das Material nicht authentisch sei. Born sagt darüber hinaus, er sei damals mit dem größten Pfusch durchgekommen. Das sagt viel über die entsprechenden TV-Formate aus, jene fahrlässig sensationslüsternen Marktschreier, die weniger der Wahrheit als der Einschaltquote verpflichtet sind, die Verantwortung aber abwälzen, wenn die Luft einmal dünn für sie wird. Jedoch: Born war nicht von vornherein ein Märchenonkel, im Gegenteil. Sein Material aus dem Nahen Osten war echt, er begab sich allem Anschein nach mehr als nur einmal in die Höhle der Löwen und war nah dran an den sinnlosen Kriegen, an den toten Kindern nach Saddam Husseins Giftgasattacken gegen das kurdische Volk – und an den toten Kindern nach dem ersten US-Krieg gegen den Irak durch Kriegsverbrecher und Saddams Bruder im Geiste, George Bush. Es gab Zeiten, in denen Born so etwas wie ein Exklusivreporter für derartige Reportagen vor Ort war. Er hatte sich mit Abudi, einem Araber angefreundet, der ihn begleitete und in Haft geriet, gefoltert wurde. Im Rahmen dieser Doku trafen sich Born und Abudi nach längerer Zeit erstmals wieder. Sie waren Freunde, die nicht nur schöne Erinnerungen teilten. Born hatte einiges auf dem Kasten und ließ sich seine Arbeit gut bezahlen. Ein mindestens ebenso großer Motivator schien seine Abenteuerlust gewesen zu sein. Aber Born wird im Laufe des Films von sich sagen, er habe durch die Kriegseindrücke einen Dachschaden erlitten und sei Alkoholiker geworden. Und tatsächlich hinterlässt er keinen sonderlich gesunden Eindruck. Er wirkt angeschlagen und oft verzweifelt und traurig, versteht es aber nach wie vor, sich gewählt und präzise auszudrücken, und immer wieder blitzen so etwas wie einnehmender, schlitzohriger und spitzbübischer Charme, aufgrund dessen es sich erahnen lässt, wie in er jungen Jahren andere für seine Projekte gewinnen und um den Finger wickeln konnte, und die Begeisterung für seine ehemalige Arbeit in ihm auf.

In Somalia schließlich begann er, es mit der Wahrheit nicht mehr so genau zu nehmen. Er hatte die Anforderungen des Marktes mittlerweile verinnerlicht. Die Fliegen aus den Gesichtern afrikanischer Mädchen sollten nicht mehr weggescheucht werden, wenn die Kamera draufhielt – das ist noch verständlich. Anderes, was die echten Bilder gerade nicht hergaben, wurde aber kurzerhand nachgestellt, dramatisierend, aber nicht sinnentstellend. Er ist sicherlich nie soweit gegangen, den Dorfbewohner(inne)n die Hütten anzuzünden, um an spektakuläres Bildmaterial zu gelangen, wie es Alan Yates & Co. in „Cannibal Holocaust“ taten. Davor bewahrten ihn allein schon seine humanistisch geprägten politischen Überzeugungen. Aber der Grundstein war gelegt und verselbständigte sich.

Zu seiner Politisierung trugen auch die Erfahrungen bei, die er in den kurdischen Gebieten machte, die dem Terror der Türkei ausgesetzt waren und sind. Er erfüllte seine journalistische und menschliche Pflicht, als er vor den geplanten Bombenanschlägen der PKK auf türkische Tourismusziele warnte, die die Türkei als Urlaubsland unattraktiv machen sollten, damit dem Staat weniger Einnahmen zur Verfügung stehen, mit dem er den Terror gegen die Kurdinnen und Kurden finanzieren könnte – ein Terror, für den beschämenderweise auch deutsche Panzer durch kurdisches Gebiet rollten. Die in Borns Reportage zu sehenden Bombenbauer jedoch waren Schauspieler in einer Art „Schrödingers Film“: inszeniert und trotzdem wahr.

Christoph Würzburger hat viele Ausschnitte aus Borns Filmen in seine Dokumentation integriert und von einigen ehemaligen Weggefährtinnen und -gefährten Borns Stimmen einholen können; neben Abudi sind das Claudia Bern, Mutter eines seines vier Kinder, für das er nie wirklich Verantwortung übernommen habe, und Bernd Empen, ein damaliger Sicherheitsberater. Dr. Katja Schupp bewertet Borns Arbeit aus medienwissenschaftlicher Sicht, Dr. Kay Hoffmann, Leiter des „Hauses des Dokumentarfilms“, bezeichnet Born vor dem Hintergrund des Prozesses als Bauernopfer. Born selbst zieht eine negative Bilanz, ordnet aber auch vieles nachvollziehbar differenziert ein. Diese Differenziertheit ist es auch, die diese Dokumentation so sehenswert macht: Born wird weder verteufelt noch als Opfer dargestellt, sondern bekommt Raum, Stellung zu beziehen und wird kritisch hinterfragt. Weit weniger kritisch hinterfragt wird indes die Rolle der Medien und letztlich auch ihrer Konsumentinnen und Konsumenten, es bleibt bei Andeutungen in Bezug auf Sensationsjournalismus und verletzter Sorgfaltspflicht. Das Mediensystem mit seiner Werbefinanzierung und Quotenfixierung jedoch wird nicht infrage gestellt. Diesbezüglich wäre mehr gegangen, wenngleich es sicherlich den Rahmen der lediglich 45 Minuten gesprengt hätte.

