Suche Filme mit Thema beginnende Weimarer Republik

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purgatorio
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Re: Suche Filme mit Thema beginnende Weimarer Republik

Beitrag von purgatorio »

karlAbundzu hat geschrieben: Mo 15. Mär 2021, 19:45 Zu dem Thema ist auch die Bremer Räterepublik spannend, bei der am Ende die Bremer Räte schon im Niedergang noch von faschistischen Freicorps auf Befehls Noskes (SPD) mit Hilfe von bremer Bürgerlichen ermordet wurden.
Hatte dazu auch mal eine Doku-Liste, ich gucke demnächst mal in die Tiefen....
Von diesen Räterepubliken gab es ja einige... mal kurz, mal lang. Aber Bremen war seinerzeit auf jeden Fall ein extrem heißes Pflaster in jeder Phase der Krisenjahre (das ging ja schon bei den Matrosenaufständen und den Arbeiter- und Soldatenräten los - im Winter von 1918 auf 1919 war Bremen quasi Kriegsgebiet - wohlgemerkt: Bürgerkrieg). Das lese ich selbst hier im Osten immer wieder auch in den Schulbüchern :nick:

Der Bluthund Noske hatte sein Schicksal erhobenen Hauptes getragen (ich müsste mal recherchieren, ob er diese Tätigkeit speiter auch genossen hat - anfangs jedenfalls musste es ja einer machen. Und Noske erklärte sich eben bereit).
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
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- kein Sonnenlicht
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Maulwurf
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Re: Suche Filme mit Thema beginnende Weimarer Republik

Beitrag von Maulwurf »

 
Kaisersturz (Christoph Röhl, 2018) 5/10

Eine Darstellung derjenigen Tage, die gegen Ende des ersten Weltkrieges die entscheidenden waren. Entscheidend für das Kriegsende, entscheidend vor allem aber für die Monarchie und für Kaiser Wilhelm II. Entsprechend wird in Kaisersturz viel Gewicht auf den Monarchen gelegt: Wie er mit sich und der Welt versucht im Reinen zu sein, als oberster Kriegsherr bemüht ist, durch einen Sieg über die Feinde, vor allem die widerlichen Engländer, den Frieden zu erringen, und wie ihm die Sozialdemokraten in Gestalt von Friedrich Ebert nach und nach immer näher auf den Pelz rücken und eine ihm völlig fremde Variante einer Regierung, den Parlamentarismus, einsetzen wollen.

Im September 1918 wird langsam klar, dass der erste Weltkrieg für das Deutsche Reich verloren ist. Na ja, so richtig klar wird es nicht allen. Das Volk ist kriegsmüde, die Soldaten sind völlig entkräftet, und die Lage an der Westfront ist katastrophal. Aber der Kaiser redet stur von Widerstand und Durchbruch und Sieg und all dem ganzen Scheiß, den wahre Krieger so vor sich hinbrabbeln. Er weiß nicht, dass er in einem ganz anderen Spiel nur eine Marionette ist: Der Leiter der OHL Ludendorff zwingt die Regierung, bei den Amerikanern nach einem Waffenstillstand anzufragen. Und die Schande für diesen Waffenstillstand will er in einem perfiden und perfekt ausgeklügelten Plan den aufstrebenden Sozialisten in die Schuhe schieben, die sich, in Gestalt ihres Vorsitzenden Friedrich Ebert, voller Freude als Opferlamm hingeben. Ohne die Falle zu sehen verbrüdern sich Ebert und der designierte Reichskanzler Prinz Max von Baden, um den Krieg so zu beenden, dass der Kaiser nach Möglichkeit an der Macht bleiben kann, dass die Bedingungen des Waffenstillstandes nicht zu grausam werden, und um vor allem das Volk davon abzuhalten, eine Revolution zu beginnen. Eine gefährliche Gratwanderung,

Prinzipiell ist es schade, dass der Kaiser in diesem Film der Schwerpunkt ist, und dass der Opportunist und Monarchiefreund Ebert so viel Gelegenheit hat, sein Familienleben auszubreiten. Ich persönlich hätte es spannender gefunden, wenn vor allem die Tage zwischen dem 1. und dem 11. November, also zwischen dem Kieler Matrosenaufstand und dem Tag der Unterzeichnung des Waffenstillstandes, im Fokus gestanden hätten. Dann allerdings hätte der Film nicht Kaisersturz heißen dürfen …

