The Card Counter - Paul Schrader (2021)

Moderator: jogiwan

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fritzcarraldo
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The Card Counter - Paul Schrader (2021)

Beitrag von fritzcarraldo »

Sneak Preview. Schauburg Bremen.
The Card Counter
the-card-counter-pl.jpg
the-card-counter-pl.jpg (223.34 KiB) 284 mal betrachtet
Regie: Paul Schrader
Mit Oscar Isaac, Willem Dafoe.
Dieser Kinobesuch war eine echte Überraschung. Paul Schrader hat doch tatsächlich einen neuen Film gedreht. Und ein weiteres mal definiert er seinen/einen "Travis Bickle", schuldbeladen und mit seinem Blick auf Amerika. Im Vorgänger FIRST REFORMED war es der Geistliche dargestellt von Ethan Hawke, der durch diverse traumatische Erlebnisse solange zweifelt bis er seine Konsequenzen zieht. Hier ist es ein Profi-Karten-Spieler, der sich William Tell nennt. Wir als Zusehende ahnen anfangs schon, dass er eine schlimme Vergangenheit hat und als diese zum ersten Mal von Schrader als extrem verzerrter Traum ins Bild gerückt wird, wirkt dies wie ein furchtbarer Schock.
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Sein ganzes Leben scheint daraus zu bestehen, sich unter Kontrolle zu wissen. Er möchte in der Masse untergehen und kleidet sich eher grau. Selbst beim Poker und Blackjack möchte er nicht auffallen und gewinnt immer nur das was er benötigt. Wie wir in Rückblenden erfahren, war er im Gefängnis und hat dort das Karten zählen erlernt und hat somit einen Vorteil vor anderen Spieler°innen. Aber er setzt diese Fähigkeit nur spärlich ein, um nicht aufzufallen. Als dann eine Poker-Managerin und ein Typ namens Cirk in sein Leben treten, verändert sich natürlich einiges. Besonders Cirk ist eine Verbindung zu Tells Vergangenheit.
Im großen und ganzen geht es wieder einmal um Schuld, Sühne, Vergebung und Rache und wie dies alles Generationen übergreifend Menschen schädigt. Und kann man gewisse Taten überhaupt vergeben? Oscar Isaac als Tell ist unfassbar. Sehr zurück genommen hätte ich ihn fast nicht erkannt. Er trägt damit den ganzen Film. Ich finde zwar, dass diese ganze Profi-Poker-Welt nicht so ganz zu Tells Vergangenheit passen will und dies wurde meiner Meinung nach von Schrader in FIRST REFORMED besser gelöst, ist aber das berühmte Meckern auf hohem Niveau. Denn auch in THE CARD COUNTER sehen wir tolle Bilder wenn Tell an den Pokertischen sitzt und durch die dazugehörigen Casinos schleicht. Und die besagte Sequenz, als das erste Mal Tells Vergangenheit in Bilder gefasst wird, werde ich wohl niemals vergessen. Schön ist auch, dass mit THE CARD COUNTER endlich mal wieder ein Film von Schrader regulär ins Kino kommt.
"Das Leben ist noch verrückter als Scheiße!" (Joe Minaldi -Burt Young- Es war einmal in Amerika)

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(Patrick Bateman, American Psycho)

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Salvatore Baccaro
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Re: The Card Counter - Paul Schrader (2021)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Leider hat dieser Film bei mir zu keinem Zeitpunkt wirklich gezündet. Im Grunde kam es mir über weite Laufzeitstrecken so vor, als würde ich zwei völlig unterschiedliche Werke schauen, die eher krampfig denn organisch unter einen Hut zu bringen versucht worden sind: Ein Schuld-und-Sühne-Drama um einen ehemaligen Abu-Ghraib-Folterknecht; ein Poker-Film, der uns tief hineinführt in die Welt des Glücks- und Kartenspiels, wobei beide Einheiten für mich seltsam unverbunden nebeneinander standen, und nicht mal die Figur des "Wilhelm Tell" wie eine Brücke fungiert. Nicht zuletzt dessen Charakter als Einzelgänger mochte für mich kaum damit zusammenpassen, dass er sich des Sohns eines ehemaligen Kameraden ziehvatergleich annimmt; von der Romanze ganz zu schweigen, die ich als reichlich konstruiert empfunden habe, und die völlig aus dem Nichts kommt. Schade nicht zuletzt, dass eine der interessantesten Figuren des Films, verkörpert von Willem Dafoe, kaum fünf Minuten Screentime geschenkt bekommt. Das Schlussbild mag eine hübsche Michelangelo-Hommage sein, in die man ganz viel hineininterpretieren kann, mit den vorherigen zwei Stunden hatte es, meiner Meinung nach, wenig zu tun. Intensiv immerhin die fiesen Flashback-Szenen mit ihrer Fisch-Augen-Optik, und lobend auch, dass THE CARD COUNTER sich ästhetisch nicht auf Las-Vegas-Glitzer ausruht, sondern seine Poker-Matches vielmehr in wenig glanzvollen, dafür recht sterilen Messehallen austragen lässt, was ich einmal als Pluspunkt auf der Realismus-Seite verbuche.
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