His House - Remi Weekes (2020)

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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His House - Remi Weekes (2020)

Beitrag von jogiwan »

His House
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Originaltitel: His House

Herstellungsland: Großbritannien / 2020

Regie: Remi Weekes

Darsteller: Sope Diris, Wunmi Mosaku, Malaika Wakoli-Abigaba, Javier Botet, Matt Smith

Story:

Nach der Flucht aus dem Sudan und dem Verlust ihrer Tochter auf der illegalen Reise nach Europa landet das Ehepaar Bol und Rial Majur in einem Flüchtlingslager in London und wenig später in einem ihnen zugeteilten Haus, irgendwo in einem hässlichen Vorort. Anstatt jedoch erstmalig so etwas wie Normalität in das Leben der beiden Flüchtlinge eintritt, entpuppt sich das heruntergekommene Reihenhaus jedoch als Ort des Bösen, der die Beiden mit den Geistern ihrer Vergangenheit heimsucht. Was mit nächtlichen Geräuschen und Stimmen beginnt, wird aber immer mehr zur Gefahr, als die Alpträume immer realer werden und die Geister die das Ehepaar auch physisch attackiert. Das Umfeld und die Betreuer reagieren dennoch ablehnend und da keine Hilfe von außen zu erwarten ist, schlittert das Ehepaar immer tiefer in einem Abgrund aus Gewalt, aus dem es eigentlich entfliehen wollte.
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jogiwan
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Re: His House - Remi Weekes (2020)

Beitrag von jogiwan »

Bedrückender und betroffen machender Horrorstreifen, der seine Flüchtlingsthematik als Aufhänger für eine Haunted-House-Geschichte nimmt und aus der Sicht der Betroffenen erzählt wird. Zur gefährlichen Flucht aus Afrika kommen also auch noch Kulturschock, Trauma, die Einsamkeit und das Gefühl der Hilflosigkeit in der Ferne, die hier aufgegriffen und in die Geschichte eingearbeitet werden. „His House“ ist dabei überraschend funktional und das heruntergekommene Haus entpuppt sich als gruseliges Loch, in dem man natürlich selbst keine Sekunde verbringen möchte. Der Sehnsuchtsort des Paares entpuppt sich als Falle und die Geister der Vergangenheit wird man auch in der Ferne nie so richtig los. Dabei vermeidet Regisseur Remi Weekes aber den moralischen Fingerzeig und schafft ein beklemmendes Szenario, dass nicht politisch motiviert wirkt, aber seine Wirkung dennoch nicht verfehlt. „His House“ umschifft gekonnt alle Klippen gekonnt und schickt den Zuschauer auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle, bei der man nie sicher sein kann, was als Nächstes auf den Zuschauer wartet. Ein Film über Entmenschlichung am Puls der Zeit, der einem auch nicht loslässt und für mich zu den positiven Überraschungen des eher bescheidenen Jahres 2020 zählt, auch wenn der dem Zuschauer ebenfalls wenig schenkt.
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Arkadin
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Re: His House - Remi Weekes (2020)

Beitrag von Arkadin »

Obwohl ich Netflix habe, gehen solche Produktionen immer an mir vorbei. Ich finde es auch extrem schade, dass (zumindest die meisten) Netflix-Produktionen (noch?) nicht auf Scheibe erscheinen. So seltsam das ist: Ich greife eher ins Regal, als bei Netflix nach Filmen zu suchen. Vielleicht geht es aber auch nur mir so.
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jogiwan
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Re: His House - Remi Weekes (2020)

Beitrag von jogiwan »

Ich suche bei Netflix auch nicht wirklich selbst nach Filmen, sondern die werden mir alle in der riesigen Facebook-Gruppe für "Incredible Strange Films" empfohlen. Sonst würde ich die auch nicht suchen - geschweige denn selber finden. Ich finde Netflix super für Sachen, die ich mir nicht unbedingt in Regal stellen muss, wobei "His House" da sicher eine Ausnahme wäre. Andererseits... so schnell würde ich den nicht noch einmal schauen wollen.
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Salvatore Baccaro
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His House - Remi Weekes (2020)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: His House