Also gut, KAISERSTURZ. Nicht Novemberrevolution. Ausgehend vom Thema beleuchtet der Film das Familienleben des Kaisers, stellt geschickt die Frage, von wem das Deutsche Reich in jenen Tagen eigentlich regiert wurde (von Kaiser Wilhelm oder vielleicht doch eher von seiner Frau), und wirbelt die Handelnden der deutschen Politik gegen Kriegsende hin ein wenig durcheinander. Ein wildes Namedropping findet nicht statt, was sehr positiv zu bewerten ist, und die Anzahl der handelnden Personen ist immer überschaubar und nachvollziehbar. Als jemand, der sich mit dieser Zeit sehr intensiv beschäftigt, frage ich mich allerdings, wie jemand den Film empfindet, der nicht ganz so tief in der Materie steckt und dem möglicherweise viele Hintergrundinformationen fehlen. Meine Frau zum Beispiel hat hinterher festgestellt, dass sie vor allem den Beginn sehr langweilig fand, und mit den Namen und den Aktionen überhaupt nicht zurecht kam. Was ihr gefallen hatte, und das hebt KAISERSTURZ auch definitiv in eine höhere Liga, sind die zeitgenössischen Filmaufnahmen, die den Dokuhistorie-Ansatz, der seit einigen Jahren in den Infotainment-Kanälen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens so beliebt ist, angenehm auflockern und Realismus in die Bilder bringen. Und da die meisten dieser Originalaufnahmen auch noch nachkoloriert sind, schaffen gerade diese Szenen eine starke Verbindung zwischen Zuschauer und Handlung. Die Bilder von Arbeitern und Soldaten des Jahres 1918, die vermeintlich in die Kamera eines Filmemachers von heute schauen, wirken gerade durch die Farbe wie Szenen von heute. Das könnten auch der Chef oder der Nachbar sein, die da gerade vorbeilaufen und ihren ganz persönlichen Alltag erleben. Diese Aufnahmen wirken nicht wie von früher und lange vorbei, sondern tagesaktuell, und reißen an der Stelle auch sehr mit, vor allem wenn am Ende des Films, das heißt mit Beginn der deutschen Revolution, das Erzähltempo merklich anzieht.

Hier glänzt KAISERSTURZ und kann sogar Spannung ins Spiel bringen, was in der ersten Stunde leider völlig fehlt. Kleinere historische Ungenauigkeiten können mit dem Blick auf dramaturgische Unerbittlichkeiten auch verziehen werden, wie etwa der Umstand, dass Friedrich Ebert in den Hof seines Berliner Hauses tritt und seiner Frau erklärt, dass er heute am Bodensee mit Prinz Max gesprochen hat. Ehrlich? Im Jahr 1918 bei herrschendem Treibstoffmangel innerhalb eines Tages vom Bodensee bis Berlin? Das ist ja heute schon eine Tortur …

Es ist halt einfach nur schade, dass der Film am Abend des 9. Novembers endet. Dass die Abreise des Kaisers ins Exil nur angedeutet wird, und gerade die sich zuspitzende Situation in Spa, wo der Kaiser zwischen einer erfundenen Abdankung, dem Führen kaisertreuer Truppen gegen die verdammten Sozis, und sogar einem möglichen Heldentod in einer kurzfristig anberaumten Schlacht schwankte, dass diese Situation nur überflogen wird, und die beginnende Revolution in Berlin, die in diesem Augenblick des Films in den Fokus rückt, abgewürgt wird bevor sie überhaupt anfängt, nämlich vor den Wahlen der Arbeiter- und Soldatenräte am 10. November. In diesem Augenblick steht Deutschland vor den aufregendsten Momenten seiner Geschichte, und das, was zwischen November 1918 und Mai 1919 passiert, hat weitreichende Konsequenzen, die bis heute nachklingen, und spannend und schrecklich und schrecklich spannend zugleich sind. Durch das gewählte Thema des Films, eben den Sturz des Kaisers, müssen diese Vorgänge narrativ aber genau am Beginn des Höhepunktes unterbrochen werden - Man stelle sich vor, dass ein Thriller genau vor dem Showdown beendet wird … Irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Regisseur Christoph Röhl gegen Ende nicht mehr so recht gewusst hat wo er hin will. Aber das ging dem Kaiser und so einigen der damaligen deutschen Sozialdemokraten schließlich ganz genauso.

