Pornfluencer - Joscha Bongard (2022) [Doku]

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Salvatore Baccaro
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Pornfluencer - Joscha Bongard (2022) [Doku]

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Pornfluencer

Produktionsland: Deutschland 2022

Regie: Joscha Bongard

Cast: Jamie Young, Nico Nice


Habt ihr schon einmal etwas von dem Pärchen Jamie Young und Nico Nice gehört? Nein? Vielleicht sagt euch der Name „youngcouple9598“ etwas? Auch nicht? Der erste abendfüllende Dokumentarfilm PORNFLUENCER des 1994 in Wolfsburg geborenen Jungregisseurs Joscha Bongard bringt für alle, die diesbezüglich im Nebel tappen, knapp fünfundsiebzig Minuten lang Licht ins Dunkel…

PORNFLUENCER beginnt mit einer Nachricht, die Bongard dem Duo Young/Nico zukommen lässt. Er möchte einen „sex-positiven, einfühlsamen und ehrlichen Dokumentarfilm über ,verified couples‘“ drehen, und fragt höflich an, ob er die beiden jungen Leute zu diesem Thema besuchen und ausführlich interviewen dürfe. Zur Erklärung: Der Terminus „verified couples“ bezieht sich innerhalb des Pornobusiness auf Amateurpärchen, die nicht nur vor der Kamera eine Einheit bilden, sondern auch in der außerfilmischen Wirklichkeit ein Bett teilen – oder dies zumindest ihren Fans gegenüber behaupten. Nico Nice, der im echten Leben tatsächlich Nico heißt, und Jamie Young, die eigentlich den Namen Andreea im Ausweis stehen hat, bilden genau eine solche Zweiercombo: Sie sind Liebespaar, Geschäftspartner, Webvideoproduzenten in Personalunion.

Mit ihren Anfang Zwanzig haben es die beiden bereits weitgebracht: Inzwischen haben sie Deutschland in Richtung ihrer Walheimat Zypern verlassen, wo sie ein kleines Häuschen voller Kätzchen bewohnen. Die Entscheidung, sich ausgerechnet in Griechenland eine Existenz aufzubauen, ist freilich nicht bloß dem schönen Mittelmeerklimas geschuldet, sondern hat, wie sie offen zugeben, vor allem auch mit dem, sagen wir, recht bekömmlichen Steuersystem des griechischen Inselteils zu tun. Mit einem überschaubaren Filmteam besucht Bongard seine Protagonisten in ihrem Privatleben, stellt ihnen Fragen zu Zukunftsvisionen, dazu, wie sie überhaupt auf die Idee kamen, sich auf Amateurpornoseiten zu präsentieren, möchte wissen, wie Freunde und Familie darauf reagierten, dass sie das Produzieren von Hardcore-Filmen zu ihrem Hauptberuf machten, lässt Young und Nice aber auch oft und gerne einfach minutenlang drauflosplaudern; er begleitet sie bei dem Dreh eines ihrer Videos, zu einem improvisierten Photoshooting in einem Einkaufszentrum, oder bei ihrer morgendlichen Badroutine. Unterbrochen werden die Sequenzen, in denen allein Jamie Young und Nico Nice im Mittelpunkt stehen, von kurzen Interviewschnipseln mit der (queer-)feministischen Theoretikerin Sylvia Sadzinski sowie mit dem promovierten Psychotherapeut Andreas Baranowski; ebenso werden knappgehaltene animierte Grafiken eingestreut, die uns beispielweise darüber aufklären, dass Jamie und Nico von den auf einschlägigen Tube-Seiten generierten Einnahmen gerade mal 10 bis 20 Prozent zu sehen bekommen, während die Seitenbetreiber sich am übrigbleibenden Rest eine goldene Nase verdienen, oder uns allgemein über den Paradigmenwandel im Porno-Genre vom klassischen Studiosystem bis hin zu Cam-Sex informieren.

