Supermarkt - Roland Klick (1973)

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Onkel Joe
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Supermarkt - Roland Klick (1973)

Beitrag von Onkel Joe »

supermarkt.jpg
supermarkt.jpg (91.86 KiB) 509 mal betrachtet

Originaltitel: Supermarkt

Herstellungsland: Deutschland / 1973

Regie: Roland Klick

Darsteller: Charly Wierczejewski, Eva Mattes, Michael Degen, Walter Kohut, Hans-Michael Rehberg, Eva Schukardt, Rudolf Brand, Witta Pohl u. A.

Story:
Hamburg in den frühen Siebzigern: Der 18jährige Willi (Charly Wierzejewski) ist von Zuhause abgehauen und lebt seitdem auf der Straße. Der Journalist Frank (Michael Degen) will ihm aus dieser Situation helfen und lässt ihn bei sich und seiner Freundin wohnen. Willi hält es dort allerdings nicht lange aus und landet erneut auf der Straße. Er verliebt sich in die junge Prostituierte Monika (Eva Mattes) und will sie dazu bringen mit dem Anschaffen aufzuhören. Um an Geld zu kommen lässt Willi sich mit dem alkoholkranken Gangster Theo (Walter Kohut) ein, der ihn zunächst auf den Strich schicken will, um homosexuelle Freier auszurauben. Wenig später macht er Willi zu seinem Komplizen und plant einen Überfall auf einen Geldtransporter...
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Blap
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von Blap »

Supermarkt (Deutschland 1973, Originaltitel: Supermarkt)

Willi (Charly Wierczejewski) ist ein junger Bursche der in Hamburg auf der Strasse rumgammelt. Ständig den Arm des Gesetzes im Nacken, keine echten Perspektiven, keinen Zaster in der Tasche. Der Journalist Frank (Michael Degen) führt ein gutbürgerliches Leben, er befindet sich in einer Gutmenschphase und will dem jungen Mann unter die Arme greifen. Willi durchschaut zunächst nicht, dass Frank vor allem sich selbst damit helfen will, seinem langweiligen Spiesserleben einen neuen Sinn geben will. Derweil treibt sich Willi auch mit dem schmierigen Kleinkriminellen Theo (Walter Kohut) rum, unter dessen Fuchtel er helfen soll homosexuelle Männer abzuzocken. Willi entwickelt Gefühle für die abgewrackte Hure Monika (Eva Mattes), er will mit ihr abhauen, raus aus dem Dreck der Großstadt, auf in ein neues Leben. Das dazu benötigte Geld will Willi bei einem Raub erbeuten, den er mit Theo durchziehen will...

Roland Klick konnte mit "Bübchen" (1968) und "Deadlock" (1970) auf sich aufmerksam machen, 1973 liess er mit "Supermarkt" einen weiteren Höhepunkt des deutschen Kinos vom Stapel. Klick ergeht sich nicht mit erhobenem Zeigefinger in verquasten Phrasen, liefert kein pseudointellektuelles Kunstkino ab, biedert sich aber auch zu keiner Zeit dem Mainstream an. Der Film zeichnet ein erdiges, dreckiges Bild -das Hamburg der frühen siebziger Jahre liefert die perfekte Kulisse- erzählt seine Geschichte konsequent, kann mit motivierten und talentierten Schauspielern auftrumpfen. Charly Wierczejewski ist die Rolle des armen Würstchens Willi wie auf den Leib geschneidert, Respekt vor dieser Darstellung! Michael Degen enttarnt den gutbürgerlichen Spiesser, der sich in erster Linie selbst auf einen Sockel stellen möchte. Eva Mattes -heute als Tatort Kommissarin bekannt- überzeugt mit ihrer Darbietung ebenso, verleiht der kleinen Hure Herz und Seele. Die Kamera ist dabei immer voll auf der Höhe des Geschehens, Klick verzichtet dabei auf ausufernde Schauwerte und allzu wüste Ausbrüche. Diese hat der Film auch zu keiner Zeit nötig, er fesselt den geneigten Zuschauer von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Ich möchte ein Zitat einbauen, welches auf der Rückseite des DVD Covers zu lesen ist: "Klicks rasantestes, rührendstes, ausweglosestes Stück Kino, ein rauher Großstadtfilm ohne Millieu-Romantik oder -Mythos, starr vor Dreck und trotzdem herzlich." Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen! Vor allem fällt die Frische, die Zeitlosigkeit des Werkes auf. Der Film erscheint mir gerade in der heutigen Zeit aktueller denn jemals zuvor. Wie bemerkt Kameramann Jost Vacano sinngemäß im Bonusmaterial: "Heute wären die Haare etwas kürzer und die Autos moderner." Die DVD der Filmgalerie 451 ist übrigens sehr empfehlenswert. "Supermarkt" liegt in schöner Qualität vor, das Material wurde offensichtlich sorgfältig aufbereitet, nicht per massivem Filtereinsatz zerstört und seiner Seele beraubt. Der Bonusbereich bietet mehrere Interviews mit Klick an, beim ausführlichsten Vortrag ist auch Jost Vacano anwesend. Man erfährt hier wirklich interessante Details, kein sinnfreies Hochgelobe und Selbstbeweihräuchern.

