Im Westen nichts Neues - Edward Berger (2022)

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Maulwurf
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Im Westen nichts Neues - Edward Berger (2022)

Beitrag von Maulwurf »

Aus aktuellem Anlass ...
 
 
Im Westen nichts Neues
Deutschland/USA 2022
Regie: Edward Berger
Felix Kammerer, Albrecht Schuch, Moritz Klaus, Aaron Hilmer, Edin Hasanovic, Devid Striesow, Daniel Brühl, Thibault de Montalembert, Adrian Grünewald, Nico Ehrenteit, Wolf Danny Homann, Charles Morillon


Im Westen nichts Neues (2022).jpg
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Die Definition eines Anti-Kriegsfilms ist nicht leicht. Kriegsfilm ist einfacher: Zwei oder mehr Parteien hauen mit leichten und/oder schweren Waffen aufeinander ein, bis eine Partei aufgibt oder tot ist. Im Film meist als Abenteuer für große Jungs inszeniert, aus dem man mit leichten Verletzungen, freudestrahlend und ehrenvoll zurückkehrt und weiß, dass man etwas Sinnvolles geleistet hat. Also ziemlich das genaue Gegenteil der Realität. Kriegsfilme, das sind Filme wie zum Beispiel DER LÄNGSTE TAG (als Zeitdokument), PLATOON (als Action-Abenteuer) oder HÄUTET SIE LEBEND (als exploitativer Kotzbrocken).

Anti-Kriegsfilme sind schwieriger. Ich persönlich behaupte, dass es vier Anti-Kriegsfilme gibt: Bernhard Wickis DIE BRÜCKE (in der längeren französischen Fassung), Dalton Trumbos JOHNNY ZIEHT IN DEN KRIEG, Stanley Kubricks WEGE ZUM RUHM, und Lewis Milestones IM WESTEN NICHTS NEUES. WESTFRONT 1918 – VIER VON DER INFANTERIE von G.W. Pabst sollte man auch noch dazu zählen. Diese Filme eint, dass das Sterben der Soldaten von jedem Sinn befreit ist. Das selbst so Dinge wie Geländegewinne oder Einnahmen von Städten dort nicht vorkommen, sondern dass letzten Endes nur zwei Parteien einander gegenüber stehen und aufeinander eindreschen, bis einer tot ist. In meinen filmischen Erinnerungen hat sich der Junge, der in DIE BRÜCKE unter einem Panzer zermahlen wird genauso festgesetzt wie der dicke Bayer, der in JOHNNY ZIEHT IN DEN KRIEG im Stacheldraht hängt und stundenlang stirbt. Die vollkommen sinnbefreite Erschießung der Soldaten in WEGE ZUM RUHM genauso wie der zufällige Tod Paul Bäumers in IM WESTEN NICHTS NEUES. Bilder, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, und die dem großen und befohlenen Sterben in ihrer sinnlosen Grausamkeit meines Erachtens gerecht werden.

In den letzten Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, an diese Filme anzuschließen. DER HAUPTMANN von Robert Schwentke zeigt Krieg als die persönliche Machtgeilheit und die daraus gezogenen Konsequenzen eines Einzelnen, und das macht er gut, aber er bezieht damit nicht zwingend Stellung gegen den Krieg. Da ist Ed Ehrenbergs HÖRE DIE STILLE schon konsequenter, setzt er doch die klassische Diskrepanz zwischen dem Soldaten, heimatlos und innerlich längst verroht, und dem Zivilisten als seinem moralischen Gegenstück, in schonungslose und brutale Bilder rum. HÖRE DIE STILLE zeigt aber nicht die Sinnlosigkeit des Sterbens, sondern die Sinnlosigkeit durch das Aufschaukeln des gegenseitigen sich Tötens, was ihn von den oben genannten wiederum ein Stückchen entfernt. Was aber um Himmels willen nichts als Qualitätsmerkmal zu verstehen ist - HÖRE DIE STILLE ist für seine hohe Wertigkeit erschreckend unbekannt …