Dabei ist PORNFLUENCER ästhetisch-strukturell durchaus interessant inszeniert. Jenseits der üblichen langweiligen Talking-Heads-Dokumentationen gestaltet Bongard seinen Film selbst wie ein manchmal zielgerichtetes, manchmal zielloses Klicken durch eine x-beliebige Internet-(Porn)-Homepage: Mal werden die Interviews mit Jamie und Nico vor-, dann wieder zurückgespult; die Gespräche mit Sadzinski und Baranowski öffnen sich als eigene kleine Fenster; statt Schnitten wird heruntergescrollt oder ein neuer Tab geöffnet; der Abspann wird uns offeriert als Einblick in die „Terms & Conditions“, der Vorspann wiederum in Gestalt von peu à peu eintrudelnden Kurzmessages; allgemein erweckt PORNFLUENCER konsequent den Eindruck, wir würden uns nicht in einem linear ablaufenden Film befinden, (der Bongards Debüt ja trotz aller Manierismen ist), sondern vielmehr chaotisch durch die schier unerschöpfliche Fülle des virtuellen Raums browsen. Was unter Umständen schnell wie ein plakativer Gimmick wirken könnte, handelt Bongard indes mit unverkennbaren Geschick, und zumindest mich hat es doch ziemlich begeistert, einen zeitgenössischen Dokumentarstreifen zu sehen, der es nicht dabei belässt, seine Interviewpartner stumpf beim Sprechen abzufilmen, sondern stattdessen kreativ in Angriff nimmt, sein Sujet auch in der formalen Darreichungsform abzubilden.

Allerdings wird mir PORNFLUENCER primär wohl nicht wegen seiner Inszenierung im Gedächtnis bleiben, sondern deshalb, weil dieser Film mich mit derart kübelweise Fremdscham übergossen hat, wie es schon lange keiner mehr vermochte – und das liegt allein an den beiden Hauptfiguren: Was sie sagen, wie sie sich einander gegenüber verhalten, wie sie sich um Kopf und Kragen reden. Es ist mir wirklich schleierhaft, dass Nico und Jamie die Freigabe von PORNFLUENCER in der Fassung, in der der Film letztendlich veröffentlicht wurde, überhaupt abgesegnet haben – und noch schleierhafter ist es mir, wie manche Netzkritik davon schreiben kann, der Film würde die heitere Seite des Pornogeschäfts illustrieren, von zwei jungen Leuten erzählen, die, auf Konventionen pfeifend, ihren ganz eigenen Traum von Money und Fame leben und dies mit persönlichem Glück verbinden, oder gar das sonnige Gegenstück zu einem Werk wie Ninja Thybergs PLEASURE sein, der ja vorrangig die Schattenflecken der modernen Sexindustrie ins Rampenlicht zerrt.

Das Konzept von „youngcouple9598” sieht wie folgt aus: Jamie Young wird modelliert als „Your Submissive Dream Girlfriend“, eine schmächtige, kindlich wirkende junge Frau, der der ein bisschen ältere und ungleich dominantere Nico Nice fast wie eine tonangebende Sugar-Daddy-Figur gegenübersteht. Anfangs dachte ich ja noch, dass Jamie und Nico die Rollen, die sie innerhalb ihrer Pornoclips verkörpern, auch vor Bongards Kamera reproduzieren würden, sprich, dass sie PORNFLUENCER quasi als Marketingmöglichkeit begreifen, mit denen sie noch mehr Reichweite generieren und vor allem die Illusion, die sie in ihren Filmchen perpetuieren, in Zement gießen können. Mit der Zeit aber beschlich mich der alsbald zur Gewissheit werdende Verdacht: In der Beziehung dieser beiden Menschen läuft etwas derart gehörig schief, dass ich zuweilen mit mir struggeln musste, die Sichtung nicht kurzzeitig abzubrechen, so sehr haben mich einige Szenen unangenehm getriggert. Wenn ich jemals eine toxische Beziehung zu Gesicht bekommen habe, dann dürfte es diese hier sein.