Produktionsland: Großbritannien 2020

Regie: Remi Weekes

Darsteller: Sope Dirisu, Wunmi Mosaku, Malaika Wakoli-Abigaba, Matt Smith, Javier Botet


Das sudanesische Ehepaar Bol und Rial, das aufgrund anhaltender Konflikte in ihrer Heimat zwischen den Angehörigen zweier verfeindeter ethnischer Gruppen die Flucht gen England angetreten hat, fristet sein Dasein in einer tristen Flüchtlingsunterkunft, wo die Beiden nichts anderes zu tun haben als darauf zu warten, ob ihr Asylbescheid angenommen oder abgelehnt wird. Eines Tages eröffnet man ihnen, dass der britische Staat ihnen tatsächlich eine Chance geben wolle: Sie dürfen zwar keinem Broterwerb nachgehen, sich nicht das kleinste Vergehen zuschulden kommen lassen und müssen einmal pro Woche ausführlich Rapport bei der zuständigen Behörde erstatten, doch gewährt man ihnen den Einzug in ein Eigenheim am Rande der Stadt. Hierbei handelt es sich freilich um eine Bruchbude voller Ratten, zerschlissener Möbel, übelriechender Rückstände der Vormieter, und auch die Gegend, in die man Bol und Rial versetzt, fällt nicht unbedingt durch besonders ausgeprägte Fremdenfreundlichkeit auf: Die unmittelbare Nachbarin, eine spindeldürre Greisin, sagt Rial offen ins Gesicht, dass seine Frau und er eigentlich gar nicht erst ihre Sachen auspacken müssen, denn sie würden ja sowieso früher oder später in die Heimat zurückgeschickt werden. Während sich für Rial der Satz „We won’t go back!“ zum Mantra entwickelt und er alles dafür tut, sich an die kulturellen Gepflogenheiten Großbritanniens anzupassen, er sich weigert, selbst allein mit Bol weiter im Dinka-Dialekt zu sprechen, sondern fortan Oxford-Englisch bevorzugt, sich in der örtlichen Schenke unters Kneipenvolk mischt und Fußballhymnen mitgrölt, Bol dazu zwingen möchte, mit Messer und Gabel zu essen und die Mahlzeiten am Tisch und nicht, wie in ihrem vorherigen Leben üblich, auf dem Boden sitzend einzunehmen, entfremdet sich Bol immer mehr von ihrem Ehemann und erst recht von dem grauen Arbeitervorort, in dem sie sich genauso wenig zu Hause fühlt wie in dem viel zu großen, viel zu dreckigen Haus, das für unbestimmte Zeit ihre Wohnstatt sein soll. Unterschiedlich sind demnach auch die Alltagserfahrungen, die Bol und Rial machen: Rial zieht es immer mehr nach draußen, er erkundet auf eigene Faust das Viertel, erhält von einem lokalen Pastor ein Willkommensgeschenk; Bol wiederum igelt sich in ihren vier Wänden ein, irrt, wenn sie doch einmal die eigenen vier Wände verlassen muss, durch das Viertel wie durch ein lebensbedrohliches Labyrinth, begegnet den Einheimischen, mit denen sie notgedrungen in Kontakt treten muss, wie beispielweise einer sie untersuchenden Amtsärztin, mit Ablehnung und Wut. Besonders traumatisch ist es für Bol, als sie eine Gruppe dunkelhäutiger Jugendlicher nach dem Weg fragt, und diese sie mit rassistischen Schimpfworten überhäufen, sich über ihren Akzent lustig machen, ihr hinterherrufen, sie solle zurück in ihr Land verschwinden. Aber noch ein weiteres Trauma schlummert zwischen den Eheleuten: Nyagak, die kleine Tochter von Bol und Rial, ist während der Überquerung des Mittelmeers über Bord des viel zu kleinen Schlauchboots gefallen und ertrunken. Für Rial ist, wie er sagt, die Zeit der Trauer vorbei: Er will den Ballast der Vergangenheit hinter sich lassen. Doch das ändert nichts daran, dass sowohl die Eheleute alsbald von furchtbaren Alpträumen und Visionen gequält werden, in denen ihnen nicht nur Nyagaks Geist erscheint, sondern auch ein Wesen, das Bol als Apeth identifiziert, ein Dämon, der sie so lange martern wird, bis sie die Schuld, die sie durch Nyagaks Tod auf sich geladen haben, durch ein Sühneopfer zu tilgen bereit sind…