Was schlussendlich bleibt ist das Entsetzen über einige katastrophale schauspielerische Leistungen (etwa Hubertus Hartmann, der als Prinz Max hoffnungslos übertreibt), und die Enttäuschung über die Schwerpunkte, die sich anscheinend immer gerade dorthin verlagern, wo es nicht interessant ist. Dokudramen haben halt einfach nicht spannend zu sein. Punkt. Die Leute sollen was lernen und nicht unterhalten werden, so ist der Eindruck. Die tollen und erstklassig eingebauten dokumentarischen Aufnahmen reißen es heraus, aber insgesamt ist das alles doch relativ mau …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
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Nello Pazzafini
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Re: Suche Filme mit Thema beginnende Weimarer Republik

Beitrag von Nello Pazzafini »

Das fünfte Gebot - Duccio Tessari (1978) könnte da reinfallen.....
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Maulwurf
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Re: Suche Filme mit Thema beginnende Weimarer Republik

Beitrag von Maulwurf »

Nello Pazzafini hat geschrieben: Mo 11. Apr 2022, 11:17 Das fünfte Gebot - Duccio Tessari (1978) könnte da reinfallen.....
Ist notiert, vielen Dank! Tessari geht sowieso immer :D
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Maulwurf
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Re: Suche Filme mit Thema beginnende Weimarer Republik

Beitrag von Maulwurf »

 
Das Lied der Matrosen
DDR 1958
Regie: Kurt Maetzig & Günter Reisch
Günther Simon, Raimund Schelcher, Ulrich Thein, Horst Kube, Hilmar Thate, Wolfgang Langhoff, Ekkehard Schall,
Jochen Thomas, Stefan Lisewski, Rainer Adler, Rita Adolph, Klaus Bamberg


Das Lied der Matrosen.jpg
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30.Oktober 1918. Für das deutsche Reich ist der erste Weltkrieg verloren. Jeder weiß das – Die Soldaten in den Schützengräben und die Matrosen genauso wie die Offiziere, die Politiker, und nicht zuletzt auch die Hausfrauen, die stundenlang anstehen für Butter, Fleisch oder Wasser. Oft genug auch umsonst … Und doch sind einige kaisertreue Offiziere im Flottenkommando nicht willens, einem Waffenstillstand oder gar einer Kapitulation ins Auge zu sehen. Sie wollen nicht wahrnehmen, dass nach 5 Kriegsjahren kein Menschenmaterial mehr vorhanden ist, das noch in irgendwelche Offensiven geworfen werden könnte. Sie nehmen auch nicht wahr, dass die Bevölkerung längst ausgeblutet ist und sich nur noch nach Frieden sehnt. Und sie ignorieren den Befehl des Reichskanzlers, dass nichts geschehen dürfe, um den Friedensprozess mit den Alliierten zu stören. Ihr Plan ist, die Schiffe in Kiel, somit das I. und das III. Flottengeschwader gegen England fahren und englische Schiffe angreifen zu lassen. Unabhängig vom Ausgang der Schlacht wären damit die bereits begonnenen Friedensgespräche obsolet, die Kräfte der Entente würden verstärkt angreifen, und damit auch die Kriegsmüdigkeit bei Heer und Bevölkerung beheben.

Klingt idiotisch? Ist idiotisch. Aber für die Matrosen des III. Geschwaders war dies die Realität, und obwohl die Befehle strengster Geheimhaltung unterlagen, sickerten Informationen an die Besatzungen der Schiffe aus. Während die Besatzungen des I. Geschwaders den Seeklarbefehl verweigerten und sogar Sabotageakte durchführten, meuterten Matrosen des III. Geschwaders am 31. Oktober auf hoher See und zwangen ihre Schiffe zur Rückkehr nach Kiel. Der Vizeadmiral, unter dessen Befehl die Schiffe liefen, verhaftete aber während der Rückkehr die Meuterer, 48 Matrosen und Heizer, und ließ diese nach der Rückkehr in den Hafen einsperren.

