Je suis Karl - Christian Schwochow (2021)

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Salvatore Baccaro
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Je suis Karl - Christian Schwochow (2021)

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Originaltitel: Je suis Karl

Produktionsland: Deutschland/Tschechien 2021

Regie: Christian Schwochow

Cast: Luna Wedler, Jannis Niewöhner, Milan Peschel, Marlon Boess: Pankraz, Anna Fialová, Aziz Dyab, Mélanie Fouché: Inès Baier



Vor einiger Zeit hatte ich …UND MORGEN DIE GANZE WELT gesehen. Unter Regie von Julia von Heinz erzählt der 2020 veröffentlichte Film von der Mannheimer Jurastudentin Luisa, die sich angesichts eines sich immer rapider vollziehenden Rechtsrucks innerhalb Deutschlands, (für die der Film eine frischgebackene Partei namens „Liste 14“ verantwortlich macht, deren Logo unmissverständlich an dem der AfD angelehnt ist und deren Namen unterschwellig an die berühmt-berüchtigten neonazistischen „Fourteen Words“ erinnert), zunehmend politisiert, sukzessive in die linksextremistische Szene abdriftet, schließlich Gewalt als probates Mittel für die politische Auseinandersetzung begreift und bei diversen Prügeleien und Antifa-Anschlägen mitmischt.

JE SUIS KARL, der ein Jahr später unter der Regie Christian Schwochows in die Kinos gelangt, bildet gewissermaßen das Komplementärstück zu …UND MORGEN DIE GANZE WELT. Die Gemeinsamkeiten stechen ins Auge: Auch bei JE SUIS KARL steht eine junge Frau im Mittelpunkt, (auch wenn Maxi noch die Schulbank drückt, während Luisa bereits, wie gesagt, in einem der unteren Semester Jus studiert). Ebenso erzählt auch JE SUIS KARL davon, wie seine Heldin sich zunehmend ideologisch radikalisiert, den Draht zu Freunden und Familie kappt, sich in eine hermetisch abgeriegelte Subkultur jenseits der sogenannten demokratischen Mitte abnabelt. Der Unterschied indes: Während Luisa sich ans äußerste linke Spektrum vorwagt, versumpft Maxi in einer Gruppe namens „re/Generation Europe“, (die wiederum unmissverständlich nach dem Vorbild der „Identitären Bewegung modelliert worden ist). Während man auf den ersten Blick davon ausgehen könnte, dass …UND MORGEN DIE GANZE WELT und JE SUIS KARL sozusagen eine ähnliche Geschichte nur mit umgekehrten Vorzeichen erzählen – bei ersterem Film mausert sich eine angehende Juristin zur Antifa-Schlägerin; bei zweiterem Film verwandelt sich eine unpolitische Abiturientin in eine neurechte Aktivistin mit Machtergreifungsphantasien –, gibt es doch signifikante Differenzen, die mich …UND MORGEN DIE GANZE WELT für einen passablen Mainstream-Film und JE SUIS KARL für einen totalen Stromausfall halten lassen.

Es wären: 1) Wichtig in JE SUIS KARL ist ein Ereignis, das Maxis Orientierungslosigkeit überhaupt erst auslöst: Eines Tages nimmt ihr Vater ein Paket für eine Nachbarin entgegen. Darin: Eine tickende Zeitbombe, und zwar im wahrsten Wortsinn. Während Maxi und ihr Vater außer Haus sind, explodiert das Wohnhaus – und damit auch Maxis Mutter und ihre beiden kleinen Brüder. Dass sie überhaupt erst Anschluss an die „re/Generation Europe“ und vor allem ihren charismatischen Anführer Karl findet, hat damit zu tun, dass ihre vertraute Welt sich in Feuer und Flammen aufgelöst hat. Die Entwicklung Luisas in …UND MORGEN DIE GANZE WELT besitzt einen solchen Knalleffekt zu Beginn nicht: Dort wird uns die Heldin schon von Anfang an als Prototyp einer „Gutmenschin“ präsentiert, die nicht zuletzt deswegen den Anwaltsberuf anstrebt, weil sie sich für die Armen und Schwachen einsetzen möchte. Dass sie letztendlich Autos anzündet, Menschen zu Boden knüppelt, Bombenanschläge koordiniert, hat mit einer Sogwirkung zu tun, die ihr ebenfalls immer heftigere Pläne ausheckender Freundeskreis auf sie ausübt. Aber an ihren Idealen ändert dies nichts: Auch wenn Luisa mit einem Baseballschläger durch die Straßen zieht, ist sie davon überzeugt, im Sinne der Armen und Schwachen zu handeln. Ganz anders Maxi, die so unpolitisch ist, wie man nur sein kann, und in Karl, seinen Mitstreitern, der paneuropäischen neurechten Jugendbewegung einfach nur einen Halt sucht, nun, wo ihre halbe Familie tot ist und ihr Vater in seiner Trauer immer mehr den Boden der Realität verlässt.