Einige Beispiele gefällig? Beim erwähnten Shooting in der Shopping Mall möchte Nico, dass Jamie vor einem Ladenschaufenster posiert, die Hände an ihre Brüste legt, sich sexy hin und her bewegt. Als Jamie vermeldet, sie wolle das nicht tun, zischt er ihr zu, sie solle sich „zusammenreißen“, wiederholt seinen Befehl, ohne sein auf einmal gar nicht mehr allzu freundlich anmutendes Lächeln zu verlieren. Auch später, als er ein Video für TikTok drehen möchte, in dem Jamie zu einem (furchtbaren) Rap-Song mit dem Hintern wackelt, zeigt sie sich von seinen Regieanweisungen wenig begeistert. Sichtlich genervt macht Nico ihr vor, wie sie sich vor seiner Kamera in Szene setzen solle, „damit Du keinen Excuse mehr hast, es nicht zu tun.“ – Wie wir erfahren, ist Nico Jamies erster Freund. Stolz erzählt sie davon, dass er sie entjungfert habe, und sie seitdem mit keinem anderen Mann in die Kiste stieg. Für Jamie allerdings gilt dies nicht: Der Jüngling prahlt, unglaublich potent zu sein, fordert jeden Tag Sex mit Jamie, gibt sich nur dann zufrieden, dass sie ihm „nur“ einen bläst, wenn sie ihre Tage hat, ihr die „Mumu wehtut“, oder sie sonst verstimmt ist. Zugleich absolviert Nico regelmäßig Sex mit anderen Damen vor laufender Kamera, gerne auch als flotter Dreier mit Jamie zusammen. Diese Frauen wiederum akquirieren die beiden in Budapest. Kichernd berichtet Jamie, die Seite, wo man die Mädchen „bestellen“ könne, sei wie Amazon: Sie gucken, welche ihnen optisch gefällt, und einen Klick später haben sie bereits ein Date in Osteuropa. – Überhaupt, dieses fortwährende Kichern und Gackern und Grinsen, dieses verkrampfte Herumscherzen und diese infantilen Witzchen: Gerade Jamie wirkt ungefähr halb so alt wie sie eigentlich sein dürfte mit dem ihr permanent, regelrecht maskenhaft ins Gesicht gepinselte Lachen. Nico wiederum garniert selbst Momente mit Gelächter, die bei mir auf wenig Heiterkeit gestoßen sind: Zum Beispiel, wenn er Jamie, die gerade auf den Knien die Küche putzt, darauf hinweist, dass sie einen Schmutzfleck vergessen habe, oder wenn er eins ihrer Kätzchen, das ausgebüxt ist, grob am Kragen packt, als „Drecksau“ bezeichnet und ins Haus zurückträgt.

Weitere Beispiele gefällig? „Er kann so gut ignorieren. Das tut weh. Aber wenn ich brav bin, kann nichts passieren!“ (Jamie über Nico). – Neben ihren Pornofilmen verdienen Jamie und Nico Geld damit, dass sie Jamies gebrauchte Unterwäsche im Netz verhökern, oder naive Gemälde verkaufen, in denen Jamie auf kindliche Weise Sexualakte illustriert, und die Nico anpreist, sie würden ausschauen, „als seien sie von einem Kind gemalt“. – Eigentlich versuchen Jamie und Nico „gar keine Drogen zu nehmen“, und stehen dem Rauschmittelkonsum generell kritisch gegenüber, doch wenn es einmal krachen muss, dann wenigstens richtig, weshalb sie sich vor laufender Kamera „einen fetten Joint“ bauen, und sich ins Laberflash-Nirwana abschießen, bei dem sich letztlich herauskristallisiert, dass sie beide doch recht unterschiedliche Vorstellungen von ihrer (gemeinsamen?) Zukunft haben: Jamie träumt davon, irgendwann Mutter zu sein; Nico wiederholt mehrfach: Er will sein Leben lang Sex haben und so viele Girls bangen wie möglich! – Überhaupt legt Nico Jamie bei den Interviewszenen oftmals ihre Antworten in den Mund; sie stimmt ihm sowieso meist zu, wechselt ihre Meinung, wenn sie merkt, dass ihr Partner das Gegenteil von dem zu antworten im Begriff steht, was sie eigentlich sagen wollte. Der Höhepunkt dieser Fremdbestimmtheit ist in einer völlig absurden Szene erreicht, in der Bongard die morgendliche „Affirmation“ der beiden filmt: Unabhängig voneinander stellen Jamie und Nico sich vor den Badezimmerspiegel und erklären ihrem Abbild, wie toll es doch sei. Das ziehe positive Energie an, heißt es. Man müsse sich nur oft genug einreden, dass man schön und erfolgreich und reich sei, und schon würden einem Schönheit, Erfolg, Reichtum von alleine zufliegen. Jamie haut dabei solche Sachen raus wie: „Ich bin ein geiler Führer!“, oder „Alle Frauen wollen Sex mit Dir!“, oder „Ich bin Alpha!“ Bei Jamie klingt es wie folgt: „Ich tue alles, was Nico sagt!", oder "Ich liebe den Schmerz, der mich noch mehr wachsen lässt!“, oder „Nico ist der absolute Überboss!“ Die Krux an der ganzen Sache: Nico hat nicht nur seine eigenen Affirmationssprüchlein verfasst, sondern auch die von Jamie…

