Spuk aus der Gruft - Günter Meyer (1998)

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Salvatore Baccaro
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Spuk aus der Gruft - Günter Meyer (1998)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Spuk aus der Gruft

Produktionsland: Deutschland 1998

Regie: Günter Meyer

Darsteller: Saskia Grasemann, Nina Hoger, Benjamin Sadler, Matthias Schweighöfer, Kurt Böwe, Friedrich Lindner, Walter Plathe


Regisseur Günter Meyer und Drehbuchautor Claus-Ulrich Wiesner zählen zu den Koryphäen des Kinder- und Jugendfilms der DDR. Vor allem mit der sogenannten SPUK-Reihe, die 1978 mit SPUK UNTERM RIESENRAD beginnt, 1982 mit SPUK IM HOCHHAUS fortgesetzt wird und 1987 mit SPUK VON DRAUSSEN ihr (vorläufiges) Ende findet, beschert das Duo seinem minderjährigen Zielpublikum funkelnde Augen und der DEFA klingelnde Kinokassen, (nachdem die Filme ursprünglich fürs DDR-Fernsehen konzipiert gewesen sind und dort ihre Uraufführungen erlebt haben.) Während mir diese frühe Trilogie (bislang) noch unbekannt ist, - es scheint sich aber, den Inhaltsangaben nach, um jeweils eigenständige Werke zu handeln, die rein ästhetisch und durch ein ähnliches Grundthema („Es spukt irgendwo“) miteinander verbunden sind –, hat mich nun aber die Muse geküsst und mir zusätzlich zu ihrem Schmatzer drei Filme auf dem Silbertablett serviert, mit denen sich Meyer und Wiesner in den späten 90ern, frühen 2000ern noch einmal an einer vergleichbaren Thematik versucht haben: 1998 knüpfen sie mit SPUK AUS DER GRUFT an ihre vorherigen Erfolge an – (unter anderem gewinnt der Streifen den renommierten Jugendfilm-Preis „Goldener Spatz“) –, und lassen anschließend noch SPUK IM REICH DER SCHATTEN (2000) sowie SPUK AM TOR DER ZEIT (2002) folgen. Auch diese drei Filme existieren, wie die Werke aus den 70ern/80ern, in zwei unterschiedlichen Varianten, nämlich jeweils als vierteilige Mini-Serie fürs Kinderfernsehen sowie als auf neunzig Minuten zurechtgestutzte Langfilmfassung. Anders als die DDR-Spukgeschichten jedoch erzählen Wiesner und Meyer in ihrem BRD-Reboot eine sich sukzessiv über alle drei Filme hinweg entwickelnde Geschichte mit gleichbleibendem Ensemble, Schauplatz und „mythischem“ Unterbau. Grundlage ist die Sage um den märkischen Edelmann Christian Friedrich von Kahlbutz, der sich nach seinem Tod zu Verwesen weigerte und noch heute als Mumie in seinem Geburts- und Sterbeort Kampehl in Brandenburg bestaunt werden kann. Um diese makabre Touristenattraktion stricken Wiesner und Meyer eine schauerromantische Coming-of-age-Story, die sich wie folgt anhört:

Als ihre alleinerziehende Mutter von einem Onkel, von dessen Existenz sie nicht mal etwas gewusst hat, dessen seit Ewigkeiten leerstehenden Gasthof irgendwo in der brandenburgischen Provinz erbt, ist die junge Maja gezwungen, zusammen mit ihrem noch jüngeren Bruderherz Marco die Großstadt zu verlassen und sich mit dem Gedanken zu arrangieren, den Rest ihrer Jugend in der Pampa verbringen zu müssen. Das Örtchen Roggelin entspricht auch wirklich all dem, was ein kurz vor der Pubertät stehendes Mädchen zum Schreien finden kann: Keine Discos, keine nennenswerte Jugendkultur, dafür als einzige Attraktion des verschlafenen Nests die Mumie des Friedrich Freiherr von Kuhlbanz, die man in der Familiengruft in ihrem gläsernen Sarg bestaunen kann, - sofern man dem greisen Hermann, der das Schaustück betreut, einen kleinen Obolus entrichtet hat. Die Legende besagt, dass Friedrich vor 300 Jahren des Mordes an einem Schäfer namens Dühn angeklagt worden sei. Grund hierfür soll die Weigerung des Schäfers gewesen sein, Friedrich die Hand seiner Tochter zu schenken. Noch auf dem Schafott beteuerte Friedrich jedoch, seinen Schwiegervater in spe nicht angerührt haben. Zum Beweis für seine Unschuld soll sein Körper solange unverwest bleiben, bis der wahre Schuldige gefunden worden ist.

