Der grüne Kakadu - Michael Kehlmann (1963)

Moderator: jogiwan

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Prisma
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Der grüne Kakadu - Michael Kehlmann (1963)

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DER GRÜNE KAKADU (1963) [TV]

mit Hans Dieter Zeidler, Marisa Mell, Manfred Inger, Lukas Ammann, Götz von Langheim, Fritz Rémond, Anneliese Stöckl, Eberhard Maas, Wolfgang Zilzer, Georg Lehn, Carlos Werner, Walter Buschhoff und Louise Martini
eine ZDF-Produktion der InterTel
nach der Groteske von Arthur Schnitzler
ein Fernsehspiel von Michael Kehlmann


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»Weiber! Weiber ihr Weiber! Ach das bringt einen auch wieder zum Leben!«
Paris, am Abend des 14. Juli 1789. In Prospères (Manfred Inger) Spelunke "Der grüne Kakadu" treffen sozial und kulturell gesehen Welten aufeinander. Einige Darsteller ohne Engagements, die zur ehemaligen Truppe des Wirtes gehörten, zählen zu den Stammgästen des Hauses und geben spektakuläre Darbietungen zum Besten. Diese Tatsache lockt Abend für Abend auch immer wieder Adelige an, die dort nach dem persönlichen Nervenkitzel und Sensationen suchen, und um sich ganz ungeniert allerhand Genüssen hinzugeben. Man sitzt Tisch an Tisch mit zwielichtigen Gestalten, Dieben und Dirnen, die von ihren Gaunereien prahlen und sich wie in einem Theaterstück inszenieren. Am Tage des Ausbruchs der Französischen Revolution dringt jedoch die Wirklichkeit in das Vergnügungslokal ein, und keiner der Anwesenden kann mehr zwischen Schauspiel und Realität unterscheiden...

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Otto Schenks Schnitzler-Adaption "Reigen" konnte bei mir in letzten Jahr bereits für eine faustdicke Überraschung sorgen, da ich normalerweise mit klassischen Literaturverfilmungen dieser Art weniger anfangen kann. Aber auch nach Michael Kehlmanns Beitrag aus dem Jahre 1963 kann ich einfach sagen, dass es nicht zuletzt an den Vorlagen von Arthur Schnitzler liegt, dass mir diese Verfilmungen so gut gefallen haben. Natürlich kam mir "Der grüne Kakadu" wegen Marisa Mell ins Haus geflattert, obwohl ich am zweifeln war, dass sie tatsächlich mit von der Partie ist. In einem französischen Filmmagazin erwähnte sie zwar selbst in einem Interview, dass diese Produktion ihre liebste Arbeit fürs Fernsehen gewesen sei, aber kaum eine Quelle führt(e) sie in der Besetzung auf. Insgesamt ist aber zu sagen, dass mir Michael Kehlmanns Fernsehfilm auch so imponiert hätte, aber dass Marisa Mell tatsächlich in einer der Hauptrollen dabei ist, macht die Angelegenheit für mich natürlich perfekt. Das sind so die ganz besonderen Momente bei der Filmleidenschaft. Zwar wusste ich, dass der Film tatsächlich existiert, aber dass es doch quasi tatsächlich eine verschollene, oder eine vermeintlich nicht existierende Rolle von ihr gibt, kommt einem in Erfüllung gegangenen Traum nahe. Aber Blindkäufe bringen mir schon seit jeher den kleinen Nervenkitzel! Hinzu kommt, dass mir auch die Umsetzung wirklich sehr gut gefallen hat, obwohl es sich bei diesem Einakter um ein Format handelt, das mir eigentlich nicht besonders liegt. Aber Pidax hat mich tatsächlich an die damals so ungeliebten TV-Stücke heranführen können, die ich mir mittlerweile doch sehr gerne anschaue.