Und, puh, wenn Nico dann noch bekifft in einer Szene Gags darüber reißt, dass er mit Jamies Mutter Sex wollen würde, was seiner Freundin sichtlich unangenehm ist, und er trotz ihrer Proteste partout nicht damit aufhören mag, oder wenn Jamie durch die Blume zugibt, seitdem sie mit Nico zusammen sei und Pornos drehe, außerdem die Schule abgebrochen und Deutschland verlassen habe, hätten sich sämtliche ihrer früheren Freundinnen von ihr losgesagt, ergo, dass sie im Grunde einzig Nico als Bezugsperson habe und sonst sozial ziemlich isoliert sei, dann ähnelt meine Haut endgültig der einer Gans, die man mitten im Winter geschoren im Oberharz ausgesetzt hat.

Möglicherweise ist es tatsächlich Bongards Initialintention gewesen, einen sexpositiven Dokumentarfilm zu drehen, der von zwei Aussteigern berichtet, die mit Webporn zur Million kommen; möglicherweise hatte er, was in manchen Szenen und gerade den (teilweise etwas kontextlos wirkenden) Interviews mit den beiden Experten sacht anklingt, auch vor, einen medienkritischen Dokumentarfilm zu drehen, der sich mahnend mit der zeitgenössische Porno-Produktion auseinandersetz; was indes am Ende herausgekommen ist, das sind abgründige Einblicke in eine Beziehung, von der ich mir nicht vorstellen kann, dass irgendwer sich danach sehnt, Teil von ihr zu sein, - ob nun als Alpha-Tier, oder als dasjenige, das (angeblich) Schmerz zum Wachstum braucht.
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Re: Pornfluencer - Joscha Bongard (2022)

Beitrag von buxtebrawler »

Alter...

Über diese Doku war ich auch schon gestolpert, habe sie mir aber noch nicht angesehen. Danke für deine ausführliche Rezension, Salvatore.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Pornfluencer - Joscha Bongard (2022) [Doku]

Beitrag von buxtebrawler »

Eine auf 52 Minuten zusammengedampfte Fassung wurde vor ein paar Tagen vom WDR innerhalb der "Menschen hautnah"-Dokureihe ausgestrahlt und ist - nach Altersbestätigung bzw. jeweils erst ab 23:00 Uhr - noch bis zum 17.04.2024 in der Mediathek verfügbar:

:arrow: https://www.ardmediathek.de/video/mensc ... IxNzYyMTQ2

Diese habe ich mir angeschaut und kann Salvatore nur beipflichten.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
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McBrewer
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Re: Pornfluencer - Joscha Bongard (2022) [Doku]

Beitrag von McBrewer »

buxtebrawler hat geschrieben: Do 31. Aug 2023, 10:21 Eine auf 52 Minuten zusammengedampfte Fassung wurde vor ein paar Tagen vom WDR innerhalb der "Menschen hautnah"-Dokureihe ausgestrahlt und ist - nach Altersbestätigung bzw. jeweils erst ab 23:00 Uhr - noch bis zum 17.04.2024 in der Mediathek verfügbar:

:arrow: https://www.ardmediathek.de/video/mensc ... IxNzYyMTQ2

Diese habe ich mir angeschaut und kann Salvatore nur beipflichten.
Danke für den Tipp & als Ergänzung sei hier wieder angemerkt, das man dank des https://mediathekviewweb.de/ auch diese Doku jetzt schon ohne Altersbestätigung & Uhrzeitbeschränkung ansehen & sogar downloaden/Archivieren kann
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CamperVan.Helsing
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Re: Pornfluencer - Joscha Bongard (2022) [Doku]

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Es gibt auch einen Beitrag von funk zu den Beiden, der auch nicht geeignet ist, einen positiveren Eindruck von den beiden zu bekommen. Absolut nicht.

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About all the things I thought were wrong or right
& carved in stone
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