Für Maja sind das freilich alte Kamellen, die ihre Antipathie vor Roggelin nur noch nähren. Misstrauisch beäugt sie, wie ihre Mutter mit dem Bürgermeister anbandelt, in dessen Haus man erstmal unterkommt, da das Gemäuer des verblichenen Onkels erstmal noch zu baufällig ist, um bewohnt zu werden. Auch der Sohn des Bürgermeisters, Torsten, geht Maja gehörig auf die Nerven, - zumal er ein Auge auf sie geworfen hat und sie permanent davon zu überzeugen versucht, aus ihnen könne vielleicht doch noch ein Liebespaar werden. Während Mutti und Torstens Vater den Gasthof instand setzen, versüßt sich Maja den öden Sommer, indem sie sich mit Torsten einen Mutproben-Wettbewerb leistet. Ihr Einsatz: Bei Mitternacht soll sie sich auf den Friedhof wagen, in die Gruft Friedrichs schleichen und die blöde Mumie dort genauso beleidigen, wie sie das schon tagsüber im Sonnenschein getan hat. Tja, und kaum im Gewölbe steht vor Maja plötzlich der fleischgewordene Friedrich und bittet sie um ihre Mithilfe. Denn nur eine reinherzige Jungfrau kann dafür sorgen, dass der Fluch von ihm genommen und er posthum von der Schuld am Tod des Schäfers Dühn freigesprochen wird.

Natürlich verliebt sich Maja in das attraktive, überaus höfliche und ihr aufmerksam den Hof machende Gespenst – und schleicht sich fortan jede Nacht in die Gruft, um romantische Stelldicheins mit ihrem Friedrich zu absolvieren. Wenn die Kirchenglocke Roggelins um Mitternacht zu läuten anfange, solle das, erklärt ihr Friedrich bei einem ihrer Treffen, das Geistergericht auf den Plan rufen. Dann würde sein Fall neu verhandelt werden. Während Maja nach Beweisen für Friedrichs Unschuld fahndet, spitzt sich die Lage allerdings auch außerhalb der Familienkrypta derer von Kuhlbanz zu, denn ein schrulliger Brite ist angereist, behauptet, ein Nachfahre der Mumie zu sein und möchte diese der Ortschaft abkaufen. Als Bürgermeister und Mumienwächter Hermann dies jedoch rundheraus ablehnen, schmiedet der falsche Fuffziger insgeheim den Plan, Friedrich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu entführen…