Und dann ist da noch IM WESTEN NICHTS NEUES. Die US-amerikanische Verfilmung von 1930 hat analog zu seiner literarischen Vorlage für den Anti-Kriegsfilm Maßstäbe gesetzt, die auch heute noch gültig sind. Ein junger Mann, der von der Schulbank voller Begeisterung in den Krieg zieht, und sich innert Stunden einem Grauen gegenüber sieht, dass seine ganze Persönlichkeit verwandeln wird. Das aus dem begeisterten und lebensfrohen Gymnasiasten einen abgestumpften und wortlosen Nihilisten macht. Unvergessen der Moment, in dem Paul Bäumer, die Hauptfigur von Roman und Film, während eines Fronturlaubs in der Heimat in seiner alten Schule steht, und die Lehrer, die natürlich vom Schlachten da draußen keinerlei Ahnung haben, ihn auffordern, vor den Schülern von seinen Heldentaten zu berichten. Und die Worte wollen so gar nicht aus ihm heraus – Von den zerfetzten Leichen mag er nicht berichten, aber etwas anderes hat er gar nicht vor Augen, wenn er an den Krieg denkt. Ein in seiner Seele zerstörter Mensch, ein Mitglied der sogenannten „Verlorenen Generation“: „Die älteren Leute sind alle fest mit dem Früheren verbunden, sie haben Grund, sie haben Frauen, Kinder, Beruf und Interessen. […] Wir waren noch nicht eingewurzelt. Der Krieg hat uns weggeschwemmt.“ (1) Vor allem die erste Generation Soldaten, die nicht die Möglichkeit hatten ihre Schule oder ihre Ausbildung abzuschießen, war damit gesellschaftlich aufgegeben. Verloren.

Roman und Erstverfilmung haben mich zutiefst beeindruckt. Die Schilderung des Schlachtens in Wort und in Bild sacken beim Rezipienten sehr tief, und hinterlassen eine tiefe Abschau vor dem Pack, dass solche Dinge befiehlt. Nämlich dass junge Männer möglichst grausam in Fetzen gerissen werden, damit ein paar Industrielle ihren Reichtum vergrößern können (und es gibt definitiv keinen(!) anderen Grund, einen Krieg zu beginnen). Der Neuverfilmung von 2022 stand ich als Freund älterer Filme zwar von vornherein eher skeptisch gegenüber, habe aber meine Vorurteile überwunden und mich dann doch getraut.

Das erste was mir auffiel war, dass die Geschichte Paul Bäumers zusammengelegt wird mit der Geschichte Erich Maria Remarques: Im Herbst 1916 eingezogen, 1917 als Soldat an die Westfront gekommen und erste Erfahrungen gemacht. Im Film hat es dann einen Zeitsprung und *plopp* befinden wir uns im November 1918. Eine sehr unschöne Dramaturgie, die uns die Entwicklung Paul Bäumers vorenthält, eine Identifizierung mit der Hauptperson wird damit ein Stückchen schwieriger. Gemeinsam mit Paul und seinen Schulkameraden stehen wir im Schützengraben im Schlamm, stürmen wir als Maschinengewehrfutter auf die Stellungen der Franzosen zu, weichen vor deren Flammenwerfern wieder zurück, und landen wieder im Dreck. Erheblich gedrängter als etwa bei Ernst Jünger erzählt, wird Krieg hier, man glaubt es kaum, zur männlichen Bewährungsprobe. Zwar mit Blut und Schmutz durchsetzt, links und rechts wird gestorben, schön ist das alles nicht, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man einen Film anschaut. Die Eintönigkeit der Etappe und die brutale und unmittelbare Todesgefahr an der Front, dies fehlt hier weitgehend. Im Gegenteil, in der Etappe sind alle lustig und vergnügt, Pauls Freund Kropp denkt fortwährend an Mädels und ein Schal, den Müller von einem französischen Mädchen bekommen hat, erfährt eine ganz eigene und sehr langwierig erzählte Geschichte. Im Westen alles eitel Sonnenschein?

Überhaupt diese Geschichte. Da werden in langen und umständlich erzählten Szenen Momente aus dem Soldatenleben eingeflochten, da werden in unglaublich vernuscheltem Deutsch ellenlange Dialoge gehalten damit eine Identifikation mit den Soldaten überhaupt möglich ist, und als Hilfe bei der zeitlichen Einordnung für den historisch nicht so affinen Zuschauer gibt es noch einen komplett unnötigen Nebenstrang um Matthias Erzberger und die deutsche Delegation bei der Kapitulation im Wald von Compiègne. Nur ein Daniel Brühl kann dann auch problemlos den Erzberger spielen, der bei jeder Gelegenheit an die sterbenden Soldaten denkt, während der Kollege von der OHL eher Blut und Ehre im Sinne hat. Eine holzschnittartige Typografie, die fast schmerzt. Die die Laufzeit des Films auf zweieinhalb Stunden dehnt. Und die mal wieder zeigt, dass den Drehbuchautoren unserer Zeit das Schreibenkönnen abhanden gekommen ist, da ein Stauchen des Films auf anderthalb Stunden nur gut getan hätte. Die Fähigkeit, Geschichten effizient zu erzählen, ist mittlerweile entschieden verloren gegangen.