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Das Ergebnis dieser Vorgänge war dann der sogenannte Kieler Matrosenaufstand, der zwischen dem 1. und dem 4. Oktober in Kiel stattfand, der letzten Endes nichts anderes als eine Revolution war, und dessen Ausläufer es sogar schafften den Kaiser, ja sogar die gesamte Dynastie Hohenzollern zum Rücktritt zu bewegen. Der Krieg war zu Ende, und die meuternden Matrosen von Kiel waren der hauptsächliche Grund dafür.

Und mittendrin waren sieben Seeleute, deren Schicksal wir in DAS LIED DER MATROSEN begleiten. Erich Steigert war im Herbst 1917 bereits aufsässig, weil er sich weigerte, zwei Meuterer standrechtlich zu erschießen. Seitdem sitzt er im Gefängnis und wartet auf seine eigene Exekution. August Lenz ist Heizer und strammer SPD-Mann. Ohne Freigabe von Friedrich Ebert und Gustav Noske bohrt er nicht einmal in der Nase. Henne Lobke hat es eher mit der USPD. Beim Aufbringen eines russischen Frachters setzt er sich gemeinsam mit seinem Kameraden Jens Kasten nach Russland ab und kommt von dort wieder zurück nach Hause. Er lernt die junge Anna kennen und verliebt sich. Ludwig Bartuschek ist strammer Spartakist und brennt darauf, alle Kapitalisten und alle Offiziere persönlich abzusägen. Er ist klug und kann mitreißen, wird aber von den Zauderern der SPD oft gebremst. Sebastian Huber ist in erster Linie Bauer und dann erst Heizer. Er will nach Hause, es ist höchste Zeit für das Ausbringen der Wintersaat. Und Jupp König ist der Trumpf der organisierten Matrosen. Er ist eine Art Kammerdiener bei Admiral von Resten, und kommt somit mit allen Befehlen und allen Absichtserklärungen der Offiziere und der Flottenleitung als erster in Kontakt.

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DAS LIED DER MATROSEN beginnt im Herbst 1917 mit der vergeblichen Exekution der meuternden Seeleute Max Reichpietsch und Albin Köbis. Vergeblich deswegen, weil die Marinesoldaten der Pelletons sich mehrmals weigern, ihre Kameraden zu erschießen. Steigert kommt deswegen auch in Haft, aber er bleibt unbeugsam. Die Handlung bleibt noch einige Zeit im Jahr 1917, um die Konsequenzen dieser Vorgänge aufzuzeigen, wir folgen unter anderem auch Henne und Jens Kasten auf ihrem Weg nach Russland und wieder zurück, und relativ bald springen wir dann in den Sommer 1918, um die Kriegspläne der kaisertreue Offizieren erfahren. Mittendrin sind immer wieder die Hauptcharaktere und ihre Freunde und Angehörigen, aber angenehmerweise behalten Regie und Zuschauer stets den Überblick über die vielen Namen. Auch die Zeitsprünge sind nachvollziehbar, der Rutscher vom August zum November 1918 ist kaum spürbar und hinterlässt auch kein Loch im Handlungsfluss. Einzig am Namedropping der politischen Organisationen ist spürbar, dass die hier vorgestellten Ereignisse für das Publikum als bekannt vorausgesetzt werden.

Denn machen wir uns nichts vor, DAS LIED DER MATROSEN ist ein Propagandastreifen wie er nicht zweckdienlicher sein könnte. Die Uraufführung war zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution geplant, weswegen auch zwei Regisseure eingesetzt wurden, um den straffen Zeitplan zu halten: Kurt Maetzig drehte die Szenen um die Offiziere und Admiräle, während sich Günter Reisch um die Aufnahmen rund um die Matrosen kümmerte. Der Druck muss enorm gewesen sein, und offensichtlich wussten sich die Produzenten beim Zusammenfügen einzelner Handlungsfragmente nicht anders zu helfen, als ein von Karl-Heinz Wichert gesungenes Lied zu hinterlegen. Dieses Lied erzählt tatsächlich fehlende Handlungselemente oder kommentiert das Gesehene, was bemerkenswert an Brechts episches Theater erinnert, und dadurch einen ganz seltsamen Zeitbezug erhält. Ein interessantes Stilmittel, welches heute altmodisch und fremd wirkt, aber seine Wirkung gerade bei einem Propagandafilm nicht verfehlt.