Unerwähnt bleibt leider, welche Schwierigkeiten das zuständige Gericht hatte, Born tatsächlich wegen seiner „Kreationen“ zu verurteilen. Stattdessen summierte es diverse andere Verstöße vom Fahren ohne Fahrerlaubnis über unerlaubten Waffenbesitz bis hin zu Volksverhetzung auf, um auf die vier Jahre zu kommen. Und mit dem letztgenannten Punkt haderte Born bis zum Schluss, schließlich lag ihm eigentlich nichts ferner als Volksverhetzung. Das Gericht berief sich aber auf die Aussprüche, die er seinen Komparsen im Ku-Klux-Klan-Film in den Mund gelegt hatte – eine verquere Auslegung des Volksverhetzungsparagraphen. Generell darf bezweifelt werden, dass das Urteil in Namen des Volkes erging, das sich von Borns Filmen entweder gut hatte unterhalten lassen oder aber lieber die Redaktionen von „Stern TV“ und Konsorten auf der Anklagebank gesehen hätte.

Unterm Strich trug Born – um bei seinem KKK-Film zu bleiben – seinen kleinen Teil zur Klischeesierung des Rechtsextremismus bei, einem Phänomen, dem sich deutsche Medien in den 1990ern nur allzu gern mit erfundenen Geschichten oder medienwirksam vereinfachten Bildern widmeten: Da wurde manch halbstarke Blitzbirne angestachelt, doch mal extra provokant für die Kamera zu posieren, mit der Folge, dass all diejenigen, die auch mal so richtig anecken wollten, genau wussten, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu produzieren hatten, damit ihnen gesellschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwurde. „Skinhead“ machte man zum Synonym für „Neonazi“ und durfte sich nicht wundern, wenn immer Hohlbratzen sich die Springerstiefel bis in die Kniekehlen schnürten, sich für echte Skins hielten und Migranten verprügelten. Bald wusste jeder vermeintlich ganz genau, wie Nazis aussehen und woran man sie erkennt. Auf diese konnte man mit dem Finger zeigen, was wesentlich bequemer war, als auf gesellschaftliche und politische Ursachenforschung zu gehen und sich auch einmal selbst kritisch zu reflektieren. Irgendeine Nazi-Kackband aus Düsseldorf wurde medial durch ständige Namensnennung und Einblendung ihrer Plattencover dermaßen hochgejazzt, dass sie plötzlich zigtausende Tonträger verkaufte. Und so weiter und so fort…

Nein, jemand wie der in einigen Intermezzi dieses Films singende und gitarrespielende Michael Born war sicher nicht der Hauptverantwortliche für eine derart flache, einseitige, boulevardeske und spekulative Form der Berichterstattung, wie sie insbesondere in den 1990ern überhandgenommen hatte. Die vorhandenen Strukturen , der Markt für so etwas waren aber gewissermaßen prädestiniert für einen ungelernten Quereinsteiger und passionierten Geschichtenerzähler wie ihn, der als Journalist ein anderes Selbstverständnis und einen anderen Anspruch hatte als sich an Kodizes gebunden fühlende, klassisch ausgebildete Berufskolleginnen und -kollegen, nach denen die Nachfrage jedoch immer weiter sank.

Durch diese Dokumentationen wurden Erinnerungen an jene Zeit wach, in der der Verfasser dieses Texts sein kritisches Medienbewusstsein entwickelte. Christoph Würzburger gebührt Dank für diese unaufgeregte Annäherung an einen Mann, dessen Porträt weit mehr zeigt als einen plumpen Fälscher und Lügner, wenngleich die Postproduktion Fragen aufwirft: Welche Relevanz besitzen beispielsweise Bilder eines versuchten Anrufs Borns bei einem Freund, der gerade nicht ans Telefon geht? Ungefähr ein Dreivierteljahr nach Ausstrahlung dieses Films verstarb Michael Born an den Folgen einer Lungenentzündung in Graz, wo er zusammen mit dem Filmemacher Roland Berger an einem Theaterprojekt arbeitete. Er starb als eine tragische Figur im Wahnsinn des deutschen Medienzirkus. Möge er seinen Frieden gefunden haben.
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7 Tote in den Augen der Katze

„Du lebst hier wie im Mittelalter in einer Burg mit Ratten und Ungeziefer!“

Der italienische Genre-Regisseur Antonio Margheriti („Dracula im Schloß des Schreckens“) schuf mit dem in italienisch-französisch-deutscher Koproduktion entstandenen und 1973 veröffentlichten „7 Tote in den Augen der Katze“ einen Hybrid aus einem Gothic-Grusler der Edgar-Wallace-Schule und dem italienischen Giallo, den er zudem mit Poe’schen Motiven anreicherte.