2) Wie wir in JE SUIS KARL (dramaturgisch fragwürdig) nach Hälfte der Laufzeit erfahren, sind Maxis Mutter und ihre Geschwister nicht, wie die ermittelnde Polizei zeitweise vermutet, einem islamistischen Terroranschlag zum Opfer gefallen. Nein, vielmehr steckt Karl, mit dem Maxi alsbald ein Bett teilt, nachdem sie aus Deutschland gen Prag und dann nach Paris geflüchtet ist, hinter dem grausamen Akt. Tja, und nun wird es, zumindest aus meiner Sicht, wirklich hanebüchen. Wie die Protagonisten in …UND MORGEN DIE GANZE WELT ihre politischen Feinde zunehmend entmenschlichen, wird durchweg nachvollziehbar geschildert, eben weil es handfeste Ideale sind, die diese jungen Menschen in Kriminalität und Illegalität führen; wie die politischen Akteure der „re/Generation Europe“ indes in JE SUSI KARL handeln, das entzieht sich mir völlig jedweder begreiflichen Motivation. Postuliert wird, dass Karl einen seiner Bandenmitglieder mit dem erwähnten Zeitbombenpaket irgendwo in Berlin mit dem Auftrag auf die Straße entlässt, er solle diese einfach an irgendeinem Ort platzieren. Ziel der Aktion: Sobald an völlig neutralen Plätzen Bomben hochgehen und Menschen sterben, wird das die Angst der autochthonen Bevölkerung vor als fremdländisch gelesenen Menschen schüren und die Gesellschaft immer näher zum flächendeckenden Umsturz führen. Dass Karl ohne mit der Wimper zu zucken hinnimmt, dass zu den Opfern seiner Bombenattentate auch Teil der autochthonen Bevölkerung zählen könnten, für die er ja eigentlich seinen politischen Kampf, lässt ihn genauso sehr wie einen emotions- und idealfernen Bond-Bösewicht wirken wie die Tatsache, dass er Maxi nach dem Tod ihrer Mutter und Brüder auf geschickteste Weise manipuliert, um sie pygmaliongleich Stück für Stück zur Gallionsfigur seiner Bewegung zu machen: Irgendwann steht Maxi dann wirklich auf einer Bühne, wo zuvor eine offenkundig an Marie le Pen angelehnte Politikerin ihre aufpeitschenden Reden geschwungen hat, und bezichtigt die verfehlte Migrationspolitik, die linksgerichteten Regierungen, den politischen Islam als die Schuldigen dafür, dass sie Halbwaise geworden ist – wobei sich Maxis Wandlung wohlgemerkt anscheinend innerhalb weniger Wochen vollzieht. Gipfel der Realitätsferne, die das Drehbuch regelrecht zelebriert, ist der Märtyrertod, den Karl am Ende stirbt: Er weist seine eigenen Waffengefährten an, ihn zu erschießen, denn „wir hatten noch nie so viele Leute bei den Waffen wie jetzt“. Tatsächlich inszeniert man sodann ein Attentat, bei dem Karl am Rande einer Großveranstaltung mit Kugeln gespickt wird; und tatsächlich reicht der vermeintlich vom politischen Gegner verübte Mord an diesem einen (wenn auch prominenten) Aktivisten aus, dass plötzlich überall in Europa militante Neurechte auf die Straße strömen und Bürgerkriege entfachen – und zwischendurch suchen Maxi und ihr Vater Schutz vor umherpfeifenden Schüssen, zersplitterndem Glas, Feuersbrünsten, die in Häusern und Autos hochlodern, die man pathetischer auch kaum in Szene hätte setzen können.

