Zeiten ändern dich - Uli Edel (2010)

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Salvatore Baccaro
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Zeiten ändern dich - Uli Edel (2010)

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Originaltitel: Zeiten ändern dich

Produktionsland: Deutschland 2010

Regie: Uli Edel

Cast: Bushido, Elyas M'Barek, Hannelore Elsner, Moritz Bleibtreu, Karel Gott, Uwe Ochsenknecht, Katja Flint, Karoline Schuch, Martin Semmelrogge


Obwohl ich nie wirklich einen Zugang zu deutschsprachigem Gangsterrap gefunden habe und mir gerade auch die Erzeugnisse des Labels Aggro Berlin, das während meiner Schulzeit seinen kommerziellen Zenit erreichte, zumindest in den wenigen Songs, die mir davon seinerzeit zu Ohren gekommen sind, stets zu monothematisch, zu prollig, zu angestrengt auf Provokation gebürstet erschienen, hat sich bei mir im Laufe der Jahre doch ein bisschen was an Expertise zu Bushido aka Sonny Black aka Anis Mohamed Youssef Ferchichi angesammelt – allerdings weniger, was seinen konkreten musikalischen Output betrifft, sondern eher bezüglich des ganzen Drumherums: Die Tatsache, dass ihn nordische Black-Metal-Bands verklagten, weil er in mehreren Songs unerlaubterweise 1:1 deren Keyboard-Melodien verwendet haben soll; der Umstand, dass er sich zeitweise an einem bürgerlicheren Image versuchte, beispielweise ein Praktikum im Bundestag absolvierte und in Leuten wie Peter Maffay oder Karel Gott Kollaborationspartner jenseits des Straßenraps suchte und fand; dass er dann aber immer wieder zurückfiel in die juvenile Lust am Krawall und anscheinend ganz bewusst kalkulierte, dass zum Beispiel ein Song wie „Stress ohne Grund“, in dem er, unter anderem, die Grünen-Politikerin Claudia Roth einem (verbalen) Kugelhagel aussetzt, sodass sie am Ende „Löcher wie ein Golfplatz“ hat, schnurstracks von den Charts auf den Index wanderten; schließlich die von den gängigen Boulevardmedien besonders arg ausgeschlachtete Auseinandersetzung mit seinem früheren Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker, den er in einem Diss-Track gar mit Mephisto persönlich vergleicht, weil der Clan-Chef ihn einst dazu genötigt haben soll, ihm seine Seele – und einen Großteil seiner Tantiemen! – zu vermachen. Hinzukommen die einschlägigen Talkshow- und Fernsehauftritte, in denen Bushido wahlweise gegen alles und jeden pöbelt oder sich zum Unschuldslamm hochstilisiert, - und gerade erst kürzlich hat Amazon eine eigenproduzierte Serie veröffentlicht, in der wir Bushido nebst Gattin und vielköpfiger Kinderschar angeblich völlig „unzensiert“ als Privatmann erleben können. Etwas aus dem breitgefächerten Oeuvre des Rappers hatte ich mir bislang allerdings nicht gegeben: Den Kinofilm ZEITEN ÄNDERN DICH, mit dem Produzent Bernd Eichinger und Regisseur Uli Edel Bushido 2010 zum Filmstar machen wollten – und der seinerzeit dermaßen schlechte Kritiken erntete, dass es Bushidos erster und letzter Ausflug auf die Leinwand geblieben ist. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir selbst einen Diss-Track (und Golfplatzlöcher) einfange, muss ich nach Sichtung dieser verfilmten Lebensgeschichte konstatieren: Wenn unbedarfte Amateurfilmer ein solches Machwerk auf die Menschheit loslassen, kann man das ja vielleicht noch mit mangelnder Erfahrung und fehlender Weitsicht erklären, - doch was einen gestandenen Produzenten wie Eichinger dazu veranlasst haben mag, den Streifen in dieser Form der Kritik zum Fraß vorzuwerfen, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären…