„Ist es möglich, dass Sie ein bisschen... verrückt sind?“

Internatsschülerin Corringa (Jane Birkin, „Das Grab der lebenden Puppen“) wurde aus ihrer Bildungseinrichtung geworfen und sucht das Familienschloss „Dragonstone“ auf, wo sie behauptet, Sommerferien zu haben. Schlossherrin Lady Mary MacGrieff (Françoise Christophe, „Fantomas bedroht die Welt“) bittet ihre Schwester Lady Alicia (Dana Ghia, „My Dear Killer“), die zugleich Corringas Mutter ist, um Geld zum Erhalt des Schlosses. Doch diese winkt ab und rät vielmehr zur Veräußerung des alten Gemäuers. Beim gemeinsamen Abendessen mit allen auf dem Schloss lebenden Personen – Marys verrückter Sohn Lord James (Hiram Keller, „Smile Before Death“), Arzt und Marys Liebhaber Dr. Franz (Anton Diffring, „Der rote Schatten“) und die bisexuelle Französischlehrerin Suzanne (Doris Kunstmann, „Trotta“) – sowie Pater Robertson (Venantino Venantini, „Black Emanuelle“) kocht die Stimmung hoch, Familienkonflikte liegen in der Luft. In der Nacht wird schließlich Alicia ermordet. Und dies ist erst der Beginn einer unheimlichen Mordserie, die ein Mitglied des aristokratischen Zirkels nach dem anderen dahinrafft. Einzige Augenzeugin: die Siamkatze des Schlosses. Wer ist der/die Mörder(in) und was ist das Motiv? Geht es um das Familienerbe? Oder hängen die grausamen Geschehnisse mit einem Vampirfluch zusammen, der angeblich auf der Familie lastet?

„Oh nein, meine Bibel!“

Margheriti lässt im Prolog Ratten an einer halbverwesten Leiche nagen, geriert sich im weiteren Verlauf grafisch jedoch weit weniger explizit. Die auf dem Schloss versammelte Gesellschaft ist mit dubios wohl am besten umschrieben, ein reizvolles Figurenensemble sowohl fürs Whodunit? als auch als Opferschar für den oder die Täter(in). Einzig der Affe – ein Typ in einem Gorillakostüm, der als Orang-Utan bezeichnet wird!? – ist albern und eigentlich überflüssig, erinnert jedoch ebenso wie die Katze an Gruselliteratur-Altmeister Edgar Allan Poe, dessen Tiermotive mit einem Vampirmythos und der Frage, ob dieser hier greift oder doch alles weltlichen Ursprungs ist, vermengt werden. Bei der Katze handelt es sich witzigerweise um einen herrlich dicken roten Kater, einen richtigen Garfield.

„Wir sind eine Familie von Mördern!“

Die Vielzahl menschlicher Figuren bildet eine dysfunktionale, intrigante aristokratische Familie samt „Belegschaft“ ab, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint, was dem Film einen merkwürdigen, aber durchaus auch reizvollen anachronistischen Touch innerhalb seines Narrativs verleiht. In Person des ermittelnden Inspektors kam sogar Jane Birkins Lebensgefährte und „Je t’aime“-Duettpartner Serge Gainsbourg in der Darstellerriege unter, kann jedoch keine schauspielerischen Akzente setzen. Das hat man nun aber auch nicht unbedingt erwartet, im Gegensatz zu etwas Sex, den die verruchte „Französischlehrerin“ Suzanne einbringt: Sie soll James verführen, was misslingt, hat aber ohnehin viel mehr Interesse an Corringa. Da auch diese Suzannes Avancen standhält, kommt es jedoch zu keinen solchen Erotikszenen. Dafür regiert bisweilen der Grusel, z.B. innerhalb eines visualisierten Alptraums, etwas Blut gibt es auch zu sehen.

„Oh mein Gott! Eine Bibel zu verbrennen! Es bringt Unglück! Es ist ein Sakrileg!“

„7 Tote in den Augen der Katze“ ist durchaus anspruchsvoll fotografiert und macht mit seinen Kulissen, Kostümen, Farben und Beleuchtungen einiges her. Margheriti und sein Team integrierten einige suggestive Kameraeinstellungen, Point-of-View-Fahrten und schräge Perspektiven. Die bunten Lampen am Schluss hingegen passen eigentlich gar nicht, schlagen aber durchaus hübsch aus der Art. Und zu alldem passt natürlich Riz Ortolanis gewohnt dissonante orchestrale musikalische Untermalung wieder einmal wie der Komparse ins Affenkostüm. Das Whodunit? wird bis zum Ende aufrechterhalten, der Weg dorthin stolpert sich jedoch durch dramaturgisch kontraproduktive Timing-Schwankungen. Ausstattung und Ensemble des Films sowie manch herrlich bekloppter Dialog können auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier eine im Prinzip altbekannte Geschichte aufgewärmt wird – diese jedoch schmackhaft italienisch variiert, wenngleich Margheriti sich sichtlich um eine nordeuropäischere Ausrichtung bemühte. Nicht der große Wurf, aber sehenswert und unterhaltsam.
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Kate Bush – Stimmgewaltig und exzentrisch

„Ihre Musik überdauert.“

Die britische Musikerin Kate Bush ist ein Phänomen: Mit 19 Jahren war sie die erste Frau, die mit einer Eigenkomposition die Pole Position in den britischen Charts erreichte. Die Rede ist natürlich von „Wuthering Heights“, jenem sich auf Emily Brontës Roman „Sturmhöhe“ (bzw. auf eine der zahlreichen Verfilmungen) beziehenden Song, der sich auf ihrem 1978 erschienenen Debütalbum „The Kick Inside“ befindet. Musikalisch ließ sie sich nie festlegen und komponierte, nach zwischenzeitlicher Verortung im New-Wave/New-Romantic-Bereich, abwechslungsreiche, visionäre Art-Rock/-Pop-Alben, mit denen sie sich immer wieder neu erfand und ihr Publikum mit experimentellen Sounds überraschte. Ihr auffälligstes Markenzeichen wurde ihr hoher, außergewöhnlicher Gesang. Ab ungefähr Mitte der 1990er machte sie sich sehr rar, doch im neuen Jahrtausend folgten zwei weitere Alben. Die 2018 für den öffentlich-rechtlichen deutsch-französischen Fernsehsender Arte produzierte und 2019 erstausgestrahlte Dokumentation „Kate Bush – Stimmgewaltig und exzentrisch“ von Claire Laborey zeichnet die einzigartige Karriere der öffentlichkeitsscheuen Künstlerin in rund 52 Minuten in kompakter Form nach.