Wer sich mit der originalen Story auseinandergesetzt hat weiß, das Paul Bäumer am Ende der Geschichte sterben wird. Sterben „an einem Tag, der so ruhig und so still war, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.“ Der aufmerksame Zuschauer weiß auch, dass in der Filmhandlung irgendwann der 9. November angebrochen ist, der Tag an dem der deutsche Kaiser zurücktrat, der 10. November, der 11. November, und die Blicke auf die Uhr werden häufiger und intensiver, denn im Film passiert einfach nichts mehr. Paul geht von rechts nach links, Kat geht von links nach rechts, man nuschelt, man brüllt, man nuschelt noch mehr, und mittendrin ist irgendwo ein General, der sich um seiner Ehre willen nicht ergeben mag , sondern einen Plan entwickelt hat um den Krieg für sich zu gewinnen, koste was es wolle. Und so wird Paul am Ende des Films in eine völlig sinnlose Schlacht gehetzt, die nur dazu dient a) einen Geländegewinn als gewonnen Krieg zu plakatieren und b) Paul den Gnadenschuss zu geben. In dieser Verfilmung passiert am Ende des Krieges nichts Neues im Westen, sondern es kommt zur entscheidenden Schlacht zwischen Elben und Orks, nein Verzeihung, zwischen Franzosen und Deutschen, und übrig bleiben viele dahingeschlachtete Soldaten und ein toter Paul Bäumer. Was dann allerdings mit dem Roman nichts mehr zu tun hat, weswegen die Betroffenheit und das Entsetzen beim Zuschauer sich ziemlich im Rahmen halten. Da kann die Kamera am Ende auch noch so lange auf Paul verweilen, der Geist des Romans wurde damit meilenweit verfehlt, denn der Tod kommt nicht aus dem Nichts und hatte auch nicht keinen Grund, sondern er wurde befohlen. Die Sinnlosigkeit eines Soldatentodes wurde zu einer gewissen (und sehr wohl diskutablen) Sinnhaftigkeit umgemünzt, was der Aussage des Buches zu hundert Prozent zuwider läuft. Von der historischen Richtigkeit, kriegsmüde Soldaten ohne Munition in einen Kampf zu hetzen, möchte ich gar nicht erst anfangen …

Auf der anderen Seite schafft IM WESTEN NICHTS NEUES es, trotz der Laufzeit und trotz seiner zum Teil eklatanten narrativen Mängel einen Sog zu entwickeln. Eine Stimmung aufzubauen, Bilder im Kopf zu verankern, und sich zumindest grafisch tatsächlich als großartiger Film zu entpuppen. Großartig im Sinne von „cineastisch“, im Sinne von pompös: Die Schlachten sind voller Heldenmut und Pathos, die Epik weht durch jeden Sturmangriff, und nur das entsetzliche Genuschel der Darsteller schafft es, den Heros in den Dreck zu ziehen. Nein, das ist gemein, und das ist auch nicht ganz richtig. Die Bilder gerade der Schlachten gehen unter die Haut, bei dem armen Kerl der unter den Panzer gerät musste ich mich allen Ernstes abwenden, so widerlich war die Szene, und die Franzosen mit ihren Flammenwerfern waren mindestens genauso schockierend und grauenerregend wie die in die Panzer geworfenen Handgranaten. Gnade, sich ergeben, Waffe wegwerfen und in Kriegsgefangenschafft gehen? So etwas gibt es hier nicht. Hier wird gemordet auf Teufel komm raus, und vermutlich war das im Rausch des Kampfes tatsächlich genau so. Was dann vielleicht nicht mehr den Hauch des großen Abenteuers mit sich trägt, aber zumindest die gröberen Naturen unter den Zuschauern einigermaßen ansprechen könnte.