Bushido spielt sich selbst, - zunächst in einer Rahmenhandlung, die ihn auf Deutschlandtour mit seinen Homies Kay One und Nyze zeigt. Diese Tour wiederum gibt dem Film genügend Gelegenheit, sehr viel Zeit mit wenig bis überhaupt nicht motivierten Aufnahmen von Konzerten und Soundchecks totzuschlagen. Wenn Bushido nicht gerade Messehallen beschallt, hadert er jedoch mit dem Verhältnis zum eigenen Vater. Der nämlich hat ihm einen Brief geschrieben, wohlgemerkt der erste seit Jahren: Er sei todkrank, habe nicht mehr lange zu leben, und sein einziger Wunsch ist es, seinen Sohn noch einmal wiederzusehen. Verlassen hat Bushidos Vater die Familie früh, nachdem er die Mutter regelmäßig im Vollrausch mit grünen und blauen Flecken übersäte. Seitdem ist der Kontakt zwischen Vater und Sohn verständlicherweise zerrüttet. Nur einmal hat Bushido seinen Vater besucht und erschrocken festgestellt, dass er nicht das geringste Schuldbewusstsein besitzt, seine eigenen Vergehen vielmehr auf die Schultern von König Alkohol oder gar auf diejenigen von Bushidos Mutter abwälzt, die den Buben in entbehrungsreichen Jahren allein großgezogen hat. Der Brief seines Erzeugers führt Bushido dazu, sein gesamten bisheriges Leben Revue passieren zu lassen – und weil wir uns in einem Bushido-Film befinden, dürfen wir hautnah teilhaben, wie Bushido uns mitnimmt auf eine Reise in seine Kindheit, als er zur Freude seiner Mitschüler (und zum Unmut seines Klassenlehrers) im Deutschunterricht Goethes „Erlkönig“ runterrappt, zu wichtigen Stationen seiner Jugend, als er sich mit Marihuana-Dealen eine goldene Nase verdient, bevor ihn die Justiz dazu zwingt, eine Ausbildung als Maler und Lackierer zu beginnen, zu den Anfängen seiner Karriere, den ersten eigenhändig verfassten Hip-Hop-Lines, der Zeit bei Aggro Berlin, (in ZEITEN ÄNDERN DICH, warum auch immer, als „Hardcore Berlin“ verklausuliert), schließlich zur Gründung des eigenen Labels „ersguterjunge“ und dem Aufstieg zum Mainstream-Superstar, der seine derzeit laufende Tournee mit einem gigantischen Auftritt am Brandenburger Tor abzuschließen plant.

Inhaltlich begnügt sich ZEITEN ÄNDERN DICH damit, seinem Hauptdarsteller eine Plattform zu liefern, auf der er sich a) als knallharten Straßenrapper aus prekären Verhältnissen, b) als Opfer sozialer Benachteiligung, gesellschaftlicher Missstände und privater Schicksalsschläge, und leider auch c) als mit Abstand schlechtester Schauspieler eines hochbudgetierten Spielfilms generieren darf, den ich jemals erleben durfte. Wie völlig kritiklos die Handlung Bushidos eigenhändig entworfenem Selbstbild folgt, ist schlicht erstaunlich: Lange Laufzeitstrecken bringt ZEITEN ÄDERN DICH damit zu, die Beziehung zwischen Bushido und seiner langjährigen Freundin Selina zu schildern - denn, tatsächlich!, statt Groupieexzessen und Gruppensexorgien ist unser Held während eines Großteils seiner Adoleszenz Mitglied einer monogamen Beziehung. Dazu stammt Selina auch noch aus bestem Hause – was der Film unter anderem dadurch darstellt, dass sie einen eigenen Butler hat, der ihr das Mittagsmahl an den Esszimmertisch bringt (!) und sie zur Schule fährt. Ihre Eltern wiederum entpuppen sich als versnobte Rassisten, die es natürlich überhaupt nicht gerne sehen, dass ihr Töchterchen mit einem arabischstämmigen Arbeitsscheuen anbandelt – und Bushido deshalb beim ersten gemeinsamen Abendessen Alkohol und Schweinefleisch kredenzen lassen, was der gläubige Moslem natürlich nicht anfassen darf. (Wie wir später erfahren werden, stehen für ihn das Rauchen von kiloweisem Weed, exzessive U-Bahn-Prügeleien und das Dichten mindestens frauenfeindlich auslegbarer Songtexte in keiner Diskrepanz zur islamischen Religion.) Überhaupt befindet sich diese Prinzessin-&-Bettelknabe-Love-Story auf besonders wackligen Stelzen: Was genau denn Selina an dem permanent als Macho auftretenden, sich mit kriminellen Machenschaften über Wasser haltenden, sie einmal gar ohrfeigenden Rüpelrapper findet, konnte der Film zumindest mir zu keinem Zeitpunkt plausibel machen, denn während Selina alsbald ihre Tage im Hörsaal verbringt, da sie ein Jurastudium begonnen hat, zieht Bushido mit Kumpel Fler um die Häuser, schmiert öffentliche Wände mit Graffiti voll und haut verfeindeten Sprayer-Banden auf die Schnauze. Trifft sich das Pärchen dann doch mal jenseits ihrer eigentlichen Bubbles, ist Zwist vorprogrammiert. Immerhin scheint der Sex zwischen den beiden zu stimmen – was der Film zum Anlass für eine Slapstick-Sexszene nimmt, die den Begriff „fremdschaminduzierend“ neu definiert.