Ausgehend von Bildern einer in Großbritannien jährlich zu Kate Bushs Geburtstag abgehaltenen öffentlichen „Wuthering Heights“-Aufführung von zahlreichen Fans im ans Musikvideo angelehnten roten Dress führt eine Sprecherin aus dem Off durch den Film, die zugleich dolmetscht. Historische Archivaufnahmen inklusive Ausschnitten aus Interviews und Statements von Bush-Entdecker David Gilmour (Pink Floyd), Bandmitgliedern, einem Bush-Biografen und ihrem Fotografen rollen Bushs Biografie von ihrer Kindheit an auf und vermitteln einen Eindruck von der Person Kate Bush – soweit möglich, denn sie stand für diese Dokumentation nicht persönlich zur Verfügung und findet lediglich in Form von Archivmaterial bzw. in den Aussagen anderer und in ihrer Kunst statt; ferner scheint sie zeitlebens durchaus mit Bedacht gewählt haben, was aus ihrem Privatleben für die Öffentlichkeit bestimmt ist und was nicht.

Nichtsdestotrotz orientiert sich Laborey recht souverän chronologisch an den Albumveröffentlichungen und verschiedenen Lebensabschnitten Bushs. So erfährt man von ihrer Entdeckung durch Gilmour, blickt zurück auf die Entstehung ihrer ersten Band und bekommt die Filmszenen, die Bush laut eigener Aussage zu „Wuthering Heights“ inspiriert haben, zu sehen. Inspiration für ihre expressiven Performances wiederum war der Pantomime Lindsay Kemp, bei dem Bush schließlich in die Schule ging – wie das Archivmaterial mit bewegten Bildern untermauert. Man bekommt vermittelt, dass Bushs zweites Album auf Druck der EMI hin in Rekordgeschwindigkeit fertiggestellt wurde – eine Arbeitsweise, von der sie sich daraufhin verabschiedete – und dass ihre anschließende große Europatour, bei der sie als erste Sängerin überhaupt ein Headset benutzte, ihre erste und zugleich lange Zeit letzte bleiben sollte: Erst 2014 kehrte sie mit einer Tournee auf die Livebühnen zurück.

Bushs technische und klangliche Innovationen betreffend geht der Film ein wenig ins Detail, wenn er ihre Begeisterung für den damals neuartigen Fairlight-Sampler illustriert, u.a. mit Bildern Peter Gabriels, der das Gerät einst fürs Fernsehen vorführte. Ihr Album „The Dreaming“ wurde gemischt aufgefasst, doch dann folgte ihr Megahit „Running Up That Hill“, Bushs Beitrag zur langen Liste der ‘80er-Evergreens. Weitere Unabhängigkeit von den Mechanismen der Musikindustrie erlangte sie, als sie bei ihren Eltern ihr eigenes Studio einrichtete. Laborey thematisiert darüber hinaus Bushs Verbindung zu Killing Joke sowie ihren fast komplett Rückzug aus jedweder Omnipräsenz und ihre Comebacks mit den Alben aus den Jahren 2005 und 2011.

Vieles wird nur kurz angerissen oder übersprungen; 52 Minuten sind natürlich zu wenig, um das Phänomen Kate Bush ganzheitlich zu erfassen. Für einen spannenden, auch als Appetitanreger funktionierenden Einblick in Werdegang und Werk einer unkonventionellen Künstlerin, der, was heute beinahe undenkbar scheint, die Musikindustrie nach ihrer Entdeckung erst einmal zwei Jahre Zeit gab, sich Live-Erfahrung anzueignen, statt sie sofort mit größtmöglicher Intensität kommerziell auszuschlachten, eignet sich diese Dokumentation jedoch gut. Durch den Rückhalt ihrer Familie, wo sie bereits früh musikalisch gefördert worden war und stets einen Rückzugsort fand, sowie gute Kontakte zu namhaften Musikern scheint Bush größtenteils für sie gute, kluge Entscheidungen getroffen zu haben, blieb sie skandalfrei und künstlerisch integer und genoss mit einem guten Pfund sicherlich tantiemenstarker Hits im Rücken ihre weitestgehende Autarkie. Das ist beeindruckend und sympathisch – und lädt zu einer musikalischen Entdeckungsreise durch ihre Diskografie ein.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Der Tausch

„Du bist ein Arschloch des öffentlichen Interesses!“

Regisseurin Ilse Hoffmanns dritte Arbeit für die „Tatort“-Krimireihe ließ sie erstmals mit dem Duisburger Ermittlerduo Horst Schimanski (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik) für deren nach dem Kino-„Tatort“ „Zahn um Zahn“ dreizehnten Fall zusammenarbeiten: „Der Tausch“ wurde im April 1986 erstausgestrahlt. Zusammen mit Hartmut Grund verdingte sich Hänschen-Darsteller Chiem van Houweninge erneut als Drehbuchautor.

