Sein oder Nichtsein - Ernst Lubitsch (1942)

Moderator: jogiwan

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CamperVan.Helsing
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Sein oder Nichtsein - Ernst Lubitsch (1942)

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USA 1942

OT: To be or not to be

D: Jack Benny, Carole Lombard, Robert Stack

Warschau 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: Das Theaterensemble um Joseph Tura (Jack Benny) und seine Frau Maria (Carole Lombard) muss auf Druck der Regierung ein antifaschistisches Stück absetzen - stattdessen steht nun Hamlet auf dem Spielplan. Empört bemerkt Tura, dass sich ein Zuschauer während seines Monologs aus dem Saal entfernt. Was er nicht weiß: Es handelt sich um Sobinski (Robert Stack), einen Bomberpiloten, der sich unsterblich in Maria verliebt hat. Diese lässt ihren jungen Verehrer jedoch abblitzen. Wenig später marschiert die deutsche Wehrmacht in Polen ein, Warschau wird bombardiert und nichts ist mehr wie es war. Sobinski wird nach England berufen und deckt dort Ungeheuerliches auf: Professor Siletsky, der vorgibt, für die Piloten Kontakt in die Heimat halten zu können, ist in Wahrheit ein Spion, der mit den Deutschen kollaboriert, um eine Widerstandsgruppe hochgehen zu lassen. Von Sobinski gewarnt, hecken die Turas einen Plan aus, der ihr ganzes schauspielerisches Talent erfordert. (Filmstarts.de)

"Sein oder Nichtsein", das ist hier nicht nur für den Hamlet auf der Bühne die Frage. Um die Existenz geht es für die polnischen Widerstandskämpfer, die durch den Doppelagenten Siletzky und die Informationen, die er in Warschau der Gestapo übergeben will, gefährdet sind. Und weitergedacht um die Existenz Polens, das Leben der jüdischen Bevölkerung, Frieden. Whatever you may name.

So schlüpft die Theatertruppe noch einmal in die ungenutzten Uniformen, und Siletzky übergibt seine Liste nicht dem echten Kommandanten Erhardt, sondern tatsächlich dem verkleideten Tura. Siletzky hat jedoch eine Kopie seiner Liste angefertigt und im Hotel gelassen, das von den Nazis beschlagnahmt und als Kommandozentrale eingerichtet wurde. Somit muss Tura nun Siletzky spielen, bekommt im Hotel aber unerwartet Besuch von Schulz, dem Adjutanten des echten Erhardt, der Siletzky nun vorzeitig zu sich bestellt, weil am nächsten Tag Hitler himself kurzfristig nach Warschau kommen wird. Doch auch der Hitler, der am nächsten Tag dem Theater seine Aufwartung macht, ist nicht echt...

Ja, wie gern würde man daran glauben, dass die Kunst und die Kraft des Humors stets in der Lage wären, das Böse in Schach zu halten. So einfach ist es leider nicht, und da der Film in den Kriegszeiten entstand, gibt es zwar auf der persönlichen Ebene für das Theaterensemble ein Happy End, im größeren Kontext (die Widerstandsbewegung, Polens Eigenständigkeit etc.) kann das Ende nur offen bleiben. Inwieweit Lubitsch, selbst Jude und in den 1920ern von Deutschland in die USA ausgewandert, seinerzeit wusste, dass in den KZ Menschen mittlerweile massenweise ermordet wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht konnte ein Film, in dem Nazis lächerlich gemacht werden, nur zu der Zeit entstehen, in dem das Ausmaß der Greueltaten noch nicht bekannt war.

Der Kommandant, Gruppenführer Erhardt, ist unfähig, fühlt sich aber geschmeichelt, wenn man ihn als "Konzentrationslager-Erhardt" bezeichnet. Bei Fehlern macht er generell seinen Adjutanten Schulz dafür verantwortlich. Jeglicher Ansatz eines Zweifels an der Loyalität gegenüber dem Führer wird vom Betroffenen mit einem "Heil Hitler" abgewehrt. Joseph Tura hält sich für einen großartigen Shakespeare-Darsteller, doch niemand kennt ihn - bis auf Gruppenführer Erhardt: "Was er mit Shakespeare gemacht hat, machen wir jetzt mit Polen." Und wenn Stanislaw Sobinski bei Beginn des Hamlet-Monologs den Saal verlässt, um Maria Tura in ihrer Garderobe zu besuchen, ist Joseph Tura am Boden zerstört, weil er glaubt, das Publikum möge ihn nicht mehr.

Ich persönlich halte ja die Kinopremiere mit der Anwesenheit Hitlers in "Inglorious Basterds" für eine Hommage an die Theateraufführung zu Ehren Hitlers in "Sein oder Nichtsein". Während es hier die Kraft der Kunst dem Ensemble ermöglicht, ihr Leben zu retten und ins Exil zu flüchten, wird bei Tarantino die Vernichtung von Kunst (Nitrofilm) zu einem Mittel, um die Vernichter zu vernichten. Tarantino schreibt im Film die Geschichte um, und fungiert so als Vollstrecker der Rache für Lubitsch.

Ein meisterhafter Klassiker.

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Anfangsszene



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& carved in stone
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