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Ein solches Kammerspiel lebt in der Regel von der Qualität seiner Darsteller. Was man hier geboten bekommt kann man einfach nur exzellent nennen. Akteure wie beispielsweise Hans Dieter Zeidler, Manfred Inger, Lukas Ammann, Carlos Werner, Anneliese Stöckl - um nur einige zu nennen - aber auch Marisa Mell, übertreffen sich hier selbst. Ihre Interpretationen transportieren eine mitreißende Intensität und eine Präzision, die nicht nur überzeugend und erstklassig, sondern wirklich faszinierend wirkt. Für Marisa Mell-Fans gibt es hier einige ihrer weniger bekannten Facetten zu bewundern. Ihr Spiel erinnert an einen Bühnen- oder Theaterauftritt, und der Zuschauer kann sich hier genau vorstellen, wie sie dort gewirkt haben muss. Ihre Flexibilität wird oftmals deutlich, sie wirkt leichtfüßig und in blendender Spiellaune, was allerdings zu dieser Zeit ja eher die Regel, als die Ausnahme war. Im Film hat sie außerdem nicht sehr oft ihr unbändiges, oft von Erika Pluhar beschriebenes Lachen zur Schau gestellt, was sie sehr sympathisch und authentisch erscheinen lässt, obwohl ihre Léocadie eine zweifelhafte Schauspielerin ist, und womöglich eine gut kalkulierende Dirne sein soll. Optisch gesehen erinnert sie, wie ich finde, sehr stakt an Lilian Ranger aus dem Wallace-Film "Das Rätsel der roten Orchidee", wird hier aber deutlich exponierter als femme fatale in den Fokus gerückt. Eine sehr schöne und bemerkenswerte Frauen-Rolle in Marisa Mells Karriere-Kontext. Alle Rollen sind aufgrund des Einakters bei den Darstellern in Etappen eingeteilt, und daher natürlich von begrenzter Auftrittsdauer, was aber die unterschiedlichen Facetten der Charaktere vorzüglich herausarbeitet. Jeder neue Auftritt, beziehungsweise jede folgende Selbstinszenierung, wird zum Ereignis und darüber hinaus zum vollendeten Spaß. Insgesamt gesehen spielt wirklich ein Schauspieler besser als der andere. Absolute Spitzenklasse!

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Die Voraussetzungen für dieses Fernsehspiel mit seinen engen Rahmenbedingungen und überschaubaren Möglichkeiten wurden nicht nur von den beteiligten Darstellern, sondern schließlich von Regisseur Michael Kehlmann optimal gelöst, und er kreierte eine eigenartige, sich immer mehr zuspitzende Spannung. Obwohl sich die Erzählung ausschließlich nur in einem Raum, also dem "Grünen Kakadu" abspielt, entstand nicht der Eindruck eines Vakuums. Dies liegt zum Einen an dem regen Durchlauf in dem Lokal, zum Anderen aber auch an der brauchbaren Kamera-Arbeit und dem genauen Schnitt. Musik, beziehungsweise Gesang bekommt man lediglich am Ende der Vorstellung geboten, kurz bevor der Abspann einsetzt, der dann akustisch weiter begleitet wird. Die Kulissen wirken aus heutiger Sicht ziemlich angestaubt und es scheint alles wenig aufwendig zu sein, was das berüchtigte Vergnügungslokal aber auch irgendwie treffsicher charakterisiert. Als es gleich zu Beginn eine Überprüfung der Spelunke durch den Commissaire gibt, der hinsichtlich des Umgangs und der Reden dort von »unsittlich und höchst aufrührerisch« zu sprechen beliebt, ist man gespannt, ob es den Tatsachen entsprechen wird. Die Dialog-Arbeit kann man wirklich als sehr gelungen bezeichnen. Die Mischung aus Sarkasmus, Überspitztheit und manchen Wendungen, die die Wirkung von Peitschenhieben haben, unterhalten ungemein. Mit fortlaufender Zeit hören nicht nur die Beteiligten dem Geschehen immer gefesselter zu, sondern dem Zuschauer ergeht es ähnlich. Insgesamt lieferte Michael Kehlmann eine gelungene Inszenierung und schildert ein interessantes und packendes Tauziehen zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Vor allem aber konnte ich endlich ein weiteres Häkchen bei Marisa Mell-Filmen machen (hier übrigens an zweiter Stelle im Abspann genannt), und da es ja auch nicht gerade immer der Fall ist, dass es sich dabei um Meisterwerke handelt, bin ich umso zufriedener mit dieser rundum gelungenen Arbeit!
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