„Du bist emotional viel zu sehr beteiligt!“

Eine Gruppe militanter Iraner versucht gewaltsam, den Physiker Bohm (Gerhard Garbers, „Heinrich Heine“) aus dem Duisburger Gefängnis zu befreien, das Wachpersonal kann den Plan jedoch vereiteln. Einer der Angreifer und einer der Schutzmänner kommen dabei ums Leben. Die Duisburger Kripo nimmt die Ermittlungen auf. Als sie den Terroristen gefährlich auf die Spur zu kommen drohen, entführt die Gruppe den kleinen Simon (Rainer Matschurat), den Sohn Schimanskis derzeitiger Lebensgefährtin Veronique (Yolande Gilot, „Ein pikantes Geschenk“). Sie wollen ihn gegen Bohm austauschen, doch Schimanski bietet sich seinerseits als Geisel im Austausch gegen den Junge an…

„Die Sache ist hochpolitisch.“

Der Fall beginnt spektakulär: Mit Maschinenpistolen schwer bewaffnete Männer in Hockeymasken bei einem Befreiungs- bzw. vielmehr Entführungsversuch – Bohm hat nämlich keinerlei Interesse an seiner Haftentlassung –, Schießereien und Tote. Schimmi liegt derweil mit seiner Veronique im Bett oder tollt mit deren Sohn Simon herum. Nach Beginn der Ermittlungen kann Herr Bohm als unmittelbar beteiligter Zeuge leider nicht viel zur Aufklärung beitragen, da man ihn mit Äther betäubt hatte. Die Kripo sieht sich gezwungen, ein Bordell zu stürmen, wo sie einen weiteren Toten vorfindet. Thanner besteht anschließend auf seine Work-Life-Balance und geht in einer Wave-Disco tanzen, wodurch das Publikum mit krassen Frisuren und einer guten Dosis ‘80s-Pop-Ästhetik konfrontiert wird. In schrillem Sakko gräbt er dort doch tatsächliche eine junge Frau (Nicole Ansari-Cox, „Immer & ewig“) an, was amüsant und zugleicht grotesk anmutet – und Anlass für einen komödiantischen Dialog zwischen ihm und Schimanski am nächsten Morgen ist.

„Ich weiß es nicht.“

So richtig kniet man sich erst in die Ermittlungsarbeit, als Schimmis Ziehsohn entführt wird. Kriminalrat Königsberg (Ulrich Matschoss) entzieht Schimanski aufgrund dessen persönlicher Involvierung den Fall, doch dieser ermittelt selbstverständlich auf eigene Faust weiter. Interessanterweise schien es damals in Duisburg eine Perserkneipe zu geben, denn in diese von zwielichtigen Gestalten bevölkerte Spelunke verschlägt es ihn, bevor er sich gegen Simon austauschen und somit in die Höhle der Löwen bringen lässt. Der Stil dieses „Tatorts“ schlägt erneut in Richtung Action-Krimi um, Schimmi prügelt und kämpft sich körperlich herausfordernd durch. Das ist größtenteils kompetent und spannend inszeniert, nur leider beging man den Fehler, es dem Helden etwas zu leicht zu machen und ihn beispielsweise völlig unbeschadet aus einem Kugelhagel entkommen zu lassen, was zu Lasten des gerade den Duisburger „Tatorten“ sonst so häufig anhaftenden Realismus geht. Auch dass Thanners Disco-Bekanntschaft sich als eine der Terroristinnen entpuppt, ist ziemlich unglaubwürdiger Unfug.

Dass es die Iraner ausgerechnet auf einen inhaftierten Physiker abgesehen haben, weil er an der Entwicklung von Mikrochips für Raketen beteiligt war, verschärft den Eindruck der Überkonstruktion zwecks Handlungskonstitution. Offenbar versuchte man, die Themen iranische Einwanderer, Terrorismus und Industriespionage miteinander zu vermengen, was nicht gänzlich gelingt – zu schwammig und knapp bleiben die Einblicke ins persische Milieu der Ruhrpott-Stadt, zu einseitig bis gar despektierlich seine Darstellung. Die Kalter-Kriegs-Thematik schwingt ebenfalls mit, bleibt aber diffus – außer im BKA-kritischen Epilog, als Schimmi seine Weltsicht eigentlich sehr schön zusammenfasst, vom CIA-Arschloch dafür jedoch aufs Maul bekommt. Auch das eine Szene, die man eigentlich nicht sehen möchte – umgekehrt würde ein Schuh daraus. Schön sind hingegen neben bereits Genanntem der Schuss Selbstironie der Ermittler und die Neo-noir-Anleihen, die sich in schummrig ausgeleuchteten Abend-/Nachtszenen und sintflutartigem Regen zeigen. Selbst die von Chris Norman gesungene „Midnight Lady“ zählt zu den erträglicheren Dieter-Bohlen-Kompositionen und setzte sich nach Ausstrahlung dieses „Tatorts“ hartnäckig in den deutschen Charts fest. Dennoch: Einer der schwächeren Einsätze des Kultduos Schimanski/Thanner.
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Spasmo

„Christian, ich kann den Whisky nicht finden...“ (kein J & B in „Spasmo“)

Der Psycho-Thrill-/Mystery-Giallo „Spasmo” des italienischen Genre-Tausendsassas Umberto Lenzi („Die Kröte“) dürfte sein vorletzter Regiebeitrag zu diesem Genre gewesen sein. Der von Pino Boller, Massimo Franciosa und Luisa Montagnana unter der Beteiligung Lenzis geschriebene Film wurde 1974 veröffentlicht, also im selben Jahr wie sein Poliziesco „Der Berserker“. Lenzis Kollege Lucio Fulci soll zuvor den Regie-Job abgelehnt haben.