Natürlich haben wir es bei SPUK AUS DER GRUFT mit einer reichlich schematischen Angelegenheit zu tun, die andererseits ihre Karten aber freimütig auf den Tisch legt, sodass an der eigenen Konstruiertheit zu keinem Zeitpunkt irgendein Zweifel besteht: Wir haben ein (nicht allzu nerviges) Comic Relief in Gestalt des cholerischen und mit übermäßig starkem Akzent radebrechenden Briten und seines einfältigen Fahrers/Handlangers, der sich im Laufe der vier Episoden als Hochstapler herausstellt, und eben kein englischer Lord ist, sondern im Auftrag eines unsichtbar bleibenden Kunstsammlers die Roggelin’sche Mumie kidnappen soll; wir haben einen kriminalistischen Strang, wenn Maja in den Dokumenten des Dorfarchivs auf Spurensuche geht und Hinweise darauf findet, dass ein gewisser Pfarrer Mangold, der zu Friedrichs Lebzeiten der Geistliche Roggelins gewesen ist, offenbar vom wahren Schäfermörder dessen schreckliches Geheimnis im Beichtstuhl anvertraut bekommen hat; wir haben für die älteren Semester die Liebesgeschichte zwischen Majas Mutter und Torstens Vater, bei der die Erwachsenen als Running Gag immer, wenn sie einander ihre Gefühle gestehen wollen, von irgendeiner externen Störquelle daran gehindert werden. Fokus von SPUK AUS DER GRUFT liegt aber freilich auf Maja selbst und deren Sommerliebe zu einem seit mehreren Jahrhunderten verstorbenen Edelmann, die überraschend wenig kitschig abgehandelt wird, - so wie überhaupt die gesamte Serie sich auffallend selten in Stereotypen, Klischeesituationen und harmlosen Scherzen suhlt. Stattdessen scheinen Meyer und Wiesner die von ihnen geschaffenen Figuren ernst zu nehmen und verhandeln den Plot zwar durchaus mit dem nötigen Augenzwinkern, jedoch ebenso stets mit der ihm zustehenden Würde. Majas Angepisstsein vom Zwangsaufenthalt am Ende der Welt; der Elan, den ihre Mutter an den Tag legt, um in Roggelin einen Neustart zu beginnen, und dafür auch riskiert, mit ihrem renovierten Gasthof Konkurs zu gehen; den Crush, den Bürgermeistersohn Torsten (übrigens ein blutjunger Matthias Schweighöfer in einer seiner ersten Rolle) für Maja hegt, und der ihn zu einigen abstrusen Tollpatschigkeiten verleitet – das alles schildert SPUK AUS DER GRUFT pointiert und sehr nahbar, weshalb ich mir vorstellen kann, dass diese Miniserie dem anvisierten Publikum, (das mutmaßlich weiblich und circa zwanzig Jahre jünger ist als ich), einen noch größeren Unterhaltungs- und vor allem Identifikationswert beschert als mir, der ich mich vor allen Dingen an einer Sache weidlich ergötzt habe:

Ästhetisch-technisch rangiert SPUK AUS DER GRUFT zwar auf (gehobenem) TV-Niveau – (das heißt: Abenteuer sind von Schnitt und Kamera nicht zu erwarten, dafür ist die komplette Darstellerriege und die Mise en Scene auf sehr solidem Level angesiedelt) –, doch wenn Wiesner und Meyer in den Grusel-Modus wechseln, schlagen einem die stimmungsvollen Ansichten von spinnwebenverhangenen Grüften, nebelumschlungenen Friedhöfen, sich im Degenduell gegenüberstehenden untoten Edelmännern im Mitternachtsmondenschein als Brandwelle entgegen. Gerade das Grande Finale, wenn sich die Toten zum Hohen Gericht aus ihren Gräbern erheben, hätten Meister der kinematographischen Schauerromantik wie Amando de Ossorio oder Mario Bava kaum glänzender inszenieren können. Natürlich ist das Ganze kindgerecht aufbereitet und betont naiv, doch diese gesamte Geschichte von ungesühnter Schuld, Liebschaft zwischen Lebenden und Gespenstern, intriganten Verwicklungen, die erst nach Jahrhunderten entwirrt werden, Geheimtüren und düsteren Prophezeiungen, die sich per übernatürlichem Glockenschlag ankündigen, hat mich als Fanboy der literarischen Schauerromantik um 1800 derart abgeholt, dass sich mir die Frage gar nicht stellt, ob ich mir nach SPUK AUS DER GRUFT nun auch noch SPUK IM REICH DER SCHATTEN und SPUK AM TOR DER ZEIT einwerfen werde…
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