Aber auch jenseits solcher „romantischer“ Momente wirkt ZEITEN ÄNDERN DICH wie eine große Weißwaschmaschine, deren Ansinnen es überhaupt nicht ist, kontroverse Themen anzuschneiden, politische Realität abzubilden, sich irgendwie an ihrer Hauptfigur zu reiben: Dass Bushido beispielweise jahrelang seinen Lebensunterhalt als Drogendealer verdient, nimmt der Streifen ebenso schulterzuckend hin wie es seine seltsam abwesende Mutter tut, der er nur auf die Nase binden muss, das Zeug, nach dem bald die ganze Wohnung riecht, sei eigentlich genauso harmlos wie Kräutertee und mehr Medizin als Rauschmittel, und schon steigt sie sogar finanziell in den Drogenhandel mit ein! Vollends den Boden verliert das Fass indes, wenn ZEITEN ÄNDERN DICH schildert, wie Bushido sich aus einem Knebelvertrag mit seinem alten Label Aggro löst, der eigentlich vorsieht, dass er die Rechte an seinen ersten beiden Alben vollends abtreten muss, sobald er das Label wechselt. Hierzu erhält er von einem Shisha-Bar-Greis den Tipp, es doch mal bei Arafat Abou-Chakar zu versuchen, Kopf einer stadtbekannten arabischen Großfamilie – tja, und der stattet daraufhin dem Aggro-Chef zusammen mit ein paar Gorillas einen muskelbepackten Besuch ab, nach dem Bushidos Manager kleinlaut alles unterschreibt, was ihm sein ehemaliger Schützling und dessen neuer Pate vorlegen. In erheblicher Diskrepanz steht diese Glorifizierung krimineller Strukturen zu dem familienfreundlichen Anstrich des Finales, wenn Bushido sich mit dem sterbenskranken Papa versöhnt, das Brandenburger Tor mit seinen harmlosesten Pop-Hits beschallt und sogar Schlager-Urgestein Karel Gott auf die Bühne kommt, wo er zusammen mit Bushido ein schlagaresques Alphaville-Cover trällert und nebenbei unverhohlen mit Bushidos Mutter flirtet. Innerhalb von Lidschlägen wechselt in ZEITEN ÄNDERN DICH das Image des Protagonisten: Eben noch hat Bushido übellaunig seine Roadies und Kollegen bei einem Soundcheck zur Sau gemacht, im nächsten Moment guckt er mit Dackelblick in die Kamera, dass das Herz einer jeden Schwiegermutter in spe erweichen muss.