Hier kann nur eine ganz, ganz dicke Empfehlung stehen! Sehr gut = 8/10

Lieblingszitat:

"Beim nächsten Mal gehste zu Bruch Junge! Mit Leuten wie dir, sind wir ganz schnell fertig!"
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buxtebrawler
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von buxtebrawler »

Klingt total klasse, muss ich sehen!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Onkel Joe
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von Onkel Joe »

Der Film ist genau wie Deadlock von Klick ein 100% Gewinner und eine ganz große Kaufempfehlung an alle die diese beiden Filme noch nicht haben.
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
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Santini
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von Santini »

buxtebrawler hat geschrieben:Klingt total klasse, muss ich sehen!
Dann mal brav am 19.3. um 21.15 ins Metropolis Kino marschiert. 8-)

Supermarkt

BRD 1973, Roland Klick 80 min.

Mit Charly Wierzejewski, Walter Kohut, Eva Mattes, Michael Degen

Da ist einer auf der Flucht, die ganze Zeit, und kann seinem Leben doch nicht entkommen. Ein Kleinkrimineller auf der Suche nach Halt, den er nicht bekommt. Am Ende der Überfall und das große Geld. Und an seinen Fersen klebt die bewegte Handkamera von Jost Vacano (Das Boot).
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buxtebrawler
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von buxtebrawler »

Santini hat geschrieben:Dann mal brav am 19.3. um 21.15 ins Metropolis Kino marschiert. 8-)
Ok. Du kommst mit?
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von buxtebrawler »

Roland Klicks „Supermarkt“ aus dem Jahre 1973 ist als Milieustudie angelegt sicherlich ein typisches Kind seiner Zeit. In Hamburg spielend, mag aus heutiger Sicht aber der dokumentarische Stil irritieren, der auf Erklärungsversuche für Willis Verhalten, der minderjährig von zu Hause abgehauen ist und sich auf der Straße durchzuschlagen versucht, weitestgehend verzichtet und auch keine aufregenden Plottwists oder Pointen liefert. Daher fällt es dem Zuschauer schwer, sich mit Willi zu identifizieren und er muss erkennen, dass es sich bei „Supermarkt“ nicht unbedingt um einen sozialpädagogischen Problemfilm handelt. Dennoch sind Ansätze von Sozialkritik durchaus vorhanden, so z.B. in der Figur des um Gutmenschentum bemühten Journalisten, bei dem sich der Verdacht erhärtet, dass er Willi nicht um seiner selbst wegen, sondern vielmehr zur Stärkung seines von aufgrund seines im Bürgertum angelangten gesellschaftlichen Standards vom schlechten Gewissen geplagten Egos helfen möchte – sehr zum Leidwesen seiner entnervten Lebensgefährtin. Am beeindruckendsten aber ist das im Laufe der Jahrzehnte bestimmt zu einem der größten Boni des Films gereifte Zeit- und Lokalkolorit in Form der Trostlosigkeit eines miefigen, hässlichen Deutschlands zu Beginn der 70er Jahre, das hervorragend zur desillusionierenden Handlung des Films passt. Weitere Authentizität erlangt „Supermarkt“ durch den Umstand, dass normale Passanten häufig unwissend und unfreiwillig als Komparsen herhalten mussten. Seinerzeit vermutlich aus der Not heraus geboren, heute ein interessantes Detail, das den dokumentarischen Stil verstärkt. Während der Zuschauer den Werdegang des Protagonisten mal mehr, mal weniger kopfschüttelnd, dann und wann auch verständnisvoll verfolgt, reitet dieser sich mehr und mehr in die sprichwörtliche Scheiße und macht Erfahrungen mit Jugendamt, Straßenstrich und Kriminalität. Statt eines Happy Ends präsentieren uns Klick und sein hervorragender Kameramann Jost Vacano, der u.a. rasante, schnittfreie Kamerafahrten realisierte, eine symbolträchtige, atmosphärische Schlusssequenz, die in ihrer ausweglosen Monotonie den richtigen Schlusspunkt hinter die Geschehnisse setzt. Interessant übrigens das Mitwirken des seinerzeit noch unbekannten Marius Müller-Westernhagens, der nicht nur Willi seine Synchronstimme lieh, sondern auch den sehr stimmigen, melancholischen Titelsong „Celebration“ einsang. Als Fazit möchte ich Roland Klicks „Supermarkt“ als nicht unbedingt lebensbejahendes, ungewöhnliches und eigenständiges Stück Film bezeichnen, das den Zuschauer mit einer nicht immer leicht nachvollziehbaren Handlung auf die Probe stellt und wegen seines Einblicks in eine vergangene Zeit heute vielleicht sogar interessanter als damals ist.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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CamperVan.Helsing
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Läuft heute um 22.30 auf ZDF Kultur, allerdings gegen harte Konkurrenz: Tele5 bringt "2-Headed shark attack"!

Allerdings sagt meine Programmzeitung, dass gleich danach um 00.05 Uhr der Supermarkt erneut geöffnet wird.
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CamperVan.Helsing
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Da ich den Film (weiterhin sehr empfohlen) gerade noch mal auf ZDF Kultur gesehen habe, sei hier mal ausdrücklich die Kameraarbeit von Jost Vacano gelobt.


Und da ich mein altes VPS-Tape nicht greifbar habe und keine DVD besitze, mal eine Frage: In einer kurzen Szene ist ein Wirt zu sehen, der mich stark an Karl Dall erinnerte. Kann das sein?
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CamperVan.Helsing
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Re: Supermarkt - Roland Klick

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Nachdem ich seit einigen Monaten nun endlich auch die 451-Scheibe mein eigen nennen kann, habe ich mir den Film erneut angeschaut und kann ihn weiterhin nur empfehlen. Und nachdem ich nun vor den Toren Hamburgs wohne, wirkt für mich noch interessanter, wie abgeranzt teilweise die Stadt hier aussieht.
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