3) …UND MORGEN DIE GANZE WELT handelt von echten Menschen, versucht noch hinter dem sprücheklopfendsten Linksextremisten den Kern einer Person frei zu schälen, mit der man sich irgendwie identifizieren kann, führt gar Figuren ein wie einen Altlinken, der die eigene Szene durchaus kritisch reflektiert und sich ansatzweise von der zunehmenden Gewaltaffinität seiner Schützlinge distanziert. Zumindest auf Seiten der „re/Generation Europe“ zeichnet JE SUIS KARL demgegenüber eine Parade reiner Zerrbilder: Karl ist, wie gesagt, ein eiskalter Bond-Bösewicht, der jeden Menschen in seiner Umgebung wie ein Puppenspieler manipuliert, der gefühllos den Tod Unschuldiger hinnimmt, der auch weniger von politischen Überzeugungen besessen scheint, sondern vor allem von sich selbst, (wie eine unfreiwillig komische Szene illustriert, in der er sich am eigenen Spiegelbild regelrecht aufgeilt, es küsst, liebkost); unter seinen Mitstreiter wiederum finden sich im Grunde nur zwei Gruppen von Menschen: Diejenigen, die Karl in seiner Empathielosigkeit wie ein Ei dem andern ähneln, und gerne noch höher die Hierarchieleiter der Organisation hinaufklettern würden, oder zombiehafte Mitläufer, die entweder gar nicht wissen, in welche sektiererische Kreise sie geraten sind, oder dies billigend in Kauf nehmen, um ein Gemeinschaftsgefühl zu spüren, das wiederum der Film nie wirklich greifbar machen kann. Das in JE SUIS KARL präsentierte Freizeitprogramm der Neuen Rechten jedenfalls besteht vorwiegend aus dem Besuch irgendwelcher Veranstaltungen, bei denen wütende Reden deklamiert werden, aus dem Besuch irgendwelcher Workshop zu Themen wie Selbstverteidigung oder Ethnopluralismus, aus dem Besuch irgendwelcher Großraumdiscopartys, wo man sich chemische Drogen einschmeißt, um danach im Flow rechter Rapper zu ertrinken. Sehr irritiert hat mich auch, wie viel Wert der Film darauf legt, seine Antagonisten als besonders Social-Media-affin zu zeigen, so, als sei es das Schandmal einer primär politisch rechtsgesinnter Jugend, sich permanent selbst zu filmen, Selfies zu posten, in Vlogs davon zu künden, dass sie gerade Karl höchstselbst die Hand schütteln durften.

Stilistisch-ästhetisch haben mich dabei beide Filme nicht besonders abgeholt: Können solche glattgeschleckten, permanent von Musik zugekleisterte, dramaturgisch allzu sehr didaktisch aufbereiteten und dadurch allzu leicht durchschaubaren Streifen jemanden überhaupt noch abholen, der mehr als die Hälfte des Oeuvres Joe D’Amatos gesehen hat? Wobei aber auch hier der ungleich naturalistischere, bodenständigere …UND MORGEN DIE WELT die Nase vorn hat, denn dieser verkrampft-moderne Ästhetik (schnelle Schnitte, laute Bässe), die JE SUIS KARL an den Tag legt, konnte ich im Vergleich noch viel weniger abgewinnen.

Ganz ohne Meriten ist aber auch diese Politik-Parabel nicht: Potenzial besitzt der Film vor allem in der ersten Hälfte, wenn er das Verhältnis zwischen Maxi und ihrem Vater nach Tod von Mutter/Frau schildert, und dabei punktuell so etwas wie eine psychologisch einfühlsame Studie zustande kommt, die zeigt, wie sich die beiden trotz oder gerade wegen ihres gemeinsamen Verlustes immer weiter voneinander entfernen – aber, puh, sobald dann dieser furchtbare Karl ins Bild tritt und ich nur darauf warte, dass Daniel Craig den gesamten „Identitären“-Kongress kurz und klein schießt, ist es dann mit Einfühlsamkeit endgültig vorbei. Im Grunde tut JE SUIS KARL genau das, was der Film an seinen selbsterklärten Feindbildern (der „Identitäten Bewegung“) anprangert, nämlich platte Stereotypen zu bedienen, einfache Narrative aufs Tableau zu bringen, sich in tradierte Sicherheiten auszuruhen.
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