Dem fertigen Film kann man vieles vorhalten. Zum Beispiel, dass die Ereignisse der ersten Novembertage aus dramaturgischen Gründen auf einige Stunden komprimiert wurden, oder dass es mit der tatsächlichen Darstellung der Ereignisse nicht immer ganz genau genommen wurde. Es gab nie einen Sturm auf das Marinegefängnis, eine Szene, die frappierend an den Sturm auf das Winterpalais in Eisensteins OKTOBER erinnert, und auch der war ja eine gefakte Erinnerung. Aber gerade diese Szenen sind ungeheuer dramatisch, hochgradig spannend, und es werden bewusst Emotionen beim Zuschauer erzeugt. Tatsächlich kommt man aus dem Film in einer absoluten Hochstimmung heraus. Man möchte marschieren, man möchte am liebsten den Kapitalisten eins aufs Maul hauen und selber mit der Revolution beginnen. Solche Gefühle werden erzeugt, und ich frage mich unweigerlich, welcher Film aus den letzten 30 Jahren so etwas noch schafft.
DAS LIED DER MATROSEN endet mit der Gründung der Kommunistischen Partei in Deutschland am 30. Dezember 1918, und zusammen mit dem hier gesungenen Lied vom wahren sozialistischen Traumstaat möchte man am liebsten einen Lachkrampf bekommen, wenn es denn nicht so traurig wäre. Schade, dass die Stoßrichtung ein so unmissverständliches Loblied auf den wunderschönen Arbeiter- und Bauernstaat ist, und schade, dass diese Absicht (mit mehr als 60 Jahren Abstand) so furchtbar lächerlich und durchsichtig ist, und damit die vielen starken Momente der vorhergehenden fast zwei Stunden ein klein wenig wieder zunichte macht, denn filmisch wie auch historisierend gibt es da einiges Begeisterndes:. Der Moment, wenn die Heizer die Kohle aus den Bunkern herausholen und mit Wasser löschen, damit die Schiffe keinen Dampf mehr machen können, und daraufhin die Offiziere mit vorgehaltener Waffe verlangen, dass die Kessel wieder angeheizt werden. Henne, der mit einem russischen Soldaten aus Freude über den Waffenstillstand tanzt, was einem kaisertreuen Offizier nicht passt, der auf die beiden sofort Feuerbefehl gibt. Der Sturm der Matrosen in das Hauptquartier des Flottenkommandos. Oder der großartige Moment, wenn der Parteibürokrat, der den erfolgreichen Matrosen ihren Erfolg kastrieren möchte, vom redegewandten Bartuschek zusammengefaltet wird. Mit dem „neuen“ Vorsitzenden des Soldatenrates, der für die Matrosen tatsächlich ein alter Bekannter ist, wird auch ein deutlicher Verweis auf die Bürokratie des westlichen Nachkriegsdeutschlands gesetzt, in dem viele Täter aus der NSDAP weiterhin ihr Gedankengut in Brot und Lohn verbreiten konnten. Hehres (und oft plattes) Pathos, sicher, aber eben auch viel Emotion. Große Gefühle, wenn man mit den Arbeitern und den Matrosen mitfiebert, und eine mehr oder weniger erfolgreiche Revolution an sich vorbeiziehen sieht, an deren Ende tatsächlich die Zeitenwende zur Demokratie stand.

Der Film schildert historische Geschehnisse auf verständliche Art. Er nimmt seine Figuren ernst und kann sie mit klaren Worten sowohl als Soldaten wie auch als Menschen charakterisieren, und vor allem ist er sehr spannend und emotional. Starke Massenszenen mit bis zu 15.000 Statisten auf der einen Seite, ergreifende Momente der Zwischenmenschlichkeit auf der anderen. Irgendwie kann ich mich nach der Sichtung des Gefühls nicht erwehren, dass die Kunst, packende und überzeugende Filme zu drehen, in den letzten Jahrzehnten ziemlich auf den Hund gekommen ist …

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8/10
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Suche Filme mit Thema beginnende Weimarer Republik

Beitrag von Maulwurf »

Passt vielleicht nicht ganz zumThema, weil ja bereits im Jahr 1917 spielend. Da aber die niedergeschlagene Meuterei 1917 mit einer der Gründe war, warum es 1918 mit der Befehlsverweigerung dann geklappt hat und die Matrosen dort erheblich rigoroser vorgegangen sind, stelle ich den hier mal mit ein. Gehört als Teil der Vorgeschichte zur Revolution ja doch irgendwie dazu ...