„Ich arbeite nicht.“

Industriellensöhnchen Christian Baumann (Robert Hoffmann, „Top Job“) und seine Freundin Xenia (Maria Pia Conte, „Totenchor der Knochenmänner“) entdecken am Strand einen scheinbar leblosen Körper. Doch falscher Alarm, die attraktive Dame ist quicklebendig und stellt sich ihnen als Barbara (Suzy Kendall, „Torso“) vor, auf einer Yacht trifft man sich nach kurzer Zeit wieder. Zwischen Christian und Barbara funkt es, in einem Motelzimmer möchte man ein Schäferstündchen miteinander verbringen. Im Badezimmer wird Christian jedoch unvermittelt von einem bewaffneten Unbekannten (Adolfo Lastretti, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“) überfallen. Es gelingt Christian, sich erfolgreich zu wehren, der Eindringling bleibt mit einer Kugel im Körper tot zurück. Christian und Barbara suchen das Weite und fliehen ins Anwesen einer verreisten Freundin, zu dem man sich kurzerhand Zutritt verschafft. Doch die beiden kommen kaum zur Ruhe, den mit einmal stehen Malcolm (Guido Alberti, „Was?“) und Clorinda (Monica Monet, „Shoot First, Die Later“) in der Tür, die sich dort eingemietet haben wollen. Christian hat hart an den Vorfällen zu knabbern und fühlt sich zunehmend verfolgt – zumal die Ereignisse immer rätselhafter werden: Die Leiche des Gangsters ist spurlos verschwunden und irgendjemand drapiert ständig irgendwo Schaufensterpuppen…

„Irgendjemand hat hier getrunken!“

Ennio Morricones fabelhaft melancholisches Titelstück trägt zur seltsam entrückten Atmosphäre dieses Giallos bei, in dem sich fast ausnahmslose alle Figuren eigenartig und widersprüchlich verhalten – so will Barbara z.B. gar nicht wissen, was im Badezimmer vor sich ging, Christian wiederum gesteht Barbara seine Liebe, nur um sich im nächsten Moment auf Xenia zu stürzen – und, quasi als Potenzierung der eigenen Eigenartigkeit, Dialoge darüber führen, wie eigenartig alle gegenseitig aufeinander wirken. Einher geht all dies mit subjektiver Kameraführung, extremen Zooms auf Gesichter und einzelne Gesichtspartien, eleganten bis luxuriösen Behausungen und Interieurs sowie imposanten Landschaftsbildern Palma de Mallorcas mit seinen beeindruckenden Steilküsten und nicht zuletzt der auditiven Überbetonung von Geräuschen auf der Tonspur. Durch die Handlung steigt man bis zum Finale indes nicht durch, doch entwickelt dieser Inszenierungsstil eine hypnotische Wirkung auf ein aufgeschlossenes Publikum, das keinen klassischen Giallo-Killer und ein entsprechendes Whodunit? aufgetischt bekommt. Lenzi & Co. sind vielmehr an psychologischen Aspekten denn an Gewaltdarstellung und Exploitation interessiert, so geht es hier um vererbte Schizophrenie und einen einholende Schatten der Vergangenheit. Die Bildsprache wirkt vor diesem Hintergrund bisweilen allegorisch.

„Ich glaube, ich bin total verrückt!“

Ähnlich wie Argentos Spät-Giallo „Tenebrae“ handelt es sich bei „Spasmo“ um einen sehr hellen Film mit viel Tageslicht, das im Kontrast zu den sich auftuenden Abgründen steht. Lenzi gelingt ein einlullender, zugleich ungeduldig werden lassender, aber eben nicht langweilend langsamer Aufbau von Handlung und Dramaturgie, der mit nur ganz wenig nackter Haut (Xenia zieht kurz blank), aber dennoch dezenter erotischer Note abgeschmeckt wurde. Inhaltlich und erzählerisch knüpft „Spasmo“ wieder mehr an Lenzis erste drei Gialli an. Wie einst in „Orgasmo“ entpuppt sich ein mutmaßliches Opfer als Täter, und die genretypische Dopplung am Ende ist schon beinahe obligatorisch. Auch die Puppen sind ein beliebtes Motiv, das bereits bei Mario Bavas genredefinierendem „Blutige Seide“ aufgegriffen wurde. „Spasmo“ ist einer dieser Fälle, bei denen man als Rezipientin oder Rezipient nicht den Fehler machen darf, miträtseln zu wollen. Von dieser Last der Erwartung befreit, lässt sich „Spasmo“ wie ein guter Wein genießen, entfaltet er sein verführerisches, traumwandlerisches Bukett. Zum Nachteil könnte es ihm jedoch gereichen, dass er sich durch seinen Verzicht auf diverse genretypische Schauwerte weniger für Wiederholungen eignet als manch offenherzigerer, spektakulärerer Genre-Konkurrent.
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Tatort: Freunde

„Wozu diese Eile, meine Herren? Am Tatort ist man immer zu spät.“

Der fünfzehnte Einsatz des Duisburger Kult-„Tatort“-Ermittlungsduos Horst Schimanski (Götz George) und Christian Thanner (Eberhard Feik), wie üblich unterstützt von „Hänschen“ (Chiem van Houweninge), wurde kurz vor Jahresende 1986 erstausgestrahlt. Die Regie führte Klaus Emmerich („Die erste Polka“), der damit innerhalb der Reihe debütierte. Es wurde sein erster von bis dato drei „Tatorten“. Das Drehbuch stammte vom Duisburg-erfahrenen Team aus Horst Vocks und Thomas Wittenburg.

