Das Testament des Dr. Mabuse - Fritz Lang (1933)

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Maulwurf
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Das Testament des Dr. Mabuse - Fritz Lang (1933)

Beitrag von Maulwurf »

Das Testament des Dr. Mabuse
Deutschland 1933
Regie: Fritz Lang
Rudolf Klein-Rogge, Oscar Beregi Sr., Theodor Loos, Otto Wernicke, Klaus Pohl, Wera Liessem, Gustav Diessl, Camilla Spira, Rudolf Schündler, Theo Lingen, Oskar Höcker, Paul Henckels


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Der Ex-Polizist Hofmeister versucht verzweifelt, Kriminalkommissar Lohmann zu erreichen. Hofmeister ist einer Riesensache auf der Spur: Eine Serie von monströsen Verbrechen, ohne Rücksicht und ohne erkennbaren Sinn ausgeführt, und Hofmeister weiß wer dahintersteckt. Er kennt einen Namen. Doch Hofmeisters Mitteilung wird Lohmann nie erreichen: Mit einem schweren psychischen Trauma wird in er in die Irrenanstalt von Dr. Baum eingeliefert, wo Lohmann nur noch ein lallendes und singendes Wrack antrifft. Doch die Verbrechen werden immer mehr, und Lohmann weiß bald nicht mehr weiter.

Da kommt ihm Tom Kent zu Hilfe. Kent ist ein arbeitsloser Ingenieur, ein Ex-Zuchthäusler, der sich der Verbrecherorganisation angeschlossen hat. Er ist bereit alles zu tun außer zu morden, und genau das soll hier aber seine Aufgabe sein: Denjenigen, die der Falschmünzerwerkstatt zu nahe kommen, das Lebenslicht auszublasen. Das passt ihm gar nicht, und die namenlose Stimme hinter dem Vorhang hat Kent auch schon einen scharfen Verweis erteilt: Noch ein weiteres Versagen, und die Abteilung IIa wird sich um ihn kümmern. Und genau zu diesem Zeitpunkt verliebt sich Kent auch noch in die junge Lilli. Der Mann im Hintergrund, der Namenslose, der Unheimliche setzt Kent und Lilli gefangen und versucht sie zu töten. Doch die beiden können knapp überleben und wenden sich an Lohmann. Endlich hat der eine Spur. Und alle Spuren führen zum Sanatorium von Professor Baum, wo bis zu seinem Tod vor ein paar Tagen ein ganz besonderer Mann inhaftiert war: Dr. Mabuse …

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Es ist müßig sich zu fragen, wie die Menschen im Deutschland des Jahres 1933 DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE aufgenommen haben: Der Film wurde im März 1933 noch vor dem Kinostart verboten, und erst 1951 in einer stark verstümmelten Fassung aufgeführt. Aber in Österreich lief er tatsächlich im Mai 1933 an, und dann eben diese Premiere 1951 – Wie empfanden die Kinobesucher damals diesen Film?

Auf der einen Seite die ganz klaren Anspielungen auf den Nationalsozialismus – Die Herrschaft des Verbrechens, das Verbrechen um des Verbrechens willen, und natürlich der Gedanke, die Sinne der Menschen in den Wahnsinn zu treiben durch eine Reihe von immer grauenhafteren Verbrechen, die jeden Gedanken an Sicherheit und Ordnung rückhaltlos vernichten. Dann die Anspielungen auf Hitler: Der in der Festung Landsberg Mein Kampf schrieb, genauso wie Mabuse hier seine Anleitung zur Errichtung einer Schreckensherrschaft manisch zu Papier bringt. Und noch einmal Hitler, der sich wie Mabuse in die Seelen der Menschen fräst um Tod und Verderben zu säen.
Auf der anderen Seite dann diese Theatralik in den Dialogen und den Gesten. Diese außerordentliche Gewichtigkeit, dass jedes einzelne Wort betont und auf die Goldwaage gelegt wird, und außer dem rustikalen Otto Wernicke als Lohmann kaum ein Schauspieler seinen Text so spricht, wie ihn ein normaler Mensch sprechen würde. Dazu kommt, dass hier, genauso wie in DR. MABUSE, DER SPIELER kaum Außenaufnahmen gedreht wurden, selbst die Ermordung Kramms auf einer belebten Straße ist im Studio gedreht. Und da hatten die Zuschauer sowohl 1933 wie auch 1951, glaube ich, andere Vorstellungen von Kino.

DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE ist ein großartiger Film und in seiner Rezeption des heranziehenden Dritten Reichs ein großes und drohendes Mahnmal vor dem Terror. Fritz Lang selber behauptete, dass „ganze Parolen und Glaubenssätze des heraufziehenden NS-Staates [..] den Verbrechern in den Mund gelegt“ worden seien (1).

Die Seele der Menschen muss in ihren tiefsten Tiefen verängstigt werden, durch unerforschliche, scheinbar sinnlose Verbrechen … Verbrechen, deren Zweck nicht einmal die erfassen, die sie ausüben … Verbrechen die niemandem Nutzen bringen – Die nur den einen Zweck haben, Angst und Schrecken zu verbreiten! … Denn der letzte Sinn des Verbrechens ist, eine unbeschränkte Herrschaft des Verbrechens aufzurichten. Einen Zustand vollkommener Unsicherheit und Anarchie, aufgebaut auf den zerstörten Idealen einer Welt, die zum Untergang verurteilt ist. Wenn die Menschen, vom Terror des Verbrechens beherrscht, vom Grauen und Entsetzen irre geworden sind, wenn das Chaos zum obersten Gesetz erhoben, dann ist die Stunde der Herrschaft des Verbrechens da.

Prophetische Worte, und den Satz „Einen Zustand vollkommener Unsicherheit und Anarchie, aufgebaut auf den zerstörten Idealen einer Welt, die zum Untergang verurteilt ist.“ muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen – Eine geradezu perfekte Umschreibung des Übergangs von der Weimarer Republik zum Dritten Reich. „Das aber schien mir doch das Merkmal des Verbrechens, dass es auf die Zerstörung der beherrschenden Ordnung gerichtet war, nicht darauf, sich in ihr mit unerlaubten Mitteln einzurichten.“ (2) Worte, die bei Ernst von Salomon ihre literarische Grundlage finden: „Durch die Gassen schlich der Mord. Gift, Dolch, Pistole und Bombe schienen die Werkzeuge einer aus dem Dunkel der deutschen Wirrnis emportauchenden Schar kaltherziger Verbrecher.“ (3), und die Stimmung in allen Mabuse-Filmen Langs wird durch dessen Rückschau auf die frühen 20er-Jahre mehr als treffend beschrieben, gleich ob der Film von 1921 oder von 1960 ist. Den Film des Jahres 1932 (ausgehend von den Dreharbeiten) betrifft dies in noch viel höherem Maße, dürften damit doch auch eindeutig diejenigen Vorgänge gemeint sein, die direkt zum Nationalsozialismus geführt haben, und der Eintrag in Goebbels Tagebuch „Film ‘Dr. Mabuse‘ von Fritz Lang gesehen. Praktische Anleitung zum Verbrechen. Wird verboten.“ ist vom nationalsozialistischen Gesichtspunkt somit durchaus nachzuvollziehen, sind doch die Parallelen zum eigenen Staatswesen gar zu auffällig. Spannend, dass die Drehbuchautorin Thea von Harbou dem Nationalsozialismus sehr nahe stand, und bereits Anfang 1933 die Vorsitzende des „offiziellen, gleichgeschalteten Verbandes deutscher Tonfilmautoren“ wurde (1). Ich könnte mir also ohne weiteres vorstellen, dass Fritz Lang während der Dreharbeiten Änderungen am Drehbuch und am Text vornahm, die Beziehung zwischen von Harbou und Lang war zu dieser Zeit ja bereits vorbei. Zwar hatten beide bereits außereheliche Verhältnisse, und die Ehe bestand zur Zeit der Dreharbeiten nur noch auf dem Papier, aber dieser Film mit seinem kritischen Inhalt könnte, und das ist wohlgemerkt eine rein persönliche Vermutung, durchaus der letzte Baustein der Scheidung im April 1933 gewesen sein …