 
Marinemeuterei 1917
Deutschland 1969
Regie: Hermann Kugelstadt
Dieter Wilken, Karl-Heinz von Hassel, Volkert Kraeft, Norbert Skalden, Manfred Reddemann, Claus Wilcke,
Kurd Pieritz, Heinz Weiss, Hans Paetsch, Dieter Wagner, Günther Jerschke, Friedrich Schütter



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Im November 1918 stank es den deutschen Matrosen gewaltig und sie machten Revolution. Was in den ersten Tagen des Novembers in Kiel geschah war tatsächlich ein Umsturz, der das Ende des Krieges und den Sturz des Kaisers zur Folge hatte, genauso wie die Einführung des Parlamentarismus und der Demokratie. Das ist kurzgefasstes Wissen, welches so im Geschichtsunterricht gelehrt wird, und der ein oder andere hat das vielleicht sogar schon mal außerhalb der Schule gehört.

Weniger bekannt ist, dass etwas mehr als ein Jahr früher, im August 1917, bereits erste Meutereien bei den deutschen Matrosen ausbrachen. Der Krieg war 1917 bereits verloren, das Hurra-Geschrei der Offiziere und der konservativen Politiker war noch fast genauso groß wie 1914, und die Stimmung unter den Soldaten und im Volk war katastrophal. Gerade die Matrosen, die mitnichten auf großer Fahrt unterwegs waren, die bösen Feinde in glorreichen Schlachten zu schlagen, sondern die auf Reede lagen und unter schlechter Behandlung und miesem Essen litten, gerade die Matrosen hatten die Möglichkeit, sich die russischen Matrosen als Vorbild zu nehmen. Meutern, den Offizieren endlich mal zeigen dass man Mensch ist, dass man nicht dazu da ist vor den feinen Herren zu kriechen, sondern dass es eine Menschenwürde gibt, jawohl! Und endlich diesen verdammten Krieg beenden.

"Nicht mit Schiffen wird dieser Krieg geführt, Herr Kapitän, sondern mit Menschen." "Ja ja, das sind Ihre neumodischen Ansichten."

Die Matrosen reden miteinander, sie tauschen ihre Meinungen aus, und nach und nach reden sie sich immer mehr in Rage. Ein paar von ihnen fahren nach Berlin und reden mit Abgeordneten. Nicht nur mit den Linken der SPD und der USPD, sondern auch mit denen Bürgerlichen der Zentrumspartei und der Fortschrittlichen Volkspartei. Doch dieses Verhalten wird ihnen bereits als Aufstand ausgelegt, und als das Wort Streik die Runde macht, als sie sich treffen um Maßnahmen zu beraten und das Treffen von der Kriminalpolizei zerschlagen wird, als ein Aufruf zum Stilllegen der Flotte zu existieren scheint, da bleibt der Flotte als Institution nichts anderes übrig als erbarmungslos durchzugreifen. 11 Matrosen werden festgenommen, fünf von ihnen zum Tode verurteilt und zwei im September 1917 hingerichtet: Albin Köbis und Max Reichpietsch.

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MARINEMEUTEREI 1917, entstanden in einer Zeit des Umbruchs, in der man den Ungehorsam genauso wie die Menschenwürde neu entdeckte, zeigt als sogenanntes Dokumentarspiel die Ereignisse, die zum Tod von Köbis und Reichpietsch geführt haben. Dass sie eigentlich nur besseres Essen wollten. Dass sie menschlich behandelt werden wollten. Dass es ihnen mit dem Krieg allmählich reichte. Und dass jedes Aufbegehren gegen diese Dinge, ja auch jede Art Kritik, ihnen als Anstiftung zur Revolution ausgelegt wird. Das Kaiserreich und sein Militär waren allzeit bedingungslos bereit, alles und jeden zu vernichten der nicht für das Reich war. Allein die Diskussionen der Offiziere darüber, dass ja nur ein Sieg in Frage käme, und jedes Zugeständnis an einen anderen Frieden ein Unding wäre, schmerzt fast körperlich.

Man kann ja schließlich keinen Krieg führen, wenn dauernd vom Frieden die Rede ist.

