Nacht der Wölfe - Rüdiger Nüchtern (1982)

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Maulwurf
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Nacht der Wölfe - Rüdiger Nüchtern (1982)

Beitrag von Maulwurf »

(Ich kann's nicht fassen der Film hat tatsächlich noch keinen Thread :shock: Das muss schnellstens geändert werden!)
 
 
Nacht der Wölfe
Deutschland 1982
Regie: Rüdiger Nüchtern
Daniela Obermeir, Ali Arkadas, Karl-Heinz von Liebezeit, Fritz Gattinger, Meti Duman, Tonino Pavia, Peter Scharrer, Renard Hatzke, Gabi László, Sabine Gundlach, Julika Epstein, Kemal Kücükboyaci, Hans Brenner, Beatrice Block, Bruno de Vizia, Jürgen Figna, Ayhan Filcan, Hacik Samurkas, Sari Sayit, Ali Tigli, Rainer J.G. Uhl, Yener Yücel


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München-Haidhausen. Heute ein begehrtes Trendwohnviertel, lief die Gegend Anfang der 80er-Jahre noch als Glasscherbenviertel. Als eine der am dichtesten besiedelten Gegenden Münchens mit eher ärmeren Einwohnern. Hier haben die Revengers ihre Straße die ihnen „gehört“, und so benehmen sie sich auch. Sie sind mit dem örtlichen MC befreundet, sie terrorisieren Popper, ab und zu gibt es mal einen kleinen Einbruch, und ihr Stammcafé ist das Rialto, weil Gino, der Sohn vom Chef, einer der ihren ist. Die Polizei hat keine wirkliche Handhabe und kann nicht mehr machen als ein Auge auf die Jugendlichen zu haben. Bis eines Tages gegenüber vom Rialto eine türkische Bäckerei aufmacht, und mit den Türken kommt die Gang der Bloody Eagles ins Viertel. Dem jüngsten Sohn des türkischen Bäckers, Dogan, wird die Kutte geklaut, und Sabri, der Anführer der Bloody Eagles, fordert Kutte und Respekt ein. Beides verweigern ihm die Revengers – Bandenkrieg!

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Duke ist derjenige mit der schnellsten Faust und dem überheblichsten Gehabe, Mex aber ist der Anführer. Ein ganz Cooler, der sich auf seine „Kampfclique“ viel einbildet. Beton hat die Muskeln, Anschi die Titten, und Daniela findet Duke cool, aber eigentlich weiß sie nicht was sie will. Auf jeden Fall nicht mit den Typen abhängen. Aber was denn sonst? Aus Danielas Sicht wird der Film auch erzählt, und die zarte Annäherung an Dogan, eine Romanze im besten Romeo-und-Julia-Stil, nimmt entsprechend viel Platz ein. Trotzdem wird auf das Leben in und mit der Clique nicht verzichtet. Gemeinsam mit den Kumpels fährt man im Ford Granada durch das Viertel, hört dröhnend laut Accept, und zeigt dass man da ist und dass man lebt. Neue Musik wird durch einen Einbruch im örtlichen Musikgeschäft besorgt, und da zeigt sich dann auch das lokale Leben in einem räumlich kleinen Stadtviertel: Dani wird von der Polizei gekascht, und der Wachtmeister kennt ihren Vater und holt diesen. Es gibt keine Anzeige, es gibt keine Moralpredigt – Eine Ohrfeige und das ist alles. Wahrscheinlich weil man genau weiß, dass man damals selber nicht anders war. Und dass die Perspektiven in diesem Viertel halt einfach nun mal aus Knutschen, Saufen und kleinen Einbrüchen bestehen. Aus Großmannssucht und männlichen Ritualen.

Diese Rituale sind in eine künstlich wirkende Welt eingebettet. Duke und Mex tanzen irgendwann mal an der Jukebox. Ihr Tanz ist männlich-provozierend, und hat eine starke erotische Komponente. Sie tanzen in ihrer ganzen eigenen Welt, alles andere wird ausgeblendet, bis ausgerechnet Anschi dazukommt. Anschi die niemals einen BH anhat und gerne alles zeigt was sie hat. In dem Augenblick in dem Anschi zu den beiden Tänzern kommt ist die Stimmung futsch. Der Tanz ist vorbei, die Blicke sind böse und gemein. Eine bemerkenswerte Szene, die ausgerechnet am Morgen vor dem großen Kampf stattfindet. Die hier beschworene Körperlichkeit unter Männern ist - ja, eben bemerkenswert. Sie definiert eine Welt, in der Außenstehende keinen Zugang haben, und selbst die Mitglieder der eigenen Clique sind in diesem Augenblick Fremde. Genauso, wie die beiden Protagonisten der Gruppe sich abschotten, genauso schottet sich die Clique nach außen ab. Da draußen, da sind die Spießer und die Türken, und alle wollen nur rumnerven und Terz machen. Dabei wollen wir doch eigentlich nur unsere Ruhe …

Der Kampf zwischen den Gangs ist dann hart und gnadenlos inszeniert. Kein Showkampf und schon gar kein Tanz mehr, aber wer am Boden liegt wird in Ruhe gelassen. Und der Eintritt ist nur für harte Männer – Als Dogan und Dani, die in diesem Augenblick Fremden, die Szenerie betreten hören die anderen auf, und Dogans Tod, der auch verstanden werden kann als die Bestrafung eines Fremden ist für einen unerlaubten Eintritt in eine für ihn verbotene Welt, beendet den Kampf nachhaltig. Trotzdem ist dieser Kampf aber kein Blutbad auf Leben und Tod, keine 3. Halbzeit, sondern ein harter aber ehrlicher Kampf um Vorherrschaft und größere Muskeln. Obwohl vor allem Mex und Duke eher nach Hass und Fanatismus aussehen, und obwohl die Frage, wer für das gesprengte Loch im Dach des Türkenwohnheims verantwortlich war, obwohl diese Frage unbeantwortet im Raum stehenbleibt, trotzdem ist in diesem Kampf kein unversöhnlicher Hass zu spüren, sondern die Frage nach Respekt und Macht.