Einmal abgesehen von all diesen dramaturgischen und storytechnischen Plattitüden ist ZEITEN ÄNDERN DICH zudem einer der am schlechtesten geschauspielerten Filme meines Lebens: Da helfen selbst renommierte Darsteller und Darstellerinnen wie Moritz Bleibtreu als im Grunde herzensguter Clan-Chef oder Hannelore Elsner als treudoofe Mutter wenig, - zumal diese wirken, als würden sie einfach nur ohne großes Engagement ihre jeweiligen Szenen in den Kasten bringen wollen; da nutzt es nichts, wenn Martin Semmelroge in einem reichlich unlustigen Cameo als Tätowierer von Bushido physisch attackiert wird oder dass Selinas standesbewusster aka diskriminierende Sprüche klopfender Vater mit Uwe Ochsenknecht besetzt wurde, wenn ihnen Dialoge in den Mund gelegt werden, die die Subtilität einer Bravo-Photostory besitzen; und da kann man sich schon gar nicht vorstellen, dass jemand wie Elyas M’Barek, der den jugendlichen Bushido mimt, einmal zu einem der erfolgreichsten Schauspieler Deutschlands aufsteigen sollte, so wie er sich hier völlig verkrampft um authentisch wirken sollendes und dadurch letztlich einfach nur peinliches „Kanaksprech“ bemüht. Größtes schauspielerisches Manko aber sind freilich all die Personen, die sich quasi selbst spielen: Allen voran Bushido persönlich, der weder als jede noch so kleine Banalität lang und breit ausklamüsernder Off-Sprecher noch als Darsteller seiner selbst eine gute Figur macht; unterstützt wird er beim Laienspiel von Rap- und Label-Kollegen wie Kay One oder Fler, die neue Maßstäbe im Sektor Ausdruckslosigkeit setzen, (und die interessanterweise heute beide mit Bushido gnadenlos zerstritten sind.)

Höhepunkt dieses neunzigminütigen Versuchs, das Wort „Cringe“ audiovisuell darstellen zu wollen, ist vielleicht jene Szene, in der Bushido dazu inspiriert wird, seinen ersten Rap-Text zu Papier zu bringen. Eben hat sich die schmerzhafte Trennung von Selina vollzogen, (wohlgemerkt vor allem schmerzhaft für Selina, denn Bushido ist ihr gegenüber „im Affekt“ die Hand ausgerutscht.) Zurück zu Hause stolpert er just ins mütterliche Wohnzimmer, als dort die ersten Bilder des Anschlags aufs World Trade Center am 11. September 2001 über den Äther flimmern. In Schockstarre wohnen Bushido, seine Mutter und sein jüngerer Bruder der Live-Berichterstattung bei. Kurz darauf begibt sich unser Held ins Jugendzimmer und schreibt, als sei ein innerer Damm gebrochen, in ein paar Lines seinen Liebeskummer nieder. In einem wahrlich unfassbaren Off-Kommentar wird uns die Bedeutung dieser Szene von Bushido wie folgt erklärt: „Für mich brach eine Welt zusammen. Dann geschah etwas ganz und gar Unvorhergesehenes. Das war bei Weitem das Krasseste, das ich je in meinem Leben gesehen habe. Es war so krass, dass es mir vollkommen virtuell erschien. Wie in einem Endzeit-Video-Game. Ich fühlte gar nichts. Die Welt stand sozusagen in Flammen. Aber alles, an was ich denken konnte, war Selina. Doch das Gefühl war ein anderes als das, das mich die langen Monate seit unserer Trennung gequält hatte. IN Angesicht von Tod und Chaos überfiel mich auf einmal schlagartig der überwältigende Wille zu leben. Ich wusste plötzlich: Ich konnte Musik machen. So entstand mein erster Text.“ Ich weiß gar nicht, worüber ich mehr den Kopf schütteln soll: Darüber, wie hilflos dieser Monolog mit der deutschen Sprache umgeht; darüber, wie nahezu pietätlos es anmutet, dass man einen Gewaltakt wie 09/11 zur Inspirationsquelle für Hau-Drauf-Gangster-Rap-Zeilen hochstilisiert; darüber, dass es, einmal mehr, Produzent (und Drehbuchautor!) Eichinger, Regisseur Uli Edel und Hauptdarsteller Ferchichi für eine auch nur ansatzweise für eine gute Idee hielten, einen solchen unbegreiflichen Moment in großem Stil auf Kinoleinwände zu hieven.

Tränendrüsenstimulation via Holzhammer, schamlose Selbstglorifizierung, unreflektiertestes Preisen von Pimp- und Gangster-Lifestyle, Anti-Schauspiel direktemang aus dem Limbus, eine Mise en Scene aus dem Handbuch für kreativitätsfernes Filmemachen sowie uferlos Einblicke in Big-Budget-Rap-Shows vor historischer Kulisse – all das macht ZEITEN ÄNDERN DICH für mich zu einem heißen Anwärter auf den Preis des hundsmiserabelsten Spielfilms, der dieses Jahr meinen Weg gekreuzt hat.
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