Der Struwwelpeter - Fritz Genschow (1955)

Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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Der Struwwelpeter - Fritz Genschow (1955)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Der Struwwelpeter

Herstellungsland: BRD 1955

Regie: Fritz Genschow

Darsteller: Gustav Bertram, Fritz Genschow, Erika Görner, Renée Stobrawa, Herbert Weissbach

Das ist der beste Film aller Zeiten! Schlicht unfassbar! Oder zumindest: der, der mich in den letzten Wochen am fassungslosesten zurückließ...

Diese absolut nervige Off-Stimme, die Tierkostüme (!!!), der Nikolaus und das "Mohrchen", die Kinder, die offenbar von einer Ballettschule rekrutiert wurden: ich mag gar nicht wissen, was der Herr Genschow, der übrigens schon zu NS-Zeiten mit Märchenfilmen begann (siehe: Rotkäppchen von 1936, einer der ersten Farbfilme der deutschen Filmgeschichte überhaupt), da für famoses Gras geraucht haben mag, dass es ihm so sehr den Kopf verdrehte. DER STRUWWELPETER ist, wie der Titel schon sagt, die Filmadaption zum gleichnamigen Kinderbuchklassiker von Heinrich Hoffmann aus dem Jahre 1845, der noch heute überrascht mit seinen politisch unkorrekten und stellenweise gar grausig-sadistischen Einlagen. Da Genschow offenbar die losen Episödchen der Vorlagen nicht für spielfilmfüllend hielt, stattete er sie zusätzlich mit einer Rahmenhandlung aus, die die Entstehung des Kinderbuchs erklären soll, die indes vernachlässigbar ist angesichts der überwiegenden Szenen, die sich dezidiert auf das Original beziehen. Eine schreckliche Stimme aus dem Off (ist das Herr Genschow am Ende selbst?!) liest aus dem STRUWWELPETER vor, während die Bilder als reine Illustrationen wirken, dem Buch dahingehend also nichts Neues hinzufügen. Interessant ist, dass den Hoffmannschen Versen permanent eigens von Genschow ersonnene untergejubelt werden, die die Episoden künstlich strecken und im Vergleich äußerst holprig und unbeholfen daherkommen. Gleiches gilt natürlich auch für die äußere Gestalt der Spielszenen, in denen Genschow sich einmal mehr in absolut theatralischen Kulissen austobt, die so theatralisch sind, dass sie fast schon wieder real wirken, austobt, seine vorwiegend minderjährigen Schauspieler, von denen einige exakt die Art von unheimlichen Kinder sind, die Peter Bark einst so kongenial verkörperte, in hässlichste Kostüme stopft, und das Ganze zudem mit einem überdrehten Soundtrack und einem selbstersonnenen Finale garniert, in dem sämtliche Helden des Films, darunter auch die Tierfiguren, vom Nikolaus beinahe eine quälend lange Viertelstunde mit Geschenken überhäuft werden.

Genschow, von dem übrigens auch der Märchenfilmklassiker ROTKÄPPCHEN von 1953 stammt, dessen erste Hälfte jeder Beschreibung spottet, da sie völlig fern der Vorlage von Rotkäppchens Bruderschar berichtet, die einfach bei ihrem Alltag, d.h. beim Kochen, beim Putzen, beim Wandern gefilmt wird, sowie die betrunkene Hänsel-und-Gretel-Version von 1954, ist für mich hierbei so nahe am Surrealismus, an der Avantgarde, dass man kaum an einen Zufall glauben mag. Ist, was deutsche Märchenfilme betrifft, ein Werk wie DAS SINGENDE KLINGENDE BÄUMCHEN von 1957 das Äquivalent zur Farbenpracht und der grellen, betörenden Ästhetik eines Mario Bava, nur eben in einem ganz anderen Kontext, so stelle ich DER STRUWWELPETER hiermit auf eine Stufe mit Filmen wie den späten Fulcis, bei denen der Meister aller Logik abschwor und wie im Wahn aneinanderreihte, was ihm gerade so einfiel_ die Intention mag da gewesen sein, die Umsetzung gerät zum bunt gefiederten Auerhahn. Theoretisch hätte Breton das alles ja noch kennen können und vielleicht darüber gelacht, dass das Erbe der Frühschnurrsurrealisten ausgerechnet im Adenauer-Deutschland landete, wo verwirrte Märchenfilmonkel es in billige Theaterkulissen, völlig wahnsinnige Garderoben und wundersame Verse investierten.

P.S.: Die leicht gekürzte Version des Films, d.h. die ohne die sowieso eher vernachlässigbare Rahmenhandlung, findet sich übrigens hier:

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DrDjangoMD
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Re: Der Struwwelpeter - Fritz Genschow

Beitrag von DrDjangoMD »

Ja...ich konnte zwar nur durchzappen, da mein ohnehin von Migräne geplagtes Haupt die Erzählstimme nicht das ganze Video hindurch ausgehalten hätte...aber es sieht wirklich sagen wir interessant aus...allerdings sei dahingestellt, ob der übertriebe Gebrauch von Totalaufnahmen angewandt wird um auf kongeniale Weise den starren Buchcharakter der Geschichten hervorzuheben oder einfach weil Mr. Regisseur zu faul war mit größeren Einstellungen die Emotionen der "Charaktere" einzufangen.

P.S. Und warum tut die Polizei eigentlich nichts gegen crazy Daumenschneiderich, das kann doch nicht legal sein?
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buxtebrawler
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Re: Der Struwwelpeter - Fritz Genschow (1955)

Beitrag von buxtebrawler »

Ist mutmaßlich am 18.10.2021 bei Sedna Medien auf Blu-ray sowie ebd. am 30.10.2021 auch noch einmal auf DVD, auch innerhalb der "Märchen Mega Box", erschienen:

Bild Bild Bild
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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