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Was zu Frage führt: Ist das realistisch? Realistisch ist Dani, die von dem Machogehabe Dukes gleichzeitig angezogen und abgestoßen wird. Realistisch ist Anschi, die Männer Männer Männer will. Aber sonst? Ich vergleiche NACHT DER WÖLFE mit THE LOVELESS von Kathryn Bigelow und Monty Montgomery aus dem gleichen Jahr, und ich stoße auf exakt die gleiche Künstlichkeit in der Darstellung der Männlichkeitsrituale. Junge Männer in knallengen Lederklamotten, die voneinander fasziniert sind und sich gegenseitig umschwirren wie Motten das Licht. Und das gleiche Artifizielle, das mich bei THE LOVELESS so gestört hatte, befremdet mich auch bei NACHT DER WÖLFE. Ich vergleiche mit der ZDF-Fernsehserie DIE STRASSE, die Hans-Werner Schmidt 1978 drehte, und die vom sozialen und städtebaulichen Umfeld her ebenfalls in Haidhausen gedreht worden sein dürfte. Wie realistisch DIE STRASSE wirkt, wie natürlich die Dialoge rüberkommen, und wie unromantisch das Setting ist. Aber DIE STRASSE ist Fernsehunterhaltung mit sozialem Anspruch, NACHT DER WÖLFE ist Kino mit … ja, mit was eigentlich?

Denn das Artifizielle in NACHT DER WÖLFE, noch hervorgehoben durch die vielen Laiendarsteller, ist Absicht, und gibt dem Film, obwohl er tief in seiner Zeit verortet ist, eine ungeheure Zeitlosigkeit. Wo DER WILDE tief in den 50ern feststeckt, wo DIE WARRIORS die späten 70er reflektieren und nur schwer transponierbar sind in eine andere Zeit, und wo THE LOVELESS den Fehler macht ein Bild einer definierten Zeit zu malen, die er wie mit den falschen Farben wiedergibt, da zeigt sich bei NACHT DER WÖLFE ein längerer Atem. Einer, der sich zwar spezifisch auf eine Zeit und auf die damit verbundenen Probleme bezieht, sich aber gerade durch die erwähnte Künstlichkeit über seine zeitbezogene Basis hinaushebt und die Probleme von Heranwachsenden zu allen Zeiten und in allen nicht so guten Vierteln der Großstädte der Welt erzählt.

Damit kann NACHT DER WÖLFE nicht als der Bandenfilm der 80er laufen, so wie es DIE WARRIORS für die ausgehenden 70er war. Aber er kann Jugendlichen damals genauso wie heute eine Identifikation bieten, denn weder die Balzkämpfe noch das Machogetue haben sich in irgendeiner Art geändert. Heute mag der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund stärker sein, die Sprache ist brutaler geworden und die Musik erheblich schlechter, aber eigentlich kann NACHT DER WÖLFE problemlos in die heutige Zeit übertragen werden. Duke und Mex, Beton, Anschi und Dani, die laufen tatsächlich da draußen auf der Straße herum, und man kann ihnen auch heute noch begegnen, auch wenn sie heute eher Cetin oder Mustafa, Amir oder Karim heißen. Aber das ist es, was den Film stark und sehenswert macht. Das, und die herausragenden Darsteller, die geerdet und grundsolide aufspielen, als hätten sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas anderes gemacht. Es wird unbedingt Zeit, diesen Film wieder zu entdecken …
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7/10
Zuletzt geändert von Maulwurf am Mi 15. Jun 2022, 13:10, insgesamt 3-mal geändert.
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Jack Grimaldi
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buxtebrawler
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Re: Nacht der Wölfe - Rüdiger Nüchtern (1982)

Beitrag von buxtebrawler »

Maulwurf hat geschrieben: Mi 15. Jun 2022, 06:58 (Ich kann's nicht fassen der Film hat tatsächlich noch keinen Thread :shock: Das muss schnellstens geändert werden!)
Danke! Ja, rangiert relativ weit oben auf meiner Guckliste, bin bisher aber noch nicht dazu gekommen :(
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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FarfallaInsanguinata
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Re: Nacht der Wölfe - Rüdiger Nüchtern (1982)

Beitrag von FarfallaInsanguinata »

Dass der noch keinen eigenen Fred hatte, war mir gar nicht aufgefallen. Auf jeden Fall wurde hier im Forum schon einige Male wohlwollend über das Werk gesprochen.
Ich möchte neben dem tollen Film auch noch den obskuren Soundtrack empfehlen, der gar nicht teuer ist. Stilistisch gibt es einen bunten Melodienstrauß von Jörg Evers (Amon Düül II und andere Krautrocker sowie die Münchener Urpunks Pack) über frühen Metal (Accept) und Disco (hinter BEA verbirgt sich tatsächlich Bea Fiedler (!)) bis zur Food Band, die den später recht erfolgreichen Wolf Maahn in ihren Reihen aufwies.
https://www.discogs.com/de/release/8477 ... Soundtrack
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