Mit modernem Mainstream-Horror kann man mich ja jagen wie den Teufel mit Weihwasser: Man mag mich für hoffnungslos altmodisch oder gar einen Kulturpessimisten halten, aber eine atmosphärische Inszenierung steht bei mir doch jederzeit wesentlich höher im Kurs als eine Überbietungsästhetik, bei der sich visuelle und auditive Jump Scares gegenseitig die Klinke in die Hand geben, und man zu allem Überfluss zur Darstellung übernatürlicher Phänomene auch noch auf CGI-Effekte zurückgreift, die zwar zum Zeitpunkt der jeweiligen Produktion auf der Höhe der Zeit angesiedelt sind, aber in wenigen Jährchen schon vom Zahn derselben bis auf die Knochen heruntergenagt sein werden. In all diesen Belangen stellt der britische Film HIS HOUSE, dessen Alleinstellungsmerkmal es auf den ersten Blick zu sein scheint, dass er das übliche Haunted-House-Thema mit einem Flüchtlingsdrama verknüpft, was seine Horror-Anteile betrifft nicht wirklich eine rühmliche Ausnahme dar: Gerade in den Szenen, wo es schaurig zugehen soll, treibt mich der Krach aus dem Off beinahe in den Wahnsinn, und auch die computergenerierten Bilder, die sich in den entscheidenden Augenblicken partout weigern, auch nur irgendetwas meiner eigenen Phantasie zu überlassen, helfen nicht wirklich dabei, dass ich mich unter den inszenatorischen Holzhammermethoden nicht aalgleich zu winden beginne. Besonders offensichtlich wird, was mir an Genre-Werken vom Schlage eines HIS HOUSE missfällt, in der obligatorischen Alptraumsequenz, bei der sich Regisseur Remi Weekes unübersehbar an der Motivik Lucio Fulcis orientiert: Sowohl ZOMBI 2 wie auch vor allem L’ALDILÀ wird für einen kurzen Moment gehuldigt, was an sich natürlich ein löbliches Unterfangen ist, nur offenbart HIS HOUSE durch die Entscheidung, explizit auf Referenzfilme zu verweisen, die gerade von ihren handgemachten Effekten, ihrem Style-over-Substance-Prinzip, ihrem Übermaß an Atmosphäre leben, im gleichen Atemzug fundamental die eigene inszenatorische Konventionshörigkeit. Auch handelt es sich eben nicht um einen Film wie UNDER THE SHADOW oder THE BABADOOK, die ihr Grauen auf subtile Weise aus den psychologischen Dispositionen ihrer Hauptcharaktere schöpfen und es ihrem Publikum überlassen, ob sie die dargestellten Ereignisse auf rationaler oder auf metaphysischer Basis bewerten wollen. Vielmehr macht HIS HOUSE zu keinem Zeitpunkt einen Hehl daraus, dass sich die zunehmenden Seltsamkeiten, denen sich unsere Helden ausgesetzt sehen, eben nicht eventuell nur in ihren durch den heimischen Genozid, ihre kräftezehrende Flucht, ihr Gefühl der Isolation in Großbritannien aus dem Gleichgewicht geratenen Köpfen existiert: In HIS HOUSE ist ein Dämon tatsächlich ein Dämon und etwaige psychoanalytische Erklärungsmuster bleiben Makulatur an seinen Hörnerspitzen.