„Ich hab‘ dir nie getraut!“

Ein Geldtransporter wurde überfallen. Als Schimanski das Gebiet mit einem Helikopter umkreist, wird er mit schwerem Geschütz, u.a. einer Bazooka, angegriffen. Die Täter können entkommen. Die erste Spur führt zu Schimanskis Jugendfreund Frieder Schoen (Klaus Wennemann, „Der Fahnder“), der sich als kleiner Fisch, als harmloser Schmuggler, geriert. Doch die Kripo misstraut Schoen, nicht zuletzt, da erst kürzlich in dessen Wohnort Düsseldorf ein Geldtransporter auf ähnliche Weise ausgeraubt wurde. Jedoch: Schoen hat ein Alibi, befand er sich doch zum Zeitpunkt des Überfalls ausgerechnet zusammen mit Schimanski in einem niederländischen Bordell. Der als verdeckter Ermittler im Milieu des illegalen Glücksspiels ermittelnde Hänschen gibt Schimmi den Tipp, sich einmal den Taxifahrer Albino (Klaus Kelterborn, „Blue Moon“) vorzuknöpfen, der mutmaßlich den bei den Überfällen verwendeten Störsender gebastelt hat. Dies muss der schließlich eingestehen, es soll sich jedoch lediglich um eine Auftragsarbeit gehandelt haben. Die Ermittlung der Auftraggeber führt zu einer Gruppe von Fälschern antiquarischer Möbel, der auch Schoen angehört. Die Überfälle betreffend beteuert Schoen jedoch weiterhin seine Unschuld…

Der initiale Hubschrauberflug übers Industriegebiet zeigt Duisburg in all seiner „Pracht“, der Bazooka-Angriff sorgt bereits zum Auftakt für ordentlich Action. Die ersten gesprochenen Worte: „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ Ein guter Teil der Handlung definiert Schimmis Beziehung zu Frieder Schoen: Der Kommissar knobelt mit seinem alten Freund auf dem Polizeirevier und scheint ihm etwas schuldig zu sein, nachdem dieser ihn vor etlichen Jahren einmal gedeckt hatte. Dass Schimanski selbst kein Unschuldslamm ist, ist ebenso wenig überraschend wie sein Bordellbesuch mit dem Verdächtigen – im Gegensatz zum Umstand, dass Hänschen Schimanski zusammenschlägt, als dieser ihn bei seinem Inkognito-Einsatz überrascht. Schließlich gilt es, die Tarnung zu wahren! Als schlagkräftiger Pokerspieler in verqualmten Spelunken macht Hänschen eine gute Figur, und auch Thanner findet sich in eher ungewöhnlicher Rolle wieder: Dieser ist in dieser Episode mächtig auf Zinne und haut ständig irgendetwas kaputt.

Die Ermittlungen hindern Schimanski keineswegs daran, privat weiter mit Frieder zu verkehren, in einer Kneipe führt er gar Kunststücke auf und im Stadion schaut man sich gemeinsam einen Fußikick an. Weniger zimperlich geht man mit Albino im Verhör um, die Grenze zur Polizeigewalt wird überschritten. Die Kripo setzt schließlich alles daran, den nächsten mutmaßlichen Überfall zu vereiteln, wobei sie von der Polizeitrachtengruppe amüsanterweise selbst für Kriminelle gehalten wird. Es wird in diesem „Tatort“ also viel gehauen, außerdem viel gebrüllt und sich gegenseitig zu übertölpeln versucht, und in einer meiner Lieblingsszenen macht Thanner gar mit Schimmi Schluss. Doch Fall und Tätersuche bleiben irgendwie schwammig und undurchsichtig – ganz wie Frieder Schoen, insofern also durchaus passend. Dieser ist ein echter Hansdampf in allen Gassen, hängt auch beim Pokern mit drin, in dessen Zuge Hänschen Schimmis Ersparnisse verzockt.

Der gegen Ende sogar kurz in Hamburg spielende „Tatort: Freunde“ präsentiert auch Kriminalrat Königsberg (Ulrich Matschoss) in einer größeren Rolle – gottlob, denn Schimmi stellt sich bisweilen auch wirklich etwas dämlich an. Der spannende und wendungsreiche Fall kommt schließlich zu einem fast schon melodramatischen Ende, wenngleich mehr als die eigentlichen Verbrechen Schimanskis Beziehung zu Schoen im Vordergrund steht. Wennemann rief für seine ambivalente, zwielichtige und wandlungsreiche Rolle viele Facetten seines Könnens ab und schuf so eine bis zum Schluss faszinierend ungreifbare Figur. Ex-Can-Musiker Irmin Schmidt unterlegte diesen „Tatort“ unter anderem mit schönen jazzigen Saxofonklängen, allen in allem eine runde Sache. Aber: Aus dem Motiv möglicherweise auf die andere Seite des Gesetzes überlaufender Polizeibeamter – Hänschen beim Glücksspiel, Schimanski in Komplizenschaft mit einem alten Kumpel – hätte man mehr herausholen können. So bleibt es nur ein nie dominierender Aspekt von so vielen, die die Autoren hier in die Waagschale geworfen und den „Tatort“ damit reichlich überfrachtet haben, statt sich stärker auf diese spannende Frage nach polizeilicher Integrität und Käuflichkeit zu fokussieren.
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Der Tatortreiniger