Und das ist es, was ich dem Film dann auch letzten Endes vorwerfe. Trotz dieser unglaublich detailverliebten Bilder, dieses starken Realismus (man achte mal auf die Zähne der Darsteller), dieser Liebe zum perfekten Bild, trotz alledem wird der Widerwille vor dem Krieg nicht so richtig rübergebracht. Da schaut man dann zu, wie Paul in einem Granattrichter auf einen Franzosen einsticht, Erde in dessen Mund drückt, nur um den Sterbenden dann im Gesicht zu säubern und irgendwann, wenn der Arme schlussendlich unter vielen Qualen gestorben ist, festzustellen, dass der „Feind“ einen Namen, einen Beruf, eine schöne Frau und ein kleines Kind hatte. Dummerweise ist auch diese Szene zu lang geraten, ist diese Szene auch ein wenig kitschig geraten, trotz des ganzen Blutes und des Schlamms, und verfehlt so seine Wirkung. Wie irgendwie der ganze Film seine Wirkung verfehlt …

Die Bilder bleiben hängen. Die Personen bleiben hängen, so wenig man stellenweise mit ihnen auch anfangen kann. Einzelne Szenen graben sich tief in die Hirnrinde ein. Aber Begeisterung über einen gelungen Film mag sich nicht so recht einstellen. Statt des toten Franzosen im Granattrichter hätte ich es lieber gesehen, wenn Paul im Fronturlaub seine alte Schule besucht hätte, aber das hätte dem merkwürdigen zeitlichen Konzept des Drehbuchs nicht in dem Kram gepasst. Die 1930er-Verfilmung hat da trotz kürzerer Laufzeit den längeren Atem gehabt, und damit auch eine richtige Geschichte über einen längeren Zeitraum hinweg erzählt, anstatt möglichst viel Blut und Dreck auf möglichst kurzen zeitlichen Kontext zu pressen. Als Film taugt IM WESTEN NICHTS NEUES somit durchaus, als Anti-Kriegesfilm nur bedingt, und als Literaturverfilmung versagt er völlig. Im Februar 2023 bekam der Film sechs BAFTAs, unter anderem den für den besten Film! Herrje, wie mögen da erst die Konkurrenten sein …?

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Lost_Generation

6/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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buxtebrawler
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Re: Im Westen nichts Neues - Edward Berger (2022)

Beitrag von buxtebrawler »

Ist mutmaßlich bereits am 31.03.2023 bei Capelight Pictures als Ultra-HD-Blu-ray/Blu-ray-Kombination im Mediabook erschienen:

Bild

Extras:
Audiokommentar von Regisseur Edward Berger
Englisch mit optionalen deutschen UT

Making-of (18:27 Min.)
Deutsch/Englisch mit UT auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch (Castellano) (es wird immer nur die Sprache übersetzt, die gerade nicht gesprochen wird)

Original Trailer (2:19 Min.)
Deutsch ohne UT

US-Trailer (2:19 Min.)
Deutsch mit englischen UT

Internationaler Trailer (2:16 Min.)
Sprachen und UT wie im Hauptfilm

Teaser (1:52 Min.)
Sprachen und UT wie im Hauptfilm

Alle Extras auf UHD in 2160p und auf BD in 1080p

Bemerkungen:
Limitiertes Mediabook mit 4K UHD und BD. Technische Angaben und FSK-Freigabe befinden sich auf einer Banderole, auf der sich umseitig ein Foto befindet. Mittig befindet sich ein 24-seitiges Booklet mit drei Hauptthemen: "Ein Gespräch mit Edward Berger", "Die deutsche Perspektive mit der Welt teilen" und "Ein Interview mit Geschichtsprofessor Dr. Daniel Schönpflug".

Die Hörfilmfassungen sind in folgenden Sprachen verfügbar: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch (sowohl Castellano als auch Español). Beim spanischen Untertitel für Hörgeschädigte handelt es sich um Español.

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... vid=487929

Ist mutmaßlich am 06.04.2023 ebd. als englischsprachige Ultra-HD-Blu-ray/Blu-ray-Kombination im Mediabook erschienen:

Bild

Extras:
Audio commentary from director Edward Berger
making-of
trailer
teaser

Bemerkungen:
2-disc limited collector's edition mediabook with the film on
UHD Blu-ray and Blu-ray as well as a 24-page english
language booklet

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... vid=123628

Erscheint voraussichtlich am 28.04.2023 ebd. noch einmal auf Blu-ray sowie auf DVD:

Bild Bild

Extras:
Kinotrailer, Teaser

Quelle: OFDb-Shop
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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