Wobei das größte Problem, das ich mit HIS HOUSE habe, sein Unterfangen darstellt, unbedingt ein Horrorfilm sein zu wollen. Während mir all der Gespenster-Mumpitz so gut wie gar nichts zu geben vermochte, entfaltete der Film sein (verschenktes) Potential vor allem in der ersten Hälfte, wo er als herbes Sozialdrama beginnt. Zwar kann man dem Film vorwerfen, die autochthone Bevölkerung Britanniens auffällig unsympathisch zu zeichnen – da wimmelt es von rassistischen Nachbarn, die den ungebetenen Gästen schon mal vor die Haustür pinkeln, von Beamten, die der Lebenswirklichkeit der Geflüchteten, die sie betreuen sollen, vollkommen entrückt sind, von Migrantenkindern, die ihrerseits aus einer überlegenen Position heraus auf die Neuankömmlinge herabspucken, und selbst die wenigen ambivalenten Figuren wie ein Sozialarbeiter, der früher Banker gewesen ist und sich nun widerwillig um Flüchtlingsangelegenheiten kümmern muss, bleiben weit auf Distanz gerückt, was man besonders schön in der Szene sieht, als Rail vom örtlichen Pfarrer ein Paket mit kleinen Aufmerksamkeit überreicht bekommt, und der Geistliche nur einmal kurz überhaupt zu sehen ist, und zwar in einer distanzierten Totalen –, regelrecht brillant erweist er sich aber darin, die Ängste, Hoffnungen, Entfremdungsgefühle nachzuzeichnen, mit denen sich unsere Helden nach dem Einzug in ihr rattenverseuchtes Heim herumschlagen müssen: Wie Rail versucht, sich vorbildlich in die englische Gesellschaft zu integrieren, seine Sprache, seinen Kleidungsstil, seine Essgewohnheiten peu à peu über den Haufen wirft oder wie Bo sich zunehmend in ihrem Haus einkapselt und jeder Schritt vor die Tür sie den Großteil ihrer Kraftressourcen kostet, das schildert HIS HOUSE mit einer Zurückhaltung, einem präzisen Blick für Unauffälligkeiten, einem niemals kitschigen oder plakativen Naturalismus, dass es mir eine wahre Freude bereitet hat. Emotionaler Höhepunkt des Films ist indes eine traumgleiche Rückblende, die uns in den Sudan katapultiert, wo sie sich an den einzelnen Stationen entlanghangelt, die dazu geführt haben, dass Bo und Rail die Zelte in ihrem Heimatland abbrechen mussten, und die, gerade weil ihr Schrecken ein realer ist und keiner aus dem Arsenal der Schauerromantik, mich ungleich mehr berührt und verstört hat als all die zombiehaften Kreaturen und Gespensterkinder, die die Protagonisten zur Nachtzeit heimsuchen – zumal die Sequenz in einem zumindest für mich völlig unvorhersehbaren Plot-Twist etwas Entscheidendes über das Verhältnis zwischen Bo und Rail zu ihrer verstorbenen Tochter verrät, das einem durchaus einen Kloß in den Rachenbereich stopfen kann.

Alles in allem ist HIS HOUSE also eine zwiespältige Angelegenheit, und hätte man sich entschieden, die genrelastigen Anteile des Streifens auf ein Minimum zu reduzieren oder gleich ganz wegzulassen, und sich dafür noch stärker darauf konzentriert, die Situation nach Europa gelangter (sudanesischer) Flüchtlinge zwischen Integrationsbereitschaft, Traditionsbewusstsein, kulturellem Crash, Vergangenheitsbewältigung und Diskriminierungserfahrungen facettenreich aufzufächern, hätte mir das Spielfilm-Debut von Herrn Weekes wesentlich besser behagt – Fulci-Zitate hin und her…
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