„Meine Arbeit fängt da an, wo andere sich vor Entsetzen übergeben.“

Was der NDR während der Weihnachtszeit 2011 ohne jede PR-Arbeit in seinem Nachtprogramm da versteckt hatte, war nicht weniger als die erste Staffel der durch den Grimme-Preis und vor allem großen Publikumszuspruch später zu Ehren gekommenen deutschen Sitcom „Der Tatortreiniger“, die 2018 mit der einunddreißigsten Episode auf ihrem Zenit endete. „Stromberg“-Regisseur Arne Feldhusen, Autorin Mizzi Meyer und Hauptdarsteller Bjarne Mädel (einem breiteren Publikum als Ernie aus „Stromberg“ bekanntgeworden) hatten sich zusammengetan, um die deutsche Comedy-Serien-Landschaft um einen ebenso witzigen wie intelligenten Beitrag zu erweitern.

„Im Gegensatz zu Thomas Mann werde ich ja meistens eher unterschätzt.“

In 31 bis auf wenige Ausnahmen 25- bis 30-minütigen Episoden begleitet das Publikum Heiko „Schotty“ Schotte (Bjarne Mädel) bei seiner Arbeit: Als Angestellter der Hamburger Gebäudereinigungsfirma Lausen verdingt er sich als Tatortreiniger, also als derjenige, der mit reichlich Chemikalien und Putzwerkzeug ausgestattet die Tatorte vom „letzten Dreck“ beseitigt, meint: von Körperflüssigkeiten, fauligem Fleisch und sonstigen Unappetitlichkeiten, nachdem die Polizei den jeweiligen Ort wieder freigegeben hat – auf „Spusi“ (Spurensicherung) folgt „Spube“ (Spurenbeseitigung). Meist trifft er dabei auf Hinterbliebene des oder der Toten, wodurch er tiefergehende Einblicke in deren Umfeld und Leben erhält. Und dabei handelt es sich selten um normale Durchschnittsbürgerinnen oder -bürger wie (von seiner Berufswahl abgesehen) ihn: Schotty lernt eine Prostituierte, einen Schriftsteller, Vertreter(innen) der vermögenden Oberschicht, einen (toten!) Psychiater, eine Veganerin, einen Schamanen, einen Wachkomapatienten und viele weitere ungewöhnliche Zeitgenossinnen und -genossen kennen.

„Alkohol ist keine Lösung! Alkohol ist eine Löse – das ist ein Riesenunterschied!“

Um es auf eine einfache Formel zu bringen: Die Serie lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Beruf, über den die meisten eigentlich möglichst wenig wissen möchten und über den daher auch den wenigsten etwas bekannt ist, und vermittelt zugleich Perspektiven von Menschen, die die überwiegende Mehrheit für gewöhnlich nicht oder nur unzureichend versteht. Das potenziert sich zu urkomischen, alltagsphilosophischen Dialogen, hitzigen Debatten, skurrilen Situationen und durchaus sensiblen, nicht nur an der Oberfläche schürfenden Betrachtungen anderer Lebensentwürfe. Beinahe müßig zu erwähnen, dass allein schon aufgrund des Sujets der schwarze Humor nicht zu kurz kommt. Die Qualität der häufig als Kammerspiel angelegten Umsetzung lässt Rückschlüsse auf ehrliche Interessen der Autorin an ihren Figuren und dem, was sie verkörpern, zu.

Schotty ist kein hochgebildeter, gleichwohl mehr als nur bauernschlauer, sympathischer Jedermann, an dem sein Beruf das Außergewöhnlichste ist. Er ist kein Arschloch, aber HSV-Fan, er ist kein strahlender Held, verfügt aber über ein gutes Gerechtigkeitsempfinden. Seine Aufgeschlossenheit und Neugierde bilden meist den Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit seinem jeweiligen Gegenüber. Bjarne Mädel hat mit dieser Rolle sein „Ernie“-Image aus „Stromberg“ endgültig hinter sich gelassen und sichtlich Spaß an ihr. Mitunter geht’s auch übernatürlich, surreal oder auch – als eine Hommage – kafkaesk zu. Eine Art kleines Crossover mit der „Polizeiruf 110“-Krimiserie feiert die allererste Episode, in der das Rostocker Ermittlungsduo König (Anneke Kim Sarnau) und Bukow (Charly Hübner) einen Gastauftritt hat. Weitere Cameos haben Olli Dittrich als Dittsche und Fußballidol Uwe Seeler.

Auf ihrem Zenit beschloss Autorin Mizzi Meyer, die Serie zu beenden. Für den Schwanengesang hatte man sich mit der Episode „Einunddreißig“ etwas Besonderes einfallen lassen: In Überlänge wird Schotty zu seinem eigenen Ableben gerufen. Erneut beackerte man damit das Feld des Surrealen und ließ zahlreiche Figuren aus vorausgegangenen Episoden von Schotty und der Serie Abschied nehmen. Das Ergebnis fiel vielleicht etwas überambitioniert, vor allem aber traurig aus: Wenn einem eine Figur so sehr ans Herz gewachsen ist, fällt das Loslassen schwer. Ich gebe zu: Eine „normale“ Abschlussepisode wäre mir lieber gewesen. Daran, dass „Der Tatortreiniger“ zur besten fiktionalen TV-Unterhaltung gehört, die dieses endende Jahrzehnt hervorgebracht hat, ändert dies indes nichts. Inhaltlich und technisch (Die Kamera! Die Musik! Und nicht zuletzt: Der messerscharfe Schnitt!) grandios!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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