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Aber das ist schmutzige Wäsche, und wir waren eigentlich immer noch bei der Frage, wie das Publikum diesen Film wohl aufgenommen hat. Wenn ich mir die Filme der frühen 30er-Jahre anschaue, dann ist hier oftmals bereits ein sehr natürliches Spiel im Vordergrund. Die Theatralik des Stummfilms wurde relativ schnell überwunden, und beliebte Stars wie Willy Fritsch und Lilian Harvey oder im Tonfilm aufstrebende Schauspieler wie Hans Albers und Heinz Rühmann, wirkten in ihren Rollen wie die netten Menschen von nebenan, nicht wie Schauspieler die ihre Rolle mühsam herunterbeten. Und genau das ist es, was mich an DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE etwas stört: Wenn Lilli vor Kent ihre Liebe gesteht, dann tut sie das so gestelzt, als ob sie erst gestern den letzten Stummfilm abgedreht hat, und nicht weiß wie sie intonieren soll. Und das betrifft beileibe nicht nur die Darstellerin Wera Lissem, sondern alle Schauspieler (bis auf Otto Wernicke, und selbst der kann sich nicht ganz freimachen von dieser Pose): Die manierierten Dialoge, das Verhalten und die Gesten zerstören jeden Anflug von Realität. Absicht? Oder was mag Lang dazu bewogen haben, seinen Schauspielern den Duktus eines Schultheaters abzuverlangen? Heute, rund 90 Jahre nach der Entstehung dieses Films, ist die Handlung aktuell und packend, ja sie scheint sogar mit den oben kursiv gesetzten Worten die Postdemokratie in ihren letzten Zuckungen zu beschreiben. Der Film bringt alle Attribute eines spannenden Thrillers mit sich, doch die Darbietung wirkt so oft altbacken und rückständig, dass die Szenen zwischen den eindringlichen Momenten rund um Dr. Mabuse und Professor Baum manchmal fast zum Vorspulen reizen. Gar kein Vergleich mit dem lockeren Aufspielen eines bereits früher entstandenen Kassenschlagers wie DIE DREI VON DER TANKSTELLE oder, um idealerweise beim Genre zu bleiben, dem 1933 gedrehten Agententhriller EIN GEWISSR HERR GRAN mit Hans Albers. Eher wird die düstere Symbolik eines Film wie Richard Oswalds ALRAUNE getroffen – Selbst ein Profi wie Fritz Lang wusste offensichtlich nicht so recht, wie er Unheil und Drama darstellen soll ohne auf grotesk wirkende Darstellungsformen zu verfallen. Aber gut, vielleicht hat das damalige Publikum das anders gesehen. Es wäre interessant, von den Premieren 1933 in Budapest und Wien zeitgenössische Kritiken zu lesen. Denen ist bestimmt auch aufgefallen, dass die Ermordung Kramms direkten Bezug nimmt auf das Attentat auf Walter Rathenau im Sommer 1922 – Genauso wie Kramm wurde auch Rathenau, im Auto sitzend, aus einem vorbeifahrenden Wagen heraus getötet. Sicher kein Zufall, dass der heraufziehende Staatsterror mit diesem Mordanschlag in Verbindung gebracht wird. Auch könnte den Menschen 1933 noch in Erinnerung gewesen sein, dass die Sektion IIIb der militärische Nachrichtendienst des deutschen Kaiserreiches war, die Bezeichnung Abteilung IIb für das Mordbüro Mabuses also sicher nicht unabsichtlich gewählt wurde.

DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE ist in erster Linie ein spannender und hochdramatischer Actionfilm, der Elemente des Psychothrillers und des Paranoiafilms Jahrzehnte vor deren offiziellen Erscheinen auf den Leinwänden der Welt vorwegnimmt. Bereits der Beginn, wenn Hofmeister in einer Druckerei hinter einer Kiste liegt, die Pistole im Anschlag, und die Bösen seinen Fuß sehen und ihm daraufhin eine Falle stellen, unterlegt vom rhythmischen Gestampfe einer unsichtbaren Maschine, ist Spannung pur, zerrt an den Nerven, und zieht den Zuschauer sofort in diese Welt der Angst und des Schreckens. Die verzweifelten Versuche von Kent und Lilli, aus dem Kerker Mabuses auszubrechen, Baums irrwitzige Flucht mit dem Automobil, die Schießerei zwischen den Juwelendieben und der Polizei (bei der ein blutjunger Rudolf Schündler sich aufführt wie ein manischer Klaus Kinski in seinen besten Zeiten), der Brand der Chemiefabrik, großartige Special Effects, und immer wieder der Geist von Dr. Mabuse, der sich den Verstand Professor Baums unterwirft und diesem als zombieartiges Ungetier erscheint. Szenen, die auch heute noch packen und auch den modernen Zuschauer mitreißen. Der zeitgeschichtliche Bezug packt noch mal eine ordentliche Schippe Dramatik dazu, und in Bezug auf Suspense und Thrill steht dieser Film den modernen Filmen aus der Blockbuster-Schmiede in Nichts nach. Doch, er hat ihnen sogar etwas voraus: DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE ist ein Polit-Thriller, der erschreckenderweise 90 Jahre nach seiner Entstehung nichts an Aktualität eingebüßt hat. Und da verblassen dann sogar die pathetischen Dialoge ...

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Testa ... use_(1933)
(2) Ernst von Salomon: Die Geächteten, Berlin 1930, S. 335
(3) Ernst von Salomon A. a. O., S. 220

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