Den Matrosen wird es verboten Zeitungen zu lesen, und wenn ihre Beschwerden ausnahmsweise einmal angenommen werden, so wird der Beschwerdeführer anschließend sofort genauestens kontrolliert und beim kleinsten Anlass sofort in Ketten gelegt. Jede Veränderung, politischer oder sozialer Art, wird als Affront gegen den Kaiser und das Vaterland angesehen und kategorisch abgelehnt, und selbst bei den Offizieren gibt es noch himmelweite Unterschiede: Die Deckoffiziere sind Techniker, ohne die das Schiff nicht fährt. Aber die Seeoffiziere weigern sich sogar, diese Deckoffiziere, also Ingenieure mit akademischer Bildung, als gleichberechtigt anzusehen. Gutes Essen gibt es nur für die Seeoffiziere, und wenn der Lärm der Ventilatoren im Offizierskasino zu laut ist, dann werden die Ventilatoren auf dem Schiff eben abgestellt – Und im Mannschaftsquartier beginnt es sofort zu stinken …

Wenn man MARINEMEUTEREI 197 allerdings ohne das Vorwissen um die damaligen Vorgänge ansieht, wird man schnell abgehängt. Die Dialoge sind scharf und schnell, vielleicht manchmal zu scharf und schnell, denn die Zusammenhänge zwischen einzelnen Szenen, ja sogar der zeitliche Abstand zwischen manchen Szenen, sind ohne Vorwissen nur schwer verständlich. Die Ausprägungen der damaligen deutschen Innenpolitik werden dem Zuschauer vor die Füße geworfen und der kann schauen wo er bleibt. Was so ganz nebenbei ein positives Schlaglicht auf die schulische Bildung des Jahres 1969 wirft, wo solche Dinge offensichtlich noch Allgemeinwissen waren. Dazu kommt die sehr niedrig budgetierte Machart mit hohem Bildungsanspruch, immerhin reden wir hier von einem Fernsehspiel mit wenigen Außenaufnahmen und ohne wirkliche Dynamik, und dann kann sich in Summe schnell eine gewisse Langeweile einstellen.

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Denn die Dynamik des Films (richtiger: Des Schauspiels) und seine innere Spannung entstehen ausschließlich über die Dialoge, das Dialogdrehbuch ist bewunderungswürdig geschrieben, und die Charakterisierungen der einzelnen Personen sind erstklassig herausgearbeitet. Manchmal vielleicht ein wenig zu plakativ, aber umgekehrt stehen einzelne Personen, wie es im Film nicht unüblich ist, für bestimmte Personengruppen. Der Oberleutnant z.S. Schuls, der mit seinen modernen und fortschrittlichen Ideen gegen Wände läuft. Der Kapitän z.S. Roden, der genau diese Wand ist, und alles, was nicht ein Seeoffizier ist, voller dünkelhaftem Abscheu betrachtet. Der Untersuchungsrichter Dr. Dobring, der genau weiß wie er die Leute zu verhören hat um die Aussagen zu bekommen die er braucht, der ausgesprochen selektiv ins Protokoll schreiben lässt, und seine Delinquenten kaum einmal aussprechen lässt, weil ihm der erste Satzteil, der vor dem aber, zur Überführung bereits ausreicht.
Ausgesprochen lebendige Figuren sind es, was die recht trockene Inszenierung dann wieder mehr als wett macht. Denn spannend ist der Film tatsächlich, vor allem gegen Ende hin, wenn der Untersuchungsrichter den Freisler macht und am liebsten alles erschießen lassen würde was bei drei nicht unter Deck ist. Auch ist sehr gut herausgearbeitet, wie sich so ein Vorgang emporschaukelt. Von der berechtigten Beschwerde über das Essen, bis zur versuchten Revolution ist es nur ein kurzer Weg, so scheint es, und dieser kurze Weg ist gespickt mit missgünstigen Kameraden, falschen Entscheidungen und viel zu wenig Mut. Oder zu viel …

Von daher ist MARINEMEUTEREI 1917 sehr wohl oder auch gerade heute sehenswert. Wenn es darum geht, das Verhalten des Rechtsstaates in der Gegenwart und in einer Krisensituation richtig beurteilen zu können. Und um zu erkennen, wie einfach es ist, vom Beschwerdeführer zum Terroristen zu mutieren und gebrandmarkt zu werden. Aber Vorwissen über die Zeit und die Vorgänge ist wie gesagt notwendig …

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6/10

Zum Nachlesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Albin_K%C3%B6bis
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Reichpietsch
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
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