Der Student von Prag - Henrik Galeen (1926)

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Salvatore Baccaro
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Der Student von Prag - Henrik Galeen (1926)

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Originaltitel: Der Student von Prag

Produktionsland: Deutschland 1926

Regie: Henrik Galeen

Cast: Conrad Veidt, Werner Krauß, Elizza La Porta, Agnes Esterhazy, Fritz Alberti, Ferdinand von Alten, Erich Kober


Mit DER STUDENT VON PRAG schaffen Hanns Heinz Ewers, Paul Wegener und Stellan Rye im Jahre 1913 einen der Meilensteine der deutschen Kinogeschichte, der sich nicht nur als einer der frühesten Filme überhaupt auf das Originaldrehbuch eines (mehr oder minder) erfolgreichen Schriftstellers (Ewers) beruft, der quasi nebenbei das (noch in den Kinderschuhen steckende) Horror-Genre vorwegnimmt und der bereits eine recht deutliche Vorstellung davon gibt, wie ein Kino aussehen könnte, das sich von seinen Jahrmarktswurzeln gelöst hat und dezidierte Kunst™ sein möchte. Dreizehn Jahre, nachdem der Prager Studiosus und stadtbester Fechter dem dubiosen Scapinelli sein Spiegelbild (sprich: seine Seele) verkauft, um im Gegenzug mit Golddukaten überschüttet zu werden, mit denen er eine Comtesse zu beeindrucken trachtet, in die er sich verguckt hat, (und aufgrund seines Pakts mit der Hölle natürlich letztendlich sowohl psychisch wie physisch kolossalen Schiffbruch erleidet), greift Produzent Henry Stokal den Stoff auf und lässt ihn unter der Regie von Henrik Galeen, (den man unter anderem als Drehbuchautor von Murnaus NOSFERATU und Paul Lenis DAS WACHSFIGURENKABINETT kennt), zu neuem Leben erwecken. Die Titelrolle übernimmt nunmehr der große Conrad Veidt, während seinen Gegenspieler Scapinelli ein weiterer Koloss des Weimarer Stummfilmkinos, Werner Krauß, verkörpert; Galeens Skript hält sich überraschend eng an Ewers‘ Originalgeschichte, und gesteht dieser nur die eine oder andere minimale Akzentverschiebung zu; insgesamt ist das Remake natürlich, was Schnitt und amera betrifft, weitaus weniger theatralisch, weitaus lebhafter als das noch sehr in Bühnentraditionen verhaftete Original, (und legt dadurch eindrucksvoll Zeugnis davon ab, welche ästhetisch-technischen Quantensprünge das Kino in den Jahren zwischen 1913 und 1926 vollzogen hat), - nichtsdestotrotz wird mit der frühere Film trotz oder gerade wegen seines naiven Charmes wohl immer näher am Herzen sein als dieser etwas obsolet wirkende Neuaufguss.

Interessant ist, dass Veidts Balduin als primär von ökonomischen Zielsetzungen geleitet scheint: Während sich der Titelheld in der 1913er Version deshalb auf einen Deal mit dem dubiosen Scapinelli einlässt, weil er sich in eine Comtesse verliebt hat, und der (durchaus korrekten) Meinung ist, diese würde einen bettelarmen Studenten niemals auch nur in die Nähe ihres Herzens lassen, lernt er seinen adligen Augenstern in der 1926er Variante erst dadurch kennen, dass er sich mit Scapinelli zusammentut. Balduin leidet unter seinem leeren Portemonnaie; er bittet Scapinelli, ihm hierbei Abhilfe zu schaffen, (und zwar wortwörtlich dahingehend, dass er sich eine reiche Frau an seine Seite wünscht, die ihn aushalten solle!); dafür darf dieser einen beliebigen Gegenstand aus Balduins karger Studentenkammer mitnehmen, (worauf sich Scapinelli natürlich erneut auf Balduins Spiegelbild stürzt). Kurz darauf bläst Graf Schwarzenberg zur Fuchsjagd; mit von der Partie: seine Tochter Margit; und die gerät in Lebensgefahr, als ihr Pferd durchgeht; natürlich ist es ausgerechnet Balduin, der das wildgewordene Tier zur Raison bringt – und dadurch die Aufmerksamkeit Margits erregt. Diese Sequenz gehört übrigens zu den visuell eindrucksvollsten des Streifens: Wenn Scapinelli auf einer Anhöhe steht und das Pferd Margits anscheinend mittels telepathischer Kräfte scheumacht und hin zum Amoklauf dirigiert, (ein weiteres Detail, das dem Ewers-Drehbuch hinzugedichtet worden ist), dann befleißigt sich Galeen einer wahrer Maschinengewehrmontage von umherhetzenden Jagdhunden, Detailaufnahmen des zu bocken beginnenden Gauls und dem angstzerfurchten Gesicht Margits, die sich bereits auf den sicheren Tod zurasen sieht. Übertrumpft werden diese atemlosen Moment im Grunde nur noch durch das Finale, das – im Gegensatz zur vergleichsweise nüchtern gehaltenen Klimax des Originalfilms – mit Fug und Recht behaupten kann, in waschechten Horror-Gefilden zu schippern: Verfolgt von seinem diabolischen Doppelgänger torkelt Balduin durch die Gemächer des Schlosses Schwarzenberg, sucht Zuflucht in den windgepeitschten Schatten einer Baumallee, während eine Sturmflut auf ihn einprasselt, verliert zunehmend den Verstand, sobald sein zombiehaft umherstaksendes Spiegelbild sich hinter der nächsten Ecke materialisiert, ihm immer wieder den Weg abschneidet, sich ihm mit hämischem Grinsen (und sichtbar bösen Absichten) nähert – kurzum: Das, was der Film in seinem letzten Akt abbrennt, ist eine wahre Lehrstunde darin, wie man seinem Publikum das nackte Grausen beizubringen vermag.

Was die Dekors betrifft, hat DER STUDENT VON PRAG, wie man ja vermuten könnte, keinerlei Berührungspunkte mit dem Stummfilmexpressionismus à la DAS CABINET DES DR. CALGIARI oder DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM: Galeen dreht in realistisch anmutenden Studiokulissen oder eben gleich unter freiem Himmel auf Wiesen und Feldern, (wie es ja auch schon das 1913er Original getan hat.) Ein bisschen schade ist es, dass das Prager Lokalkolorit, das Ewers‘, Wegeners und Ryes Film geschmückt hat, genauso fehlt wie eine der schönsten Szenen der 1913er Fassung: Balduins und Margits Ausflug auf den Jüdischen Friedhof, wo ihm zum ersten Mal sein Spiegelbild über den Weg läuft. Und irritierend kann man es vielleicht finden, was für einen hohen Stellenwert Musik in diesem stummen Streifen einnimmt: Da wird konzertiert, musiziert, vor allem zu Beginn ein Studentenlied nach dem andern zum Besten zu geben, - wobei wir uns die Melodie derselben freilich im eigenen Kopf zusammenreimen müssen, wenn fortwährend Close-Ups der zugehörigen Partituren vor die Kamera gehalten werden. Insgesamt verfehlt Galeens Fassung es, dem Originalstoff nennenswerte neue Akzente abzugewinnen – (außer eben den, dass Balduin hier wesentlich unsympathischer wirkt als im Original, da es ihm unterm Strich allein um den schnöden Mammon geht) –, weshalb ich den Vorgänger (nicht zuletzt wegen seiner filmhistorischen Bedeutung) dann doch für den (noch) sehenswerteren Film halte…
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